Einblick und Ausblick: Es hat so Klein-Klein angefangen

Der „Einblick“ ist zu einer Stimme der Nachdenklichen und Aktiven geworden, die sich nicht mit Einheitsbrei abfüttern und ruhigstellen lassen - mit Ihrer Hilfe. Denn in jeder großen Krise steckt die große Chance.

Was war das für ein Jahr? Blättert man durch den „Einblick“, begann es um die Jahreswende mit der Aufregung über die Bürokratisierung durch das Mindestlohngesetz – Dokumentationspflichten, Strafen, ein Gewirr von Vorschriften und „Nachbesserungen“ wie Ausnahmeregeln für LKW-Fahrer, die Deutschland durchqueren.

Jobs wurden gestrichen, Minijobs zusammengelegt, Kosten auf Konsumenten überwälzt. Unqualifizierte Jobs erlebten eine Lohnsteigerung von fast 3,5%. Es ist die Rückkehr zur alten Arbeitsmarktlogik: Ein Gesetz gut für die, die drin sind. Die, die draußen bleiben, interessieren seit jeher keine Gewerkschaftler, wenn sie von „Gerechtigkeit“ sprechen.

Aber eine argumentative Schallmauer wurde durchbrochen: Löhne müssen nicht mehr in erster Linie wirtschaftlich sein, sondern „gerecht“. Das geht in der derzeitigen Konjunkturlage gut. Die Katastrophe blieb aus. Erste Stimmen fordern jetzt 10 €. Da geht noch was! Die Zutrittshürde zum Arbeitsmarkt soll also noch höher gelegt werden.

Flüchtlinge mit geringer Qualifikation sollen nicht als Konkurrenten auftreten, sondern Kostgänger zu Lasten aller bleiben. So privatisiert man die Gewinne und sozialisiert die Lasten und kann sich gleichzeitig als sozialer Wohltäter und Verwirklicher der Gerechtigkeit ausgeben.

Weil das so gut klappt, wird der Arbeitsmarkt jetzt flächendeckend zu einer Art öffentlicher Dienst umgebaut: Manuela Schwesigs Lohngleichschaltungsgesetz, mit dem sie Lohndifferenzen zwischen individuellen Beschäftigten aufbrechen will, ist in Vorbereitung. Dann zählt nicht mehr Leistung, sondern Planstelle – wie eben im öffentlichen Dienst.

Die Frauenquote soll schrittweise auf die Privatwirtschaft übertragen werden. Qualifikation? Keine Frage. Sie wird vorausgesetzt. Ein Kriterienkatalog soll Jobs branchenübergreifend vergleichbar machen; „typische“ Frauenberufe sollen „aufgewertet“ werden. Die freie Lohnvereinbarung wird schrittweise unterlaufen. Knappheit? Leistung? Nachfrage? Beamte bestimmen, nicht mehr Unternehmen und Konsumenten. Es ist mit dem Mindestlohn ja noch mal gutgegangen, also machen wir weiter. Mehr davon.

Ein Treppenwitz, dass die SPD-Linke auch mit Regelungen für Werkverträge und Zeitarbeit hinter die Reformen ihres Kanzlers Gerhard Schröder zurückfällt – mit Hilfe der CDU. Hat Schröder mehr von Wirtschaft verstanden als Merkel? Aber das war nur das Klein-Klein zu Beginn. Damit kann man umgehen.

Die Auflösung der Ordnung

Die Euro-Krise – eine unendliche Geschichte. Sie zeigt wie das Mindestlohngesetz, was der Verzicht auf Ordnungspolitik produziert: Die Europäische Zentralbank hat längst ihr Mandat überschritten. Sie finanziert die Pleitestaaten; gegen Jahresende wurde bekannt, dass einige südeuropäische Zentralbanken ihre Staaten auf Basis von Geheimverträgen direkt finanzieren dürfen.

Die Ordnung der Währungspolitik wird durch willkürliche Maßnahmen zerstört. Verträge sind Interpretationssache, und zwar fallweise. Es ist noch einmal gut gegangen. Mehr davon. Bis es nicht mehr geht. Es geht nicht besser in Griechenland, und auch in Spanien wurde falsch gewählt. Mehr Milliarden werden fällig, um die Fiktion einer Gemeinschaftswährung aufrecht zu erhalten. Es wird schon gut gehen.

