Brüssel treibt die Landwirte auf die Straße

Brüssel treibt Europas Bauern auf die Straßen: erst Klimaauflagen, Kontrollen und erstickende Bürokratie, dann Mercosur mit Konkurrenz aus Ländern mit niedrigeren Standards. In Brüssel gingen Landwirte gegen die EU auf die Barrikaden.

IMAGO

Überschaubare, homogene Gruppen verstehen es, ihre gemeinsamen Interessen präzise zu formulieren und – wie mit einem Brennglas – auf den politischen Diskurs zu richten. Nur wenige Lobbygruppen verstehen es so gut, ihre Interessen quasi per Knopfdruck in handfesten Auseinandersetzungen und mit hoher medialer Wirksamkeit auf die Straße zu bringen wie die französische Agrarlobby.

Sehen wir einmal ab von den mit Millionensummen gepamperten Aktivistenbewegungen wie Fridays for Future, folgt deren Protest einem routiniert vorgetragenen Playbook, das man nur selten in anderem Kontext findet.

People are revolting against the EU. pic.twitter.com/9fS0hb1kVg

— Inevitable West (@Inevitablewest) December 19, 2025

Routinierte Protestkultur

Beinahe 10.000 Landwirte, maschinell unterstützt von 500 Traktoren, sorgten am Donnerstag und Freitag im Brüsseler EU-Quartier für mächtigRadau. Man kennt diese Bilder bereits: Traktoren dringen auf Polizeiabsperrungen ein, Pyrotechnik kommt zum Einsatz. Hin und wieder fliegen Steine.

Was nach Revolte aussieht, ist eine kontrollierte Eskalationsübung.

Initiator des Bauernprotests war der EU-Bauern- und Genossenschaftsverband Copa-Cogeca. Dessen Aufruf folgten 40 nationale Bauernverbände, die gemeinsam ihren Widerstand gegen das geplante EU-Mercosur-Handelsabkommen artikulierten. Sie argumentieren, dass eine Absenkung der Importzölle ungleichen Wettbewerb schaffe, da in Südamerika deutlich niedrigere Umwelt-, Klima- und Tierwohlstandards gelten als in der EU.

Gleichzeitig steht die Forderung der Landwirte im Raum, die europäischen Agrarsubventionen nicht weiter zugunsten anderer Politikbereiche abzuschmelzen und das Budget der gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) im neuen EU-Haushalt aufrechtzuerhalten.

Stichhaltiges Argument

Flüchtig betrachtet haben die Bauern ein stichhaltiges Argument auf der Hand. Wir kennen das aus zahlreichen Bereichen der Ökonomie und des täglichen Lebens: Die Brüsseler Regulierungsmaschine, angetrieben von ihrer grotesken Klimaideologie, zerreibt die Wettbewerbsfähigkeit der Euro-Wirtschaft mit einer schier unglaublichen Konsequenz. Da ist der Ruf nach Subventionen beinahe verständlich.

Nicht hinnehmbar ist jedoch, dass die führenden Eliten – dies gilt auch für die europäischen Landwirte – nicht den Mut aufbringen, zwei grundlegende Tatsachen zu akzeptieren: Erstens verlieren ihre Argumente sofort an Gewicht, wenn sie das Problem nicht an der Wurzel anpacken – an der Klimaideologie, die zu den Verzerrungen führt – aus Angst vor ihrem Subventionslehnsherrn Brüssel. Und zweitens müssen sie akzeptieren, dass es kein Recht gibt, den Staat für eigene Subventionen in einen Zwangsabgabenapparat umzubauen und dem Steuerzahler die Kosten der eigenen Existenz aufzubürden.

Auch das Argument der Versorgungssicherheit greift nicht: Die europäische Landwirtschaft ist sehr wohl in der Lage, die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Dies setzt jedoch eine grundlegende Deregulierung des Sektors voraus – womit wir wieder bei Punkt eins wären.

Die groteske Interventionsspirale Brüssels

Will man sich aus der vielfältigen Umklammerung des Brüsseler Regulators befreien, so kommt man nicht um eine Generalrevision der Politik vergangenen Jahrzehnte herum. Es ist ja beinahe grotesk. Seit einer gefühlten Ewigkeit lässt sich beobachten, wie die Interventionsspiralen Brüssels auf der einen Seite Überproduktion erzeugen, die mit Exportsubventionen auswärtige Märkte unter Druck setzen, auf der anderen Seite jedoch enorme Knappheiten verursachen, die zu massiven Preissteigerungen in der Lebenshaltung führen.

