Das Ende westlichen Wunschdenkens in Sri Lanka

Die Besetzung des Präsidentenpalastes durch Demonstranten ist der Höhepunkt einer Krise, wie sie das Land seit seiner Unabhängigkeitserklärung nicht erlebt hat. Verantwortlich dafür ist auch ein Wunschdenken, das aus dem Westen importiert wurde.

IMAGO / NurPhoto

Der Präsident auf der Flucht, der Premierminister mit Rücktrittsforderungen konfrontiert, Demonstranten, die Straßen und zuletzt den Präsidentenpalast stürmen – Sri Lanka versinkt in Anarchie. Die ehemalige britische Kolonie gehörte einst zu den stabilen Systemen der Region, trotz der religiösen Differenzen und Spannungen zwischen den Minderheiten galt das einstige Ceylon als vergleichsweise ruhiger Pol in Südostasien.

— NewsWire ?? (@NewsWireLK) July 9, 2022

Heute dagegen prägen die Bilder von hungernden Demonstranten und unendlich scheinenden Autoschlangen vor Tankstellen ohne Sprit einen Staat, dessen Status innerhalb von wenigen Jahren gewechselt hat: vom Schwellenland zum „failed state“.

Proteste weltweit
Breiter Protest in Australien, Unruhen im Iran und Sri Lanka, in China gespenstische Zustände
Bilder aus dem Präsidentenpalast, die zeigen, wie die siegreichen Protestler im Swimming Pool baden oder das Schlafzimmer des Staatsoberhauptes in Beschlag nehmen, sprechen die Sprache eines besiegten autoritären Regimes; in Wirklichkeit war jedoch Gotobaya Rajapaksa mit der Mehrheit der Stimmen des Volkes gewählt worden. Korruption und Vetternwirtschaft – Rajapaksas Bruder Mahinda Rajapaksa war bereits bei der Wahl Premierminister – schließen das nicht aus.

Sri Lanka treffen lokale Fehlentscheidungen und globale Lebensmittelkrise

Doch Sri Lankas Probleme sollten sich am Ende nicht an dem Widerspruch zwischen dem tamilischen Norden und der singhalesischen Mehrheitsbevölkerung, dem zunehmend chauvinistischen Gebaren buddhistischer Geistlicher oder dem Nepotismus der Politik entzünden. Es sind importierte westliche Ideen und die weltwirtschaftliche Lage, die zum Niedergang des Inselstaates führten.

In den deutschen Medien liest sich immer wieder das Triplett von fehlenden Lebensmitteln, Treibstoff und Medikamenten. Grund sei eine starke Abwertung der Landeswährung und die Verteuerung von Importen. Auch das Abebben der Tourismusströme während der Corona-Krise wird angeführt. Das stimmt, ist jedoch nur ein Teil des Bildes. Bereits im Frühling konnte das Land seine Auslandsschulden nicht mehr bedienen, weil die Devisen fehlten.

Doch einer der Hauptgründe für die Zahlungsunfähigkeit ist auch der Zusammenbruch des lukrativen Tee-Exports. Er machte einst rund 10 Prozent der Exporteinnahmen des Landes aus. Der Kollaps der Teeproduktion ist einer der Gründe für den Einnahmenausfall – und die Massenverarmung. Die Regierung Rajapaksa hatte anvisiert, die eigene Landwirtschaft auf „100 Prozent Öko-Landbau“ umzustellen. Statt chemischen Dünger sollte Kompost aushelfen, die Einfuhr von Glyphosat wurde verboten. Ohne Dünger gingen die Erträge zurück, ohne Glyphosat überwucherte Unkraut die Teeplantagen.

Auszeichnungen für grüne NGOs, die Länder in den Abgrund treiben

Die Ideengeber der Regierung waren dabei grüne NGOs, die ihren Sitz mehrheitlich im Westen hatten. Die indische Agrarökologin Vandana Shiva gilt dabei als prominenteste Gestalt. Sie steht der NGO Navdanya vor, die sich für Biodiversität und biologischen Anbau ausspricht. Unter der Schirmherrschaft von Shasheendra Rajapaksa, dem Neffen von Mahinda Rajapaksa, hielt sie ein Webinar ab, das die Umstellung der sri-lankischen Landwirtschaft propagierte. Auch andere Vertreter von Bio-NGOs, wie etwa Hans Rudolf Herren, Präsident des Millennium Institute und der Schweizer Biovision-Stiftung, hielten Vorträge. Die Einwände von Fachleuten und Landwirten wurden zugunsten eines „neuen Denkens“ geflissentlich ignoriert oder angefeindet.

