Verantwortung als Lebenskonzept

Polizisten sind sauer, so wird (jetzt!) berichtet, dass die Folgen von 2015 bei ihnen abgeladen werden. In Berlin ist man darüber ganz erschrocken. – In welcher Parallelgesellschaft leben die Leute, die das erst jetzt mitbekommen?

Zu Beginn unserer Reise durch die Täler und über die Höhen unseres Lebens, als Säuglinge, da braucht es zunächst eine ganze Weile, bis wir überhaupt erst begreifen, dass es eine Welt außerhalb unserer selbst gibt, bis wir zwischen »ich« und »nicht-ich« unterscheiden, und auch dann ist die erwünschte Außenhandelsbeziehung zur Welt eher eine nehmende und fordernde (und wenn wir uns nicht weiterentwickeln, werden wir politische Aktivisten).

Die Welt der Kinder dreht sich ums Lernen und Spielen – im Idealfall um Beides zugleich (gewissenlose Menschen erschaffen Spiele, die Kinder eigentlich nur das Konsumieren und das Füttern ihrer Daten in Konzernrechner lehren – ein anderes Thema).

Wenn das Kind eine Familie gründet und der Welt eine geldwerte Nützlichkeit anbietet – sprich: Geld verdient – bekommt das Leben einen kämpfenden Charakter. Ob Vater, Mutter, Arbeitnehmer oder Unternehmer, die aktivste Phase des menschlichen Lebens ist zuerst vom Kämpfen geprägt (und die Aufgabe des demokratischen Rechtsstaates ist es, den Kämpfen der Bürger faire Regeln zu geben und diese auch durchzusetzen).

Zu leben bedeutet zu kämpfen. Wir kämpfen gegen Krankheiten, gegen die eigenen Schwächen, gegen die Absichten der anderen, gegen die Armut und schließlich gegen die drohende Sinnlosigkeit.

So richtig, wichtig und zeitweise schön das Spielen, das Lernen und auch das Kämpfen sind, mein eigenes Leben wird seit einigen Jahren zunehmend von einem anderen Gefühl angetrieben. Warum stehe ich morgens vor der Familie auf? Warum tue ich gewisse Dinge, die weder Lust bereiten noch profitabel sind? Da ist etwas anderes, und ein früheres Ich wäre überrascht von mir.

Was motiviert sie – was motiviert Sie?

Wer das laufende Jahrzehnt nicht in einer Höhle lebte, unter einem Stein oder in den weltfremden Fluren des Berliner politmedialen Betriebs, wer sich auch nur kurz privat mit einem Polizisten oder einem der übrigen Beamten und Behörden vor Ort unterhalten hat, der ahnt, was in Deutschland wirklich passiert.

Ganz erstaunt hört man in der politisch-medialen Parallelgesellschaft davon, dass diejenigen, welche die realen Konsequenzen linken Wahns aufräumen sollen, echten Frust entwickeln (siehe auch: »Warum Demokratie?«).

Selbst ein einfacher Satz genügt heute, nervöse Skandallaune zu wecken. Die Polizisten sind »sauer«, so Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, »dass die Folgen von 2015 bei ihnen abgeladen werden« (welt.de, 24.6.2019).

Das Bemerkenswerte an den Meldungen über den Frust der Polizisten ist doch, dass man es erst jetzt merkt – hat sich in all den Jahren seit 2015 wirklich kein einziger Journalist mit einem Polizisten unterhalten? Selbst jetzt braucht es Prominente wie Merz oder Wendt, um zögernd zu formulieren, was »unten am Boden« längst fast jeder weiß. Sind Haltungsjournalisten wirklich dermaßen weltfremd, jahrelang nicht mit einem Polizisten gesprochen zu haben, sind sie einfach nur Lügner, oder ist es noch etwas anderes?

Polizisten halten ihre Knochen hin, und sie müssen sich von weltfremden, moralbesoffenen und dabei komplett unmoralischen Linksgrünen zugleich beschimpfen und herumkommandieren lassen. Die Frage, die ich mir stelle, wenn ich vom Frust der Polizisten höre, 2015 schon, und heute nicht minder: Was motiviert diese (meist) Männer, dennoch weiterzumachen? Warum haben sie angefangen? Warum machen sie weiter?

