Gemischte Freude bei von der Leyen über Tusks Wahlerfolg

Die EU-Abgeordneten von Tusk und seiner Koalitionspartner haben zwar vor allem im Ton einen viel moderateren Kurs als die Vorgängerregierung, allerdings sind längst auch ernsthafte Differenzen zwischen Brüssel und Warschau deutlich geworden.

IMAGO / Forum

Die Bürgerkoalition von Ministerpräsident Donald Tusk hat bei der EU-Wahl gegen die national-konservativen Europa-Skeptiker von der PiS klar gewonnen. Aber trotz der grundsätzlichen EU-Freundlichkeit von Tusk und seiner Partei wird sich EU-Präsidentin Ursula von der Leyen nicht nur freuen. Denn auch Tusk hat im Wahlkampf sehr deutlich gemacht, dass er sich für eine härtere Gangart in der europäischen Migrations- und Flüchtlingspolitik einsetzt, deutliche Abstriche in der EU-Klimapolitik anpeilt, die polnischen Landwirte vor ukrainischen Getreideexporten schützen will – und das angesichts des russischen Kriegs gegen die Ukraine die Sicherheitspolitik auch für die EU Priorität genießen muss.

Der Wahlsieg der Bürgerkoalition – bei einer der Wahlbeteiligung von lediglich 40 Prozent – gelang mit 37,1 Prozent nur äußerst knapp. Die PiS-Opposition von Jaroslaw Kaczynski erreichte 36,2 Prozent.

nur noch Fidesz und Tisza
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Der größten Oppositionspartei gelang es allerdings nicht, wie im Wahlkampf versprochen, der bei den Parlamentswahlen im Oktober 2023 siegreichen links-liberalen Koalitionsregierung einen Denkzettel zu verpassen und den Wahlerfolg bei den Regionalwahlen im April zu wiederholen. Bei dieser Abstimmung hatte die PiS die meisten Stimmen der Polen auf sich vereinen können, wenngleich sie in den Großstädten unterlegen war.

Drittstärkste Kraft wurde nun bei der EU-Wahl die rechtsradikale Konfederacja mit 12,1 Prozent, die zunehmend als eine feste Größe in der polnischen Politik angesehen werden muss. Sie wird auch die rechten Kräfte im EU-Parlament stärken. Tusks kleine Koalitionspartner, der christdemokratische Dritte Weg erreichten 6,9 Prozent und das Linksbündnis Lewica 6,3 Prozent der Stimmen.
„Genau zehn Jahre haben wir auf den ersten Platz auf dem Podium gewartet. Ich bin so glücklich“, sagte Tusk am Sonntagabend vor jubelnden Anhängern sichtlich erleichtert. Denn als sein wichtigstes Wahlziel hatte gegolten, vor der PiS die Nase vorn zu haben.

Für die EU hatte der Einzug von Tusk in den Warschauer „Präsidentenpalast“, den Amtssitz des Regierungschefs, das Ende eines achtjährigen Dauerkonflikts mit PiS-geführten Regierungen bedeutet. Was in Brüssel mit großer Erleichterung registriert wurde. Polen sei der Beleg, dass eine funktionierende, starke Demokratie „Rechtspopulisten“ und nationale, demokratiegefährdende Kräfte in europäischen Regierungen abgelösen können, meinte von der Leyen erkennbar auch mit einem Blick nach Ungarn.

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Die EU-Abgeordneten von Tusk und seinen Koalitionspartnern haben zwar vor allem im Ton einen viel moderateren Kurs als die Vorgängerregierung, allerdings sind längst auch ernsthafte Differenzen zwischen Brüssel und Warschau deutlich geworden. Auch Tusk wird nicht leicht von der EU-Zentrale angestrebten Änderungen der EU-Verträge – wie die Beseitigung der Einstimmigkeitsvorgabe aller EU-Mitglieder – zustimmen, würden sie die sicherheits- und finanzpolitische Souveränität Polens gefährden.

Auch bei dem für 2035 angestrebten Aus für den Verbrennungsmotor steht die polnische Regierung mehr als skeptisch gegenüber. Sie kündigte vor zwei Monaten an, gegen die „unrealistischen“ EU-Pläne vor das oberste EU-Gericht zu ziehen. Polen setzt nach wie vor stark auf den Energieträger Kohle.

Tusk wird vermutlich nicht unglücklich sein, wenn angesichts neuer Mehrheiten im EU-Parlament der erst kürzlich verabschiedete Migrationspakt wieder aufgedröselt wird. Zu sehr bedrängt ihn die PiS-Opposition, der Pakt werden Polen zwingen viele Tausend Migranten zusätzlich aufzunehmen.

