Staatsanwaltschaft will kritisches Corona-Urteil kassieren

Die Staatsanwaltschaft Erfurt geht gegen das aufsehenerregende Urteil eines Weimarer Amtsrichters vor, der die Corona-Gesetzgebung als Verletzung der Menschenwürde und grundgesetzwidrig beurteilt hat.

imago images / Steve Bauerschmidt
Amtsgericht Weimar
Nun versucht die Erfurter Staatsanwaltschaft, das kritische Urteil zu kippen, welches das Kontaktsperreverbot als verfassungsfeindich und als Verstoß gegen die Menschenwürde beurteilt hatte (TE berichtete vorab).  Es hatte einen Bürger vom verhängten Bußgeld freigesprochen, der mit Freunden in einem Hinterhaus Geburtstag gefeiert hat. Das Urteil zerpflückt nicht nur das Kontaktsperre-Verbot des Landes Thüringen, sondern das Herzstück von Merkels Corona-Politik. Der Amtsrichter beschreibt detailliert das längerfristige Versagen der Bundesregierung und ihrer Behörden, die zweifelhafte medizinische und epidemologische Begründung und die Vernachlässigung der verheerenden Folgen für Bevölkerung und Wirtschaft. Es liest sich wie ein Kompendium der Kritik auf allen Ebenen.

Staatsanwalt will anderen Richter

Die Staatsanwaltschaft habe beim Amtsgericht den Antrag auf Zulassung einer Rechtsbeschwerde eingereicht, sagte der Sprecher der Behörde, Hannes Grünseisen, am Freitag in Erfurt der Deutschen Presse-Agentur. Zweck der Rechtsbeschwerde ist es, über eine streitige Rechtsfrage eine höchstrichterliche Entscheidung herbeizuführen und eine einheitliche Rechtsprechung sicherzustellen.

Die Staatsanwaltschaft wolle erreichen, dass das Urteil des Amtsgerichts mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben werde. Die Sache solle zu einer neuen Verhandlung und Entscheidung an einen anderen Richter zurückverwiesen werden. Die Rechtsbeschwerde ist das Rechtsmittel gegen Urteile und Entscheidungen in Bußgeldverfahren und kann im Ordnungswidrigkeitenrecht zugelassen werden, wenn die Fortbildung des Rechts dadurch gewährleistet wird oder das rechtliche Gehör verletzt wurde.

Die Rechtsbeschwerde gegen Urteile und Entscheidungen des Amtsgerichts führt vor den Bußgeldsenat des Oberlandesgerichts.

Das lästige Sensationsurteil von Weimar

Der Richter am Amtsgericht Weimar hat ein umfassendes wie präzises und in allen Faktenebenen sauber ausgearbeitetes Urteil erlassen, das die Corona-Gesetzgebung komplett ablehnt. TE hatte darüber als erstes Medium ausführlich berichtet. Das (zusammengefaßte) Fazit des Richters nach sauberer Argumentation und zahlreichen, wesentlichen Quellen:

Nach dem Gesagten kann kein Zweifel daran bestehen, dass allein die Zahl der Todesfälle, die auf die Maßnahmen der Lockdown-Politik zurückzuführen sind, die Zahl der durch den Lockdown verhinderten Todesfälle um ein Vielfaches übersteigt. Schon aus diesem Grund genügen die hier zu beurteilenden Normen nicht dem Verhältnismäßigkeitsgebot. Hinzu kommen die unmittelbaren und mittelbaren Freiheitseinschränkungen, die gigantischen finanziellen Schäden, die immensen gesundheitlichen und die ideellen Schäden. Das Wort „unverhältnismäßig“ ist dabei zu farblos, um die Dimensionen des Geschehens auch nur anzudeuten. Bei der von der Landesregierung im Frühjahr (und jetzt erneut) verfolgten Politik des Lockdowns, deren wesentlicher Bestandteil das allgemeine Kontaktverbot war (und ist), handelt es sich um eine katastrophale politische Fehlentscheidung mit dramatischen Konsequenzen für nahezu alle Lebensbereiche der Menschen, für die Gesellschaft, für den Staat und für die Länder des Globalen Südens.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Der Sprecher der Staatsanwaltschaft Erfurt, Grünseisen sagte, diese Entscheidung sei „zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu überprüfen“. Dies sei umso mehr geboten, weil die Kontaktbeschränkungen weiter gelten. Eine einheitliche Rechtsprechung zu deren Verfassungsmäßigkeit sei vonnöten.

Mit anderen Worten: Jetzt geht es dem Staat darum, das Urteil zu kippen, um nur ja keinen Zweifel an den derzeitigen Zwangsmaßnahmen und den massiven Einschränkungen von Grund- und Menschenrechten zu lassen.

Die Handschrift ist bekannt: „Unverzeihliches“ muss „rückgängig gemacht“ werden.

