Das Brüsseler Monster scheitert und will trotzdem wachsen

Die EU tagt im erweiterten Kreis im südspanischen Granada. Auf der Tagesordnung stehen die Klassiker des Scheiterns der Gemeinschaft - doch langfristig will die Gemeinschaft den großen Sprung wagen.

IMAGO / CordonPress

Wenn es um die EU geht, gibt es Klassiker. Einer davon ist die „Europäische Lösung“. Nach ihr sucht die Gemeinschaft seit spätestens 2015. Es geht zum einen um die Frage, wie sich die Migration in die EU reduzieren lässt. Die hat massiv zugenommen, seit US-Präsident Barack Obama im „Arabischen Frühling“ den Norden Afrikas und Syrien destabilisiert hat. Zum anderen geht es um die Frage, wie die Flüchtlinge gerecht verteilt werden, die trotzdem kommen.

Die Antwort darauf lautet: Deutschland. Denn die Menschen gehen in das Land, das ihnen das bequemste Leben bietet – und die anderen 26 EU-Staaten haben kein wirkliches Interesse daran, das zu ändern. Die EU sucht dieser Tage nach einer Lösung für die erste Hälfte des Problems, was ausgerechnet Deutschland blockiert – was das Interesse der anderen 26 Staaten an der „Europäischen Lösung“ nicht wirklich steigert.

Der andere Klassiker der EU ist die „Eigenständige Verteidigungspolitik“. Die ehemaligen deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Heiko Maas (beide SPD) haben sie heftig propagiert. Der eine organisiert jetzt Sommerfeste und verteilt Orden. Den anderen haben Frau und politische Verantwortung ganz verlassen. Von der „Eigenständigen Verteidigungspolitik“ ist die EU indes nach wie vor so weit entfernt wie die Ritter der Tafelrunde vom Heiligen Gral.

Dabei wäre sie notwendig. Im spanischen Granada tagt die Europäische Politische Gemeinschaft. Diese Runde hat der französische Präsident Emmanuel Macron ins Leben gerufen. Die EU berät sich hier mit ihren Nachbarländern, um Fragen zu besprechen, die sie gemeinsam betreffen. Zum Beispiel eben die Verteidigung.

In Granada sitzt entsprechend der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj mit am Tisch. Die Zeiten des dramatischen Auftritts auf der Videowall scheinen vorbei zu sein. Selenskyi muss selbst vorbeischauen, um seine Interessen zu wahren. Die Unterstützung für ihn aus den USA bröckelt, seitdem dort die Stimmung zu Ungunsten der Ukraine kippt und Donald Trump sowie dessen Flügel in den Republikanern stärker werden. Selenskyi bräuchte die eigenständige Verteidigungspolitik der EU mehr denn je – wenn es sie denn gäbe. Denn die feministische Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) redet darüber genauso viel wie vor ihr Steinmeier und Maas – ohne was zu erreichen.

Selenskyi will die Seeblockade der Russen brechen und die Versorgung mit Lebensmitteln aus der Ukraine sichern. Dafür fragt er derzeit in der EU und in den USA an. Doch nicht nur in den Staaten bröckelt die Unterstützung für die Ukraine. In der EU sind es ausgerechnet die östlichen Staaten wie Polen, Ungarn und die Slowakei, die aus der klaren Linie ausscheren. Wenn dann noch der größte Staat der EU, Deutschland, wie jetzt geschehen, die Bereitschaft verweigert, Raketen zu schicken, wird die Lage für Selenskyi am Verhandlungstisch schwierig.

Ein Jahrzehnt Stillstand. Und wie reagiert die EU darauf? Sie will wachsen. Massiv. In ihrem wirtschaftlichen Volumen. Und um neun Staaten. Neben der Ukraine, Moldau, Georgien geht es um sechs Staaten des westlichen Balkans. Allesamt nicht gerade wirtschaftliche Giganten – gelinde gesagt. Doch wo andere strukturschwache Räume sehen, vermutet die EU riesige Absatzmärkte.

Doch bevor die Absatzmärkte die EU bereichern, kosten sie deren Mitgliedsstaaten erst einmal: vor allem Deutschland. Die Zahlen, wer die größten Nettozahler sind, veröffentlicht die EU schon nicht mehr selbst. Zu peinlich ist das Ergebnis. Das IW-Institut hat das jüngst aber getan. Deutschland ist mit 20 Milliarden Euro der mit Abstand größte Nettozahler: 20 Milliarden Euro zahlt die Nation mit dem Rekord-Niveau an Steuern mehr ein, als sie wieder rausholt. Auf Platz zwei liegt Frankreich. Mit etwa halb so viel.

