Eine Schmutz-Affäre, Habecks Schweigen und grüne Nebelgranaten

Die Lügen-Intrige in Berlin und der verkorkste Steuervorschlag des Kanzlerkandidaten belasten den Wahlkampf der Partei. In beiden Fällen kann sie sich wenigstens auf eins verlassen: Die meisten Journalisten wollen nicht genauer nachbohren.

IMAGO / Mike Schmidt

Wenigstens einen relativen Vorteil ziehen die Grünen derzeit aus der Lügen- und Schmutzaffäre um die falschen Beschuldigungen gegen den Berliner Bundestagsabgeordneten Stefan Gelbhaar: Die unappetitliche Angelegenheit lenkt die Aufmerksamkeit von Robert Habecks Vorstoß ab, Sparerträge künftig mit Sozialabgaben zu belasten. Konkrete Zahlen dazu blieben Habeck und die gesamte Grünen-Spitze bis jetzt schuldig. Offenbar hoffen sie darauf, dass das Thema bis zum Wahltag wieder in Vergessenheit gerät. Derzeit richtet sich die mediale Aufmerksamkeit tatsächlich von allem auf die Parteiintrige in Berlin – wobei die meisten Berichte dazu den eigentlichen Kern der Geschichte eher umgehen.

Gegen den Bundestagsabgeordneten Gelbhaar tauchten Ende 2024 Belästigungsvorwürfe mehrerer Frauen aus der Partei auf. Der Politiker bestritt alle Anschuldigungen, es gab bemerkenswerterweise auch keine einzige Strafanzeige gegen ihn. Trotzdem stand er bald parteiintern und auch öffentlich unter extremem Druck, nachdem die ARD-Anstalt RBB – offenbar gut mit Details versorgt – über die Vorwürfe in einem Stil berichtete, als stünde ihre Richtigkeit schon fest. Gelbhaar verzichtete schließlich auf eine Kandidatur für den Listenplatz 2 der Berliner Grünen. Davon profitierte ein Rivale: Andreas Audretsch, Habecks Wahlkampfmanager und damit wichtigster Mann. Die Parteitagsdelegierten wählten ihn auf den sicheren Platz, der den Einzug in den Bundestag garantiert.

Dann stellte sich heraus: Eine mit einer Eidesstattlichen Versicherung unterlegte Beschuldigung gegen Gelbhaar stammte von einer Frau, die überhaupt nicht existiert – zumindest nicht unter dem Namen Anne K. Die Berliner Grünen-Funktionärin und Bezirksabgeordnete Shirin Kreße, eine der Beschuldigerinnen und möglicherweise auch Verantwortliche für die Beschuldigung unter falschem Namen, verließ fluchtartig die Partei, und tauchte aus der Öffentlichkeit ab. Der Umfang der Operation lässt mehr vermuten als nur eine Intrige einer Profilneurotikerin. Vor allem bleibt die Frage, wer den RBB frühzeitig mit den (falschen) Interna fütterte.

Habecks Wahlkampfleiter Audretsch arbeitete früher als Journalist für die ARD, unter anderem auch für den RBB. Er gilt als nach wie vor hervorragend vernetzt im öffentlich-rechtlichen Milieu. In der Art und Weise, wie der Sender den vermeintlichen Belästigungsfall Gelbhaar behandelte, fällt ein außergewöhnlicher Eifer auf. In der Vergangenheit pflegte der öffentlich-rechtliche Rundfunk bei Affären grüner Parteimitglieder jedes Mal große Zurückhaltung. Den zusammengeflunkerten Lebenslauf der Kandidatin Annalena Baerbock hielten die Sender 2020 erst gar nicht für berichtenswert, und spielten ihn dann nach Kräften herunter. Das rechtsstaatswidrige Agieren des damaligen grünen Berliner Justizsenators Dirk Behrendt bei der Besetzung einer Richterstelle – kein großes Thema. Ebenso die Lustreise der grünen Hamburger Justizsenatorin Anna Gallina nach Malta inklusiver Hummeressen, alles auf Fraktionskosten.

Der angeblichen Belästigung, die Gelbhaar begangen haben sollte, räumte der RBB dagegen bemerkenswert viel Platz ein, und ließ sogar eine Schauspielerin die Anschuldigungen der erfundenen Anne K. nachsprechen. Offenbar unternahm niemand den Versuch herauszufinden, ob diese Frau tatsächlich existierte. Die ARD-Anstalt recherchierte nicht, sondern bot seinem Publikum ein halbfiktionales Melodram, das Gelbhaar als faktisch überführten Täter hinstellte – perfekt getimt kurz vor dem entscheidenden Parteitag. Eine zweite Frage lautet deshalb: Ist die Listenaufstellung des Berliner Landesverbandes überhaupt gültig?

Schließlich nahmen mehrere Personen aus der Partei heraus mit manipulativen und sogar mutmaßlich kriminellen Mitteln im Vorfeld massiven Einfluss auf den Parteitag, indem sie einen aussichtsreichen Kandidaten zugunsten des Habeck-Vertrauten Audretsch herauskickten. Audretsch selbst weist jede Verwicklung in die Affäre zurück. Habeck selbst verbat sich vor einem RTL-Interview generell Fragen zu diesem Thema. Später gab er lediglich ein kurzes Statement dazu ab: Die Vorgänge in Berlin seien „schockierend und gravierend“, der Bundesvorstand der Grünen werde jetzt alles aufklären.

