Voßkuhles Vorstoß zur Klarnamenpflicht im Netz – Vom Hüter der Verfassung zum Meinungsmacher?

Andreas Voßkuhle befürchtet, die Deutschen könnten „ihre eigene Demokratie abwählen“ und warnt vor Koalitionen mit der AfD. Wegen der „Verrohung im Netz“ bringt er eine Klarnamenpflicht ins Spiel. Als ehemaliger Verfassungsgerichtspräsident hätte er sich diese beiden jüngsten Wortmeldungen besser gespart – zumal das Ansehen der dritten Gewalt eh schon ramponiert ist.

picture alliance / epd-bild | Christian Ditsch
Andreas Voßkuhle, ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts

Die beiden jüngsten Wortmeldungen von Andreas Voßkuhle, von 2010 bis 2020 Präsident des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), waren überflüssig und seines früheren Amtes nicht würdig. Gewiss ist es das Recht auch hochrangiger vormaliger Amtsträger, sich in öffentliche Debatten einzumischen. Aber zumal als Amtsträger, der inkl. Vizepräsidentenamt über zwölf Jahre hinweg Neutralität zu wahren hatte, sollte man sich mit Rücksicht auf das ohnehin ramponierte Ansehen der dritten „Gewalt“ Zurückhaltung auferlegen.

Voßkuhles Amtsvorgänger Hans-Jürgen Papier (BVerfG-Präsident von 2002 bis 2010, zuvor „Vize“ ab 1998) äußert sich ebenfalls immer wieder öffentlich, aber in erfreulicher Unabhängigkeit alles andere als „mainstreamig“. Etwa in Sachen Asyl, Richterwahl, Staatsschulden. Nachfolger Voßkuhle sieht sich eher dem Mainstream verpflichtet. Soeben, am 27. Dezember, befürchtete er, die Deutschen könnten „ihre eigene Demokratie abwählen“. Voßkuhle warnte vor Koalitionen mit der AfD, die den „Parlamentarismus westlicher Prägung abschaffen“ wolle.

Nicht ganz am Rande: Bei Voßkuhle hat die umstrittene, mittlerweile gewählte neue Verfassungsrichterin Ann-Katrin Kaufhold promoviert und habilitiert. Beide firmieren als Co-Autoren. Kaufhold ist jetzt Vorsitzende der BVerfG-Kammer, die gegebenenfalls für ein AfD-Verbot zuständig wäre.

Apropos „Meinungsfreiheit“. Auch dazu weiß Voßkuhle etwas. Wegen der „Verrohung im Netz“ bringt er eine „Klarnamenpflicht“ im Internet ins Spiel. Das sagte er in einem Interview mit dem „Tagesspiegel“ vom 25. Dezember. Voßkuhle räumte ein, dass eine Klarnamenpflicht „nicht ganz einfach“, aber „verfassungsrechtlich zulässig“ sei.

Pro/Contra Klarnamenzwang

Zustimmung bekommt Voßkuhle mit seiner Forderung vom bayerischen Digitalminister Fabian Mehring (Freie Wähler). Mehring sieht in einer Klarnamenpflicht keinen unverhältnismäßigen Eingriff in Grundrechte. Es gehe, so Mehring, nicht um Zensur, sondern um einen wehrhaften Rechtsstaat. Hass und Hetze dürften sich nicht länger hinter Anonymität verstecken. Mehring argumentiert sodann quasi-volkspädagogisch: Eine Klarnamenpflicht in den sozialen Medien könne die Diskurskultur im Netz zivilisieren. Wer wisse, dass sein Handeln nicht folgenlos bleibe, verhalte sich verantwortungsvoller.

Berlins Justizsenatorin Felor Badenberg (CDU) sprach sich für eine „ergebnisoffene, aber zielgerichtete Debatte“ über eine Klarnamenpflicht aus. Ihr bereite „die zunehmende Enthemmung anonymisierter Meinungsäußerungen im Internet“ große Sorge. Beleidigungen und Drohungen seien längst kein Randphänomen mehr, sondern „prägen in Teilen den digitalen Diskurs“, sagte Badenberg dem „Tagesspiegel“.

