Kanada: Reaktorwärme zum Heizen genutzt

Laut kanadischer Forscher könnten bis zu 70 Prozent der Bevölkerung durch Fernwärmenetze mit Reaktorwärme versorgt werden. Sie schlagen hunderte kleine modulare Kernreaktoren (SMR) über das ganze Land verstreut vor. Die Reaktoren sollen vor allem Wärme liefern, teilweise aber auch Strom erzeugen. Von Wolfgang Kempkens

IMAGO
Symbolbild - Anlage im Darlington Power Complex in Bowmanville (Ontario) - 2019 stellte die Canada Infrastructure Bank der Regierung fast 1 Milliarde Dollar für den Bau des ersten kleinen modularen Reaktors des Landes bereit, der am Standort eines bestehenden Kernkraftwerks in Ontario errichtet werden sollte

Die Energie, die in Kanada zum Heizen von Gebäuden verwendet wird, entspricht in etwa der gesamten Stromerzeugung des Landes. Die derzeitigen Pläne zur Erreichung von Netto-Null-Gebäuden durch die Elektrifizierung von Heizungssystemen und die Nachrüstung von Millionen bestehenden Gebäuden sind jedoch bis 2050 – dem von der kanadischen Regierung gesetzten Termin für die Erreichung von Netto-Null – weder machbar noch erschwinglich, Das sagen Forscher laut einer Studie des Instituts für Energiestudien an der McMaster University in Hamilton in der kanadischen Provinz Ontario, des Boltzmann Instituts in Toronto, das sich für die Reduzierung von Schadstoffen in der Luft und den Klimaschutz einsetzt, und der Canadian Nuclear Association.

Um das Ziel dennoch zu erreichen, schlagen sie – statt ausschließlich neue Kernkraftwerke für die Stromerzeugung zu bauen und das Hochspannungsnetz massiv zu erweitern, um Strom zum Heizen in alle Landesteile zu schaffen – den Bau von Reaktoren vor, deren Energie ins Fernwärmenetz eingespeist wird. Dieses massiv auszubauen – derzeit decken die 200 existierenden Netze nur drei Prozent des landesweiten Wärmebedarfs ab – sei weitaus wirtschaftlicher, vor allem, weil die gesamte Wärme von Kernkraftwerken genutzt werden könnte statt nur ein Drittel wie bei der Stromerzeugung.

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Die Forscher denken sogar daran, aus bestehenden Kernkraftwerken einen Teil der Wärme abzuzweigen, um sie in die Fernwärmenetze einzuspeisen. Das wird anderswo bereits gemacht, wenn auch nur vereinzelt. Selbst Deutschland hatte damit Erfahrung. Aus dem mittlerweile weitgehend demontierten Kernkraftwerk Stade an der Unterelbe wurde der dortige Chemiekonzern Dow mit Prozesswärme versorgt.

Bis zu 70 Prozent der kanadischen Bevölkerung könnten durch Fernwärmenetze mit Reaktorwärme versorgt werden, so die Studie. In einigen europäischen Ländern deckten Wärmenetze bereits mehr als 50 Prozent des Bedarfs ab, allerdings stammt die Energie meist aus fossilen Anlagen. Die will Kanada vermeiden. Gemäß dem dortigen Credo „Kernenergie gehört zu den größten sauberen KWK-Erzeugern“ (KWK heißt Kraft-Wärme-Kopplung, also die gleichzeitige Produktion von Strom und Heiz- beziehungsweise Prozesswärme für die Industrie) sollen „hunderte“ SMR (Small Modular Reactor – kleine, modular aufgebaute Reaktoren) über das ganze Land verstreut in maximal 100 Kilometern Entfernung von den Verbrauchern errichtet werden. In erster Linie sollen sie Wärme liefern, teilweise aber auch Strom erzeugen. Kernenergie könnte bis zu 50 Prozent des gesamten Wärmebedarfs des riesigen Landes abdecken, heißt es in dem Bericht.

SMR werden von Rolls-Royce in Großbritannien und anderen Unternehmen angeboten. Die Kanadier setzen jedoch eher auf den BWRX-300, ein Gemeinschaftsprojekt von GE in den USA und dem japanischen Unternehmen Hitachi. Die „300“ bekam er, weil er als Kernkraftwerk eine elektrische Leistung von 300 Megawatt hat, also im Vergleich zu heute gebauten Anlagen mit 1600 Megawatt sehr klein ist. Seine Wärmeleistung ist dreimal so groß.