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Kommentare ( 312 )

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RA.Dobke
3 Jahre her

Ach, eines vergaß ich anzumerken: Wir sind hoffentlich eine zunehmend kritische Gemeinschaft und nicht obrigkeitshörig ! Jeder hat nicht nur das Recht, sondern m.E. sogar die Pflicht, seine Rechtsbeeinträchtigung einem Richter zurPrüfung vorzutragen. Wenn er zu arm ist, auch mit einem Antrag auf Przesskostenhilfe verbunden. Er darf die Justiz aufsuchen und verlangen, dass sein Rechtsbegehren dort zu Protokoll genommen wird! Er gar auch das Recht und due Pflicht, wie zu Weilandszeiten z.B. wegen des Vietnamkriegs auf die Strasse zu gehen und zu demonstrieren, auch wie die Friedensbewegung oder die frühe ökologische Bewegung sich als APO einzusetzen und schließlich wissen wir… Mehr

RA.Dobke
3 Jahre her

Wer kennt sie nicht mehr, die Rufe aus densechzigern: „USA SA SS“ ? Wo leben wir nun? Merkel-Putina hat in der BRD ein ZK unter ihrem Vorsitz eingerichtet! Das ist so, das hat sie so gelernt und, wie man an ihrer Karriere sehen kann, verinnerlicht und nun am Ende ihrer Antszeit umgesetzt. Fertig! Ich gabe sie nicht gewählt und mal ehrlich, eigentlich hatte ich nicht damit gerechnet, dass sie das schafft. Aber …

Atom
3 Jahre her

Ich lebe wieder in einer DDR, in einem Obrigkeitsstaat mit Untertanen. Dazu, im Einzelnen: Eine Verordnung ist ein Rechtsetzungsakt der Regierung, hier der Thüringer Regierung, als Verwaltung. Dieser Rechtsetzungsakt muß, anders als förmliche Gesetze, vom damit befassten Gerichten auf deren Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht überprüft werden, bevor Bußgeldbescheid bestätigt werden. Der Richter am Amtsgericht in Weimar ist seiner Verpflichtung nachgekommen. Eine Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Weimar ist nicht zulässig. Gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 3 OWiG ist eine solches Rechtsmittel im Falle eines Freispruchs nur zulässig wenn ursprünglich eine Geldbuße von mehr als 600,00 € festgesetzt wurde.… Mehr

RA.Dobke
3 Jahre her
Antworten an  Atom

Das ist eigentlich völlig normal, dass ein Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gestellt werden muß !!!

stefan4712
3 Jahre her

Wenn jetzt schon Urteile in Deutschland rückgängig gemacht werden sollen, nur weil sie der Regierung nicht gefallen, so wird Deutschland zu einem Fall für den Europäischen Gerichtshof !! Polen, Ungarn die Rechtsstaatlichkeit absprechen aber selbst die Hunde für die Hetzjagd auf den Richter von der Leine lassen. Merkel und die Regierung wird nirgendwo dabei in Erscheinung treten. Das läuft alles unter dem Radar über das Justizministerium. Sowenig wie die USA eine Demokratie ist (nur zwei Parteien und Kandidaten mit Milliarden nennt man Oligarchie), so ist Deutschland noch ein Rechtsstaat. Alle Dämme brachen 2015 und seitdem wird unverhohlen der Rechtsstaat geschleift.… Mehr

Teufelskralle
3 Jahre her

Das Sakrileg für die Linientreuen besteht darin – egal, ob das Urteil rechtskräftig wird oder nicht, dass ein Amt in wesentlichen Punkten den „Querdenkern“ recht gibt.

magistrat
3 Jahre her

Egal, was das Oberlandesgericht Jena – das ohnehin nicht für allzuhohe juristische Qualität bekannt ist – im Sinne der Regierung entscheidet: das Verfahren wird nach Aufhebung und Zurückverweisung vom neuen Richter am Amtsgericht Weimar nach § 47 OWiG eingestellt werden. So läuft das immer in Thüringen. Hier jedoch könnte das OLG sogar genötigt sein, den Freispruch zu halten, wenn auch mit anderer Begründung. In ihrer Normenkontrollklage gegen die früheren Coronaverordnungen hat die Thüringer AfD nämlich auch einen Punkt aufgezeigt, der Sprengstoff ist: Bis zur Neufassung der Thüringer Infektionsschutz-Zuständigkeitsverordnung im Juni 2020, verstieß die gesamte Coronaverordnungslage in Thüringen gegen Art. 80… Mehr

