Regierung ohne Demokratie

Die Parlamente in Bund und Ländern sind zu Hilfsorganen der Regierungen geworden.

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Für den Moment des Wahlabends setzt es ein Stammleser von TE treffend ins Bild: „Ist irgendwie schon ein bisschen wie Weihnachten nach der Bescherung. Die Geschenke sind ausgepackt, überall liegt Papier herum und jeder steht mit seinem Geschenk in den Händen da. Wirklich überrascht ist keiner, man wusste ja was drin ist.”

In der Tat konnte jeder vorher wissen, wie es kommen wird. So viele von den Parteien, die es länger gibt als die AfD, würden zusammen koalieren, wie nötig sind, um gegen sie zu regieren: Gleichgültig, was die einzelnen an politischen Inhalten zu vertreten behaupten. Ob das in den zwei Ostländern glatt läuft oder kompliziert, die Auswirkungen in der Bundespolitik eingeschlossen, so wie vor dem 1. September 2019 bleibt nichts, auch wenn die Zeitgeist-Kanzlerin erst mal weiter macht wie eh und je.

Alexander Wendt schreibt, was viele unterschreiben werden, „in Sachsen wählten zusammengenommen gut 60 Prozent der Wähler Mitte bis Rechts. Als Resultat bekommen sie eine deutlich linkere Regierung.”

Das dürfte dem Empfinden der Mehrheit der Wähler von CDU, FDP und Freien Wählern entsprechen, den Wählern der AfD sowieso. Doch das Verständnis der Funktionäre von CDU und FDP ist es ganz überwiegend nicht. Einfacher gesagt: Es gibt kein „bürgerliches Lager” mehr – und das übrigens spätestens seit dem Umzug der Bundeshauptstadt von Bonn nach Berlin. Das „bürgerliche Lager” ist Geschichte und liegt bildlich gesprochen auf dem wunderschönen Alten Friedhof in Bonn bestattet.

Doch eines ist aus Bonn mit umgezogen nach Berlin: Eine Republik, die der von Weimar folgt bei der Aushebelung des Parlaments durch die Regierung. In der Bonner Republik beginnend durch das Übergewicht der Regierung in der ersten Großen Koalition, in der Berliner Republik unter Angela Merkel vollendet durch den Parteienstaat, in dem eine Handvoll Leute an den Spitzen der Fraktionen des Bundestags über die Karrieren von hunderten Berufspolitikern und tausenden Funktionären entscheiden: Mit dem Ergebnis, dass der größte Teil des Parlaments sich freiwillig selbst ausschaltet.

Das setzt sich in den Länderparlamenten fort und reicht bis weit hinein in die größeren Städte und Gemeinden und ihre vielen kommunalen oder scheinprivaten Unternehmen. Die öffentlich-rechtlichen Medien seien hier nur der Vollständigkeit halber genannt. Sie und die Berufspolitik haben sich in ein wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis verstrickt. Beim weiteren Niedergang der Verkaufsziffern der Presse stehen Staatshilfen aus Steuern für diese sichtbar am Horizont. Noch wächst das Netz des Parteienstaats weiter.

Die Parlamente in Bund und Ländern sind Hilfsorgane der Regierungen geworden. Einmal vom Parlament gewählt, können Kanzler und Ministerpräsidenten so ziemlich alles tun oder lassen, was sie wollen. Die Fraktionsspitzen der Regierungsparteien und zugewandten Opposition sorgen dafür, dass sich kein gegenteiliger Wille formieren kann bei Strafe des Karriereknicks und Belohnung durch Beförderung. Im Parteienstaat liegt die Macht nicht mehr bei den Parteien selbst, weshalb auch die innerparteiliche Demokratie nur noch formalistische Verzierung und bürokratische Selbstbeschäftigung ist. Die Macht liegt, wie schon gesagt, bei den Fraktionsspitzen, die auch längst die relativ restriktiveren Gesetze der Parteienfinanzierung über die Fraktionenfinanzierung so korrigieren, dass die Fraktionsspitzen über die Wahlkreise die Parteienstrukturen finanzieren und damit dirigieren.

Die Weimarer Republik endete in der Machtergreifung Hitlers, der die Struktur seiner totalitären Herrschaft in einer stehenden Formel besonders klar zum Ausdruck brachte: „Staat, Partei und Wehrmacht.” Die Hierarche spricht für sich.

