Ramelow: Zielsicher an der Verfassung vorbeiregiert

Schon vor der Ankunft von Ramelow in Berlin hat sich der Bundestag daran gewöhnt, Regeln nur so lange zu respektieren, wie es den Altparteien passt. Das Grundgesetz, noch kürzlich als Vorbild für alle Welt gepriesen, gilt nur noch unter Vorbehalt, und das heißt strenggenommen: gar nicht. Von Konrad Adam

picture alliance/dpa | Martin Schutt

Bevor sich Bodo Ramelow auf den Weg nach Berlin machte, um im Bundestag dieselben Sitten einzuführen, unter denen das Land Thüringen jahrelang gelitten hatte, hielt er für Mario Voigt und dessen Erben einen schlechten Rat bereit. Jeder seiner Nachfolger, verkündete er selbstbewusst, müsse sich daran messen lassen, wie er, Bodo der Erste, an der Spitze eines Minderheitenkabinetts vier Jahre lang an der Verfassung vorbei regiert hatte. So jedenfalls die Tagesschau, der man in diesem Falle ausnahmsweise glauben darf.

Übersetzt man Ramelows Phrase in korrektes Deutsch, bedeutet das: Die Verfassung gilt nicht mehr. Das Grundgesetz und die Verfassungen der Länder sind sich in dem Punkte völlig einig: Gewählt ist, wer die Mehrheit der Stimmen auf sich vereinigt. Vor vier Jahren war das der FDP-Mann Thomas Kemmerich gewesen. Im dritten Wahlgang war er von der Mehrheit des Parlaments zum Ministerpräsidenten gewählt worden. Angela Merkel passte das aber nicht, und deshalb hatte sie, fernmündlich aus Südafrika, dazu aufgerufen, die Verfassung zu ignorieren.

Nicht nur Herr Ramelow, nicht nur die Vorsitzenden der Kartellparteien, auch das Bundesverfassungsgericht, geübt in der Kunst der uferlosen Rechtsauslegung, hatten nichts oder nur wenig dagegen einzuwenden. „Mehrheit ist Mehrheit“, der Satz, mit dem Adenauer seinerzeit mit der Mehrheit einer einzigen, wahrscheinlich seiner eigenen Stimme als erster Kanzler an die Macht gekommen war, galt nicht mehr. Nach Ansicht der Verfassungsrichter sollte ein gegen die Verfassung ins Amt gekommener Ministerpräsident auch ohne die Verfassung weiterregieren.

Wie immer macht das schlechte Beispiel Schule. Die Mehrheitsregel ist ja nicht irgendeine Vorschrift, sie ist das Fundament jeder funktionierenden Demokratie. Wird dieses Fundament angegraben, muss über kurz oder lang der ganze Bau in sich zusammenfallen. Schon vor der Ankunft von Herrn Ramelow in Berlin hat sich der Bundestag daran gewöhnt, sämtliche Regeln, Gewohnheitsrechte und Geschäftsordnungen nur so lange zu respektieren, wie es den Altparteien passt. Das Grundgesetz, noch kürzlich als Vorbild für alle Welt gepriesen, gilt nur noch unter Vorbehalt, und das heißt strenggenommen: gar nicht.

Vor jeder Wahl bitten die Parteien um das Vertrauen der Wähler, und nach der Wahl bedanken sie sich dafür. Wer dann am besten abgeschnitten hat, vertritt wie selbstverständlich seinen Anspruch, die nächste Regierung zu stellen. Parteien wie die Linke, die Grünen oder das BSW täten das natürlich auch, wenn sie denn jemals Aussicht auf die Mehrheit hätten. Nur wenn die AfD das tut, ist das ein Zeichen von Faschismus, und der Verfassungsschutz maßt sich an, die Rolle des Gerichts zu übernehmen und die Partei zu verbieten.

