EZB-Präsidentin Lagarde ist mit ihrem Latein am Ende

Die Aussagen von Christine Lagarde bei ihrer jüngsten Pressekonferenz offenbaren nicht nur die fachlichen Lücken der EZB-Präsidentin, sondern auch, dass die EZB kaum noch strategische Reserven hat.

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Auf der Pressekonferenz, die der EZB-Ratssitzung vom 4. Juni folgte, kam die beste Frage zuletzt und zwar von einem französischen Journalisten. Dieser hatte formvollendet Christine Lagarde mit Madame la Présidente angeredet und sie höflich gefragt, warum sie während der Pressekonferenz eine ganze Reihe von Fragen dadurch beantworte, dass sie vorgefertigte Manuskripte ablas. Zwar war auch durch diese Frage das Selbstbewusstsein der EZB-Präsidentin kaum zu brechen. Doch dass nun gerade aus dem Herkunftsland von Frau Lagarde ihre Kommunikationsstrategie hinterfragt und ihre Unsicherheit bloßgelegt wurde, schien ihr alles andere als recht. Daher wusste sie sich auch nicht anders zu helfen, als trotzig auf ihr Recht zu pochen, zur Feinjustierung ihrer Kommunikation Texte repetierend abzulesen.

Alle Zuhörer hatten die Stoßrichtung der Hinterfragung des AFP-Journalisten verstanden. Einmal mehr wirkte Christine Lagarde fachlich von den zu erörternden Fragen überfordert. Gewiss versteht sie es, Englisch mit einem forciert englischen Akzent zu sprechen. Diese phonetische Anstrengung für eine Französin ist auch nach vielen Jahren der Erfahrung in Amerika immer noch lobenswert. Doch in der Sache zeigte die Dame aus Paris einmal mehr erhebliche Unsicherheiten. Warum weniger als drei Monate nach dem Start des PEPP – also des pandemischen Nothilfe-Anleihenkaufprogramms – dasselbe um ein halbes Jahr verlängert werden müsse und um sage und schreibe 600 Milliarden Euro aufgestockt wird, vermochte die EZB-Präsidentin genauso wenig zu beantworten wie die Frage, die aus Italien kam, ob denn diese Aufstockung im Ergebnis angesichts der gegenwärtigen monatlichen Kaufsummen ausreichen werde.

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Am Vortage hatte nämlich die EZB die Summen der im Rahmen des PEPP-Programms erworbenen Anleihen veröffentlicht. Wer innerhalb von zwei Monaten Laufzeit des PEPP bereits ein Volumen von 233 Milliarden Euro-Geld schöpft, um Staatsanleihen zu kaufen, der ist noch vor Ende des Jahres bei einem derartigen monatlichen Kaufrhythmus an der Obergrenze von 750 Milliarden Euro angelangt. Daher war niemand darüber verwundert, dass eine Aufstockung des PEPP auf insgesamt 1,35 Billionen Euro verkündet wurde. Rätselhaft bleibt auch nach der evasiven Kommunikation der EZB-Präsidentin, was die Europäische Zentralbank damit meint, dass das Programm – zeitlich flexibel – über unterschiedliche Klassen von Vermögenswerten und unterschiedliche Länder gehandhabt werde. Bisher war aus den veröffentlichten Zahlen nur deutlich geworden, dass der Kapitalschlüssel, der allen bisherigen Aufkaufprogrammen zugrunde gelegt worden ist, nicht mehr eingehalten wird. Ob damit – wie das Urteil auch des Europäischen Gerichtshofs vom 11.12.2018 nahelegt – die Grenze zur verbotenen monetären Staatsfinanzierung gemäß Art. 123 AEUV überschritten worden ist, wagte keiner der Hof-Journalisten zu fragen. Solche Hinterfragungen sind bei den Pressekonferenzen von Lagarde unzulässig.