Unterstützung für die Einführung einer Klarnamenpflicht signalisierte auch der designierte Vorsitzende der Bundespolizeigewerkschaft, Heiko Teggatz: „Durch eine Verpflichtung, in den sozialen Medien einen Klarnamen zu verwenden, werden ganz sicher Straftaten verhindert und eine nachhaltige Strafverfolgung gewährleistet“, sagte Teggatz dem Handelsblatt. Teggatz sieht mit einer Klarnamenpflicht auch die Arbeit der Ermittlungsbehörden erleichtert.

Aus der SPD, die Voßkuhle übrigens 2008 auf ihrem Ticket ins Amt gebracht hatte, kommt Widerstand gegen Voßkuhles Vorstoß. Laut Justizministerin Stefanie Hubig (SPD) soll im Netz weiterhin jeder das Recht haben, anonym zu posten. Strafbare Äußerungen sollten jedoch konsequenter verfolgt werden. Hubig wörtlich: „Eine staatlich verordnete Klarnamenpflicht im Internet lehne ich ab. Wer eigene Meinungen oder Erfahrungen anonym oder unter Pseudonym äußern möchte, ist dafür keine Rechenschaft schuldig“, sagte sie dem Tagesspiegel. Hubig ergänzte, das „berechtigte Interesse an dauerhafter Anonymität“ ende jedoch dort, „wo Straftaten begangen werden“. „Auch im digitalen Raum hat die Meinungsfreiheit Grenzen“, sagte Hubig. Es sei deshalb wichtig, „dass kriminelle Äußerungen im Internet verfolgt werden und Täter zur Rechenschaft gezogen werden können“.

Dafür brauche es aber keine Klarnamenpflicht. Wenn die Identität von Straftätern im Nachhinein ermittelt werden könne, sei das ausreichend. Bei aller Gegenposition von Hubig gegenüber Voßkuhle: Hubig möchte zumindest die Ermittlung gegen Strafbares im Netz erleichtern. Soeben legte sie einen Gesetzentwurf vor, der die Internetanbieter zur Speicherung von IP-Adressen für drei Monate verpflichten soll. Ziel sei eine bessere Bekämpfung von Sexualstraftätern und anderen Kriminellen.

Wie ist aktuell die rechtliche Lage?

In Deutschland gibt es seit 2021 das Telekommunikation-Digitale-Dienste-Datenschutz-Gesetz (TDDDG). Dort heißt es in § 19 (2): „Der Diensteanbieter hat die Nutzung von Telemedien und ihre Bezahlung anonym oder unter Pseudonym zu ermöglichen, soweit dies technisch möglich und zumutbar ist. Der Nutzer ist über diese Möglichkeit zu informieren.“

Das Landgericht Berlin hatte mit Urteil vom 16. Januar 2018 bereits zuvor die in den Nutzungsbedingungen von Facebook enthaltene Forderung, Profile ausschließlich mit Klarnamen und zutreffenden Daten anzulegen, für unwirksam erklärt, weil sie gegen deutsches Datenschutzrecht verstoße. Dieses Urteil wurde durch Urteil vom 20. Dezember 2019 vom Kammergericht als Berufungsgericht bestätigt. Das Kammergericht verneinte die Erforderlichkeit der Datenverarbeitung im Sinne der Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO).

Das Oberlandesgericht München hingegen entschied am 8. Dezember 2020, dass ein Nutzer unter der Geltung der Datenschutz-Grundverordnung auf Facebook kein Recht auf ein Pseudonym habe. Im Revisionsverfahren entschied der Bundesgerichtshof letztinstanzlich, dass die Klausel Facebooks, die den Klarnamenszwang begründete, illegal sei, die vorangehenden Urteile also aufzuheben seien.

Vorsicht und Umsicht sind geboten

Gewiss kann man sagen: Wer sich öffentlich äußert, der soll so mutig sein, „Gesicht“ zu zeigen. Sich hinter einer Maske, also einer Pseudonymität, zu verstecken, ist alles andere als mutig. Die Debatte um eine Klarnamenpflicht muss dennoch kritisch geführt werden. Kritiker eines Klarnamenzwangs warnen zu Recht vor negativen Auswirkungen. Dabei spielen folgende Überlegungen eine Rolle:

