Friedrich Merz im Schatten der AfD

Vor dem Kleinen Parteitag sucht Friedrich Merz nach dem neuen Profil der CDU. Die Merkelianer beziehen daher schon ihre Verteidigungslinien. Wie die CDU selbst steht ihr Chef zwischen zwei Fronten.

IMAGO/Political Moments
Schloss Eichholz liegt idyllisch in den Wäldern südlich von Köln. Hier schlug einst das Herz der CDU-Medienstrategie: Dorthin lud die Konrad Adenauer Stiftung einmal im Monat junge Journalisten ein: Freie Mitarbeiter von lokalen Tageszeitungen, Volontäre von Nachrichtenmagazinen, aber auch Mitarbeiter von Schülerzeitungen waren willkommen. Für sie gab es ein spannendes Programm: Der Deutschland-Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung schilderte, wie er den Mauerfall erlebt hat. Der Chef-Layouter des Bonner General-Anzeigers gab Tipps, wie auch kleinere Blätter mit wenig Geld besser aussehen könnten. Der junge Michel Friedman berichtete aus dem Zentralrat der Juden – und blieb gerne bis in den späten Abend, wenn die jungen Journalisten auf ein bis ein Dutzend Biere im Schloss Eichholz zusammenblieben.

Die Konrad Adenauer Stiftung verbesserte so die Ausbildung von jungen Journalisten. Sie hatte damit aber auch die Möglichkeit, ihnen etwas von ihrem Weltbild mitzugeben. So stellte ein Referent die provokante Frage, wozu denn eine Zeitung da sei. Die 80 jungen Menschen redeten sich im Forum die Zungen heiß: Demokratie, Freiheit, gesellschaftliche Verantwortung und so weiter. „Nein“, beendete der Referent nach einer halben Stunde die Diskussion, „um Geld zu verdienen“. Damals erwirtschafteten regionale Tageszeitungen noch Renditen von über 20 Prozent.

Es war die gute alte Zeit: Zeitungen waren noch ein aussichtsreiches Geschäftsmodell. Journalisten erfuhren, dass sie Mitarbeiter sind, nicht Apostel. Und die CDU betrieb unter Helmut Kohl aktive Medienpolitik. Das hat sie rund um den Milleniumwechsel eingestellt, wie ihr Chef Friedrich Merz persönlich in einer Runde mit Verlegern eingestanden hat: „Seitdem macht die CDU keine Medienpolitik mehr.“

Angela Merkel hat keine Medienpolitik gemacht – sondern Medienarbeit: Sie griff Themen nur dann auf, wenn Umfragen ihr sagten, dass es dazu eine klare Mehrheit gäbe. Dann bezog sie diese Mehrheits-Position. Das klappte lange sehr gut. Dreimal wurde Merkel wiedergewählt. 2013 fast mit absoluter Mehrheit. Die Kanzlerin kümmerte sich nicht darum, wie öffentlich-rechtliche Journalisten berichten – sie regierte so, dass es öffentlich-rechtlichen Journalisten gefiel.

Das Problem dieser Strategie: Zum einen funktionierte es nur so lange, wie die Umfragen konstant waren. Am Anfang der Flüchtlingskrise beantworteten die Bürger die Frage, ob sie allen Menschen, die kommen, helfen wollen, mit Ja. Als diese dann da waren, mit all ihren Problemen im Gepäck, kippte die Stimmung. Und Merkel war zum ersten Mal auf eine Politik festgelegt, die sie gegen eine Mehrheit durchsetzen musste. Und das war eben das andere Manko ihrer Medienstrategie: Die eignete sich nur für schönes Wetter, nicht für den Fall, Unbequemes aber Nötiges durchsetzen zu müssen. Hinterlassen hat Merkel im Ergebnis ein Trümmerland, mit kaputter Wirtschaft, dysfunktionaler Verwaltung, nicht verteidigungsfähiger Armee, sanierungsbedürftigen Brücken und Straßen, einem überlasteten Schienennetz und einem nicht wettbewerbstauglichen Internetempfang.

Das Erbe Merkels erst hat die Ampel ermöglicht. Und die schuldhafte Politik der Kanzlerin hat der Regierung Olaf Scholz (SPD) die Ausrede ermöglicht, sie habe das Land in einem desaströsen Zustand übernommen. Gegen eine Regierung mit diesem Ausreden-Joker im Gepäck muss Friedrich Merz nun Opposition machen. Dankbar ist die Aufgabe nicht. Entsprechend tut er sich auch schwer damit, stolpert eher durch die Öffentlichkeit, als zu gestalten. Nun hat er gegenüber den Verlegern angekündigt: Er wolle wieder aktive Medienarbeit machen.

