Mein Gott, (Frank) Walter! Wieder einmal eine Rede vergeigt

Bundespräsident Steinmeier ließ seine Redenschreiber in die Tasten greifen, um eine Rede zur Lage der Nation zu fabrizieren. Und dann der Affront: Die politische Elite interessiert die Rede nicht. Sie geht gar nicht erst hin. Hat die Rede wenigstens die Medien verzaubert? Jein!

IMAGO / Christian Spicker
Frank-Walter Steinmeier während einer Rede im Rostocker Rathaus am 25. August 2022

Eigentlich haben wir uns darauf eingestellt, dass die nächste „große“ Steinmeier-Rede erst an Weihnachten 2022 kommt. Aber Steinmeier wollte nicht so lange warten. Ziemlich genau zwei Monate vor Weihnachten griff er in die Tasten oder ließ seine Redenschreiber in die Tasten greifen, um eine Rede zur Lage der Nation zu fabrizieren. Und dann der Affront: Die politische Elite interessiert die Rede nicht. Sie geht gar nicht erst hin.

Rede in den Wind
Bundespräsident Steinmeier redet und kaum jemand hört noch zu
Kanzler Scholz, das komplette Kabinett und die Bundestagspräsidentin ahnten, was auf sie zukommt, deshalb blieben sie der groß angekündigten 45-Minuten-Rede von Staatsoberhaupt Steinmeier am Freitag, 28. Oktober, gleich fern. Das ist sehr unfein, denn immerhin ist Steinmeier das Staatsoberhaupt, das eben diese Leute im Februar 2022 mit Unterstützung von CDU/CSU ein zweites Mal in dieses Amt gewählt haben. Aber es kamen dann doch Bundesratspräsident Ramelow, Verfassungsgerichtspräsident Harbarth, Erzbischof Schick und Oppositionsführer Merz ins Bellevue.

Hat die Rede wenigstens die Medien verzaubert? Jein! Für den Staatsfunk ist Steinmeiers Rede immerhin der Aufmacher in der „Tagesschau“ (ARD) bzw. in „heute“ (ZDF). Das ZDF titelt im Videotext: „Steinmeier stimmt auf Zukunft ein“. ARD schreibt: „Steinmeier sieht Epochenbruch“. Die FAZ berichtet von einer „Rede an die besorgte Nation“. Der DLF gießt etwas Wasser in den Wein: „Ein gut gemeinter, aber zu später Weckruf“. Der Tagesspiegel meint ehrlich: „Steinmeier scheut die eigene Vergangenheitsbewältigung.“ Rundum begeistert ist nur die Freie Presse Chemnitz: „Der Bundespräsident zeigt ein überraschendes Maß an Führung.“ In die Vollen allerdings geht ntv mit einem Kommentar: „Mit diesem Text und Vortragsstil aber hätte er nicht einmal eine Schar Vertriebler in einem Stadtrandhotel fürs nächste Quartal motiviert.“ Wir geben Auszüge aus diesem Kommentar am Ende wieder.

Hier die Steinmeier-Rede als Text. Dort findet sich auch das Video zur Rede. Nachfolgend unsere unmaßgeblichen Anmerkungen!

1. Wieder zu spät gekommen, Herr Bundespräsident!

Es mag ja sein, dass sich Steinmeier diese Rede für einen Zeitpunkt aufgehoben hatte, zu dem er mal in die Ukraine hatte reisen können. Indes hinterlässt es einen Beigeschmack von Inszenierung, wenn Steinmeier wenige Tage vor seiner Rede die Ukraine besucht und jetzt in der Rede über sich bzw. Menschen im Luftschutzbunker sagt: „Mit einigen von ihnen saß ich am Dienstag in Korjukiwka, einer kleinen Stadt nahe der weißrussischen Grenze, zusammen in einem Luftschutzkeller.“ Warum hat Steinmeier für einen solchen Satz acht Monate gebraucht? Warum erkennt Steinmeier erst jetzt, dass es sich beim 24. Februar um einen „Epochenbruch“ und einen „Scheidepunkt“ handelt? Scholz kann man zugutehalten, dass er bereits drei Tage nach Putins Überfall von „Zeitenwende“ sprach.