Fast 20 Prozent der deutschen Agrarflächen werden inzwischen für Biokraftstoffe genutzt oder stillgelegt, um Platz für Solar- und Windenergie zu schaffen – ein Aspekt, der in der öffentlichen Debatte oft übersehen wird. Gleichzeitig profitieren die europäischen Landwirte weiterhin von massiven Subventionen: Aus dem Agrarbudget flossen in diesem Jahr rund 60 Milliarden Euro direkt an die Betriebe, nationale Förderung ist hier nicht mit eingerechnet.

Das ideologische Wirrwarr, das Brüssel gemeinsam mit seinen ideologisch unterworfenen Filalhauptstädten in der EU erzeugt hat, hat den europäischen Agrarsektor auf unterschiedlichen Ebenen tief mit der Subventionsmaschine der EU verwoben. Da wirkt der Ruf nach Freihandel geradezu unzeitgemäß. Ganz gleich, was erzeugt werden soll, ob Windenergie, Solarkraft oder Biokraftstoffe – stets gibt der Staat die Richtung vor, manipuliert mit Subventionen, Preis- und Absatzgarantien, dass sich die Balken biegen. Jede ökonomische Entscheidung auf der Mikroebene ist unweigerlich mit dem unmittelbaren Ruf nach Subventionen verbunden. Das Denken in freien Marktprozessen ist praktisch eliminiert worden.

Das Sterben der kleinen Betriebe

Eine Folge dieser an massive Regulierungsarbeit gekoppelten Beihilfekultur ist das Sterben kleiner Landwirtschaftsbetriebe, die in den Wellenschlägen des Regulators untergehen. Seit dem Jahr 2000 hat sich die Zahl der Landwirtschaftsbetriebe allein in Deutschland von etwa 450.000 auf rund 250.000 reduziert.

Die Großen können sich die Regulierung leisten: Sie arbeiten professionell innerhalb des Förderregimes und passen sich schnell an neue politische Zielvorgaben an.

Kleine Landwirtschaftseinheiten spüren Brüssels Klimaregulierung unmittelbar im täglichen Betrieb: Bürokratie, Dokumentationspflichten und Kontrollen binden Zeit, Kapital und Nerven, die in den Betrieb fehlen. Während große Höfe Kosten und Aufwand auf viele Hektar und Mitarbeiter verteilen, werden Familienbetriebe über Gebühr belastet.

Auch hier zeigt sich der längst verwurzelte korporatistische Geist, mit dem eine politische Elite Großbetriebe indirekt in eine wettbewerbsstarke Position manövriert. Der entstehende Skaleneffekt ist für die Marktstruktur fatal – der Wettbewerb wird eliminiert. Politischer Protest reduziert sich auf das Sagbare innerhalb des von der politischen Zentrale vorgegebenen Rahmenwerks.

Subventionen verzerren Wahrnehmung

Und so muss man den Brüsseler Protest der Landwirte als ein klares Signal an die Politik verstehen: „Wir folgen eurer Leitlinie, aber ihr müsst uns dafür bezahlen.“ Folgerichtig reagierte die Politik: Angeführt von der französischen und italienischen Agrarlobby verschob man die Entscheidung über das Mercosur-Abkommen erst einmal auf den kommenden Monat. Außerhalb des EU-Kosmos wird ein solches Verhalten als unprofessionell, unseriös und egozentrisch wahrgenommen.

Das Problem der Subventionspraxis liegt darin, dass der ökonomische Schaden, der durch immer neue Interventionen in den Markt entsteht, über die Zeit gestreckt auf Millionen Köpfe verteilt wird – Millionen von Steuerzahlern, die am Ende zum einen den Subventionsetat finanzieren müssen und zum anderen nicht in den Genuss günstigerer Agrargüter kommen, die im Falle eines freien Handels den Weg nach Europa fänden.

Die mächtige Agrarlobby ist ein Produkt der Nachkriegszeit, als es galt, die Versorgungssicherheit nach dem Krieg zu garantieren. Seit der Einführung der Gemeinsamen Agrarpolitik 1962 behauptet sie sich mit bemerkenswert robuster Standhaftigkeit und beinahe militärischer Einsatzbereitschaft im politischen Prozess auf Ebene der EWG und später der EU. Sie ist zu einer asymmetrischen Kraft angesichts ihrer ökonomischen Bedeutung geworden.

Der Konsument besitzt in diesem politischen Umfeld allerdings keinen Advokaten, der seine Interessen wuchtig in den Medien und auf politischer Ebene vertreten würde. Er darf den Budenzauber mit seiner Arbeitskraft bezahlen.

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