Definieren und erklären

Ich genieße sehr gern die Freuden des Lebens, vom perfekt gebratenen Burger bis zum romantischen Sonnenuntergang, von Tupac bis Tschaikowsky, von Rick and Morty bis Romeo und Julia, ich habe noch immer Spaß am Lernen und manche sagen, meine Texte zeugten von Freude am Kampf ums bessere Argument. Doch, in den letzten Jahren spüre ich noch etwas, eine andere Motivation, eine Eigenschaft in mir, die wohl immer da war, aber über die ich mich erst heute definieren und erklären würde. Es ist die Verantwortung.

Warum stehe ich morgens früher als der Rest der Familie auf? Aus dem Gefühl der Verantwortung. Warum schreibe ich Texte, die mir und den Menschen helfen sollen, zumindest in Gedanken einen Pfad aus dem Irrsinn zu finden? Aus Verantwortung. Und, ganz banal: Warum nehme ich in Kauf, von meinen Kindern »doof« gefunden zu werden, wenn ich ihnen nicht erlaube, unbegrenzt Bonbons zu essen? Aus Verantwortung.

Ich will nicht gemocht werden, ich will nicht gelobt werden und ich brauche kein Kopftätscheln von irgendwem (wenn auch mir wie jedem anderen Menschen etwas Anerkennung gut tut – es ist dennoch nicht, was mich antreibt).

Polizisten kümmern sich um die gefährlichen Konsequenzen gutmenschlichen Wahns. Polizisten übernehmen die Verantwortung, welche Gutmenschen und Gesinnungsethiker nicht übernehmen wollen. Polizisten übernehmen Verantwortung für die Welt, in der sie leben, für die Bürger und für die Bewohner, und von moralisch verlotterten Linksgrünen erhalten sie dafür Hohn und Verachtung. Ich fühle mich den Polizisten und Soldaten, den Aufräumern und Ordnern vor Ort, weit näher, als den schmalschultrigen Schwätzern in Berlin.

Der simple Vergleich

Kürzlich ließ ein linkes Wochenblatt via Twitter wissen:

Liebe ZEIT-Leserinnen, liebe ZEIT-Leser, bitte beachten Sie: wegen des morgigen Weltfrauentags arbeiten die weiblichen Mitarbeiterinnen des ZEIT-Verlags morgen nicht.

Der Betrieb läuft wie gewohnt weiter.
(@DIEZEIT, 7.4.2019, nur noch archiviert verfügbar)

Stellen wir uns einmal vor, all die Männer und Frauen, die aus dem tiefen Gefühl der Verantwortung für die Demokratie ihre Knochen hinhalten, all die Ordner und Bewahrer würden für einen Tag ihren Job ruhen lassen.

Stellen wir uns vor, einen Tag lang legten alle Journalisten ihre Arbeit nieder und die Bürger würden sich via Internet selbst darüber informieren, was wirklich passiert. Und stellen wir uns vor, einen Tag lang legten alle Polizisten ihre Arbeit nieder – die Folgen mag man sich kaum ausmalen. Der simple Vergleich zeigt, welche Gruppe wirklich Verantwortung trägt, und welche eher verantwortungslos schwätzt.

Das inhärente Wesen

Verantwortung baut darauf auf, dass der Einzelne weiß und spürt, was seine »relevanten Strukturen« sind. Der Unternehmer, der Verantwortung für das Gehalt seiner Angestellten und die Zufriedenheit seiner Kunden übernimmt, oder der Polizist, der Verantwortung für die Ordnung der Gesellschaft übernimmt.

In der Stadt aufgewachsene Demo-Touristen, für die das Essen aus dem Supermarkt kommt und der Strom aus der Steckdose, trampeln durch Felder und verhöhnen die Bauern (siehe etwa bild.de, 24.6.2019). Es ist das inhärente Wesen des Gutmenschentums, dass man explizit keine Verantwortung für die potentiell tödlichen Folgen seines Handelns übernimmt.

