Zum Kampftag der Arbeiterklasse ein Loblied auf den Kapitalismus

Ein frühes Bild des später sehr berühmten Jörg Immendorff, der der maoistischen KPD/AO angehörte, ehe er beispielsweise Bundeskanzler Gerhard Schröder portraitierte und viel Geld verdiente. Merke: Der K. kriegt sie alle rum. Und dieses Bild auch zum 40. Jahrestag der Eroberung Saigons durch Nord-Vietnam.

Ein Gespenst geht um in Europa. Es ist kein böser Mann, aber ein System: Der Kapitalismus, der böse K. „Der K. hat mir die Jungfräulichkeit geklaut“, singt eine schwedische Band und die Süddeutsche Zeitung macht daraus ein Dossier: „Macht uns der Kapitalismus kaputt“. Angeblich macht der böse K. sogar Burn-Out und Depressionen. Wie böse ist das denn? Kein Wunder: Die Deutschen mögen den K. nicht mehr, in Umfragen kriegt er schlechte Noten wie sonst nur Masern-Impfung. Deshalb einige Überlegungen zum Kampftag der Arbeiterklasse.




In Frankfurt haben antikapitalistische, linke Demonstranten von Blockupy mit Unterstützung der Linken und Grünen, Polizeiautos mit verletzten Polizisten drin angezündet. In Hamburg und Berlin brennen regelmäßig am 1. Mai Autos, das gilt als links und damit chic. Am 2. Mai räumen dann schlecht bezahlte Migranten in der orangeroten Uniform der Stadtwerke den antikapitalistischen Müll wieder weg, weil die Kapitalismusfeinde Unordnung eigentlich nicht aushalten, und dann werden auf Kosten der Versicherung neue Autos bestellt, bis auch die wieder brennen. So lebt es sich gut mit der K.-Kritik – und die Autoanzünder fahren am Sonntag ins Grüne.
Alle wollen zum bösen K.

Die Deutschen mögen den K. umso weniger, je länger die DDR zurückliegt. Dabei hat der K. die Deutschen reich gemacht. Erst die West-Deutschen, seit Ludwig Erhard die Preiskontrollen abgeschafft und die Rationierung von allem, von der Windel bis zum Sarg, aufgehoben hat. Nach der Wende hat der K. dann auch die Ostdeutschen beglückt. Endlich. Einen Papp-Trabant, so ein alter Witz, kriegt man jetzt schon nach fünf Tagen – allerdings nach 5 Parteitagen, die nur alle vier Jahre stattfanden, und das für einen Preis, der gemessen am Einkommen im Westen für ein Auto mit Stern reichte. Kein Wunder, dass da Gegenmodell des K., der Sozialismus, nur funktionieren konnte, indem er die Menschen hinter Mauer und Stacheldraht einsperrte und Hunderttausende damit beschäftigte, für die Stasi zu spitzeln. Damals wollten alle zum K., über die Mauer, durch die Ostsee, durch Fluchttunnel oder mit selbstgebastelten Flugmaschinen. Jetzt mögen sie ihn aber nicht mehr. Auch heute noch wollen viele zum K. Viele aus Afrika riskieren dabei im Mittelmeer das Leben und nicht nur die Jungfräulichkeit. Sie wollen sich kapitalistisch ausbeuten lassen; mit AOK, Zahnspange für die Kinder und Hartz-IV-Regelsatz. Der ist zwar niedrig, aber in Afrika wäre man damit reich. Der K. produziert so viel, dass alle mehr kriegen, auch die, die nicht arbeiten, warum auch immer.

Leben wie ein Sonnenkönig

Seit China kapitalistisch geworden ist, ist es reich und mächtig. Der Hunger und die Kindersterblichkeit in Indien sind auf dem Rückzug, seit K. erlaubt ist. K. heisst, dass die Produktionsmittel in privater Hand liegen. Weil wir so sind wie der alte Adam, arbeiten wir lieber für das, was uns gehört und unseren Wohlstand steigert. Der Plan wie damals im Sozialismus, klappt nirgends. Im K. regiert der Preis; was teuer ist, wird gern gemacht und wird dadurch billig. Damit kriegen bald alle, was sich früher nur die Superreichen leisten konnten: Wohnungen, Autos, Essen: Der Sonnenkönig Ludwig der Vierzehnte hatte 500 Köche. Sein Menü im Schloß Versailles war aber nicht mal so abwechslungsreich wie das Angebot in einem kapitalistischen Supermarkt um die Ecke. Der K. erfindet sich immer wieder neu; heute wird Hilfe für Tibet per Facebook gesammelt und per App in die entlegensten Ruinendörfer dirigiert. Die Gier, auf die der K. setzt, erfindet immer was Neues. Der Sozialismus, der mit Neid regiert, stagniert. Oder glauben wir im Ernst, dass das Silicon Valley bei Moskau hätte entstehen können?

Aber warum schimpfen ausgerechnet in Deutschland so viele Linke und Rechte über den K.? Eine seltsame Koalition bildet sich, die wir eigentlich aus der Weimarer Republik kennen: Rote und Braune stellen fest, dass sie gar nicht so weit auseinander liegen, jedenfalls nicht bei der Kapitalismuskritik. Die einen wollen den K. nicht, weil er der Arbeiterklasse schadet; die anderen finden, er schadet dem Volk. Beide finden, er muß weg, und zwar mit Gewalt. Dabei hat Deutschland sogar die soziale Marktwirtschaft erfunden. Sie verhindert die Exzesse eines ungezügelten K. und sorgt dafür, dass alle davon was haben. Noch nie war die Armut so niedrig, so dass man mit den Mitteln des K. so seltsame Verbände wie den Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband (DPWV) finanzieren muss, der die Statistik so lange fälscht, bis er ein paar Arme zur Rechtfertigung seiner vielen Armuts-Sucher-Funktionäre findet. Dazu bedienen sich der DPWV und andere des kunstvollen Konzept der relativen Armut. Arm ist, wer weniger als 60 Prozent des Median-Einkommens erhält. Das ist ungefähr so: Statt eines halben Schnapsglases kriegt jeder einen halben Maßkrug mit Wein und gilt als arm. Schließlich ist sein Glas doch bloß halb voll, logisch, oder? Oder bloß dumm.

Vielleicht sollten sich die verwöhnten Zöglinge des K. in Somalia, in Nord-Korea und Kuba mal anschauen, wie es ohne Kapitalismus ausschaut, wie grauenhaft Feudalismus und Sozialismus in allen Schattierungen und Mischungen sind – aber sie sollten die Reise ins Gestern ohne Auslands-Krankenschutz, Smartphone, Rückflugticket und Kreditkarte unternehmen. Und ohne Hartz IV, das ist nämlich im globalen Maßstab die kapitalistische Luxusausgabe der Armenhilfe, die sich sonst kein Wirtschaftssystem leisten kann, schon gar kein sozialistisches.

Das ist nämlich alles kapitalistisch. Und nach der Rückkunft hätte ich ein paar Anhänger, die wie ich den K. lieben: Weil er uns frei, reich und glücklich macht. Aber „geh`doch mal rüber in die DDR“ hat ja früher schon nicht geklappt; die ärgsten Kritiker das Kapitalismus sind lieber selber welche. Und so werden wir mit der Kritik des Kapitalismus noch lange leben, und wetten wir: Der Kapitalismus überlebt das. Spielend.

 

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