Shiva ist erst kürzlich wieder ins Rampenlicht getreten. In Deutschland wurde sie trotz ihres für den sri-lankischen Staat verhängnisvollen Einsatzes mit dem Hans-Carl-von-Carlowitz Nachhaltigkeitspreis ausgezeichnet. Trotz der offenkundigen Probleme, die der Öko-Anbau mit sich bringt, werden die Stichwortgeber im Westen gefördert. Dass Sri Lanka nie die versprochene Höhe an organischem Dünger herstellen konnte, und auch die anvisierten Landwirtschaftserträge deutlich verfehlte, spielt keine Rolle. Befürworter dieser Methode behaupten, die doppelte Bevölkerung Indiens versorgen zu können und scheitern am 22-Millionen-Land Sri Lanka.

Was als vermeintliche Befreiung von der westlich-kolonialistischen Landwirtschaft von Dünger und Pestiziden gefeiert wurde, war in Wirklichkeit die Übernahme westlich-kolonialistischer Landwirtschaftsideen grüner Prägung. Unter der Regierung Rajapaksa wurde Glyphosat verteufelt wie auf einem Parteitag der Grünen. Sri Lanka durfte als Experimentierfeld herhalten in Ermangelung eines europäischen Spielplatzes.

In den mageren Jahren folgt die Abrechnung

Ähnlich, wie die Verfehlungen der Energiewende in Deutschland mit dem Zusammenbruch des Gas-Geschäftes offensichtlich werden, wird auch die Fehlentscheidung, Sri Lankas Landwirtschaft vollständig auf den Öko-Landbau umzustellen, erst aufgrund der globalen Nahrungsmittelkrise offenkundig. In prosperierenden Zeiten hätte die Regierung Nahrungsmittel ohne Not importieren können.

Kein Sprit, kein Brot, kein Frieden
Sri Lanka: Vorgeschmack auf globale Verwerfungen
Doch die exorbitant gestiegenen Nahrungsmittelpreise durchkreuzen den Plan, die eigenen Fehler unter den Teppich kehren zu wollen. Die fetten Jahre, in denen Utopien wegen der prosperierenden Weltwirtschaft möglich waren, sind lange vorbei. In den mageren Jahren folgt die Abrechnung. Das gilt für Entwicklungs-, Schwellen- und Industrieländer.

Die eingebrochenen Einnahmen haben den Import von Medikamenten und Treibstoff zu Luxusgütern gemacht. Nun bettelt Sri Lanka bei Russland um Hilfe. Neuerlich offenbart sich das Versagen des Westens: nachdem man einem Schwellenland die eigene Ideologie aufgepfropft hat, überlässt man das Land sich selbst.

… und am Ende steht Putin vor der Türe

Am Ende bleibt nur das Kopfschütteln darüber, wie ein solches Land in die Hände von Moskaus Schergen fallen konnte. Dafür braucht sich Putin nicht einmal als großer Wohltäter inszenieren. Weizen und Öl gibt es für „befreundete Nationen“, die das russische Vorgehen unterstützen, verbilligt zugeschustert. Erst kommt das Fressen, dann die Moral – auch, wenn man das im Westen mittlerweile andersherum sieht.

Die globalen Verwerfungen, in denen Sri Lanka wegen einer verkalkulierten Politik als erster Dominostein fällt, werden weitere Konsequenzen haben. Nicht nur in Asien. Dass die Niederlande ein Unruheherd wegen des von EU-Eliten konzipierten „Green Deal“ geworden sind, der ebenfalls die Landwirtschaft zum Thema hat, ist wohl mehr als nur Ironie der Geschichte. Ob das Ende des westlichen Wunschdenkens an seiner Geburtsstätte glimpflicher verläuft als auf den kolonialen Experimentierfeldern, ist mehr als fraglich.

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