„Nie wieder, das ist jetzt“ heißt die Parole. Sie stimmt sogar. Wollten wir eine Lehre aus dem Versagen der Weimarer Republik ziehen, so hätten wir die Engstirnigkeit anzuprangern, mit der die letzte parlamentarisch abgestützte Reichsregierung über einer Lappalie, der Erhöhung der Beitrags zur gesetzlichen Arbeitslosenversicherung von gerade einmal einem halben Prozent, hälftig zu tragen von Arbeitern und Unternehmern, auseinanderbrach. Indem sie eine Brandmauer errichtete, hatte sie ihre Beweglichkeit verloren. Sie musste kapitulieren, und danach war kein Halten mehr.

Nur deshalb konnte in Thüringen vier Jahre lang ein Mann regieren, der Mitglied einer Partei ist, deren Stammbaum lückenlos auf die SED zurückgeht. Einer Partei, die sich zu dieser Tradition ja auch bekennt. Die ihren Funktionären nur deshalb so üppige Gehälter zahlen kann, weil sie bis heute von dem Vermögen zehrt, das die Sozialistische Einheitspartei dem Volk abgepresst und beiseite geschafft hatte. Das Volk hätte allen Grund, dagegen vorzugehen, aber das Volk gibt es ja nicht mehr. Frau Merkel hat es, zusammen mit dem Grundgesetz, abgeschafft.

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Kommentare ( 19 )

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A rose is a rose...
1 Monat her

Und dennoch scheint das bedingungslose Vertrauen der Deutschen ihrer – wie auch immer zustande gekommenen – Regierung gegenüber ungebrochen. Was eigentlich dem Normalzustand in einer Demokratie entsprechen sollte, verkommt nach und nach zu einer Parodie, über die keiner mehr lacht und die niemand kritisieren darf.

Michael Palusch
1 Monat her

„Die Mehrheitsregel ist ja nicht irgendeine Vorschrift, sie ist das Fundament jeder funktionierenden Demokratie.“
Sie ist nicht nur das Fundament sie ist DIE Demokratie. Der Begriff Demokratie sagt nämlich nichts über eine politische Ausrichtung aus, er bedeutet einzig, dass die Machtverhältnisse das Mehrheitsvotum des Souveräns widerspiegeln.

Last edited 1 Monat her by Michael Palusch
November Man
1 Monat her

„Das Volk hätte allen Grund, dagegen vorzugehen, aber das Volk gibt es ja nicht mehr. Frau Merkel hat es, zusammen mit dem Grundgesetz, abgeschafft.“ Ach deshalb gibt es bei den Grünen kein Volk mehr. Aber das Geld des völkisch nationalen Steuerzahler nehmen die Grünen mit großer Freude. Widerlich solche Politiker.  

ISC
1 Monat her

Das Bild ist Super!
Es zeigt ungeschminkt die Freude der Verschwörer an jeglichen demokratischen Regeln vorbei einen Deal gezimmert zu haben.
Die sonst groß geschriebene Moral sitzt weinend in der Besenkammer.
Die CDU ist sowas von entkernt, die steht für gar nichts mehr, Beispiel: Ihr großer Vorsitzender. So ein Waschlappen. Der wird zum Fußabtreter seiner eigenen Regierung werden.

Querdenker73
1 Monat her
Antworten an  ISC

Moral? Die CDU besitzt die Frechheit, nicht nur über 30% der Wähler aus zu grenzen, sondern dem Bürger im Osten einen Vertreter der Stasi als Minister zu generieren! Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen… Dieser Bande ist nichts mehr heilig!

Apfelmann
1 Monat her

Das Grundproblem des Herrn Voigt ist doch, dass er nicht den Mumm hatte sich gegen die Bundes-CDU durchzusetzen. Er hätte lieber mit Ramelow koalieren sollen, der eine solide Regierungszeit trotz Minderheit hingelegt hat. Stattdessen nimmt er die Wundertüte von Sahras Gnaden. Einfach unbegreiflich….

