Atomlaufzeitverlängerung: Es gab keine ergebnisoffene Prüfung

Laut Informationen von „Welt“ und „Cicero“ deuten 166 Dokumente darauf hin, dass die Ablehnung der Laufzeitverlängerung bereits vorformuliert war. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck handelte zudem gegen die Einschätzung der eigenen Fachleute.

IMAGO / Chris Emil Janßen

Die Bundesministerien für Wirtschaft und Umwelt hatten eine Ablehnung der Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke bereits vorformuliert, bevor eine Prüfung des Sachverhalts stattgefunden hatte. Das zeigen Recherchen der Welt und von Cicero. Nach Auswertung von 166 Dokumenten stand das Nein zu längeren AKW-Laufzeiten auch im Widerspruch zu Einschätzungen von Fachbeamten des Wirtschaftsministeriums.

TE-Exklusiv
Patrick Graichen: Zwei Prozent Energiesparen gut, zwei Prozent Atomkraft schlecht
Schon am 1. März 2022 hatte die verantwortliche Arbeitsgruppe im Umweltministerium einen „ersten Vermerk“ über die rechtlichen und technischen Hürden einer Laufzeitverlängerung erstellt. Bereits am Abend des 4. März lag den Staatssekretären im Wirtschaftsministerium (Patrick Graichen) und Umweltministerium (Stefan Tidow) ein fünfseitiger Entwurf zur Ablehnung der Laufzeitverlängerung vor.

Insbesondere Graichen und das Bundeswirtschaftsministerium hatten sich in der Vergangenheit immer wieder auf ein Gespräch mit den Betreibern der Atomkraftwerke bezogen, um Einwände abzuschmettern. Dieses fand jedoch per Videoschalte erst am 5. März statt. Zu diesem Zeitpunkt hatten beide Ministerien aber offenbar schon ihren Beschluss gefasst. Eine schriftliche Stellungnahme des für die Sicherheit der Energieversorgung zuständigen Präsidenten der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, traf laut Datensatz erst am 9. März ein.

Eine Eingabe des AKW-Betreibers EnBW vom 2. März, die sich positiv zum Weiterbetrieb äußerte, wurde von den Ministerien ignoriert, ebenso eine Bestätigung der EnBW-Sichtweise durch zwei Experten der Reaktorsicherheitskommission (RSK). Die Behauptung, es habe keine „ideologischen Denkverbote“ gegeben, wie die Ministerien später sagten, hält bei der Faktenlage nicht stand. Die Stimmen, die sich für die Laufzeitverlängerungen aussprachen, fanden bei Graichen und Habeck keinen Niederschlag.

Laut Welt hatten die Ministerien die Klimafreundlichkeit des AKW-Betriebs errechnet. Die CO2-Reduktion beliefe sich auf „etwa 25 bis 30 Millionen Tonnen“ im deutschen Strommarkt. Dieser Passus wurde aus dem Prüfungsvermerk vom 4. März wieder gestrichen, stattdessen behaupteten die Ministerien, dass nur von einem sehr geringen Anteil an der CO2-Reduktion auszugehen sei. In Wirklichkeit handelt es sich um eine Menge, die laut Welt 20 Prozent des Einsparziels der Energiewirtschaft bis 2035 ausmacht.

EXKLUSIV
Die Bundesregierung trickst bei der Abschaltung der Kernkraft
Das Umweltministerium scheute sich auch nicht, auf unabhängige Sachverständige Druck auszuüben. Als der Technisch-Wissenschaftliche Geschäftsführer der Gesellschaft für Reaktorsicherheit, Uwe Stoll, in der Welt Kritik an der Entscheidung übte, die Reaktoren nicht weiterlaufen zu lassen, reagierte das Ministerium mit einer schriftlichen Rüge. „Wir entscheiden, ob und ggf. welche Expertise wir für unsere Entscheidungen heranziehen“, schrieb der Abteilungsleiter Nukleare Sicherheit, Gerrit Niehaus. Was Wissenschaft ist, bestimmt die Behörde.

