Drohnenkrieg inmitten Europas: EU in der Zwickmühle der Großmächte

Der Kreml verschärft seinen hybriden Krieg gegen NATO-Staaten, indem er Drohnen über Polen fliegen lässt. Dass die EU millionenteure Jagdflugzeuge einsetzt, um billige Drohnen zu bekämpfen, beweist, wie sehr Europa dem Zeitgeist hinterherhinkt.

picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Mikhail Metzel

Polen hat in den vergangenen Wochen mit wachsender Unruhe beobachtet, dass wiederholt Drohnen aus dem Osten in seinen Luftraum eingedrungen sind. Die Lage eskalierte, als ein Drohnenschwarm das Land überflog. Neunzehn Drohnen wurden dem Bericht zufolge abgefeuert, die meisten davon aus Belarus, wo russische Truppen ungehindert operieren können. Die Operation erfolgte im Vorfeld der gemeinsamen Militärübung zwischen Moskau und Minsk namens „Sapad 2025” („Westen“). Mehrere NATO-Staaten, darunter Deutschland, reagierten darauf militärisch und entsandten Kampfflugzeuge, um den polnischen Luftraum zu schützen.

Laut Moskau sind die Drohnen vom Kurs abgekommen, da sie durch elektronische Störungen abgedriftet sind. Verteidigungsexperten halten dies für unwahrscheinlich.

Selbst wenn es stimmt, deutet es auf ein provokantes Verhalten Russlands hin. Es ist viel wahrscheinlicher, dass Russland Polen und die NATO gezielt auf militärische und politische Schwächen austestete – und zwar auf eine Art und Weise, die es Russland ermöglicht, die Verantwortung von sich zu weisen.

Nach dem massiven Eindringen russischer Drohnen fordert Polens neuer Präsident Karol Nawrocki die NATO zu verstärkten Anstrengungen zur Abschreckung auf. Nawrocki bekräftigte, er habe keinen Zweifel, dass das Eindringen der Drohnen „ein direkt aus Moskau gesteuerter Angriff war“. Es sei Angriff, der zeigt, „wozu Wladimir Putin fähig ist“. Obwohl nur drei oder vier von 19 Drohnen abgeschossen wurden, zeigte sich der Staatschef zufrieden: „Sie haben keinen polnischen Soldaten, keinen Polen getötet.“

Nach dem Vorfall beantragte Polen gemäß Artikel 4 Beratungen mit seinen Verbündeten. Die Berufung Polens auf Artikel 4 des NATO-Vertrags und die damit verbundenen Konsultationsforderungen in der vergangenen Woche stellten eine neue Eskalationsstufe dar. In der Geschichte der NATO wurde Artikel 4 nur in wenigen Fällen in die Wege geleitet – zuletzt im Jahr 2022 im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg.

Wie reagierte Trump auf den Vorfall?

Während europäische Verbündete der Ukraine sofort auf den Drohnenschwarm über Polen reagierten, verlor Trump über Tage kaum ein Wort über das Eindringen russischer Drohnen in das NATO-Land Polen. Wieder hob er hervor, der Ukraine-Krieg sei nicht sein Krieg, sondern „Bidens und Selenskyjs Krieg“. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wertete die jüngsten Drohnenvorfälle als „Ausweitung des Krieges durch Russland nach Westen“. Trump betrachtet diesen Krieg hingegen als europäischen Konflikt, für den in erster Linie EU-Staaten Verantwortung tragen.

Am Wochenende veröffentlichte Trump dann doch ein Schreiben auf „Truth Social“, das er an alle NATO-Mitglieder gerichtet hatte: Er sei bereit, bedeutende Sanktionen gegen Russland zu verhängen, sofern sich alle Mitglieder der Allianz auf diesen Schritt verständigten und aufhörten, Öl aus Russland zu erwerben. Die Europäer sollen demnach auf russisches Öl verzichten. Trump forderte zudem Sekundärsanktionen der NATO-Staaten gegen China und Indien, um den Kreml unter Druck zu setzen. Er sei jedenfalls bereit, den Schritt zu gehen, wenn alle in der Allianz es auch seien, hieß es in Trumps Schreiben weiter. Er glaube, dass dieser Schritt sowie die Verhängung von Strafzöllen gegen China von 50 bis 100 Prozent durch die NATO-Staaten helfen werde, den Krieg zu beenden.