Dafür spielte das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum PSPP vom 5.5.2020 eine umso größere Rolle. Gleich dreimal wurde Frau Lagarde hierzu mit der Frage konfrontiert, was die EZB hierauf zu antworten gedenke. Und dreimal las sie wie eine Nachrichtensprecherin im DDR-Fernsehen denselben Text ab. Sie wies darauf hin, dass – wie bereits aus anderen Stellungnahmen bekannt – die EZB der Meinung ist, nur der Rechtsprechung des EuGH zu unterliegen, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5.5.2020 sich lediglich an Bundesregierung und Bundestag wende und sie zuversichtlich sei, dass eine befriedigende Lösung gefunden werde, die den Vorrang des europäischen Rechts und die Unabhängigkeit der EZB garantiere.

Natürlich durfte auch die Frage des Financial Times-Statthalters in Frankfurt, Martin Arnold, nicht fehlen. Genau um 15:03 Uhr gab er mit der gewohnten Vertrautheit seiner Gesinnungsgenossin Lagarde erneut Gelegenheit, sich zum BVerfG-Urteil in der gewohnten Art zu äußern. Dass er – wie bereits in den vorherigen Konferenzen – die EZB-Präsidentin mit ihrem Vornamen anredete, enthüllte einmal mehr die besondere Affinität zwischen EZB und dem Flaggschiff des angelsächsischen Finanzjournalismus. Natürlich durfte auch der Diskurs über die unzureichend hohe Inflationsrate nicht fehlen. Dass in den letzten zwei Monaten – nicht zuletzt wegen der niedrigen Energiepreise – die Referenz-Inflationsrate 0,1 und 0,2 % pro Monat betrug, hätte indessen einer reflektierten Auseinandersetzung bedurft. Wie soll bei einer Rezession von historischem Ausmaß – mit einem erwarteten Rückgang des Bruttosozialproduktes in der Eurozone von ca. 9 % im Jahre 2020 – die Inflationsrate anders ausfallen, als sie in den letzten beiden Monaten ausgefallen ist?

Das EZB-Urteil des Verfassungsgerichts legt Feuer ans Kartenhaus
Geradezu unvorsichtig waren die Ausführungen der Präsidentin zur Ermutigung der Banken, ihre Kreditlinien gegenüber Unternehmen und Haushalten auszudehnen. Wie kann die Chefin einer Zentralbank eine solche Empfehlung aussprechen, zumal sie gleichzeitig auch noch Chefin der EZB-Bankenaufsicht ist, obgleich abgesehen werden kann, dass die Ausfallrate der Kreditrisiken bei den europäischen Kreditinstituten spätestens im Jahre 2021 dramatisch steigen wird?

Gewiss, Madame Lagarde versteht es, ihre fachlichen Defizite durch geschickte Vorbereitung der schriftlichen Antworten zu übertünchen und nach außen hin ein operatives Selbstbewusstsein an den Tag zu legen, das angesichts ihrer realen Kompetenz zunehmendes Erstaunen hervorruft. Doch sind die Ansagen der EZB-Präsidentin mehr und mehr ein Eingeständnis nicht nur ihrer fachlichen Lücken, sondern auch des Umstandes, dass die EZB kaum noch strategische Reserven hat. Die Stunde der Wahrheit kommt und sie kommt auch für Madame Lagarde. Zwar besteht sie darauf, dass im EZB-Rat permanent über die Effizienz der angewandten geldpolitischen Instrumente diskutiert werde. Doch wissen nicht nur Insider, wie die Machtverhältnisse im EZB-Rat sind und welcher Einfluss den traditionellen Hartwährungsländern noch verblieben ist. Die Geldschöpfungsbombe tickt weiter und Madame Lagarde spielt weiter „va banque“. Es dürfte über kurz oder lang ein für alle Europäer teures Erwachen geben.


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Kommentare ( 58 )

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Marie-Jeanne Decourroux
3 Jahre her

Wie jede realitätsverleugnende Ideologie trägt die Eurologie den Keim ihrer Selbstzerstörung – des eigenen Untergangs – in sich. 

Bis es soweit ist, haben sie ihr Schäfchen im Trockenen. Was kümmert sie da der sachwertlose gemeine Plebs!

armin wacker
3 Jahre her

Habe ich nicht bei Markus Grall herausgehört, dass die EZB gar nicht mehr anders kann, als immer mehr Geld in den Kreislauf zu pumpen? Das Schlimme ist, mit einem Hochmut im Gesicht, dass man meinen könnte, sie wæren Gott.

