Neudeutsch – Evolution des Guten

Korrektes Lesen und Schreiben ist eine unliebsame Nebensächlichkeit. Ein alter blonder Zopf. Wo sitzen die klugen Köpfe, die da entschieden Abhilfe schaffen? Genau, im Familienministerium! Dort empfiehlt man „Leichte Sprache“.

© Adam Berry/Getty Images

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Eine Meldung am 20. Feb. 2017 um 11:55 Uhr ging beispielsweise so:

„Lesen und Schreiben – wird an vielen #Grundschulen in #Frankfurt zum Nebenfach. Viele #Lehrer müssen vor allem erziehen und integrieren.“

Viele kommentierten. Und unter jedem Kommentar folgte noch eine „Unterhaltung“ mit noch mehr Kommentaren, denen dann wieder einen Unterhaltung folgte usw. Prinzip stille Post also.

Aber wie ging noch mal die Ursprungsmeldung von ZDF Heute? Da hieß es nämlich, dass in Frankfurt Lesen und Schreiben an Grundschulen eine Nebenfach geworden sei, weil die Lehrer vor allem erziehen und integrieren müssten, also Arbeit leisten, die ja normalerweise gesamtgesellschaftlich in den Familien und der Nachbarschaft passiert. Und das, obwohl im Zuge der Einwanderungs- und Flüchtlingskrise versprochen wurde, mehr Lehrer einzustellen.

Alles nur Lippenbekenntnisse in verdrehtem Politikerdeutsch? Was versprach der nun abgedankte Oberlehrer Sigmar Gabriel noch 2016 der Frankfurter Rundschau?

„Geht die Bundestagswahl 2017 verloren, dürfte das für Gabriel das Ende seiner Karriere bedeuten. Ganz fremd ist ihm der Gedanke offenbar nicht. In Goslar berichtet er von seiner Zeit in der Erwachsenenbildung, als er Spätaussiedlern Deutsch beibrachte. Der Arbeitsvertrag ruht nur: ‚Ich könnte, wenn alles schief geht, sofort wieder anfangen‘, sagt Gabriel. Heute würde er Flüchtlinge unterrichten.“

Vielleicht sollte ihn mal einer dran erinnern.

Aber vielleicht irren wir uns auch. Möglicherweise ist korrektes Lesen und Schreiben lernen der deutschen Sprache längst eine unliebsame Nebensächlichkeit. Ein alter blonder Zopf. Wer könnte so denken? Wo sitzen die klugen Köpfe, die so etwas wissen? Genau, im Familienministerium! Dort empfiehlt man „Leichte Sprache“.

Quasi als Übergangslösung hin zu einer glücklicheren, weil nun gemeinschaftlich defizitären Gesellschaft. Gewissermaßen als Appetizer bekommt man zunächst das Ministerium selbst erklärt:

„Die Internet-Seite ist vom Bundes-Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Das kurze Wort dafür ist BMFSFJ. So spricht man das: bee emm eff ess eff jott.“

(LMAA heißt übrigens auch was, das man besser nicht sagt, aber unverfänglicher so sprechen könnte: ell emm ahh ahhhhhh!)

Als Nächstes erfahren wir, dass man mit „Leichter Sprache“ viel näher an der Demokratie dran ist. Klar, wenn ich zu jemandem spreche wie zu einem Kind, dann kann es sein, dass mich auch ein Erwachsener auf dem Niveau eines Kindes versteht. Verstehen Sie?

Und auch unsere Demokratie wird erklärt. Hier wäre es allerdings günstig, im Brabbeldeutsch wenigstens faktisch korrekt aufzutischen:

„Damit jeder mit-entscheiden kann: Die Menschen in Deutschland wählen Politiker. Politiker arbeiten in der Bundes-Regierung von Deutschland. Sie entscheiden zusammen wichtige Sachen. Für alle Menschen in Deutschland. Zum Beispiel Gesetze. Oder Sachen mit Geld.“

Nein, liebes Ministerium, nicht jeder kann mitentscheiden, sondern lediglich die Wahlberechtigten. Die wählen auch die Politiker, na ja, mehr die Parteien. Und die wenigstens von denen arbeiten dann in der Bundesregierung usw.

Klar, so ein „Demokratie-leicht-gesprochen-Diskurs“ will auch bebildert sein wie ein lustiger Comic. Das erinnert Sie an was? Genau! An unsere heiß geliebte Baby & Familie, dieses Gratisblättchen mit den Amadeu-Antonio-Stiftung gepimpten sexy Blondzöpfchen. Deutschmädels, die zwar lecker anzuschauen sind, aber in Wahrheit doch nur böse Nazi-Tussen sind, die man am Blondzopf erkennen kann, die wohl am liebsten im Kindergarten an die Kleinen Hakenkreuzfähnchen verteilen würden – aber da stehen die Erzieherinnen jetzt dank Baby & Familie Gewehr bei Fuß!