Ja, ich definiere mich heute über die Verantwortung, die ich gern übernehme, und also könnten mir Linksgrüne emotional kaum fremder sein. Wann bin ich am Abend zufrieden mit dem Tag? Wenn ich mit Elli und den Kindern zusammensitze, wenn die Aufgaben des Tages erledigt sind und der nächste Tag vorbereitet ist, und wenn ich bei all dem dabei das maximal befriedigende Gefühl habe, meiner Verantwortung gerecht geworden zu sein.

Die linksgrünen Schwätzer in Berlin wirken auf mich wie Menschen, die in ihrem Leben nie gelernt haben, Verantwortung zu übernehmen (siehe auch »Werdet erwachsen!«) – und wenn sie eines Tages die Bedeutung von Verantwortung begreifen werden, werden sie bereits irreparablen Schaden angerichtet haben; die Verantwortungslosen werden ihre Verantwortung leugnen – es wird nicht das erste Mal sein.

Ich wünsche den Polizisten in Deutschland die Kraft, auch morgen und jeden weiteren Tag aus Verantwortung für die Gesellschaft zur Arbeit zu gehen, auch wenn buchstäblich verantwortungslose linksgrüne Rotznasen in Berliner Behörden und Redaktionen sie dafür anpampen.

Hoffen wir, dass all die Menschen, die ihre Knochen hinhalten aus Verantwortung für die Gesellschaft, es auch weiterhin tun. Hoffen wir, dass bald klügere Zeiten kommen.


Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com.

Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.

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Kommentare ( 66 )

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Gisela Fimiani
4 Jahre her

Die Übernahme von Verantwortung erfordert das Verantwortungs-Bewusstsein. Sie beschreiben es. Diese Bewusstwerdung ist mit dem Erwachsen-Werden eng verknüpft. Eine zunehmend kindische Gesellschaft kann diesen Entwicklungsschritt nicht vollziehen. Wie lange noch, können die erwachsenen Verantwortungs-Übernehmer diesen Zustand verkraften? Was kommt dann?

Melli
4 Jahre her

Danke Herr Wegner, Sie schreiben mir ( wie fast immer) aus der Seele. Deshalb möchte ich auch nichts mehr groß hinzufügen, außer mal ein ganz dickes,fettes Danke an unsere Damen & Herren der Polizei! Wir stehen hinter euch.

BK
4 Jahre her

Leider ist das Leistungsprinzip in diesem Land völlig unter die Räder geraten, und jeder schaut nur zu, wie es weiter ausgehöhlt wird. Hinter der Fassade dieses Landes bröckelt es gewaltig, und ich weiß nicht, wie einkommensschwache Schichten hier überhaupt noch leben können. Bei den Lebenshaltungskosten, Mieten, Steuern, Sozialabgaben, und was sonst noch überall draufgesattelt wird, müsste der Mindestlohn 30,-Euro/Stunde betragen. Warum soll da jemand überhaupt aufstehen, wenn er doch nur ein paar hundert Euro mehr in der Tasche hat, als sein marokkanischer Nachbar, der inzwischen das 4. Kind in die Welt gesetzt hat, und überhaupt nicht dran denkt einen Job… Mehr

Silvia B.
4 Jahre her

Wie gewohnt ein sehr guter Beitrag von Herrn Wegner. Allen Mitbügern, die täglich ihre Pflicht tun, ist nur zu danken. Sonst wäre Deutschland schon längst komplett im Sumpf versunken. Zur polizeilichen Situation möchte ich nur anmerken, dass der Frust der Beamten nicht erst 2015 begonnen hat. Mein Mann war Kriminalbeamter in Berlin und aus dem selbst Erlebten kann ich nur sagen, dass schon in den 70er und 80er Jahren die heutigen Zustände zu erahnen waren. Auch damals waren Straftäter überwiegend ausländischer Herkunft und die Statistiken wurden geschönt. Damals haben allerdings die Medien noch einigermaßen wahrheitsgemäß berichtet. Mein Mann und ich… Mehr

schukow
4 Jahre her

Super beschrieben. Bei der Vorstellung darüber, wie wir diesem Übel Herr werden könnten, bin ich aber erschrocken.
Das können wir nicht schon wieder machen. Aber was dann? – Weiterschreiben wie Wegner? – Hoffen? Da wird wohl eher der HSV Meister, als daß dieses Land noch einmal auf die Füße kommt. Wählen? Sieht auch nicht gerade rosig aus…. Und für’n kaltes Pils isses noch zu früh, Mist.