Der Ex-Präsident des Europäischen Rates betonte bisher immer, dass Polen von dem neuen System profitieren könne, das es bereits fast eine Million ukrainischer Flüchtlinge aufgenommen habe. Auch bei dem angesichts des Erstarkens konservativer und nationaler Parteien ohnehin stark in Frage gestellte „Green Deal“ der EU wird Tusk heilfroh sein, wenn da deutliche Abstriche gemacht werden. Anfang des Jahres hatte es in Polen massive Proteste der Bauern gegeben.

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Kommentare ( 8 )

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Urbanus
1 Monat her

Auch in Polen: „Divide er impera“. Links, Rechts sind hohle Begriffe, austauschbar. Zwischen 1945 und 1989 gab’s in Polen einen Hauch der Freiheit. Ohne EU, ohne Links-Rechts, ohne „Teile und herrsche“.

HPs
1 Monat her
Antworten an  Urbanus

Diese „Freiheit“,
hat schon früher, 1939 mit Ribbentrop/Molotow begonnen.

alter weisser Mann
1 Monat her

Tusk gilt zwar stets als „guter Europäer“. Er regiert aber in Polen und ist Pole, so dass er die nationalen Belange weder in die Tonne treten will oder kann, wie es die Politiker hierzulande bedenkenlos tun.

DeppvomDienst
1 Monat her

Moderater Kurs ? Also die Vorgänge in Polen sind meiner Meinung nach alles andere als moderat ?!

bkkopp
1 Monat her

Es ist zu hoffen, dass die Polen aus Pragmatismus dazu beitragen, den Green Deal erheblich auszubremsen. Es ist aber auch zu hoffen, dass sie sich nicht gegen den einen oder anderen Judaslohn diesen Pragmatismus von der Kommission und deren €-Füllhorn abkaufen lassen. Es ist das Ziel der links-grünen Klimaideologen mit zusätzlichen Gemeinschaftsschulden jeden sachlichen Widerspruch gegen die wirtschaftliche, und letztlich auch klimapolitische Unvernunft zuzuschütten. Auch dreistellige Milliardenbeträge an Subventionen über Jahrzehnte werden die Elektrifizierung des Straßenverkehrs für ca. 250 Mio. Fahrzeuge in der EU – als Gesamtsystem – nicht wirtschaftlich selbsttragend, und auch nicht klimaneutral machen. Schon der kontinuierliche Wohlstandsverlust… Mehr

Aegnor
1 Monat her
Antworten an  bkkopp

Es ginge schon noch ein bisschen länger – aber dann müssten die anderen EU-Länder eben für den ausfallenden Zahlmeister Deutschland einspringen. 😉 Da aber die EU auf dem Konsens „le boche payera tout“ beruht (genauer auf der Vereinbarung: Die Franzosen dirigieren, die Süd-/Osteuropäer kassieren, und die Nordeuropäer genießen den Binnenmarkt müssen aber selbst kaum zahlen), dürfte das idT das Ende einläuten. Ironischerweise sind es die angeblich so europafanatischen (Rot-)Grünen, die mit ihrer suizidalen Wirtschaftspolitik für Deutschland die EU beerdigen.

Haba Orwell
1 Monat her

> Auch Tusk wird nicht leicht von der EU-Zentrale angestrebten Änderungen der EU-Verträge – wie die Beseitigung der Einstimmigkeitsvorgabe aller EU-Mitglieder – zustimmen, würden sie die sicherheits- und finanzpolitische Souveränität Polens gefährden.

Bevor wer PiS zujubelt – zwei Jahre lang hetzte PiS in den Krieg samt Wirtschaftskrieg gegen Russland, der bekanntlich Westeuropa neben dem „Green Deal“ ruinierte. Mein Eindruck wurde dadurch, dass PiS unter „Unabhängigkeit“ versteht, dass man direkt vor den USA katzbuckelt statt auf Umweg über Brüssel.

Haba Orwell
1 Monat her

> Denn auch Tusk hat im Wahlkampf sehr deutlich gemacht, dass er sich für eine härtere Gangart in der europäischen Migrations- und Flüchtlingspolitik einsetzt, deutliche Abstriche in der EU-Klimapolitik anpeilt

Als vor fast 1,5 Jahren in Polen das Thema von C40 und Insektenfrass kam, musste ich bei meiner Frau einer polnischen Talkrunde mit PiS und PO zuhören – keine beider Parteien wollte sich zu den Dysotopien bekennen. Von den Grün:innen hätte man etwas komplett anderes gehört.

Dennoch – 0% MwSt auf Lebensmittel sind jetzt vorbei und ab Juli wird auch Strom teurer.