Das Timing ist kein Zufall. An diesem Wochenende findet der Bundesausschuss der CDU statt. Dieser „Kleine Parteitag“ steht unter dem Motto „Freiheit verteidigen, Chancen eröffnen“. Das ist so saft- und belanglos, wie die ganze CDU derzeit. Familienclans oder Ringvereine könnten genauso gut ihre Arbeit unter das Motto „Freiheit verteidigen, Chancen eröffnen“ stellen.

In der Partei gärt es. Ihre Probleme lassen sich in drei Buchstaben zusammenfassen: AfD. Seit Mitte Mai hat die Union in Umfragen vier Prozentpunkte verloren, um die wiederum die AfD zugelegt hat. Die Regierung gibt mit Inflation, Wirtschaftskrise, Heizhammer, Stromstasi, Einwanderungs-Chaos, ausufernden Verbrechen der letzten Generation und anlassloser Chatkontrolle von unschuldigen Bürgern ein katastrophales Bild ab, wovon die AfD profitiert, die CDU aber nicht. „Die konstruktive Opposition“, die Merz ausgerufen hat, funktioniert nicht, kritisieren jetzt die Teile der Partei, die zuletzt auch Merkel kritisch gesehen haben.

Die Merkelianer beziehen daher schon mal in den Medien ihrer Wahl Stellung vorm kleinen Parteitag: Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst warnt in der FAZ davor, „den AfD-Sound zu intonieren“. Auch „grassierender Sofortismus“ und der Wunsch nach „Radikalreformen“ schade nur. Stattdesen brauche die Partei eine „Politik mit dem Herzschlag der Mitte“. Auch Wolfgang Schäuble meldet sich im Tagesspiegel nochmal zu Wort: Die CDU solle sich auf keinen „Wettbewerb des Verbalradikalismus“ einlassen. In dieser Runde darf der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther nicht fehlen. Er empfiehlt der CDU in der Süddeutschen Zeitung: „Kurs der Mitte, sprachlich sauber bleiben, keine Debatten über das Gendern und andere Nebensächlichkeiten führen – den Leuten halt keinen Scheiß erzählen.“

Die Merkelianer wissen, was sie nicht wollen. Sprache und Positionen der AfD übernehmen. Deswegen beschränken sie sich gegenüber der Ampel auf Aber-Kritik: Was die Regierung mache sei nicht gut, aber was die AfD wolle sei noch schlimmer. In der eigenen Gestaltung bleiben die Merkelianer aber vage: „Politik mit dem Herzschlag der Mitte“… Das ist abgelutschter PR-Sprech, der alles und nichts bedeuten kann. Letztlich wollen sie in der Opposition so weitermachen, wie ihre Mutti ihnen Regieren vorgemacht hat: nichts Langfristiges, möglichst wenig anfassen und wenn überhaupt nur dann, wenn man eine sichere Mehrheit hinter sich weiß. In der Regierung hat die CDU damit das Land in seine schlechte Situation gebracht, in der Opposition bleibt sie unsichtbar – und wer eine Alternative zur Ampel sucht, geht eben nicht zur CDU, sondern zur AfD.

Merz steht nun auf dem Kleinen Parteitag zwischen den Stimmen, die ein klareres Profil fordern und eine breite Basis in der Partei haben – und auf der anderen Seite den Merkelianern, die im Apparat der Funktionäre eine große Mehrheit haben. Dankbar ist das nicht. Zumal Merz der CDU einen langen Weg zu einem neuen Grundsatzprogramm vorgegeben hat. Das wird erst im Mai vorliegen. 2024.

Bis dahin wurstelt sich die Partei durch: Und jeder CDU-Funktionär kann fordern, was er will. Die Merkelianer eine Abgrenzung von der AfD, „Politik der Mitte“, Innovation, Engagement und was das Wörterbuch der abgelutschten PR-Begriffe sonst noch so hergibt. Partei-Vize Carsten Linnemann gegenüber dem RND eine Arbeitspflicht für Empfänger von Bürgergeld. Oder der Corona-Gesundheitsminister Jens Spahn ein Renteneintrittsalter für Dachdecker und Gerüstbauer, das sich an der Lebenserwartung von Verwaltungsangestellten orientiert.

