Wie Frau Merkel ihre Papiere ordnet

Morgen, am 3. Juli vor 150 Jahren siegte in der größten Schlacht des neunzehnten Jahrhunderts Preußen über Österreich und seine deutschen Verbündeten. Ein Sieg, der Deutschland vereint, aber Europa gespalten hat. Passen wir nicht auf, könnte der Brexit später einmal als ein Königgrätz ohne Waffen in Erinnerung bleiben.

Servus Tichy, eine englische Weisheit lautet: Fußball ist, wenn zwei Mannschaften gegeneinander spielen, und am Ende gewinnt Deutschland. Nun ist es ja mit der Weisheit der Engländer so eine Sache. Man kann den Spruch aber auch auf die deutsche Politik übertragen. Dann geht er so: Deutsche Politik ist, wenn nichts klappt, und am Ende gewinnt Angela Merkel.

I.

Unsere Kanzlerin hat wirklich alles getan, um den Engländern den Brexit schmackhaft zu machen. Ihre Grexit-Politik, ihre Kapitulation vor der Einwanderungswelle, ihre Alleingänge: Das alles blieb auf den britischen Inseln nicht ohne Wirkung. Merkel war natürlich gegen den Brexit. Aber wie das Leben so spielt, scheint sie die einzige zu sein, die aus ihm nun persönlichen Nutzen ziehen kann.

II.

Klar, in der Not müssen wir zusammen halten. Es sei nicht der passende Augenblick, heißt es nun landauf, landab, die Kritik an der Bundeskanzlerin fortzusetzen. Sie dürfe jetzt auf gar keinen Fall die Brücke verlassen. Angela Merkel, darüber müssen wir seit dem Brexit keine Silbe mehr verlieren, wird noch einmal antreten, wird sich erneut ins Kanzleramt wählen lassen wollen. Deutschland wird es ihr danken. Wer zweifelte jetzt noch daran?

III.

Krisen sind immer Hochzeiten für Regierende. Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, weshalb Frau Merkel von einer Krise in die andere schlittert? Vielleicht, weil eine Kanzlerin, die einen Ruf als Krisenmanagerin genießt, nichts dringender braucht als Krisen. (Nach der dummen Regel: Wo ich bin, klappt nichts. Aber ich kann nicht überall sein.) Weniger freundlich könnte man die Methode erkennen: Haltet den Dieb. London ist schuld. Brüssel ist schuld. Berlin hat nur das Beste gewollt.

IV.

Schauen Sie sich bitte einmal Merkels Regierungssprecher beim Sprechen an. Er sortiert, während er sich alle Mühe gibt, Fragen unbeantwortet zu lassen, Papiere vor sich auf dem Tisch. Immer wieder, pausenlos. Eine Übersprungshandlung? Ich vermute eher Absicht. Denn er macht dazu ein Gesicht, als würden ihn all die dusseligen Fragen am Regieren hindern. Dauernd wiederholt er Formulierungen aus dem Munde seiner Kanzlerin, Formulierungen, die nichts bedeuten und allenfalls Rätsel aufgeben. Er weigert sich, seine Kanzlerin zu interpretieren und zu erklären, obwohl er dafür eigentlich bezahlt wird. Er muss Papiere sortieren. Lästig, diese Neugier, dieser ständige Ruf nach einem offenen Diskurs. Das Gesicht des Staatssekretärs spielt zwischen der eigenen Ängstlichkeit und der geliehenen Arroganz der Macht.

V.

Frau Merkel macht es mit dieser Krise wie mit allen Krisen zuvor. Sie ordnet (wie das Gscherr, so der Herr) die Papiere vor sich auf dem Tisch. Sie schleicht durch das, was sie für Nebel hält, obwohl es nur der Dampf des eigenen Atems ist. Sie weiß nicht, was sie wollen soll. So wie sie es in allen ihren Krisen gehalten hat. Bloß jetzt nicht Handeln. Erledigen durch Liegenlassen, eine Methode, die sich im häuslichen Alltag gelegentlich bewährt, niemals in der Politik. Sie lässt die anderen reden. Genau genommen schweigt sie selbst dann, wenn sie spricht. Sie sagt, was sie alles nicht will: keine Hektik, keine Panik, keine Vertiefung, keine Zurücknahme Brüsseler Kompetenzen. Sie wird warten und so oft Nein sagen, bis nur noch eine einzige Alternativlosigkeit übrig bleibt. Weiterwurschteln wie bisher.

VI.

Es wäre ihre Aufgabe, jetzt zu sagen, was aus dem Jahrhundertprojekt der europäischen Einigung werden soll. Sie darf sich nicht länger vor der Frage drücken, wie mehr Europa mit 27 Nationalsstaaten möglich sein soll? Hat sie überhaupt einen Plan? Will sie mehr Demokratie in Brüssel? Wir haben das Recht darauf, es zu erfahren. Sie verrät es uns nicht und sie tut nichts. Warum nützt sie nicht das Momentum, das mit Brexit entstanden ist? Dennoch bleibt sie die stärkste Figur im Spiel. Auf sie kommt es jetzt an. Doch Jakob Augstein hat in seiner SPON-Kolumne ausnahmsweise recht: „Tiefer als in Merkels Hand kann Europa nicht mehr fallen.“

VII.

Und schon mache ich mich nach Ansicht der meisten Kommentatoren schuldig. Auch ich wirke mit am Niedergang Europas. Dieses dauernde Politikerbashing! Dieses Genörgle! Und dann wundere ich mich auch noch, dass die Leute dem Merkel-Juncker-Schulz-Europa nicht mehr über den Weg trauen. Schützt die Herrscher vor dem lästigen Volk, auch wenn es der Souverän ist! Diese Logik war in Europa das Betriebssystem. Der berühmte Junckersatz könnte auch von Angela Merkel stammen: „Wir beschließen etwas, stellen es dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gib.“ Jetzt haben wir ein großes Geschrei. Die Mehrheit der Engländer ist aufgestanden, hat aufgeschrien. Das Dumme dabei ist nur, dass auch sie nicht begreifen, was sie eigentlich beschlossen haben.

VIII.

„Der Brexit ist für den Arsch“, schreibt der Politbarde Fritz Reutemann. Angela Merkel rettet nur den ihren. Na dann Servus!

PS.:
Morgen, am 3. Juli vor 150 Jahren siegte in der größten Schlacht des neunzehnten Jahrhunderts Preußen über Österreich und seine deutschen Verbündeten. Ein Sieg, der Deutschland vereint, aber Europa gespalten hat. Der das Tor zu Nationalismus und Militarismus öffnete. Dessen Folgen unausweichlich in den ersten Weltkrieg und zum Aufstieg Hitlers führten. Der „fatale Geburtsfehler des Deutschen Reichs“, so der große schottische Historiker Gordon Craig. Es war die Entfernung Österreichs aus der deutschen Geschichte. Ohne den Triumph Bismarcks wäre ein deutsches Vielvölkerreich möglich gewesen, eine dezentrale Union in der Mitte Europas lange vor der Europäischen Union. Wenn wir nicht aufpassen, könnte der Brexit später einmal als ein Königgrätz ohne Waffen in Erinnerung bleiben.

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