Kanada hatte bisher schon die Absicht, seine Kernenergiekapazitäten bis 2050 als Teil seiner Netto-Null-Strategie deutlich zu erhöhen. Bisher lag das Hauptaugenmerk dabei auf der Erzeugung von „sauberem Grundlaststrom“, wie Kanadas Regierung sagt. Derzeit betreibt das Land 19 Reaktorblöcke an vier Standorten im Südosten des Landes. Durch ein großes Ertüchtigungsprogramm soll die Laufzeit dieser Kraftwerke um 30 bis 35 Jahre verlängert werden.

Das SMR-Programm nimmt bereits konkrete Züge an, wenn auch bisher lediglich an die Stromversorgung gedacht wird. Bereits Ende dieses Jahrzehnts soll die erste Anlage vom Typ BWRX-300 in Betrieb genommen werden.


Wolfgang Kempkens studierte an der Techni­schen Hochschule Aachen Elektrotechnik. Nach Stationen bei der „Aache­ner Volkszeitung“ und der „Wirtschaftswoche“ arbeitet er heute als freier Journalist. Seine Schwer­punkte sind Energie und Umwelt.

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Kommentare ( 30 )

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Wilhelm Roepke
1 Monat her

Hoffentlich können wir die Technologie eines Tages importieren, wenn wir sie schon jahrelang boykottieren.

bkkopp
1 Monat her

Von U-Booten und Eisbrechern waren kleine AKWs im Prinzip schon länger bekannt. Es waren aber immer aus Militärbudgets zu exporbitanten Kosten produzierte Einzelanfertigungen. Die britische Regierung hat seit einigen Jahren, mit dem Kraftswerkshersteller Rolls-Royce, und mindestens 500 Mio. Pfund, eine Entwicklung von SMRs in industriellen Kleinserien gefördert. Die SMRs könnten dann in wesentlichen Teilen in Fabriken gefertigt werden, und nur am Standort des Betriebes montiert und fertiggestellt werden – und damit viel günstiger werden. Wieviel ist noch nicht öffentlich bekannt. Die gleiche industrielle Fertigungsmethode könnte auch für Reaktoren der neuen Generation, dual-fluid, angwandt werden, sofern diese Reaktortechnik anwendungstechnisch hält was… Mehr

aaa007
1 Monat her

wenn man schon neu bauen will, dann bitte Fernwärme und Fernkühlung (zwei Netze) – war eine Idee eines finnischen Energieversorgers …

W aus der Diaspora
1 Monat her

und was passiert im Sommer?
Kernkraftwerke kann man doch nicht ein halbes Jahr abschalten und danach wieder hoch fahren …
Helfen die Kraftwerke dann kräftig bei der Klimarwärmung mit?
Das ist doch auch mal wieder ein nur zur Hälfte durchdachtes „Wunder“

aaa007
1 Monat her
Antworten an  W aus der Diaspora

KKW bitte im Dauerbetrieb…

RudolfK
1 Monat her
Antworten an  W aus der Diaspora

Naja, zum einen geht das schon, ist aber wirtschaftlich eher unattraktiv. Insofern tendiere ich eher für KWK, dann muss im Sommer eben Wärme abgeführt werden.

Michael M.
1 Monat her
Antworten an  W aus der Diaspora

Und warum genau sollte man das nicht können?
Hierzulande redet der Kinderbuchautor doch auch tagein tagaus über Backupkraftwerke, die eher sporadisch genutzt werden sollen. Inwiefern das wirtschaftlich darstellbar ist steht natürlich auf einem ganz anderen Blatt, aber Unternehmen (dazu gehören auch Energieversorger) gehen ja neuerdings eh nicht mehr bankrott, sondern hören lediglich auf zu produzieren und oder Geld zu verdienen 😉.

AlexR
1 Monat her
Antworten an  W aus der Diaspora

So wie die Energiewende, die noch weniger als bis zu Hälfte, nämlich gar nicht durchdacht ist und deren „Preisung“ durch die linksgrüne Sekte immer wieder einer Religion gleichkommt.

Die kanadische Idee ist wenigstens ein Konzept, wenn auch kein richtig neues. Aber immerhin, denn in diesem Land herrscht nur noch selbst ernanntes Expertentum von Menschen mit maximal Kita-Abschluss.

