Die Schicksalsfragen der Rumänienwahl

Rumänien versucht erneut, einen Präsidenten zu wählen. Dabei passieren Dinge, die ernste Fragen aufwerfen mit Hinblick auf die Zukunft „unserer Demokratie“.

Imago / Xinhua

Journalisten und Medien aus aller Herren Länder werden zur Präsidentschaftswahl am 4. und 18. Mai nach Rumänien strömen. Noch nie fand eine Wahl in diesem Land so viel Beachtung. Das liegt an bizarren Entwicklungen seit der Annullierung der ersten Runde der Wahl durch das Verfassungsgericht am 6. Dezember. Dies und das Schweigen der EU dazu, also ihre Billigung rechtsstaatlich und demokratisch fragwürdiger Entscheidungen, um ein unerwünschtes Wahlergebnis zu verhindern, wirft Fragen für die Zukunft aller EU-Staaten auf: Erlauben die Ereignisse in Rumänien einen Blick in die Zukunft der europäischen Demokratien? Was ist da wirklich los, und warum?

Auch geopolitisch geht es um europäische Zukunftsfragen: Siegen euroskeptische Souveränisten, gibt es gar eine Annäherung an Russland? Gebietsansprüche gegen die Ukraine? Was bisher passiert ist, hätte noch vor Kurzem wohl kein politischer Beobachter für möglich gehalten.

1) Die erste Runde der ursprünglichen Wahl gewann am 24. November der bis dahin völlig unbekannte Calin Georgescu mit 23 Prozent der Stimmen, woraufhin er in den Umfragen noch weiter in die Höhe schoss und in der Stichwahl auf mehr als 40 Prozent hoffen konnte. Ursache seines spektakulären Aufstiegs aus dem Nichts waren offenbar TikTok-Videos – für sich genommen war schon das eine beunruhigende Entwicklung für die Zukunft von demokratischen Wahlen.

Angriff auf Online-Portale
Rumänien: Bahnbrecher für betreute Politik in Europa
Das wirft die Frage auf: Sind wir „mündige Bürger“ in Wahrheit durch Algorithmen manipulierbar, Wahlen daher nicht mehr eine Findung des Wählerwillens, sondern dessen Lenkung?

2) Das Verfassungsgericht validierte das Wahlergebnis, aber annullierte es dann am 6. Dezember, zwei Tage vor der Stichwahl, mit Verweis auf Geheimdienstberichte, wonach eine „ausländische Macht“ (sprich: Russland) die Wahl beeinflusst habe – durch eine Tiktok-Kampagne. Die Geheimdienstberichte behaupteten zwar russische Einflussnahme, und vielleicht gab es sie auch, aber Beweise enthielten sie nicht. Eine namentlich als Beleg angeführte TikTok-Kampagne war in Wirklichkeit von der regierenden konservativen PNL bestellt worden. Die höchst ungewöhnliche Entscheidung wurde von keiner Regierung in der EU kritisiert, und auch nicht von den EU-Institutionen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, an den Georgescu appellierte, billigte die Entscheidung des rumänischen Gerichts.

Frage: Ist es fortan in der EU möglich, bereits erfolgte Wahlen auf der Grundlage unbewiesener Behauptungen von Geheimdiensten zu stornieren, ohne deren Wahrheitsgehalt gerichtlich zu überprüfen?

3) Hochrangige Beobachter und Politiker wähnten eine Intervention der USA hinter der Entscheidung zu sehen, im Einvernehmen mit der EU: Ein Sieg Georgescus hätte das strategisch gelegene Nato-Land Rumänien politisch möglicherweise in die Nähe Russlands gerückt.

Frage: Wandelt sich die EU von einer „Wertegemeinschaft“ zu einem geopolitischen, machtpolitischen Akteur, dem Werte nur noch dann wichtig sind, wenn sie zu seinen Machtinteressen passen?

4) Danach wurde Georgescu – der in allen Umfragen mit großem Vorsprung vorn lag – eine erneute Kandidatur vom Verfassungsgericht verboten, mit der Begründung, dass bereits die Annullierung der vorigen Runde aus dem Grund erfolgt sei, dass Georgescu Grundwerte der Verfassung verletzte. Das ähnelte Ereignissen in der Türkei, wo der aussichtsreichste Oppositionskandidat für die nächste Präsidentschaftswahl, Ekrem Imanoglu, wegen Verdachts auf diverse Vergehen festgenommen wurde, und auch der Entwicklung in Frankreich, wo die aussichtsreichste Oppositionskandidatin Marine Le Pen per Gerichtsurteil daran gehindert wurde, an den nächsten Präsidentschaftswahlen teilzunehmen.