  • In der Geschichte hätte es viele freiheitlich-revolutionäre Entwicklungen und Errungenschaften nicht gegeben, wenn Freiheitskämpfer sich bzw. ihren Namen nicht hätten „verstecken“ können.
  • Es habe schon seinen Grund, warum ein Klarnamenzwang vor allem in totalitären Regimen praktiziert wird: siehe China, Russland, Iran oder Nordkorea.
  • Ein Klarnamenzwang schränke vor allem die Möglichkeiten der Beteiligung an Debatten im Netz für Minderheiten ein. Rhetorische Frage: Könnten sich Mitbürger mit erkennbar jüdischem Namen dann noch sicher fühlen?
  • Arbeitgeber und Dienstherren im öffentlichen Dienst könnten bei einem Klarnamenzwang geradezu Nutzerprofile zum Nachteil bzw. als Anlass zu repressiven Maßnahmen gegen einen Angestellten/Beamten erstellen. Viele Gruppen würden mit einer Klarnamenpflicht von öffentlichen Debatten ausgeschlossen.
  • Die Pluralität der Meinungsbildung würde schwinden. Das bedeutete noch mehr Mainstream.
  • Die vorhandenen Möglichkeiten des Rechtsstaates, im Netz vorhandene Verstöße gegen das Strafgesetzbuch zu ermitteln und zu ahnden, reichen aus. Mit Klarnamen würde diese Ermittlung zwar einfacher, aber keineswegs unmöglich. Vor allem würde eine Klarnamenpflicht noch mehr Begehrlichkeiten von aktivistischen NGO-Denunziations- und Meldestellen (amtlich: Trusted Flagger) wecken.

Auch in der Frage eines Klarnamenzwangs sollte ein leider zu oft in Vergessenheit geratener einstimmiger Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 28. November 2011 Leitgedanke sein. Dort heißt es:

„Vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit umfasst sind zum einen Meinungen … Sie fallen stets in den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, ohne dass es dabei darauf ankäme, ob sie sich als wahr oder unwahr erweisen, ob sie begründet oder grundlos, emotional oder rational sind, oder ob sie als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt werden … Sie verlieren diesen Schutz auch dann nicht, wenn sie scharf und überzogen geäußert werden … Der Meinungsäußernde ist insbesondere auch nicht gehalten, die der Verfassung zugrunde liegenden Wertsetzungen zu teilen, da das Grundgesetz zwar auf die Werteloyalität baut, diese aber nicht erzwingt.“

Dieser Beschluss wurde übrigens verantwortet von der 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts mit seinem damaligen Vizepräsidenten Kirchhof. Voßkuhle war damals bereits BVerfG-Präsident. Er solle sich dran erinnern.


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Kommentare ( 52 )

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52 Comments
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investival
1 Stunde her

Die leidigen Auswüchse im Internet wären überschaubar oder zumindest erträglich, würden juristische Spitzfindigkeiten einfach mal gleichermaßen in alle Richtungen exekutiert statt praktisch nur Richtung ‚rechts‘ und Opposition gegen letztendlich volkswirtschaftlichen UNsinn.

– Überhaupt ist das inflationierende 2erlei Maß, ausgerechnet wieder in Deutschland inzwischen leider in allen Staatsgewalten, das Problem schlechthin. Das sabotiert jeden positiven Fortschritt im Diskurs und damit auch nur eine Problembewältigung in welcher Sache auch immer.

kb
1 Stunde her

Demokratie in Deutschland wieder einmal im freien Fall – und der Allmann guckt – zum großen Teil – zu 😠

GefanzerterAloholiker
1 Stunde her

>>Voßkuhle warnte vor Koalitionen mit der AfD, die den „Parlamentarismus westlicher Prägung abschaffen“ wolle. << – In der BRD gibt es eine Reihe sehr privilegierter Positionen, Ämter. Dort hängt eine Gruppe von Menschen ab. Diese wissen ganz sicher alles besser und sprechen es sehr deutlich aus. – Damit bestärken sie ihr Sendungsbewußtsein untereinander. Man nennt das, „die Hackordnung wieder herstellen“. – Sebstredend ist das Zitat oben ein Zeichen von Unkenntnis. Denn Parlamentarismus ist kein Wert. Daher kommt das Wort Parlament im GG gar nicht erst vor. Das muss Herr V nicht berücksichtigen, weil es sich einfach nur um Hackordnung dreht. –… Mehr