Ein schlüssiges Gesamtbild ergibt das alles nicht. Schon gar keines, das die CDU zwischen Ampel links und AfD rechts sichtbar macht. Ein Jahr des weiteren Wurstelns kann da recht lang werden. Deswegen täte es Not, wenn Merz Themen aufgreift, die über das Mitte-Blablabla der Merkelianer hinausgeht und die Öffentlichkeit eine klare Charakterentwicklung auf der Handlungsebene erkennen lässt.

Wenn sich Merz dafür die Medienpolitik aussucht, wirkt das unorthodox – wäre aber eine goldrichtige Entscheidung. Muss er in den entscheidenden Fragen auf das Grundsatzprogramm warten, kann er auf diese Baustelle ausweichen. Zudem ist der Reparaturbedarf auf dieser Baustelle enorm. Und wäre deutlich wichtiger, als es scheinen mag. Auf Dauer wird es die CDU nicht schaffen, gegen den grün-roten, 8,5 Milliarden Euro schweren PR-Apparat Politik zu machen, den ARD und ZDF aktuell darstellen. Mit Medienarbeit kommt Merz da nicht weit. Über 90 Prozent der ARD-Volontäre wählen nach eigenen Angaben Grüne, Linke oder SPD. Die CDU ist für sie Feind und nicht Partner, egal wie deutlich sie sich gegenüber der AfD abgrenzt.

Merz hat daher nun den Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff, gebeten, die Kommission zur Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der CDU zu leiten. Der hat schon öffentlich erklärt, dass er Beitragserhöhungen kritisch gegenübersteht. Siegen durch Umarmen, das Merkel-Konzept, funktioniert nicht mehr. Die CDU im Jahr 2023 wid kämpfen müssen, wenn sie nicht untergehen will.

Die Medienpolitik wäre da der exakt richtige Ansatz. Die Christdemokraten müssen sich der Zeiten erinnern, in denen sie jungen und damit naturgemäß linken Journalisten zu Erkenntnissen verholfen haben. Etwa, dass Journalismus nicht nur eine Mission, sondern auch ein Beruf ist. Damals im Schloss Eichholz. Dort ist heute ein privates Krankenhaus für Psychosomatische Medizin und Traditionelle Chinesische Medizin untergebracht. Symptomatisch für den Zustand der Post-Merkel-CDU – in der immer noch viele ihre Anhänger glauben, Krankheiten ließen sich durch Zureden heilen. Stattdessen wird eine ernsthafte und grundlegende Therapie nötig sein. Ob Merz da als politischer Arzt streng genug ist, bleibt indes anzuzweifeln.

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Kommentare ( 75 )

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RauerMan
10 Monate her

Wir haben die Merkel-Regierungszeit verfolgt und deren negativen Auswirkungen,mindestens im kleinen Kreis, vorausgeahnt und eintreffen sehen. Dasselbe gilt momentan für die Ampel. Der leider zu kleine Bremser, FDP, kann sich nicht ganz gegen links-grüne-Politik, mit ihren wenig durchdachten, und der Wirtschaft schadenden, dogmatischen Politiken, durchsetzen. Immerhin aber, sonst wäre es noch schlimmer. Die Fehler der Union zur Merkel-Zeit sind unvergessen. Leider ist keine so rechte Umkehr und eine erfolgversprechende Politik der Mitte erwartbar. Das ist schon anden Aussagen der Führungsleute der CDU erkennbar. Was bleibt ist die wahrhaftige Opposition stark zu machen und auf Wendezeiten zu hoffen. Das muß aber… Mehr

hho
10 Monate her

Kein Mitleid mit Merzkel: Er hat die Union in die selbstverschuldete Bedeutungslosigkeit geführt. Eine Opposition, die nur das Zerstörungswerk der Regierung abnickt, braucht niemand.