Hoffnungslos
4 Jahre her

Lieber Herr Wegner, vielen Dank für Ihren wieder sehr guten Text! Verantwortung ist ein Begriff, der heute gar nicht mehr gewünscht ist. Wer übernimmt denn heute noch Verantwortung für irgendetwas? Unsere Politiker? Unsere Medien? Wo? Spaß haben ist wichtig, konsumieren und sich gedankenlos lenken lassen. Kindlichkeit ist angesagt. Kinder an die Macht, sang H. Grönemeyer treffsicher schon vor Jahren. Kinder können und sollen keine Verantwortung übernehmen. Das trifft sich doch gut für diejenigen, die die Macht haben. Das alte Motto: Brot und Spiele gilt.

von Kullmann
4 Jahre her

Herr Wegner, Sie haben Recht, von verantwortungslosen linksgrünen Schwätzern zu schreiben. Ein Beweis unter Vielen ist die Abschaffung der Bürgschaften für die selbstgerechten Vorzeigemenschen zur Willkommensselbstbefriedigung. Die Berliner Schwätzer holen sich dabei noch einen runter. Sie haben untereinander den Spaß, die Verantwortung für ihre Späßchen wird auf Andere abgewälzt.

Pitt Arm
4 Jahre her

Aus meiner Erfahrung kann ich nur sagen, die meisten Menschen haben keinen klar vorgezeichneten Lebensweg, sondern sind irgendwie dahin gedriftet, wo sie heute stehen. Durch Zufälle und ab und zu ein wenig Eigenantrieb. Das gilt wohl auch für Polizisten, Feuerwehrleute und Soldaten. Was motiviert diese Menschen noch in einem langsam kollabierenden System? Der eigene Mikrokosmos. Zunächst mal die Notwendigkeit des Erwerbs des Lebensunterhalts um dann das Private. damit zu finanzieren: Kinder, Haus, Hobby. Ich hatte nach 2015 lange die Hoffnung, dass jetzt irgendwann die Fundamentalwende kommt. Aber wer es jetzt nicht begriffen hat – und das ist die überwiegende Mehrheit… Mehr

josefine
4 Jahre her

Danke, Herr Wegner, dass Sie über dieses vernachlässigte Thema schreiben. Wie immer: ein persönlicher, zielgerichteter Artikel. Es wundert mich jeden Tag, dass es noch Polizisten gibt und dass noch immer (glücklicherweise) Nachwuchs vorhanden ist. Die Frauen und Männer nehmen ihre Aufgabe sehr ernst, schieben Überstunden, lassen sich anspucken, anschreien, beschimpfen, anlügen, verhöhnen und vieles mehr. Die Gesellschaft und Politiker zollen ihnen in der Regel keinen/wenig Respekt, sie müssen sich immer wieder rechtfertigen, da schamlos gelogen wird, ein Grossteil der Gesellschaft nennt sie respektlos „Bullen“. Diese „Bullen“ halten den Kopf für das Funktionieren der Gesellschaft hin, ohne sie sähe es noch… Mehr

GermanMichel
4 Jahre her

Leider hat der verantwortungsvolle Familienvater ausgedient, da er nur lokal beeinflussen kann, aber gegenüber den Rahmenbedingungen hilf- und machtlos ist.
Diese können aber so krass werden, dass sie das lokal-familäre komplett überschreiben.

In Deutschland Verantwortung übernehmen hiesse heutzutage, an seine Vorort Urlaubserlebnisse in Ägypten 2013 zurückzudenken. Ist doch auch bei Polizisten und Militärs ein beliebtes Reiseziel oder?