2. Amnesien

Amnesien (vulgo: Gedächtnislücken) scheinen zum Merkmal des politischen Spitzenpersonals geworden zu sein. Scholz kann sich in Sachen Wirecard, Cum-Ex-Skandal und Warburg-Bank an nichts erinnern. Steinmeier kann und will sich nicht erinnern, dass er Schröders Kanzleramtschef war. Eines Kanzlers, der sich bald zum vordersten Putin-Lobbyisten entwickelte und der Putin mit dem Prädikat „lupenreiner Demokrat“ adelte. Ein Außenminister Steinmeier, der in zwei Merkel-Kabinetten den großen Russen-, Lawrow und Putin-Versteher gab, der 2014 nach der Annexion der Krim lavierte. Und der jetzt acht Monate braucht, um ein Mini-Schuldbekenntnis abzulegen, versteckt zwischen zwei Kommata: „Und sie (gemeint sind die Bilder vom 24. Februar) markierten das endgültige, bittere Scheitern jahrelanger politischer Bemühungen, auch meiner, genau diesen schrecklichen Moment zu verhindern.“

3. „Putin“

Der Name Putin kommt fünfmal in Steinmeiers Rede vor. Zum Beispiel hier: „In seiner imperialen Besessenheit hat der russische Präsident das Völkerrecht gebrochen, Grenzen in Frage gestellt, Landraub begangen.“ Das stimmt. Aber zu einem geschichtsträchtigen Wort wie einem Ronald Reagan am 12. Juni 1987 neben Helmut Kohl am Brandenburger Tor an Gorbatschow („Tear down this wall!“) fehlt Steinmeier der Mut: „Präsident Putin, beenden Sie sofort den Terror gegen die Ukraine!“

4. Krokodilstränen zur Bundeswehr

Jetzt fällt Steinmeier ein: „Wir brauchen keine Kriegsmentalität – aber wir brauchen Widerstandsgeist und Widerstandskraft! Dazu gehört zuallererst eine starke und gut ausgestattete Bundeswehr … Dafür werde ich als Bundespräsident weiter einstehen.“ Auch hier Amnesien! Schließlich war Steinmeier in zwei Merkel-Kabinetten Minister (2005 – 2009, 2013 – 2017), 2007 bis 2009 auch Vizekanzler: Gerade in diesen Merkel- und GroKo-Zeiten wurde die Bundeswehr kaputtgespart.

5. Hintertürchen für Vermögensabgabe?

Steinmeier bleibt Sozialist, deshalb sagt er über „Menschen, die viel haben und mehr tragen können“: „Sie müssen jetzt helfen, um die immensen Kosten der notwendigen Entlastungen überhaupt stemmen zu können. Sie müssen jetzt beitragen, um neue Ungerechtigkeiten zu vermeiden. Beeindruckende Entlastungspakete sind wichtig – aber nicht weniger wichtig ist Gerechtigkeit bei der Verteilung der Lasten!“

6. Klima, Klima über alles!

Das „Klima“ darf nicht fehlen. Steinmeier wörtlich: „Denn auch wenn der Krieg die politische Tagesordnung verschoben hat – auch der Klimawandel fordert unser entschiedenes Handeln …! Ich mache mir ehrlich gesagt Sorgen, dass diese Menschheitsaufgabe zu sehr in den Hintergrund gerät. Der Klimawandel macht keine Ukraine-Pause! … Ohne den Kampf gegen den Klimawandel ist alles nichts … Ermöglichen wir unseren Kindern und Kindeskindern ein gutes Leben auf unserem Planeten!“ Hier wäre ja mal ein Wort zu den extremistischen Klima-Chaoten angebracht gewesen. Denn was diese Leute mittlerweile weitgehend straflos inszenieren, ist ein Verstoß gegen das Demokratiegebot und gegen das Gewaltverbot. Hier geschieht – wie gesagt: weitgehend straffrei – etwas, was den Normalbürger am eigenen Rechts- und Unrechtsbewusstsein zweifeln lässt.