Juergen P. Schneider
10 Monate her

Schwarz-Fels-Fritze und die Merkel-Kohorten werden es wohl kaum schaffen, die schwarz angemalten Grünen von der Union zu alter Stärke zu führen. Bevor die Union nicht endgültig mit der katastrophalen Politik Merkels bricht, ist für sie keine Besserung zu erwarten. Ich glaube kaum, dass mit dem jetzigen Personal ein Neuanfang möglich sein wird. Solange Figuren wie Günther, Wüst und Merz das Sagen haben, wird die vergrünte Union keinen ihrer früheren Wähler zurückgewinnen. Diese Herren werden dem Weg weiter folgen, den Merkel zum eigenen Machterhalt über Jahre gegangen ist, in der irrigen Annahme, dass man heute damit noch Erfolg haben könne. Der… Mehr

John Sheridan
10 Monate her

Tja, es wird erst so richtig im nächsten Herbst losgegehen. Dann werden im warsten „Sinne“ „Politköpfe“ „rollen“. Man könnte immer noch NS2 in Betrieb nehmen, vielleicht fragt/hakt Tichy da nochmal nach. Da wir eh „Tristalistadien“ durch illegale Enteignungen der Russischen Föderation schulden.

what be must must be
10 Monate her

bzgl.Merkel: eigentlich – so denkt man – hatte Schröder recht, als er sagte: „Sie kann es einfach nicht.“ Die Wahrheit ist aber viel schlimmer: sie wollte nicht; ihr Konzept war Zerstörung der Ökonomie, Austausch des Volkes, Große Transformation. Fr. Merkel ist übrigens immer noch auf freiem Fuß. Erstaunlich – gell?!

mitternachtnovelle
10 Monate her

Für mich ist die CDU seit Merkel nicht mehr wählbar. Und alles, was sie versucht, an Vorschlägen für eine andere Politik, als die der Ampel, kann ich nicht mehr ernst nehmen. Denn es ist der plumpe Versuch, auf Teufel komm raus an die Macht zu kommen. Das geht aber nur mit den Grünen, weil es diese sog. Brandmauer gegen die AfD gibt. Die CDU bleibt nicht wählbar. Ausserdem ist mein Eindruck, dass nur die AfD uns Deutschen unsere Würde zurückgibt. Alle anderen Parteien haben sie jedem Asylanten vor die Füsse geworfen und lassen ungestraft darauf herumtrampeln.

gom jabbar
10 Monate her

Mal sehen, wie die Merz CDU sich nach den Ostwahlen im kommenden Jahr positionieren wird. Sein jetziges Liebeswerben für die sogenannten Grünen wird ihm auf die Füße fallen. Immer mehr Menschen haben die Schauze voll von dieser ,,Mitte“ die sich am links-grünen Rand angesiedelt hat.

Astrid
10 Monate her

Friedrich „Merkel“ würde da weitermachen, wo die Mutti aufgehört hat. Dass er in der Opposition ein jämmerliches Bild abgibt, ist einzig und allein dem geschuldet, dass er auf seine Chance wartet an die Macht zu kommen, um dann mit den Grünen bei der Zerstörung Deutschlands weiterzumachen. Die CDU unter 16 Jahre Merkel hat uns dahin gebracht, wo wir heute sind. Die Ampel vollendet lediglich das bereits vorbereitete Feld. Unter Mitwirkung der CDU würde sich in Deutschland rein gar nichts verändern, die Lösung ist derzeit nur die AFD.

Ernst K.
10 Monate her

Ist es nicht reines Wunschdenken, daß Merz die CDU wieder auf Kurs bringen könnte?

Die stärkste Partei (Umfragen) zu führen, reicht ihm doch. Darauf kann er immer wieder verweisen, ohne die Partei entmerkeln zu müssen. Und auf keinen Fall wird er sein Ziel, Bundeskanzler zu werden, aufgeben, zusammen mit den Grünen. Zu diesem Zweck muß die Brandmauer halten.
Erst, wenn die Umfragen für die CDU ungemütlich werden, kann es Bewegung geben. Aber das passiert nicht so schnell, glauben doch immer noch 28%, daß die CDU Oppositionsarbeit leistet.

Manfred_Hbg
10 Monate her

Zitat 1: „Schloss Eichholz (………) Dorthin lud die Konrad Adenauer Stiftung einmal im Monat junge Journalisten ein (……..), aber auch Mitarbeiter von Schülerzeitungen waren willkommen.“ > Mit Blick auf das Zitat ging mir die Frage durch den Kopf: Gibt es eigentlich noch die TE-Einladungen/-Runden für die junge zukünftig schreibende Zunft? Oder sind die jungen Journos ausgeblieben? Was eigentlich sehr schade wäre weil es von den jungen Nachwuchs sehr gute Artikel gegeben hat. – – – – – – Zitat 2: „Angela Merkel (…….) griff Themen nur dann auf, wenn Umfragen ihr sagten, dass es dazu eine klare Mehrheit gäbe. Dann… Mehr