Der Vorstoß, Sekundärsanktionen, die bereits im Juli gegen Indien verhängt wurden, nun auch auf China auszuweiten und zudem jene EU-Mitglieder, die noch immer Energie aus Russland beziehen, zur Umkehr zu drängen, wirft Fragen auf. Ist dies ein ernst gemeinter Vorstoß des US-Präsidenten? Oder weiß er, dass sich europäische Staaten nicht darauf verständigen können werden?

Angesichts der wirtschaftlichen Auswirkungen sowie der zu erwartenden Vergeltungsmaßnahmen Pekings ist es schwer vorstellbar, dass die EU ihrem Handelspartner derart hohe Zölle auferlegt. China ist nach den USA der zweitgrößte Handelspartner der EU. Gleichzeitig ist die EU derzeit dabei, ihre Beziehungen zu Indien zu vertiefen. Indien hat bereits Freihandelsabkommen mit Ländern und Gruppen wie Japan (seit 2011) und der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) abgeschlossen. Letzteres soll im Oktober 2025 in Kraft treten. Aktuell laufen noch Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit der EU sowie mit Großbritannien.

Trump möchte die Gangart gegenüber der Kremlführung verschärfen, ohne dabei eine neue Eskalationsstufe zu riskieren. Seit dem ergebnislosen Treffen mit Putin Mitte August ist der Druck auf den US-Präsidenten im In- und Ausland gewachsen. Seine Forderung an die NATO-Staaten, Sekundärsanktionen zu verhängen, war wohl eher eine Botschaft an das heimische Publikum, da ihn Umfragen zufolge viele für zu nachgiebig gegenüber Putin halten.

Drohnen ändern die Kriegsführung fundamental

Moskau produziert seit Beginn des Ukraine-Kriegs massiv Drohnen. Allein bei der Drohnenfabrik in Jelabuga sind zuletzt wohl Wohnungen für 40.000 Arbeiter entstanden. Die Analyse des „Monitor Luftkrieg Ukraine“ im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung schätzt, dass damit im Herbst 10.000 Drohnenangriffe pro Monat möglich werden. Bei Drohneneinsätzen wendet Moskau vor allem eine Taktik an, die das europäische Kriegskonzept ins Mark trifft. Die russische Armee schickt immer mehr billig hergestellte Drohnenschwärme in das Nachbarland Ukraine. In diese Schwärme mischt Moskau auch Täuschkörper, Gleitbomben und Marschflugkörper, um die Luftabwehr durch Überlastung zu überwinden.

Die neue Form der Kriegsführung entwickelt sich in rasender Geschwindigkeit weiter. Sowohl Russland als auch die Ukraine produzieren bereits mehrere Millionen Drohnen pro Jahr. Im Ukrainekrieg sind Schätzungen zufolge 70 bis 80 Prozent der Verluste an Soldaten und Material auf Drohnen zurückzuführen. Inzwischen weitet sich der Drohnenkrieg aber stückweise über das Territorium der Ukraine hinaus aus.

Das Eindringen der russischen Drohnen in den polnischen Luftraum stellt eine neue Form der Provokation dar: Offen wie selten zuvor fordert die Kremlführung die NATO heraus – und er setzt dabei offensichtlich auf das Kriegsgerät der Zukunft. Die Drohneneinsätze Russlands außerhalb der Ukraine sind jedoch eher als schleichende hybride Kriegsführung gegen die NATO-Staaten zu betrachten als als Zeichen für eine bevorstehende direkte Konfrontation.