Die Berliner Republik steht am Wendepunkt. In der classe politique herrscht im Moment die freudige Erwartung der direkten Übernahme der Herrschaft durch die Grünen, die bisher indirekt über den Zeitgeist mithilfe großer Teile dieser classe politique regierten – und vor allem durch eine Angela Merkel, deren Ratgeber sich einbilden, die Grünen für sie und sich zu instrumentalisieren. (Was am Maßstab des Besitzens des Kanzlerstuhls durch Merkel zutrifft.)

Sie irren jedoch beide. Eine schwarzgrüne Bundesregierung wird nicht der Beginn einer Epoche der Herrschaft der Grünen, sondern das Ende der Herrschaft der Schwarzen. Und der Beginn vom Ende des Parteienstaats.

Nachtrag: Tomas Spahn schrieb mir dazu, dass „das heute manifestierte, negative Bild des sogenannten Kaiserreichs auf denselben Mechanismen des Versagens basierte. Das Parlament bzw. der Reichstag, lt. Verfassung in der Lage, Exekutive und Staatspräsident (Kaiser) an die Leine zu legen, verzichtete zunehmend darauf – die Macht floss zuerst in das Kanzlerbüro, dann in den Hohenzollernpalast. Am Ende hatten die verfassten Parlamentsrechte kaum noch Einfluss – der Kaiser bestimmte die Richtlinien der Politik, der Kanzler exekutierte sie und das Parlament nickte ab. Das lehrt uns: Ein Staat kann auf dem Papier noch so vernünftig und gewaltenteilig aufgebaut sein – wenn die wichtigste Institution der Demokratie versagt, versagt der Staat. Das war in der ersten deutschen Demokratie der Fall – es war 1933 der Fall. Und heute ist es wieder der Fall.”

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Kommentare ( 186 )

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Wolfgang Schuckmann
4 Jahre her

Der deutsche Michel liebt seine Demokratur. Mehr ist es nicht, was wir in Deutschland Demokratie nennen. Und das schönste, man bekommt sogar das Denken abgenommen. Ja ist das denn nix? Ich denke schon. Urlaub stimmt, Gehalt stimmt, stimmt sonst noch was? Eben, so ist es wenn scheinbar alles stimmt und keiner „stören“ mag. Friedhofsfrieden. Seelenruhe, nur nicht meckern. Das ist es, was die Deutschen am meisten lieben. Aber wehe das Geld wird all, dann knistert es im Gebälke. Da werden die Parteien wohl nix machen können. Ist Sache der Wirtschaft. Wird man nach der Autoaffäre recht schnell merken. Ohne Moos… Mehr

Rainer Berger
4 Jahre her

Wir hatten nie weniger Parteienherrschaft als heute. Die Kritik von Goergen trifft aus mehreren Gründen nicht zu. 1. Die Hälfte der Abgeordneten ist direkt gewählt, sie benötigen nur die Zustimmung im eigenen Wahlkreis, allerdings können sie Politik nur in der Fraktion gestalten. Das Machtzentrum ist also die Fraktion und nicht die Partei. 2. Die Mehrheitsfraktionen haben sich in D nie als Kontrolle der Regierung verstanden, sie sind mental Teil der Exekutive. 3. Die gesellschaftliche Verankerung der beiden Volksparteien tendiert seit zwei Jahrzehnten gegen Null (Gewerkschaften, Kirchen, Sozialverbände), dennoch werden von ihnen die Schaltstellen (BVerfG, Intendanten etc.) nach Parteibuch vergeben, insofern… Mehr

Redaktion FG
4 Jahre her
Antworten an  Rainer Berger

„Das Machtzentrum ist also die Fraktion und nicht die Partei.“ Genau das steht in meinem Text.

Wolfgang M
4 Jahre her

Ist es demokratisch, wenn wir alle 4 Jahre ein Kreuz bei einem Warenkorb von Zielen und Versprechungen machen dürfen. Es ist die Wahl des kleineren Übels. Nach den Koalitionsverhandlungen ist von den Zielen und Versprechungen kaum noch etwas vorhanden. Schuld daran ist natürlich der Koalitionspartner. Ist es demokratisch, wenn die Regierung nach den Wahlen 4 Jahre lang entscheiden können, was sie wollen. Ist es demokratisch, wenn es bei den Fraktionen eine Fraktionszwang gibt, obwohl er laut GG verboten ist. Die Abgeordneten sind nicht die Repräsentanten der Bürger, sondern die Repräsentanten der Fraktionsführung. Die Oppositionsparteien sind für einen Volksentscheid, was die… Mehr