H. Priess
1 Monat her

Gemach, gemach, dieses ganze netto Null CO² Getue ist vom linksmarxisten Trudeau als Regierungschef eingeführt und forciert worden. Gerade haben er und die Neue Demokratische Partei beschlossen bis 2025 weiter zu regieren. Das Land erlebt gerade eine tiefe Krise zu der die Politik von Trudeau geführt hat. Mieten und Lebensmittelpreise für viele kaum noch erschwinglich, Arbeitslosigkeit ist auf dem Vormarsch und die neuen Regeln der Asyl und Flüchtlingspolitik, mit großen Erleichterungen in das Land zu kommen, zeigt mittlerweile auch Wirkung. Verschiedene Gesetze gegen Haß und Hetze, cancel cultur sind immer stärker spührbar. Die Stimmung im Land ist dementsprechend schlecht. Ich… Mehr

murphy
1 Monat her
Antworten an  H. Priess

Richtig: Der Traum „Netto-Null“ ist eine Chimäre wie „wenn alle Hexen verbrannt sind, gibt es eine bessere Welt“.
Denn CO2 ist ein Nutz-(Spuren-)Gas was weder Wetter noch Klima beeinflußt.
Es existiert seit 200 Jahren unverändert mit (gemessenen, nicht geschätzten!) ca 400 ppm, also planetenweit sind in der Atmosphäre ca 3 000 Milliarden t CO2. Hauptquelle Vulkane.

RMPetersen
1 Monat her

Ich bleibe da lieber bei meinem Heizöltank.

A.Kroemer
1 Monat her

2050 als Ziel für Netto-Null zu setzen erscheint mir etwas sehr optimistisch, zumal der Bau der Reaktoren zum einen sehr viel Geld kostet und auch der Bau selbst einige Jahre in Anspruch nehmen wird. Laut ANSTO dauert der bei eines SMR 3–5 Jahre. https://www-ansto-gov-au.translate.goog/news/what-are-small-modular-reactors-and-what-makes-them-different?_x_tr_sl=en&_x_tr_tl=de&_x_tr_hl=de&_x_tr_pto=rq#:~:text=An%20SMR%20has%20a%20projected,takes%20six%20to%2012%20years. Allerdings muss hier noch die Planungs- und Genehmigungsphase hinzugerechnet werden, wobei die kanadischen Vorschriften so nicht auffindbar sind und sich höchstwahrscheinlich je nach Provinz noch einmal voneinander unterscheiden werden. Die Kosten waren ja bereits mit 1 Milliarde USD benannt, doch diese Summe wird sich zwangsläufig erhöhen, sodass die Kosten sich binnen weniger Jahre wenigstens verdoppeln werden.… Mehr

HPM
1 Monat her

Die Kraft-Wärmekopplung ist eine alte Idee. Die Wärmeproduktion von kleinen modularen Kernkraftwerken dezentral als Wärmequelle zu nutzen, ist ein naturschützendes und wirtschaftlich sinnvolles Konzept.

murphy
1 Monat her
Antworten an  HPM

Technologisch machbar. Ob wirtschaftlich sinnvoll und bezahlbar, ist fraglich. Es schützt auch nicht die Natur, sondern nur die Einbildung der grünen Mitläufer vor Fakten und Wissen. Die Natur ist viel mächtiger. Es gibt seit 200 Jahren unverändert ca. 410 ppm CO2 in der Luft. Gemessen und veröffentlicht, u.a. im Meyers von 1858 Band 2 Seite 321.

gmccar
1 Monat her
Antworten an  HPM

Russland macht das bereits. Die haben in den nordischen Regionen einige stationäre Klein-KKW sogar auf Schiffen installiert und damit Kosteneinsparungen wegen der Unwägbarkeiten der Permafrostböden an Land.
Ich hoffe, das ist jetzt keine Information, die unter sprachliche Sanktionen fällt ?
Dann gibt es in Kanada noch ein Unternehmen von Deutschen Ingenieuren, die den Dual Fluid Reaktor entwickeln.
Mit diesen bleigekühlten, Inhärent sicheren Reaktoren kann auch der bestehende Abfall aus bisherigen Kernkraftwerken genutzt werden, welches ein Energieproblem für die nächsten 300 Jahre löst.

Last edited 1 Monat her by gmccar
egal1965
12 Tage her
Antworten an  gmccar

Auch die Wiederverwertung von radioaktiven Abfall wird in Russland schon längst getestet und ein Reaktor gebaut.
Vielleicht sollten unsere „Experten“ mal weniger Richtung Westen schauen, sondern mehr in Richtung Russland und China, um auf dem laufenden Stand zu bleiben…

Ohanse
1 Monat her

Wie kann es sein, dass die Mehrheit der Menschen in Kanada um ein Vielfaches intelligenter ist als die Mehrheit der Menschen hierzulande? Letztlich ist es nämlich eine Entscheidung der Wähler, ob sie sich Strom und Heizung bei gleichzeitiger Zerstörung der Landschaft immer teurer machen lassen oder ob sie bereit sind, dagegenzuhalten.

StefanB
1 Monat her

Der deutsche (öko-) sozialistische Einheitsparteienblock (alles ex AfD) lässt seine Untertanen lieber (er-) frieren, bevor er wieder auf die gehasste Kernenergie zurückgreift.