Der große Bruch

Geht es gut mit der Flüchtlingspolitik? Sie stellt den großen Bruch der Kontinuität dar. Selten war eine Politik in sich widersprüchlicher. Deutschland saugt die Fliehenden, Mühseligen, Beladenen, Glücksuchenden und Glücksritter wie ein riesiger Staubsauger an – und die Regierung beschimpft die europäischen Nachbarstaaten, dass die sich der Quotierung, Kontingentierung und Umverteilung entgegenstellen; mittlerweile sogar die selbsternannte humanitäre Großmacht Schweden macht die Grenze nach Süden dicht.

Die Türkei erzwingt sich den Zutritt zur Europäischen Union, obwohl in der Türkei Demokratie und Rechtsstaatlichkeit jeden Tag mehr mit Stiefeln und Gewehrkolben malträtiert und Kurden, Andersdenkende und Andersgläubige oft genug zu Tode schikaniert werden.

Aber wir brauchen die Türkei, damit sie die Grenzen dicht macht – was wir uns selbst nicht zumuten wollen. Deutschland will sein freundliches Gesicht wahren; die Drecksarbeit sollen andere erledigen. Der vordere Hauseingang bleibt sauber; Unerwünschte werden durch den Hintereingang entfernt.

Flüchtlinge werden eingeladen, aber Arbeitskräfte sollen kommen, die demographische Lücke schließen helfen. Bleiben darf, wer verfolgt ist, aber bleiben soll, wer für den Arbeitsmarkt taugt. Ja was jetzt: Humanität ohne Ansehen der Person oder Humanität als Instrument der Arbeitskräfte-Anwerbung?

Alle reden von Integration – und dann sind es doch bloß Sprachkurse für Einige und Ghettos für Viele? Die Ausländerbeauftragte fordert arabische Untertitel für die Weihnachtsansprache von Kanzlerin und Präsident – haben wir nicht im Frühjahr gelernt, dass die Islamisierung nur eine unbegründete Angst der Dummen in Sachsen ist?

So viel Stolpern einer Regierung war nie. Nicht die Flüchtlinge produzieren Angst und Unsicherheit – sondern eine Regierung ohne Konzept, Plan und Perspektive.

Verlust der Stabilität

Politik ist vielen Menschen zu komplex. Sie suchen das Gefühl, dass der Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin die Sache schon schaukelt, dass die Parteien bei allem Streit die Tassen im Schrank lassen und sich irgendwie doch zusammenraufen. Dann sind auch die Unterlegenen zufrieden mit dem Ergebnis, wenn sie gehört wurden.

Aber hingehört wird nicht mehr, es wird abgekanzelt. Das Land wird zur Spaltung aufgefordert; zur Ausgrenzung. Der politische Hass ist wieder zu Hause in Deutschland. Schlägertrupps der Linken ziehen durch die Städte, bislang unauffällige Bürger werden zu Brandstiftern, „hängt sie, hängt sie alle auf“ – dieses gellende und geifernde Geschrei einer Allparteien-Gegendemonstration unter Beteiligung von Kirchen und Gewerkschaften mitten auf der Frankfurter Zeil hallt mir in den Ohren. Der politische Totschlag wird wieder hoffähig; die Presse versammelt sich fast ausnahmslos hinter ihrer Regierung, die doch weiß, was gut ist für Schreiber und Beschriebene.

Nutzen Sie ihre Chancen

Und ist das jetzt ein beunruhigendes Jahr, das hinter uns liegt und das vor uns? Nein. Wir haben schon angefangen, uns an dieses New Normal zu gewöhnen. Nur die Stabilität ist weg; es beginnt eine Phase der Unruhe und der Auseinandersetzung.

Gleichzeitig im Ungleichzeitigen erleben wir große Hilfsbereitschaft Flüchtlingen gegenüber und Hass auf Kritiker der Politik; die Einen nehmen das Gemeinwohl in die Hand, die anderen verlassen schweigend die Arena der Gemeinsamkeit. Große Teile des Bürgertums ziehen aus. Wenn Recht vom Staat willkürlich gebrochen werden kann – wer sollte sich noch daran halten wollen? Die Rechtskultur erodiert. Recht wird willkürlich, außer beim Falschparken. Aber beim Abkassieren hört der Spaß auf. Irgendjemand muss den Spaß ja bezahlen, und wer außer den Bürgern sollte es sein, die man trotzdem (oder gerade deswegen) verachtet? Die allerdümmsten Kälber wählen ihre Metzger selber.