7. Steinmeier spricht von „Widerstand“ – und meint damit gegen Populisten

Zwölfmal kommt in Steinmeiers Rede der Begriff „Widerstandsgeist/Widerstandskraft/widerstandskräftige Bürger“ vor. Zum Beispiel hier: „Wir brauchen aktive, widerstandskräftige Bürgerinnen und Bürger. Denn in diesen Zeiten des Gegenwinds nehmen die Angriffe auf unsere freie Gesellschaft zu. Putin versucht, Europa zu spalten … Das verlangt von uns Demokraten mehr als Bekenntnisse. Es verlangt Engagement und – auch hier wieder – Widerstandsgeist und Widerstandskraft.“ Steinmeier will Bürger, die sich nicht anstecken lassen vom „Gift des Populismus“. Aber ist Populismus nicht ein Rücksichtnehmen auf den „populus“ (das Volk)? Aha, Steinmeier will brave und schafsgeduldige Bürger. Demos gegen rechts, ja, willkommen. Demos gegen Corona-Einschränkungen, Inflation, Energiepreise – nö!

8. Anreden gegen die um sich greifende Deindustrialisierung

Wie Steinmeier angesichts eines fortschreitenden Ausverkaufs Deutschlands (siehe Hamburger Hafen!) zu folgendem Satz kommt, wissen wir nicht: „Wir machen Deutschland zu einer neuen Industrienation – technologisch führend, klimaverantwortlich, in der Mitte Europas. Vernetzt, aber weniger verwundbar.“

9. Wenn Steinmeier gendert

Und schließlich gibt Steinmeier den gender-gerechten Redner. Irgendjemand hat ihm eingeredet, dass man alle Geschlechter inkludiert, wenn man mal den weiblichen, mal den männlichen Plural verwendet. Das klingt bei Steinmeier so: „Unser Land hat … die Menschen, die immer wieder dafür arbeiten, die Unternehmerinnen, die Forscher, die Ingenieure, die Facharbeiterinnen.“ Das heißt nichts anders als: Unternehmer, Forscherinnen, Ingenieurinnen und Facharbeiter sind exkludiert. Oder?

Überlassen wir diese Rede dem Vergessen und genießen die freie Zeit bis zur Steinmeier-Rede an Weihnachten! Und genießen grimmig den bösen Verriss der Rede bei ntv:

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Kommentare ( 29 )

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Ernesti
1 Jahr her

Sorry, so einen Kommentar kann nur jemand schreiben, der alles, wirklich alles, das vor dem Februar diesen Jahres passiert ist, ausblendet. Russland hat lange gebeten und gewarnt, das, was dann passiert ist, konnte man sich lange vorher ausmalen. Ein Krieg mit langer Ansage. Und auch jetzt: Da überbringt der Präsident von Guinea-Bissau den Wunsch von Putin, direkt mit Selensky in Verhandlungen einzutreten. Letzterer lehnt sofort ab ohne auch nur wenigstens innerhalb eines Waffenstillstands diese Option eingehend zu prüfen.

spindoctor
1 Jahr her

Jeder Deutsche sollte ihn in sein Abendgebet einschliessen – wie, da schweigt das Schreibers Höflichkeit.

Der-Michel
1 Jahr her

Die Regierenden, Bundespräsident, Kanzler, Bundesminister und Abgeordnete, die uns diese Sache einbrockten, sollten einfach diesen Barwertrechner zur Hand nehmen und dann ihren Anteil, auf den sie freiwillig verzichten und als Schadensersatz abführen, errechnen. Dann würden selbst diese Blinden sehen wie reich sie wirklich sind:
https://www.n-heydorn.de/barwertrechner.html

Alleine die Pensionsanwartschaften machen einen durchschnittlichen Abgeordneten zum Millionär! Der Bundespräsident soll einfach mit gutem Beispiel vorangehen. Nicht immer nur schwätzen!

Grenz Gaenger
1 Jahr her

„Und sie …. markierten das endgültige, bittere Scheitern jahrelanger politischer Bemühungen, auch meiner, genau diesen schrecklichen Moment zu verhindern.“
Ein echter Schenkelklopfer, den Frank-Spalter Steinmeier wieder hervorgerufen hat, war er doch jahrelang und dann speziell in Minsk bemüht, nach der durch ihn selber kaum kritisierten, widerrechtlichen Krim-Annexion 2014 die Ukraine ein gutes Stück kleiner zu machen als wie 1994 im Budapester Memorandum von den maßgeblichen Ländern Russland & Ukraine festgeschrieben.