Kandidat Călin Georgescu
Will Rumänien die Demokratie vor den Wählern retten?
Frage: Wird das jetzt zum Usus in westlichen Demokratien, nicht die Wähler, sondern Gerichte entscheiden zu lassen, wer das Land führen darf?

5) Zumindest ein örtlicher Politiker, der rumänienungarische Komitatspräsident Sándor Tamás, hat öffentlich den Verdacht geäußert, hinter all den bizarren Vorgängen könnte auch ein Machtkampf konkurrierender rumänischer Geheimdienste stecken (unter ihnen gibt es ihm zufolge auch einen eher russlandfreundlichen Flügel). Dazu passen eine Reihe skurriler Entwicklungen im Vorfeld der Wahl: Die liberale USR entzog ihrer eigenen Kandidatin und Vorsitzenden Elena Lasconi die Unterstützung, und stellte sich stattdessen hinter den ursprünglichen Parteigründer, den Bukarester Bürgermeister Nicusor Dan, den sie aber Jahr zuvor selbst aus der Partei geworfen hatte. Auch merkwürdig: Seit Anfang April gehen Hunderte von Klagen gegen die Annulierung der ursprünglichen Wahl bei örtlichen Gerichten ein.

Die meisten werden abgeschmettert, aber ein Richter in Ploesti akzeptierte die Klage und „suspendierte“ die Entscheidung des Verfassungsgerichtes – was das Oberste Gericht aber für unrecht erklärte. Das alles erinnert an Praktiken in den USA, wo einfache Richter Entscheidungen des US-Präsidenten blockieren können. Das Ganze sieht jedenfalls nach einer organisierten Kampagne aus, um Weichstellen im System zu finden.

Tamás Sándors Argument ist, dass in labilen politischen Systemen „andere Kräfte“ die Macht übernehmen oder zumindest mitgestalten – andere als die offiziellen politischen Akteure, Politiker, Parteien, Institutionen. Er denkt dabei an ausländischen Einfluss, aber auch an die Geheimdienste.

Frage: Kommt eine Zeit in Europa, in der angesichts immer schwächerer politischer Systeme Geheimdienste versuchen, die Politik zu lenken? Etwa in Deutschland, mit ein wenig Fantasie, der Verfassungsschutz?

6) In den wild schwankenden und durchweg Umfragen führt der rechtsnationale, euroskeptische George Simion, Chef der AUR-Partei, der aber – deswegen mag man ihn vielleicht kandidieren lassen – nicht als russlandfreundlich gilt. Allerdings hat er Gebietsansprüche gegenüber der Ukraine angedeutet. Victor Ponta, ein ehemaliger sozialistischer Regierungschef, kandidiert überraschend, nennt sich mittlerweile ebenfalls „Souveränist“ und liegt, ebenfalls überraschend, in manchen Umfragen an zweiter Stelle.

Dann gibt es noch, Kopf and Kopf, den liberalen Bukarester Bürgermeister Nicusor Dan (auch er ein Systemfremdling jenseits der Traditionsparteien) und den Kandidaten der Regierungskoalition der Alt-Parteien, Crin Antonescu. Die Regierungsparteien haben angekündigt, die Macht abzugeben, falls ihr Kandidat Antonescu verliert.

Frage: Bricht alles zusammen? Oder wird es noch mehr exotische Überraschungen geben, die am Ende das Ergebnis retten?

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Kommentare ( 10 )

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Peter Pascht
21 Tage her

Nachdem das Verfassungsgicht die letzten Wahlen annuliert hatte, hat das Appellationsgericht Ploiest das Urteil des Verfassungsgrichts annuliert und somit die Annullierung der Wahlen rückgängig gemacht. Nun hat das Verfassungsgericht nachgelegt und die Annullierung der Annullierung der Annullierrung annulliert 😉 rückgängig gemacht, wodurch nun Neunwahlen für das Präsidenenamt stattfinden könnnen. Die Parodiefigur des „Agamemnon Dandanche“ wiederauferstanden aus dem Grabe, gestaltet einst von dem genialsten rum. Humoristen, Dramaturg und Sozialkritiker I.L. Caragiale (1852-1912), der in Berlin lebte und da auch gestorben und beerdigt ist. Dem da auch eine Gedenkbüste errichtet wurde. Mit subtielstem und feinsinnigem Spott-Humor hat er die Korruption und Vetternwirtschaf… Mehr