Die Gerissenen machen gute Geschäfte mit der Not, die Zyniker interpretieren das „Wir schaffen das“ als „enrichissez-vous“ – scheffeln den Rahm ab. Wer oben ist, wird reicher. Die sozialen Konflikte krachen immer unten aufeinander, wo die Alternative privater Schulen und von Gated Communities nicht zur Verfügung steht – da, wo die Putzfrauen wohnen und nicht die psalmodierenden Pastoren und vollversorgten Pensionäre des Politikbetriebs.

Politik wird zu einer Travestie-Show, in der alte Sicherheiten zu austauschbaren Kostümen werden: Linke und rechte Radikale treffen sich in ihrer Ablehnung von Globalisierung und Handel, in ihrer gemeinsamen Liebe zu Putin und ihrem geteilten Hass auf das System.

Die Zukunft ist queer

Einwanderer der Gastarbeiter-Generation bekämpfen die neue Einwanderung in die Sozialsysteme, die auch von ihnen finanziert werden sollen. Konservative stellen die Rechte von Minderheiten, von Juden, Frauen und Homosexuellen in ihr Schaufenster; Linke freuen sich über Zuzug, der diese ihre demonstrativen Werte bekämpft; Hauptsache, diese „Urbevölkerung“, die es längst nicht mehr gibt, wird aufgemischt und aufgelöst, da nimmt man den sichtbaren Verfall des Sozialstaates durch Plünderung gerne in Kauf.

Darum stehen viele Jüngere so begeistert auf der Seite der Veränderung, weil sie auf ihre Chance hoffen. Ältere fürchten um erworbene Rechte und Besitzstand; ist er verloren, fehlen Kraft und Zeit, um ihn wieder zu gewinnen. Tatsächlich: Der Sozialstaat wird beschworen und faktisch demontiert; Wirtschaftlicher Wohlstand als gottgegeben beurteilt, und dabei ist er fragil wie nie und der Wohlstandskitt zerbröselt; scheinbare Beruhigung von Krisen wie die der Währung wird schon als Sicherheit genommen.

Frühere Regierungen haben den Status Quo verteidigt und zu bewahren versucht; „Keine Experimente“, der Slogan aus der Adenauerwahl 1957 wurde verspottet, aber stillschweigend zur Leitlinie für Alle. Jetzt chaotisiert eine Große Koalition, die eigentlich Stabilität suggeriert, das Geschehen, zerbröselt sogar Europa in den Händen derer, die sich als große Europäer ausgeben.

Aber man muss es nur wissen. Das Land verändert sich rasant, weil sich seine Bevölkerungs-Zusammensetzung rapide verändert und eine Regierung die geltende Ordnung leichtfertig behandelt, gerne damit tändelt und überkommen geglaubte Ideen des Sozialismus aktiviert – mit Applaus der CDU. Alte Sicherheiten gibt es nicht, sich darauf zu verlassen, ist stupide. Noch gefährlicher ist nur das Festhalten, denn die Kräfte der Veränderung sind immer stärker. In der Veränderung aber liegen individuelle Chancen. Es gibt weiterhin Wachstum, nur woanders; es gibt weiterhin Sicherheit, nur nicht in Währung und Sozialstaat. Es gibt weiterhin erfolgreiches Leben, nur nicht in den alten Systemen. Die Karten werden neu gemischt; achten Sie darauf, dass Sie ein gutes Blatt in Händen halten.

Vielen Dank an unsere Leser und Unterstützer

Der „Einblick“ hat in diesem Jahr seine Chancen ergriffen und ist zu einer publizistischen Stimme der Nachdenklichen und Aktiven geworden, die sich nicht mit Einheitsbrei abfüttern und mit Vorgekautem aus den Berliner Amtsstuben ruhigstellen lassen – mit Ihrer Hilfe und Unterstützung. Denn in jeder großen Krise steckt die große Chance.

Blicken wir nicht im Zorn zurück, sondern mit Spannung nach morgen: Einblick und Ausblick. Diesen Weg werden wir fortsetzen, frech, fröhlich und unbeschwert, so wie wir Ihnen Weihnachten wünschen.

Besinnlichkeit ist nicht so gut anzuraten, eher Beweglichkeit. Dabei begleiten wir Sie gerne.

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