Im Juni erklärte NATO-Chef Mark Rutte, dass das Bündnis seine Luftabwehr um 400 Prozent aufstocken müsse, um sein Abschreckungspotenzial aufrechterhalten zu können. Doch die Abdeckung eines so großen Gebiets wie Europas ist ein gewaltiges Unterfangen. Das Problem besteht vor allem darin, dass viele NATO-Luftabwehrsysteme in die Ukraine verlegt wurden, die unter schweren Luftangriffen Russlands steht. Dadurch schrumpfen die europäischen Vorräte. Im August erklärte Deutschland unter dem Druck Trumps, es werde zwei weitere Patriot-Systeme in die Ukraine schicken; weitere sollten folgen, vorausgesetzt, die USA würden diese Systeme auffüllen.

Hinzu kommt: Zwar verfügen die europäischen Luftstreitkräfte über Hunderte von Kampfflugzeugen, von denen viele täglich an der Ostfront des Bündnisses patrouillieren, doch sind die Kommandozentralen dieser Luftoperationen weiterhin auf amerikanische Beteiligung und Frühwarnsysteme angewiesen.

Europa braucht ein neues Sicherheitskonzept. Wer Drohnen, die sich schnell und billig herstellen lassen, nur mit millionenteuren Jagdflugzeugen und Abwehrraketen bekämpfen kann, hat ein großes Problem, wenn der Gegner nicht nur zwei Dutzend, sondern Hunderte dieser Waffen in eine Luftschlacht schickt, wie es Moskau in der Ukraine immer wieder tut. Letztendlich kostet der Krieg in der Ukraine die Europäer immer mehr, ohne die Sicherheit der NATO-Staaten und der Ukraine zu gewährleisten.

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Kommentare ( 33 )

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Paul SC
2 Monate her

Trump: „ sei nicht sein Krieg, sondern „Bidens und Selenskyjs Krieg“

Und insbesondere schon gar nicht unser Krieg!

Lasst uns da nicht mit hineinziehen und unsere aus zu vielen Schulden mitfinanzierten Haushalt damit belasten.

Rasparis
2 Monate her

Herr Mousavi, statt hier mit militaerisch absurden und zig mal wiederkekaeuten Suggestiv-Behauptungen erneut ihre pawlowschen Reflexe gegen Russland abzuarbeiten schreiben Sie besser ueber den Iran und dessen Mullahs – davon verstehen sie vielleicht wenigstens etwas.
Oder verschonen Sie die Leser dieses Portals vollstaendig mit Ihren „Investigativ“-Berichten.
Die „NATO“-PR-Sektion sucht auch noch Leute – dort liebt man bekanntlich schlichte, holzschnittartige Muster.

Klaus Decker
2 Monate her

Wenn Sie etwas mehr der Frage nachgegangen wären „cui bono“, wären Sie wohl zu einem anderen Ergebnis gekommen.

Noergel Jo
2 Monate her

„Verteidigungsexperten halten dies für unwahrscheinlich.“

Sind das die gleichen Experten, die bei dem Drohnenangriff auf die strategische Bomberflotte im Juni erstaunt darüber waren, dass die russische Bomberflotte auf den Stützpunkten nahezu ungeschützt parkt?

siehe
SEYED ALIREZA MOUSAVI
https://www.tichyseinblick.de/kolumnen/aus-aller-welt/drohnenangriff-veraendert-spielregeln-der-kriegsfuehrung/
„Militärexperten äußerten sich im Internet erstaunt darüber, dass die russische Bomberflotte auf den Stützpunkten nahezu ungeschützt parkt.“

Na dann.