Bei seinem folgenden Wahlkampfauftritt in Leipzig sprach er die grüneninterne Lügen- und Schmuddel-Affäre natürlich nicht an – und hütete sich auch, ein Detail zu seinen Besteuerungsplänen zu nennen. Hier versuchten inzwischen Grüne der zweiten und dritten Reihe, eine Nebelgranate zu zünden, indem sie behaupteten, die CDA, also die Arbeitnehmervereinigung der CDU, wolle ja das Gleiche wie Habeck: Sozialabgaben auf Sparerträge. Offenbar hoffen die Grünen auch hier, dass niemand genauer nachschaut. Denn bei dem, worauf sie verweisen, handelt es sich erstens nicht um einen Beschluss der CDA, sondern um einen Meinungsbeitrag in deren Mitgliederzeitschrift.

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Obacht bei Maischberger: Habeck kneift
Der Vorschlag des Autors unterscheidet sich außerdem in einem wichtigen Punkt gravierend von der Habeckschen Idee: Er plädiert zwar dafür, Kapitalerträge mit Sozialabgaben zu belegen, will aber im Gegenzug dafür die Kapitalertragssteuer von 25 Prozent plus Solidarzuschlag abschaffen, und stattdessen nach dem individuellen Steuersatz belasten. Das hieße: Die meisten Rentner und auch viele ehemalige Selbständige im Ruhestand würden wenigstens dann keine Steuern auf Zinsen und Dividenden zahlen müssen. Habeck dagegen will keine Erleichterungen für Bürger an anderer Stelle. Seine Abgabe oder Steuer – wie genau er sich das Modell vorstellt, darüber sagt er schließlich nichts – soll noch obenauf kommen.

Die Spitzengrünen versuchten sich konsequent an beiden selbstverschuldeten Belastungen ihres Wahlkampfs vorbeizufloskeln. Zu der Berliner Affäre meinte Baerbock bei Miosga, dazu könne sie „als Außenministerin“ nichts sagen: „Das klärt die Parteizentrale.“ Auf Fragen nach Habecks Steuerkonzept behalf sie sich mit Textbausteinen: Die anderen Parteien hätten offenbar „so ’ne Sorge, über die Probleme zu reden, dass sie lieber auf uns alle mal wieder schießen, anstatt selber zu sagen, wie wir unser Gesundheitssystem gerechter machen“. Und: „Die normale Bevölkerung, wenn man dann neben seinem hart verdienten Einkommen noch was in Aktien investiert, ist überhaupt gar nicht betroffen. Da gebe ich Ihnen hiermit mein Wort.“ Was Bearbock unter „normale Bevölkerung“ versteht, verriet sie nicht. Und die Moderatorin fragte auch nicht nach.

Hier liegt die Gemeinsamkeit beider Themen, der Lügen-und-Schmuddel-Affäre wie der verkorksten Habeck-Steuersache: Der grüne Kanzlerkandidat – Motto: „ein Mensch. Ein Wort“ – und die anderen Führungsleute drücken sich nach Kräften um wirkliche Antworten. Und die Journalisten der Öffentlich-Rechtlichen verzichten darauf, wirklich nachzubohren. Beide Seiten hoffen offenbar inständig darauf, dass die Zeit bis zum 23. Februar so schnell wie möglich vergeht.

Eine Ausnahme stellt Sandra Maischberger dar, die Robert Habeck in ihrer Sendung immerhin mit mehreren Fragen zu dessen Steuerkonzept ein wenig in die Mangel nahm – ohne auch nur den Ansatz einer Antwort zu erhalten. Der Auftritt des Kanzlerkandidaten zeigte, warum er Details so dringend vermeiden will: Außer hilflosen Phrasen weiß er nichts anzubieten.


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Kommentare ( 22 )

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DDRforever
17 Tage her

Ein Mensch, ein Wort, einfach super. Ein Mensch, ein Panzer, noch besser. Ein Mensch, eine weitere Steuer, auch nicht schlecht.

old man from black forrest
18 Tage her

In dieser Causa werden meines Erachtens zwei Dinge zu den Grünen unausgesprochen vermengt: 1. Anstand und Moral, 2. Wirkung. Zu 1. Hier gibt es keine neuen Erkenntnisse und muß man auch nichts mehr dazu sagen. 2. Auch hier gilt: wer von den beiden Protagonisten künftig im Bundestag sitzt ist für die Gesellschaft völlig gleichgültig. Am Besten wäre natürlich keiner.

Ali Deutscher
18 Tage her

Hätte er Charakter(stärke), hätte er
 
1. Gelbhaar öffentlich um Entschuldigung gebeten. Nicht einmal „entschuldigt“ hat er sich. Damit ist er natürlich äußerst konsequent, da er ja nie etwas schuld ist – das sind immer nur die Anderen.
 