Kassandra
1 Jahr her
Antworten an  Grenz Gaenger

Dass die maßgeblichen Länder auch heute noch Russland und Ukraine wären, kann man vergessen. Lawrow bereitet wohl ein Treffen Biden Putin vor.
Wobei: man wird die Midterms abwarten müssen. Mit dem Ausgang der Wahl, so alles mit rechten Dingen vor sich geht, kann sich so einiges ändern.

Ho.mann
1 Jahr her

Wenn schon die politische Elite sich nicht mehr für seine Reden interessiert, weil seine Botschaften nur für jene gedacht sind die von ihm und seiner Entrourage mehr als bedient sind, dann sollte man Steinmeier dringend von seinem totgerittenen Pferd herunterholen, denn von alleine steigt der jedenfalls nicht ab. Seine jährlichen Weihnachtsgrüße, die als staatstragende Rede vorgetragen den Zusammenhalt der Gesellschaft beschwören, kann er sich auch gleich sparen. Das Einzige was mehr Interesse wecken würde wäre seine mehr als überfällige Rücktrittserklärung.

Last edited 1 Jahr her by Ho.mann
Tacitus
1 Jahr her

Präsident ‚Peinlich‘. Ein Mann zum fremdschämen!
In einem Punkt stimme ich ihm zu: wir müssen gegen den Populismus Widerstand leisten. Ja, es gibt jeden Tag viel zu viel Links-Populismus!!!

Biskaborn
1 Jahr her

Der Sender ntv hat tatsächlich von Totalausfall gesprochen. Ansonsten durchaus linientreu, hat er es gewagt die Rede Steinmeiers zu kritisieren. Richtig so. Würde mich aber nicht wundern, wenn dort jetzt Köpfe rollen. Aber diesen Steinmeier „schießt“ trotzdem niemand ab. Er wird weiter die Gesellschaft spalten und übers Klima hysterieren, unbehelligt ! Ich warte jetzt auf Umfragen zu dieser Rede! Oder auch nicht, die könnten vielleicht, aber bei diesem Volk auch nur vielleicht, negativ ausfallen. Fest steht, Grüne, Rote, Steinmeier bleiben uns noch lange erhalten, zu stabil ist deren Machtkartell und zu schläfrig der gemeine Deutsche, zumal es noch sehr vielen… Mehr

Kassandra
1 Jahr her
Antworten an  Biskaborn

Auch n-tv verliert bei Stromausfall sein „Geschäftsmodell“.
Einigen wird langsam aufgehen, welche bedrohlichen Schatten da an die Wand gemalt sind – und wie sehr sie einen selbst dann (be-)treffen werden.
Mein www-provider hatte sich bei der Vertragsverlängerung jedenfalls noch keine Gedanken gemacht, wer bei einem Blackout zahlungspflichtig sein wird. Und wie das Geld dann, bei nicht funktionierenden Transfers durch Banken, in die Kasse kommen soll, wusste er auch nicht.

fatherted
1 Jahr her

Was mich erstaunte, war, wie schnell die „Rede“ wieder aus den Medien draußen war. Nach einer 5 Minütigen Lobhudelei bei einschlägigen Nachrichtensendern und den ÖR….war das Interesse verpufft. Entweder man wollte die Inhalte dann doch nicht so breit treten….oder die Reaktionen bzw. das Interesse der Öffentlichkeit ging gegen 0 und man wollte diese Erkenntnis nicht verbreiten. In meinem Umfeld hat so gut wie keiner überhaupt warhgenommen, dass Steinmeier eine Rede an das „Volk“…äh pardon „die Bevölkerung“ gehalten hat. Geschweige denn sich das angehört oder sich mit den Inhalten auseinander gesetzt. Insofern….ein vom Bürger nicht gewählter Mensch in einem hohen Amt… Mehr

Luke
1 Jahr her

Mich interessieren die Reden dieses Spalters auch nicht. Er ist nicht mein Präsident, war es nie, und wird es niemals werden. Genau wie sein Vorgänger. Köhler war der letzte Bundespräsident, vor dem ich Respekt hatte.

Eine Rede von Steinmeier anhören? Nein, da ist dieser eine Grashalm im Garten, der vielleicht in der gleichen Zeit 0,1 Nanometer wachsen könnte. Das ist doch viel interessanter.

Heiner Mueller
1 Jahr her

Steinmeier war und ist ein, wie der Volksmund sagt, „Dummschwätzer“.