Haba Orwell
2 Monate her
Antworten an  Noergel Jo

… Weil das Parken unter dem offenen Himmel zur Kontrolle durch Satelliten in internationalen Verträgen festgeschrieben wurde. Der Westen zeigt immer wieder, wenn man fair spielt, wird man vom Westen hintergangen. In etwas wärmeren Regionen ist das Bombardieren der Verhandlungsteams angesagt. Mich erstaunt nur: Hat man im Westen keine Bedenken, dass all die Hinterlistigkeit irgendwann zurückfällt?

Rasparis
2 Monate her
Antworten an  Haba Orwell

Genau so ist es – der Angriff auf die Flugplaetze der strategischen Bomberstreitkraefte Russlands war, ebenso wie die vorausgegangene Attacke gegen ein stationaeres.strategisches Lufttraumueberwachungsradar, kalkulierte Heimtuecke unter dem kriminellen Missbrauch bestehender Abkommen ueber strategische Nuklearwaffen und zeigt, dass der Westen zu allen faehig ist.
Erstaunlich, dass hier vom
Kreml nicht gleich einmal ein Atomsprengkopf nach Kiew geschickt wurde.
Eine Recherche zu „Dead Hand“ oder „System Perimeter“ zeigt recht schnell, wo der Hasardeurismus des „Wertewestens“ enden kann.

Last edited 2 Monate her by Rasparis
Noergel Jo
2 Monate her
Antworten an  Haba Orwell

“ Weil das Parken unter dem offenen Himmel zur Kontrolle durch Satelliten in internationalen Verträgen festgeschrieben wurde“

Danke für die fehlende Präzisierung. Ich hätte das wohl in meinem Kommentar noch anfügen sollen. War schon spät und ich sehr müde.

Oder einen Link auf meinen Kommentar dazu zu besagtem Artikel hinzufügen:
https://www.tichyseinblick.de/kolumnen/aus-aller-welt/drohnenangriff-veraendert-spielregeln-der-kriegsfuehrung/#comment-3087724

Da geht das auch daraus hervor.

littlepaullittle
2 Monate her

Die eigentliche Gefahr in der Drohnenhysterie wird unterschlagen:
Jedes Land, jedes Individuum wie Kreti und Pleti koennen mit diesen billigsten Mitteln die Hysterie in ihrem Sinne manipulieren, sogar einen Krieg provozieren.
In wessen Auftrag, ob false-flag oder nicht, cui bono ?
Es nuetzt Russland, um die Schwaechen der NATO zu testen.
Es nuetzt der NATO, um das Kriegsgeschaeft aufrecht zu halten und die Bevoelkerung wieder in Pandemie-Willige zu manipulieren.
Sind wir inzwischen schlauer wegen NordStream ?
Und wieso erwischt man in der russischen Propaganda mehr Wahrheit, als bei ZDF und ARD ?

Dieter Rose
2 Monate her

Das hat nix mit Zeitgeist zu tun – die sind bei den heutigen technischen Entwicklungen hinten dran – oder sie durften bei der Entwicklung erst gar nicht mitmischen!

Frank.Schubert
2 Monate her

Ohne den NATO Artikel 5 wird Selenskyj diesen Krieg wohl nicht gewinnen. Da dürfte der Grund liegen, warum mit Klebeband geflickte Decoy Drohnen aus dem ukrainischen Luftraum über Weißrussland nach Polen geflogen sind. Polen kann von Glück reden, dass bisher nur eigene Raketen Schaden verursacht haben. Echte Kampfdrohnen werden für gewöhnlich beim Absturz zerstört, weshalb sie nicht von Selenskyj wieder verwendet werden können.

prague
2 Monate her

Selenski macht was er kann um Europa in den Krieg zu ziehen und manche europäische Politiker würden es befürworten um von ihren Desaster abzulenken, es ist eine Schande so mit Menschen umzugehen.

Michael Palusch
2 Monate her

Neunzehn Drohnen wurden dem Bericht zufolge abgefeuert,

Drohnen werden nicht „abgefeuert“, die fliegen selbst.
Und genauso gehaltvoll wie dieser frühe Satz, ist auch der Rest des Textes.