2. sofort nach Bekanntwerden des Skandals  dazu aufrufen können, die Wahl für ungültig zu erklären.   

Or
18 Tage her

Zwei Punkte/Fragen dazu.

Wenn es die Dame gar nicht gibt, warum wird bei „ Anne K.“ nicht der komplette Namen angegeben ?

Und laut der allwissenden Müllhalde hat Stefan Gelbhaar …

https://de.m.wikipedia.org/wiki/Stefan_Gelbhaar

… Rechtswissenschaften studiert und arbeitete danach als Jurist.
Sorry, aber was’n das für‘ne Flachzange, daß er sich mit so einem offensichtlich konstruierten Vorwurf, mit so einer nur billigen Scharade aus dem Spiel nehmen lässt ?

Last edited 18 Tage her by Or
Klaus Kabel
18 Tage her

Habeck ist ein Phrasendrescher. Er posaunt Dummheiten heraus, deren Tragweite er garnicht begreift, weil er sie von Hintermännern soufliert bekomm. Dumm gelaufen, wenn er dann zu desen Dingen befragt wird, und dann blöde dasteht. Habeck ist eine nicht denkende Marionette an den Seilen bestimmter Institutionen im Hintergrund. Der Graichen-Clan ist so ein Beispiel.

Alleswasrechtist
18 Tage her

Was die Mißbrauchsaffäre anbetrifft ist außerdem auffällig: 1. Der RBB geriert sich urplötzlich als geradezu investigativer Aufklärer und schweigt seinen eigenen Anteil an ihr/einer evt. Falschbeschuldigung tot. 2. Journalistischer Standard ist (früher;-)) ein persönliches Interview mit der Anzeigeerstatterin/Erklärenden der Eidesstattl.Versicherung; das hat es anscheinend nie gegeben. 3. Journalistischer Standard ist (früher;-)) außerdem die Einholung einer Stn. d. Beschuldigten; hier anscheinend: Totalausfall. 4. Es wird weiter insofern die Parteigremien, deren Anteil ebenfalls unbeleuchtet bleibt (immerhin haben sie willfährig den „Kandidaten“ ausgewechselt und ebenso willfährig einen Verlegungsantrag Gelbhaars abgelehnt), 1:1 nachbetend davon ausgegangen, es gäbe abgesehen von der „gecancelten“ eidesstattl. Versicherung weitere… Mehr

imapact
18 Tage her

Natürlich haben die parteiischen Medien keinerlei Interesse, sich tiefergehend mit den Skandalen ihrer grünen Hätschelkinder zu beschäftigen. Schon gar nicht kurz vor den Wahlen. Aber auch die Anhänger dieser verheuchelten grünen Sekte lassen sich durch nichts davon abhalten, diesen Figuren ihre Stimme zu geben. Kadavertreue und Blindheit charakterisiert dieses fanatisch ideologisierte Klientel. Gar nicht zu verstehen ist, warum derartiges Verhalten – das bewusste Verbreiten von Lügen zum Zweck der Rufschädigung und Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz, nicht strafrechtlich geahndet wird.

Vinzent
18 Tage her

Wie man an den jüngsten Umfragen sieht, ist des den Grünenwählern völlig egal welche Intrigen, Kungeleien oder illegale Spielchen im Hintergrund laufen.

Monostatos
18 Tage her

Und was tut jetzt die Berliner Staatsanwaltschaft angesichts einer „eidesstattlichen Versicherung“ einer anscheinend nicht existierenden Person, welche angeblich dem ÖRR vorgelegen hätte? Wenn hier keine Ermittlungen aufgenommen werden, ist das Strafvereitelung im Amt.

Kassandra
18 Tage her
Antworten an  Monostatos

War da nicht auch ein Berliner grüner, der davon veröffentlichte, dass sie ein paar gute Leute in Ämtern untergebracht hätten?
»Wir haben die gesamte Führung fast aller Berliner Sicherheitsbehörden ausgetauscht und dort ziemlich gute Leute reingebracht. Bei (…) der Polizei (…) und auch beim Verfassungsschutz. Ich hoffe sehr, dass sich das in Zukunft bemerkbar macht.« Lux/Grüne.https://neues-deutschland.de/artikel/114047 https://x.com/benedikt_kaiser/status/1304050301838807041

BK
18 Tage her

Der Steuerfreibetrag für Kapitalerträge lag einmal bei 12.000 DM und Aktiengewinne waren bereits nach einer Haltedauer von 6 Monaten steuerfrei. Hier macht sich der Staat auf Kosten der Bürger die Taschen voll. Das Ergebnis dieses Handelns sehen wir. Ein äußerst schlampiger Umgang mit den Steuereinnahmen ist an der Tagesordnung. Zugang zu unserem Sozialsystem erhält jeder und in der Spitze der Versorgungspyramide winken äußerst hohe Gehälter in über 90 Krankenkassen, die einen hohen Personalbestand unterhalten. Dabei sind 90 % der Buchungen so simpel und minimalistisch, dass sie jede Bank kostenlos mit abwickeln könnte. Selbst Autoversicherung schicken heute nur noch in den… Mehr