Last edited 1 Stunde her by GefanzerterAloholiker
Peter Pascht
1 Stunde her

Anstatt sich um solche Neid-Bagatellen zu kümmern, wer tratscht über wen im Netz- – sollte Herr Voßkuhle und seine Richterkollegen sich um die „Rechtwahrung der Grundordnung“ kümmern, was ihr verfassungsmäßiger Pflicht-Auftrag ist. Insbesondere um die „Amtsanmaßung“ der EU-Gremien und EU-Bediensteten – Bestrebungen gegen die freiheitliche Grundordnung – die keine Beamten und keine Abgeordnete sind – sagt das BverfG, also die Richterkollegen des Herrn Voßkuhle. Aber Diäten und Pensionen kassieren wie Beamte und Abgeordnete. (*) Frau Ursula vd Leyen ist keine Amtsträgerin, weil „Sekretärin der EU-Kommission“ kein Amt ist, weil es einen EU-Staat nicht gibt. (**) EU-KOmmission und EU-Parlament sind keine… Mehr

Raul Gutmann
1 Stunde her

Ohne jede Häme muß leider daran erinnert werden, was Herr Voßkuhle zumindest zeit seines juristisch-beruflichen Wirkens war und offenkundig noch immer ist: Ein mittelmäßiger Jurist, dessen berufliches reüssieren in erster Linie seiner subalteren Grundhaltung entsproß.

Biskaborn
1 Stunde her

Eigentlich bin ich für eine Klarnamenpflicht wie z.B.bei „achgut“ praktiziert. Man sollte zu seiner Meinung stehen und sich nicht hinter einem Pseudonamen verstecken. Da allerdings zunehmend die Meinungsfreiheit eingeschränkt werden soll und Strafverfolgung schon dann möglicherweise droht wenn man die Regierung kritisiert, bekomme ich einen neuen Blickwinkel auf diese Debatte. Auf X bleibe ich immer höflich, möchte aber dort meinen tatsächlichen Namen besser nicht sehen!

Kuestensegler
1 Stunde her

Voßkuhle räumte ein, dass eine Klarnamenpflicht „nicht ganz einfach“, aber „verfassungsrechtlich zulässig“ sei.

Prima, und wann fordert er Namensschilder bei Demonstrationen – z. B. bei der Antifa und den Omas?

hansgunther
1 Stunde her

Die SPD-Knechte jeder ausgewiesenen oder vermuteten Intelligenzstufe versuchen, uns zu erhellen, mit ihrem antidemokratischen Feuerwerk täglich schon vor Mitternacht mit dem fahlen Licht ihrer Erleuchtung. Selbst die Rohrkrepierer, die sie täglich zünden, verpuffen im Grundrauschen der Demokratiezerstörung, landauf, landab. Im Lügen, Manipulieren und Dekonstruieren weltklasse, sonst eher unterste Kreisklasse. Den langen Schatten der Zerstörung und Gewalt in unserem Land sehen sie als das gute Werk der Sozialisten an. Hier schließt sich der Kreis zur Bolschewiki als rotem Racheengel im schwarzen Gewand und der gesamten CDU/CSU-Entourage, viele davon offenbar auferstanden aus dem Januszirkel der SED. Anders ist das alles nicht mehr… Mehr

Kassandra
1 Stunde her

Ich finde interessant zu wissen, wo Voßkuhle über seine „wissenschaftliche Arbeit“ hinaus weiter engagiert ist und wäre interessiert zu wissen, welche Gelder ihm daraus zufließen: https://de.wikipedia.org/wiki/Andreas_Vo%C3%9Fkuhle#Mitgliedschaften_in_Wissenschaftsorganisationen

Martin Mueller
1 Stunde her

Die Deutschen könnten „Unsere Demokratie“ abwählen Davor haben die Herrschaften Angst. Darum muss die AfD auf Teufel komm raus verteufelt werden, was die Herrschaften ja auch von Tag zu Tag mehr tun, je mehr Menschen in der AfD eine tatsächliche Alternative zur desaströsen Politik der letzten gut 10 Jahre sehen. Aber zu einer funktionierenden Demokratie gehört der stetige Wechsel der politischen Polarität, um die Demokratie in der Balance zu halten. In den USA funktioniert das sehr gut. Und wo das nicht mehr funktioniert, muss die Bevölkerung quasi politisch entmündigt, umzogen werden, muss Meinungsfreiheit und Demokratie demontiert und politisch korrekt justiert… Mehr

Last edited 1 Stunde her by Martin Mueller