Porcelain by Nocken-Welle
4 Jahre her

+

Staat – Politik – Parteien – Parlamente – Regierungen –

allesamt bestens geeignet für: „Schuldig sind die Anderen!“

alle im Chor:

„Wir sind die O.P.F.E.R. dieser Herrschaften!“

+

es bleibt die Frage offen:

*Wann hast DU agiert?*

und

die Überschrift könnte lauten:

in fetten Lettern:

**“Regierung seiner treu Ergebenen“**

+++

Argumentationsethiker
4 Jahre her

Demokratie gibt es nur dort, wo sich Menschen freiwillig zur Kooperation entschließen und bestimmte Angelegenheiten dieser Zusammenarbeit mittels demokratischen Verfahren entschieden werden. Also zB in Vereinen, Genossenschaften, Firmen, Familien Eigentümergesellschaften aller Art etc. Wo es hingegen niemals Demokratie geben kann: In Parlamenten. Die anti-demokratische Natur des Parlamentarismus lässt sich auf vielfältige Weise und auf mehreren Ebenen herleiten: 1) Es existiert weder ein Volkswille noch so etwas wie „nationale Interessen“ (praxeologisch unmöglich). Etwas, was nicht existiert, kann auch nicht in eine Gesetzgebung einfließen. Es ist unmöglich eine Aussage darüber zu treffen, ob die Gesetze den „Bürgerwillen“ repräsentieren oder nicht. Verfassungs- und… Mehr

Erwin Obermaier
4 Jahre her

Die grundgesetzliche Pflicht zu geheimer Abstimmung in den Parlamenten würde sicher einige Probleme lösen.

Matth Mo
4 Jahre her

Es ist wohl leider so: solche “monolithischen” Strukturen brechen dann unter Druck zusammen. Idealerweise wäre eine starke Opposition innerhalb des Regierungssystems da, die aufpasst und die Regierung, Parlamentsmehrheit etc übernehmen kann, wenn es soweit ist. Das kann in Deutschland wohl nicht mehr passieren, wenn es nun wohl eine Art „nationale Front“ gegen die AfD gibt. Mit einer großen Wirtschaftskrise, einer starken Veränderung in Europa oder inneren Unruhen wird es schwierig- der Ausgang danach … offen. Wer bei allen Problemen, die es in den letzten beiden Jahrzehnten gegeben hat, darauf zurückschaut, was Deutschland mit der Führungsrolle gemacht hat, die es in… Mehr

Silke Spaeth
4 Jahre her

Besonders dreist: die Parteien der grossen und der ganz ganz grossen Koalition beanspruchen für sich die Demokratie schützen zu wollen und eine Koalition „unter Demokraten“ zu schmieden. In Wirklichkeit wollen sie nur Ihre Macht. Demokratie geht anders. Was sollen wir wählen, wenn wir den ungezügelten Zuzug von Millionen Menschen aus fremdesten Kulturen kritisch sehen? Die AfD artikuliert und repräsentiert die Meinung von Millionen Bürgern, auch in der Frage der Eurokrise oder der Energiewende. Die Diskussion wird verweigert, die neue Partei und Millionen ihrer Wähler geächtet. Was ist daran demokratisch? Und wie lange wird die Demokratie noch mit Füssen getreten? Im… Mehr

drnikon
4 Jahre her

Das muss ich etwas bezweifeln. Bei jeder Parteigründung werden Glücksritter und Tunichtgute regelrecht angezogen. Vor allem wenn diese schnell populär wird. Das ist kaum vermeidbar und nicht einfach solche Personen mit ihrem unnützen und schädlichen Wirken früh zu erkennen und zu entfernen. Und ich bin mir sehr sicher, dass der regierungstreue Staatsapparat schon längst Maulwürfe platziert hat. Wie damals durch die Stasi in den Parteien und Medien der alten BRD.

Tesla
4 Jahre her

Die „Herrschaft der Schwarzen“ endete bereits 2015. „Schwarz-grün“ ist nichts anderes wie ein „veganes Steakhouse“ oder ein „atheistischer Papst“ – ein Oymoron und Etikettenschwindel. Merkel ist selbst eine Grüne geworden, und mit ihr der gesamte Bundesvorstand der CDU, und damit die CDU selbst. Die „Schwarzen“ an der Parteibasis oder in der „WerteUnion“ haben in der CDU nichts zu sagen und den Merkelianern nichts entgegenzusetzen. Bezeichnend war allein schon, wie Maaßen von Kretschmer aus dem CDU-Wahlkampf in Sachsen zurück gepfiffen wurde.