IJ
3 Jahre her

„Frau Lagarde ist mit ihrem Latein am Ende“. Ich glaube, sie hatte nie eines. Judex non calculat. Wir im Euro-Land können im Augenblick froh sein, dass andere – allen voran die US-Fed genausos große Fehler machen, wie die EZB. Daher ist der Euro-Kurs noch nicht ins Bodenlose gestürzt. Allerdings haben die US Fed und andere westliche Zentralbanken die Fähigkeit, ihre Fehler zu korrigieren. Diese Fähigkeit spreche ich der EZB unter Frau Lagarde ab. Die Politisierung des Euro und der EZB ist unter Merkel/Macron soweit vorangeschritten, dass es vor einer Rückbesinnung auf eine unabhängige, restriktive Geldpolitik erst zum Zusammenbruch kommen muß… Mehr

Talleyrand
3 Jahre her

Fachkräftemangel wo man auch hinsieht.

Cosa nostra
3 Jahre her

Wenn die Lagarde mit ihrem Latein am Ende ist, dann muss man sich einfach nur einen klassischen Einbrecher mit der Maske vor einem Tresor vorstellen, den er nicht aufbekommt.

HGV
3 Jahre her

Niemand ist hier am Ende mit dem Latein. Die Notenpresse schaufelt weiter Geld in den Markt, in der Hoffnung, dass irgendwann eine Inflation kommt. Der „point of no return“ ist mittlerweile überschritten. Solange es nicht relevante Gegenwerte in Sachanlagen und Wirtschaftsgütern gibt, wird sich diese Spirale immer weiter drehen. Der große Plan der EU, den Dollar als Leitwährung abzulösen, war bereits mit dem Beitritt der der Italiener und Griechen ausgeträumt!

Cosa nostra
3 Jahre her
Antworten an  HGV

87 Milliarden Kosten für Flüchtlinge seit 2015, die zu einem erheblichen Teil unter totalem Kaufkraftverlust in die „Heimatländer“ abgeflossen sind und sicher nicht entsprechend vom Geldmarkt genommen wurden – und das nur für Deutschland.

Aber liegt ja alles an Corona….

Im Gegenteil – was ist passiert, daß der Verlust dieser Summen nicht weiter aufgefallen ist?

Nibelung
3 Jahre her

Frauen sind keinesfalls die besseren Männer, das sieht man an Merkel, von der Leyen und Lagarde. Mit der Übernahme der germanischen Hose unterlag das weibliche Geschlecht der falschen Annahme, man hätte nun den Status der Männer erreicht und viele sind ja schon wieder zurückgewechselt um ihre angestammte Weiblichkeit zu betonen und nur die heutigen Sufragetten tragen noch das marzialische in sich, im Glauben sie könnten die Welt verbessern und übersehen dabei völlig, daß ihre Möglichkeiten in letzter Konsequenz beschränkt sind. Das hat etwas mit dem Wesen zwischen Männern und Frauen zu tun und solange die Herren der Schöpfung nicht in… Mehr

Zwischenrufer
3 Jahre her

Sagen wir es mit Alan Greenspan, dem ehemaligen Chef der US-Notenbank: „Der Euro wird kommen, aber er wird keinen Bestand haben.“

Medienfluechtling
3 Jahre her

Hauptsache die Frisur sitzt. Scheint aus derselben Fabrik, wie die von Uschi zu kommen… Es muss ein Traum für Politikerinnen sein sich so 700,-€ Frisöre bezahlen und andere ihre Antworten ausarbeiten (sich beraten) lassen zu können. Denn das von den beiden einer eine Ahnung hat bezweifel ich…

Epouvantail du Neckar
3 Jahre her
Antworten an  Medienfluechtling

Einspruch! Da, wo die Lagarde ihr Metier erlernt hat, versteht man etwas von der Sache. Leider geht das meistens nicht zugunsten von allen aus.

twent80
3 Jahre her

Der Autor ist für seine polemischen Artikel. Da bildet dieser Artikel keine Ausnahme. Übrigens: Die Präsidenten der Bundesbank haben nie eine Pressekonferenz nach Zinsentscheidung abgehalten.

reiner
3 Jahre her
Antworten an  twent80

was ist denn das für ein statement? was ist polemisch? 2 idiotische sätze zeugen von wissen.