Wolfgang M
3 Jahre her

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Es bezieht sich auf den Pandemie-Zustand im April 2020, als die Inzidenzzahlen viel niedriger als heute und zusätzlich stark am Sinken waren. Das Urteil ist überhaupt nicht auf den aktuellen Zustand übertragbar. Von einem britischen Corona-Mutanten mit höherer Ansteckungsrate war damals auch nichts bekannt. Da hat sich ein Amtsrichter zum Verfassungsrichter erhoben. Bei einem 300 Euro Bußgeldbescheid schreibt er ein 19 Seiten langes Urteil. Da muss jemand viel Zeit und Frust gehabt haben. Aufsehen hat er damit erregt. Selbstverständlich ist so ein Urteil wie viele andere Urteile anfechtbar. Das gehört zum Rechtsstaat. Für mich gehört… Mehr

Last edited 3 Jahre her by Wolfgang M
Teufelskralle
3 Jahre her
Antworten an  Wolfgang M

Der Richter hat wohl eine 19 Seiten lange Begründung seines Urteils – das Urteil selbst ist nur eine Zeile – nicht wegen eines 300 € Bußgeldbescheides geschrieben. Andenfalls wäre es tatsächlich in der Ablage gelandet. Chapeau für den Richter, der es wagte, gegen den Mainstream zu urteilen und nicht wie ein toter Fisch mit ihm zu schwimmen.

Atom
3 Jahre her
Antworten an  Wolfgang M

Eine Verordnung ist ein Rechtsetzungsakt der Regierung, hier der Thüringer Regierung, als Verwaltung. Dieser Rechtsetzungsakt muß, anders als förmliche Gesetze, vom damit befassten Gerichten auf deren Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht überprüft werden, bevor. Der Richter am Amtsgericht in Weimar ist seiner Verpflichtung nachgekommen. Der Vorwurf, er spiele sich als Verfassungsrichter auf ist darum der Vorwurf er kam seiner Verpflichtung nach. Eine Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Weimar ist nicht zulässig. Gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 3 OWiG ist eine solches Rechtsmittel im Falle eines Freispruchs nur zulässig wenn ursprünglich eine Geldbuße von mehr als 600,00 € festgesetzt wurde.… Mehr

Klaus Kabel
3 Jahre her

Es gab eine Zeit, wo mittelbar in die Justiz eingegriffen wurde. Mittelbar geschah dies mit einer „linientreuen“ Personalpolitik, mit öffentlicher Justizschelte und sogenannten Richterbriefen, Unmittelbar wurden Strafurteile, die allzu milde erschienen, korrigiert. Worin unterscheidet sich die deutsche Justiz heute?

Wilhelm Roepke
3 Jahre her

Solange die Staatsanwaltschaften nicht wie die Gerichte unabhängig sind, müssen sie die Beschlüsse des Justizministers bzw. der Landesregierung umsetzen. Ist aber schon okay. Es schadet nichts, wenn der Fall so öffentlich wie möglich behandelt wird. Immer noch besser als in Vergessenheit zu geraten, weil ihn sowieso niemand von den staatlichen Stellen umsetzt.

Und, hey, wer weiß, vielleicht denkt sich der nächste Richter: Pfeif´ auf die Karriere, ich wollte sowieso nicht umziehen und seit der Erbschaft von meiner Tante ist finanziell alles klar, ich ändere am Urteil nur Marginalien.

Sani58
3 Jahre her
Antworten an  Wilhelm Roepke

Öffentlichkeit hin oder her, im ÖR werden Sie höchsten ganz kleinlaut und ganz hinten davon erfahren. Und die Meisten, die glauben der Staat mache ja (immer) alles richtig (früher sagte man „Ja, die Genossen werden sich schon was dabei gedacht haben) interessiert das sowieso nicht. Davon ab, das Ende der Geschichte dieses Urteils ist doch programiert. Tschland hat fertig- so leider mein pessimistischer Ausblick. …und wenn es anders kommt wüde mich das sehr freuen.

StefanB
3 Jahre her

Auch der der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) sieht sich vor dem Hintergrund einer „Querdenken“-Demo, die es selbstverständlich per Eilbeschluss mit fadenscheiniger Begründung verboten hat, veranlasst, das Urteil des Amtsgerichts Weimar zu kritisieren und den Richter zu diffamieren.* „Dieses nämlich sei eine „methodisch höchst fragwürdige Einzelentscheidung, die hinsichtlich der Coronapandemie im Widerspruch zur – vom Amtsgericht nicht ansatzweise berücksichtigten – ganz überwiegenden Rechtsprechung der deutschen Gerichte stehe“. Das AG Weimar maße sich mit seiner Einschätzung, dass eine epidemiologische Lage nicht vorgelegen habe, ohne sich mit den wissenschaftlichen und tatsächlichen Grundlagen auseinandergesetzt zu haben, eine Sachkunde an, die ihm nicht zukomme, und setze… Mehr

Teufelskralle
3 Jahre her
Antworten an  StefanB

So, so, das AG Weimar maßt sich eine Sachkunde an. Die hat natürlich nur der Bayrische Volksgerichtshof – pardon Verwaltungsgerichtshof.