Radikaler Demokrat
1 Monat her
Antworten an  Apfelmann

Eine „solide Regierungszeit“, die auf einen Bruch der thüringischen Landesverfassung UND des Grundgesetzes gegründet ist? Es gibt in Deutschland die Rechtsvorschrift, daß man kein Eigentum an gestohlenem Gut erwerben kann, man hat selbst als gutgläubiger Käufer keinen Anspruch auf eine Entschädigung, falls der Bestohlene in die Lage versetzt wird, sein Eigentum zurückzufordern. Aber Gesetze machen und Regieren nach einem coup d´etat, das soll in Ordnung sein. Wie mich das anwidert…

A rose is a rose...
1 Monat her
Antworten an  Apfelmann

Reden wir hier über den Mann, der überhaupt erst durch unlautere Weise an die Macht gekommen ist, um dann die getroffene Abmachung einer zeitnahen Neuwahl zu ignorieren? Ich bin fassungslos, dass ein offiziell unter CDU-Parteibuch antretender Kandidat eine Koalition mit den Linken eingehen kann. Ob Ramelow oder Sahra, die Programme sind praktisch identisch, ebenso wie die Mitglieder.

Micky Maus
1 Monat her

Nur mit solchen verlogenen Mitteln, wie Umgehung des Grundgesetzes kann sich dieses Pack an der Macht halten. Der beste Beweis für diese dreckige, verlogene deutsche „Demokratie“ ist allein schon durch den Begriff „Brandmauer“ gekennzeichnet. Damit werden denkende, arbeitende Menschen zu Rechten, Radikalen, ja sogar laut Steinmeier zu Ratten, ja schon fast als Nazis abgestempelt Die AfD ist von einem sehr großen Teil der Bevölkerung demokratisch gewählt wurden und diese Mafiabande in Berlin erkennt das nicht an.

brummibaer_hh
1 Monat her

Sagt Herr Konrad Adam, seines Zeichens ehemals Politiker in der AFD, der 2021 aus dieser austrat, weil sie ihm zu rechtsradikal geworden war. Kemmerich war tatsächlich formmal korrekt gewählt worden. Aber vielleicht denkt Herr Konrad auch an die Trickserei der AFD, die einen eigenen Kandidaten aufgestellt hatte – sozusagen als Lockvogel – und der dann im dritten Wahlgang nicht eine Stimme seiner eigenen Partei bekommen hat. Wie ernst diese also die Thürinische Verfassung genommen hat mit diesen Taschenspielereien, sieht man dann. Fau Merkel wurde zurecht wegen ihrer Bemerkung damals gerügt, aber meines Wissens hat sie mKemmerich dann nicht des Amtes… Mehr

Radikaler Demokrat
1 Monat her
Antworten an  brummibaer_hh

Zurückgetreten worden nach einer für damalige Verhältnisse beispiellosen Hetzkampagne sowie Drohungen gegen seine Familie von den „Unsere Demokratie“-Demokraten. Und was ein „Landesverfassungsgericht“ feststellt, daß ausschließlich aus Fa……en und Antidemokraten besteht, hat ungefähr die Qualität eines Urteils von Hilde Benjamin…

Dieter Rose
1 Monat her

Mich würde der Grund für dieses Lachen interessieren. Meine Gründe unterliegen der Eigenzensur!

Schwabenwilli
1 Monat her

Wir treten jetzt ein in eine Phase wo es Wählerseits heißt „Da kann man eh nichts machen“.
Wie lange sie dieser Meinung sind hängt vom Leidensdruck ab.
Sicher ist nur eines, solange wie die alte BRD hält dieses System nicht.

wally.wallner
1 Monat her

Ich lasse es mir ja eingehen, wenn – wie nach der Wahl und dem (mehr oder weniger erzwungenen) Rücktritt von Hrn. Kemmerich, übergangsweise die vorherige Regierung weiterregiert, quasi geschäftsführend im Amt bleibt. Aber spätestens, wenn die vereinbarten weiteren Schritte, also z.B. die besprochenen Neuwahlen dann nicht wie vereinbart initiiert wurden, hätte die CDU die Minderheitsregierung nicht mehr unterstützen dürfen – was im Sinne eines demokratischen Verhaltens erforderlich gewesen wäre.