Stoßen die neun Staaten zu der EU, verschlechtert sich das Verhältnis nochmal entscheidend. Staaten, die bisher Empfänger sind, würden zu Einzahlern. Deutschland müsste gut zehn 10 Milliarden Euro im Jahr mehr einzahlen – und würde weniger rausholen als bisher. So steht es in einem Papier aus dem EU-Rat. Von den üppigen Landwirtschafts-Subventionen der EU würde vor allem die Ukraine profitieren. Die drängt daher in die Gemeinschaft, will schon in zwei Jahren dabei sein. Wegen der Folgen treten da manche Mitglieds-Staaten auf die Bremse.

Die Kosten für die Aufnahme von neun wirtschaftsschwachen Staaten kommen zu dem Schuldendienst, den die EU ohnehin leisten muss. 800 Milliarden Euro eigene Schulden hat die Gemeinschaft allein zur Bewältigung ihrer Pandemie-Politik aufgenommen. Deswegen fordern die EU-Beamten eigene Steuervollmachten. In Deutschland geben Singles schon jetzt 48 Prozent ihres Einkommens dem Staat ab. Mit eigenen Steuern für die EU kämen sie endlich auf eine sozialistische Staatsquote von über 50 Prozent.

Apropos sozialistischer Gigantismus. Mit den Mitgliedsstaaten würde auch die EU-Verwaltung wachsen. Um über 50 Abgeordnete würde das EU-Parlament alleine aus der Ukraine zunehmen. Auch müsste es mehr Beamten und mehr Posten geben, damit jedes Land mit eben solchen abgefunden werden kann. Die EU-Beamten gehen von neun zusätzlichen EU-Kommissaren aus – auch wenn für die erst Felder gefunden werden müssten, für die sie zuständig wären.

Dabei hat die EU-Verwaltung schon jetzt ein Bürokratie-Monster erschaffen, das sich bis ins kleinste Detail ins Privatleben seiner Bewohner einmischt – um den eigenen Apparat zu rechtfertigen. Kommen dann noch neun neue Kommissare für Tralala, Arbeitsbeschaffung und Gedöhns dazu, dürfte die Einmischung von Brüsseler Beamten bald noch absurdere Züge annehmen als ohnehin schon.

Die eigentlichen Probleme bleiben indes ungelöst: die „Europäische Lösung“ oder die „Eigenständige Verteidigungspolitik“. Immerhin haben in Granada keine Vertreter aus Russland und Weißrussland mit am Tisch gesessen. Der Spiegel nennt das ein „klares Zeichen gegen Putin“. Und so ist dann die EU 2023: Ein moralisch selbstverliebtes Ungetüm, das nichts auf die Reihe kriegt, aber sich in Gesten gefällt. Das an seinen Problemen scheitert, aber sich trotzdem in die Belange anderer einmischt.

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Kommentare ( 39 )

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Franz Grossmann
11 Monate her

Fast alle schlechten Entwicklungen für Deutschland haben ihren Ursprung in den USA und in den Entscheidungen der EU, denen die deutsche Politik schon Vorfeld zugestimmt hat. Die USA haben Nordafrika, den nahen Osten, inkl. Afghanistan kriegerisch destabilisiert und Europa, vor allem Deutschland Flüchtlinge in Millionenhöhe „geschenkt“. Die EU Entscheidungen der letzten Jahre haben nur ein Ziel, Deutschland finanziell auszunehmen und zu schwächen. Stattdessen prügelt die dumme deutsche Politik auf Russland ein, das nach der Wende, die deutsche Wiedervereinigung, gegen den anfänglichen Widerstand von Frankreich und England, zugelassen hat, seine Truppen friedlich aus der ehemaligen DDR abgezogen hat, jahrzehntelang ein zuverlässiger… Mehr

Karl Moritz
11 Monate her

….ich bin auch für Europa , aber mit Sicherheit nicht so wie es schon zu lange läuft . EWG , okay , aber dieses korrupte Monster in Brüssel gehört weg .Schnellstens . Aber leider ist das mit den allermeisten Deutschen nicht zu machen . Die Mär vom Vorteil der EU und des Euros für Deutschland ist in vielen Köpfen betoniert , selbst der Wahnsinn den Balkan aufzunehmen , die Türkei , schreckt nicht ab . Am Sonntag wird ein weiter so gewählt . Jede Wette , ich hoffe ich vertue mich .

ketzerlehrling
11 Monate her

Mit der Einverleibung der Ukraine und anderer Shitholes wird die EU scheitern. Sie will es nur nicht wahrhaben und aus der Geschichte von längst vergangenen Imperien hat sie nichts gelernt bzw. wollen nichts lernen, weil sie sich für das Beste und Klügste halten, was die Menschheit hervorgebracht hat. Leider denkt das jede Generation und dabei werden sie nicht schlauer, zumindest nicht nach dem letzten WK, sondern verblöden zusehends.