Statt auf Sachverstand setzten die Ministerien auf NGOs und deren Vertreter – etwa auf Hinweise von Greenpeace oder auf den Bundesverband Neue Energiewirtschaft. Deren Milchmädchenrechnung sorgte innerministeriell für Kritik. „Während wir das Ersatzkraftwerkegesetz in den höchsten Tönen loben und uns vom Weiterbetrieb von Kohle- und Öl-Kondensationsanlagen eine riesige Gaseinsparung erhoffen, sprechen wir dem Weiterbetrieb von AKW-Kondensationsanlagen diese Eigenschaft ab“, heißt es in einer Mail.

Doch auf solche Meldungen hörte man auf der obersten Behördenebene ebenso wenig wie auf andere Warnungen. „Die Frage ist, wollen wir uns im nächsten Winter wirklich auf den Erwartungswert vorbereiten oder im Sinne einer echten Krisenvorsorge nicht besser auf den Reasonable Worst Case“, mahnt derselbe Beamte an. Habeck und seine Vertrauten setzten jedoch auf die Propaganda und Zahlentricks, um die Debatte zu beeinflussen, statt auf ministerielle oder unabhängige Fachexperten zu hören.

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Kommentare ( 68 )

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Rob Roy
1 Jahr her

Habeck hat „gegen die Einschätzung der eigenen Fachleute“ gehandelt.
Man muss nicht mal von Fach sein, um zu erkennen, dass das Abschalten funktionsfähiger Kraftwerke mitten in einer Energiekrise und angesichts des kommenden Winters, fatal und fahrlässig ist. Gesunder Menschenverstand sagt einen dass.
Hier wird noch mal deutlich, dass die Grünen blind ihrer eigenen Ideologie folgen. Koste es, was es wollen. Sie müssen dafür ja nicht bezahlen.
.

Peter Pascht
1 Jahr her

Der Energiekollaps wird kommen, er ist kaum noch vermeidbar, Rationierung und Zangsabschaltung werden die Folgen sein. Aber auch jetzt schon zeigen sich die Vorboten der kommenden Wirtschafskrise 2023 durch die von der Politik selbstverschuldete Energiekrise, die aktuell sogar noch ideologisch verschärft wird, aber nur für die welche es sehen wollen. Die Verschuldung im Warenverkehr steigt rapide an. Angesichts der Energiekrise können viele Unternehmen ihre ofenen Warenkredite nicht mehr bezahlen. Die Waren-Kreditversicherer melden einen dramatischrn Anstieg der Überfälligkeitsmeldungen – und beobachten ähnliche Effekte wie 2008. Es ist immer nur die erste Phase vor der Insolvenzanmeldung, die aber zwangsläufig fast immer folgt.… Mehr

Anne W
1 Jahr her

Noch nicht einmal im Ansatz haben diese Grünen an eine sachliche Prüfung gedacht.
Nur geheuchelt.

Das Dogma ( dieser „Sekte“) – keine Atomkraft –
steht über allem anderen.

Last edited 1 Jahr her by Anne W
Franjo
1 Jahr her

Die belügen und betrügen ihr eigenes Volk aus ideologischen Gründen! Wie nennt man solche Menschen eigentlich?
Verräter!

Rob Roy
1 Jahr her
Antworten an  Franjo

Die einen lügen und die anderen lassen sich belügen. Es ist erschrecken, wie viele Menschen in meinen Umfeld mit „ich verstehe nichts von Politik“ oder „die werden schon wissen, was sie tun“ reagieren.

GMNW
1 Jahr her

Im Deutschland von 2022 ist es aktuell fast so wie vor gut 800 Jahren im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation zur Zeit der Kinderkreuzzüge!
Heute sind die Religionsführer und Innen grün, jedoch genauso dogmatisch und unerbittlich wie die katholische Kirche im tiefsten Mittelalter und die grünen Kinder kleben sich nicht nur überall fest, sondern zeigen auch andere Aktivitäten, die man durchaus fanatisch nennen darf!
Heute schlägt wieder einmal mehr eine Religion auch unter Heranziehung von Halbwahrheiten, Halbwissen und sogar durch vorsätzliche Täuschung die Wissenschaft und die Menschen in Deutschland; so wie einst im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation!