Nun ist die Evolution des Guten weiter vorangeschritten: im Kursus für Flachzangen-Deutsch hat unsere Brünhilde aus Baby & Familie nun Abbitte geleistet und ihren linken Arm um einen traurig schauenden Mann mit Turban gelegt. Sie freut sich ganz dolle. Er allerdings weiß, seinem Blick nach zu urteilen, noch nicht so ganz, was von der konvertierten Nazi-Göre zu halten ist, die da so konkret auf Tuchfühlung geht.

Und wie lautet der dazugehörige Text im Kasperl-Deutsch?

„Und alle Menschen sollen sich gut verstehen. Und etwas über andere Menschen lernen. Alle müssen zusammen-halten: Damit kein Mensch in Deutschland Angst haben muss. Und damit alle gut zusammen-leben können.“

Man stelle sich mal theoretisch vor, die Macher dieser Internet-Seite (welche Werbeagentur hat’s gemacht? Wer hat den Etat gehenselt?) hätten stattdessen so einen gesterndeutschen Sprech aus der Kultur-Mottenkiste ausgewählt:

„Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille

sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein,

geht durch der Glieder angespannte Stille –

und hört im Herzen auf zu sein.“

Nein, das ist nicht nur für integrationsferne unerzogene Grundschüler völlig unzumutbar. Dann doch besser regelmäßige Neuigkeiten aus dem Schwesig-Ministerium. Ein Klick und schon ist man dabei: Dann bekommt man es in Leicht-Deutsch auf’s Handy per e-mail.

„So spricht man das: i meel.

Wenn Sie das möchten:

Sie klicken auf Newsletter.

So spricht man das: njuus let ta.

Das ist Englisch für Nachrichten-Brief.“

Nein, wenn wir die vom ZDF getwitterten eklatanten Defizite an deutschen Schulen nicht bald beheben, wenn die versprochenen zusätzlichen Lehrer nicht eingestellt werden, dann wird das Projekt des Bundesministeriums tatsächlich bald Regel sein und nicht  Ausnahme. Dann wird die deutsche Kernkompetenz Forschung und Lehre bald nur noch von Eliten auf Eliteunis weitergegeben – im Ausland. Von denen, die eh schon alles haben an ihre Kinder, die auch alles haben wollen. Dann wird ein Land flächendeckend intellektuell abgewickelt und auf das geistige Niveau eines Kindes eingekocht durch Unterlassung.

Fußnote: Dass diese „leichte Sprache“ Menschen mit Einschränkungen eine Erleichterung im alltäglichen Umgang verschafft, wäre wünschenswert und wird so auch von Experten und Organisationen vertreten, die diesen Service anbieten. Gesicherte Erkenntnis gibt es nicht. „Leichte Sprache“ anzuwenden im Zuge der Integration, verfälscht nicht nur den ursprünglichen Anspruch, sondern müsste besonders von Anwälten der Integration als Diskriminierung von Zuwanderern zurückgewiesen werden.

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Kommentare ( 2 )

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allocatus
6 Jahre her

AngelinaClooney vor 2 Monaten Welch wunderbarer Schatz wird hier in diesem Lande systematisch zu Grabe getragen: die deutsche Sprache! Schiller, Goethe, Heine, Brecht, Valentin, Ringelnatz, Kästner, Böll, Rilke, Fontane, Hesse, Mann, Hofmann von Fallersleben, Grass, Hölderlin, Busch, Benn, Kloppstock, Möricke, Lasker-Schüler, Hauff, Schwitters, Büchner, Bronnen, Dürrenmatt, Frisch, Thoma, Graf, …… der Club der toten Dichter und Schriftsteller dreht sich jeden Tag tausendfach im Grabe. Antworten Alfred Ost AngelinaClooney vor 2 Monaten ….und Ernst Jünger, ich bestehe drauf! 🙂 Danke für den Zusatz! Ich habe Ernst Jünger 1985 besucht und durfte sogar ein Foto von ihm machen (er war damals 88,… Mehr

chrisamar
7 Jahre her

Das passiert mir auch oft. Es liegt daran, dass ich täglich Texte in Fremdsprachen konsumiere und wenn ich dann daraus zitiere, fällt mir oft nur der original sprachliche Text dazu ein und ich brauche dann Zeit, zwischen den Sprachen zu sortieren.