Kaltverformer
11 Monate her

So wie sich die EU darstellt bleibt nur mehr deren Abschaffung und eine Restaurierung des EWR. Die Entscheidungen müssen wieder auf der nationalen Ebene fallen Und nicht von abgehobenen Leuten wie z. B. einem Karas (Österreich), in Brüssel. Für mich ist diese Person das Paradebeispiel einer abgehobenen, selbstverliebten, sich moralisch hochstehend fühlenden Polit-Drohne, die alles besser weiß und vor allem auch weiß, was für alle anderen gut ist. So jemand braucht keine Demokratie, so jemand ist gut aufgehoben in anderen Konstrukten. Wenn diese ganze abgehobene Politikerriege und die dazugehörenden linksgrünen Weltverbesserer sich in der Privatwirtschaft ihr Brot verdienen mussten, bzw.… Mehr

Biskaborn
11 Monate her

Die AfD hat Recht, weg mit der EU in dieser Form hin zu einer Wirtschaftsunion bestehend aus Nationalstaaten, ansonsten sind diese EU und ihre Mitgliedsstaaten verloren. Die jetzt neu hineindrängen haben nur ein Ziel: Geld zu erhalten, Geld des deutschen Steuerzahlers!

Ohanse
11 Monate her

Jetzt 100 ha Land in der Ukraine kaufen und anschließend von Agrarsubventionen sorgenfrei leben. Hat ja schon einmal funktioniert: Beim Ausverkauf der landwirtschaftlichen Flächen in den neuen Bundesländern nach 1989.

Klaus Uhltzscht
11 Monate her

De EU-Osterweiterung um die Ukraine und Georgien geschieht auf Wunsch der USA. Mit diesen Gebieten soll Russland im Süden militärisch umklammert, und Europa und Russland dauerhaft verfeindet werden. Aserbaidschan kommt wohl auch noch dazu. Der Eurovision Song Contest wurde dort in der Hauptstadt Baku ja bereits durchgeführt, und niemand hat sich gewundert. Von der Korruption her sind alle Regierungen der genannten Länder mit dem EU-Apparat kompatibel.

BK
11 Monate her

Das sind Bestrebungen, auf die ich keinen Einfluss habe und demokratisch nicht legitimiert sind. Wie etwa auch die Einführung des Euro, bei der niemand gefragt wurde. Wohin es uns geführt hat, sieht jeder, der irgendwo beim Italiener eine Kugel Eis bestellt. Bei Zahlung von 1 Euro gibt es nicht mal mehr Wechselgeld zurück. Im Gegenteil, unter 1,50 bis 2,00 Euro gibt es kein Eis. Von 0,5 DM auf 2,00 Euro, sind die Preise in 20 Jahren auf das Achtfache gestiegen. Bei den Löhnen sieht das leider anders aus. Die Mehrheit dürfte nicht mal das Doppelte an Nettoverdienst haben. Und machen… Mehr

Walter81
11 Monate her
Antworten an  BK

Bisher sind 77% der Wähler mit diesem Zustand einverstanden, denn die Tagesschau hat ihnen einprogrammiert, dass ja alles in Ordnung sei.

Vallis Blog
11 Monate her

Seit wann will die EU schon die unsinnige und nervige Zeitumstellung abschaffen? Aha! Soviel zu dem anderen Quatsch.

Sonny
11 Monate her

20 Milliarden in die Tonne. Jedes Jahr. Für praktisch nichts außer Bevormundung, Restriktionen, Verboten und reale Wirtschaftsvernichtung.
Die EU-Bürokratie hat ihre Daseinsberechtigung längst überschritten.
Dereinst wird es heißen, die einzigen, die das erkannt und die Reißleine gezogen haben, waren die Briten. Die haben per Volksentscheid für ihren eigenen Schutz gesorgt.
Wo werden wir von unserer Politvertretern noch vor irgendwas wirklich geschützt? Und damit meine ich nicht irgendwelchen imaginären Sch…
Nirgends. Das Gegenteil ist der Fall. Die Deutschen sind ohne eine einzige, offene Kriegserklärung von ihren eigenen Vertretern zum Abschuss freigegeben worden.

Last edited 11 Monate her by Sonny