Martin Mueller
21 Tage her

Wir leben in der EU im Zeitalter der politischen Elitendemokratie.
Quasi einem linksgrünen Gesinnungskartell, das gegen unpässliche Wählerentscheidungen im Namen der Demokratie interveniert , Wahlen wiederholen lässt und oppositionelle Hoffnungsträger das passive Wahltecht entzieht oder sie unter einem konstruierten Vorwand verhaften lässt. Alles um die Demokratie zu schützen – vor dem Wähler, der nicht so wählt, wie es das Kartell erwünscht…

Last edited 21 Tage her by Martin Mueller
Berlindiesel
21 Tage her

Seit wann ist Rumänien eine „westliche Demokratie“ oder auch nur ein „westliches“ Land? Nichts gegen die Rumänen, aber die würden sich selbst nicht so sehen wollen – eher ist Rumänien das Herz des Balkans mit seinen Eigenarten und Sitten. Einmal mehr beweisen die Vorgänge vor allem doch, dass die angelsächsische Demokratie östlich des Rheins niemals wirklich angenommen werden wird. Auch hier in Deutschland nicht. Die aktuelle Entwicklung zu einem sanft-totalitär links regiertem Staat kommt nicht von ungefähr. Die alte Bundesrepublik vor 1989 mochte den von den USA importierten Typ der Demokratie tatsächlich ausgeführt haben – da stimme ich einem Wolfgang… Mehr

Laurenz
21 Tage her

Ahoi Herr Kálnoky, es spielt überhaupt keine Geige, ob Russen, Algos oder sonstwer sich in irgendeinen Wahlkampf einmischen. Wie viele Russische Lobbyisten hocken denn in Berlin, Bukarest oder Brüssel unter den 4 Lobbyisten pro Abgeordneten? Muß jetzt eine Wahl wiederholt werden, weil die Rechtsabteilung der Deutschen Bank schon mehr als 100 Gesetzestexte geschrieben hat? Es ist eine Sauerei, daß man in Rumänien Ceaușescu aus dem Reich der Toten per Gerichtsbeschluß zurückgeholt hat.

Teiresias
21 Tage her

Tik-Tok-Videos sind also ein demokratisches Problem, die totale Herrschaft von US-Konzernen über private Medien in Europa (z.B. in Deutschland oder Polen) sind kein Problem?

Befürchtet niemand, daß die deutsche Politik mit Bild & Co im Nacken den ÖRR mit den privaten US-Medien gleichschaltet und im Ergebnis selbst Statthalter von US-Interessen werden?

Memphrite
21 Tage her
Antworten an  Teiresias

Wie hier schon einige „liberal-konservative“ geschrieben haben: Ein Vasal der USA zu sein ist das schönste und beste was den Deutschen passieren konnte. Die USA wollen für uns und den Rest der Welt nur das Beste.

Karl Renschu
21 Tage her
Antworten an  Teiresias

Das sind sie doch seit Jahrzehnten.

Manfred_Hbg
21 Tage her

Mhh, selbst nach der damaligen(1989) Absetzung und Erschießung des damals herrschenden Ehepaar Ceaușescu und trotz Eintritt in die EU scheint Rumänien selbst nach ~35 Jahre immer noch nicht zur Ruhe und Wohlstand zu kommen.

Was hier möglicherweise hinter den Kulissen abläuft und ob vielleicht auch hier EU-Brüssel seine Finger mit im Spiel hat, dass werden wir wohl nicht erfahren. Doch ausschließen würden zumindest ich es nicht nachdem auch schon in EU-Brüssel und bei den dort herrschenden grünlinken Pseudodemokraten einiger Dreck zum Vorschein gekommen ist.

Querdenker_Techn
21 Tage her

Wie ist das mit dem kometenhaften Aufstieg der Linken mit ihrer Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek? Auch sie von einer Unbekannten zum YouTube-Star und ihre Partei von 4% auf fast 10%. Ist das etwas anderes als in Rumänien?

Elmar
21 Tage her

In Rumänien wird mit Unterstützung durch die Brüsseler Eurokraten gezeigt wie „unsere Demokratie“ im Allerwertesten ausschaut.