StefanZ
1 Jahr her

Wenn es stimmt, würden und müssten in einer Demokratie etliche Rücktritte folgen. Leider gehört Absurdistan nicht mehr zu dieser Kategorie. Die Obrigkeit kann tun und lassen was sie will und hat keine Konsequenzen mehr zu fürchten. „Wir sind das Volk“ inklusive Wiedervereinigung, ist zum Bumerang geworden. Die Methoden wurden verfeinert und bis zur Perfektion weiterentwickelt. Das einzige was in diesem Land noch perfekt funktioniert. Es geht nur noch um die Umsetzung der grünen Ideologie und Agenda. Dafür ist jedes Mittel recht und erlaubt. Das Volk und der einzelne Mensch, sind dieser Sekte doch völlig egal. Wieder einmal wird Deutschland erst… Mehr

Peter Pascht
1 Jahr her

Die Gaskrise vor der Gaskrise Schon 2021 gab es eine angestrengte Gasversorgung Situation in Deutschland. Energieträger für Stromerzzeugung 2021 Kohle 30,27% AKW 12,64% Erdgas 12,60% Wind 21,48% Solar 8,74% Veränderung gegenüber 2020: Kohle +25% Wind -13,64% Solar -0,44% AKW +7,39% Erdgas -5,64% (Quelle: Statistisches Bundesmat) Die fehlende -14% Windenergie musste mit +25% Kohleverstromung kompensiert werden, trotz AKW Steigerung um 7,4%. Sollte man also die AKW abschalten, wird es noch mehr Kohleverstromung geben müssen, also noch mehr Kohleimporte, die 2021 schon bei 56,25% lagen. Die Erdgasverstromung musste um -5,64% reduziert werden, was zeigt dass die Gasrererven schon 2021 nicht aureichend waren,… Mehr

Last edited 1 Jahr her by Peter Pascht
Peter Pascht
1 Jahr her

„keine ergebnisoffene Prüfung“ ???
Benutzen sie Fremdwörter Bücher ?
Schon vor Jahren gab es eine solche „keine ergebnisoffene Prüfung“ (wie eben bei SED Wahlen eingeübt)
bei der Klimapolitik im Bundestagsauschuss der Merkel Ära.
Zahlreiche Professoren der Naturwissenschaften haben dem Bundestagsausschus für Klima- und Umweltschutz, wissenschaftliche Gutachten vorgelegt, aus denen hervorgeht, dass nicht CO2 die Ursache der Wettererwärmung ist (von Klimawandel können wir nicht sprechen, aufgrund der Kürze der Zeit).

Peter Pascht
1 Jahr her

E-Strom Kollaps wegen E-Autos vermeiden !!! *** E-Autos müssen zwangsweise stillgelegt werden, nicht AKW, um Strom zu sparen.*** Der Energie Kollaps Deutschlands 2023 ist bereits vorprogarmiert und kaum noch zu vermeiden. Deutschland müsste 25% seines Stromverbrauches einsparen, wirtschaftlich kaum möglich. Es wird daher zu Zangsmaßnahmen der Stromeinsparung kommen, kommen müssen. Um 2023 eine Energie Katatstropeh zu vermeiden müssen zusätzliche AKW in Betrieb genommen werden, oder mehr Kohle verstromt werden so oder so, ein Scheitern Grüner Phantasien an der Realität 2021 gab es 14% weniger Wind und somit weniger Windenergie. Dafür musste 25% mehr Kohlestrom erzeugt werden, obwohl es eine Gaskrise… Mehr

lauterbachleugner
1 Jahr her

Keine ergebnisoffene Prüfung
Ich kann mich nicht erinnern den Terminus ‚ergebnisoffene Prüfung‘ in meiner Jugend gehört zu haben. Wenn eine Prüfung nicht ergebnisoffen ist, ist es auch keine Prüfung. In Zeiten wo Ideologen mit religiöser Inbrunst jede rational begründete Alternative zu eigenen Vorstellungen bekämpfen, besteht offenbar das Bedürfnis zu so einer Wortkonstruktion, um zum Ausdruck zu bringen, dass man jetzt nicht einfach die eigenen Dogmen herunterbetet, sondern wirklich denkt und prüft. Erhebt man den Anspruch rationale begründete Entscheidungen zu treffen, muss man es als ‚Unwort‘ bezeichnen.