Die FDP und das Kopftuch

Wie die FDP seit Jahren eine klare Haltung zu den Aktivitäten der staatlichen türkischen Religionsbehörde Ditib vermeidet, so hält sie sich auch aus der Debatte über die Rolle des Islam am liebsten heraus.

Steffi Loos/Getty Images

Da kommt man nicht nur als Liberaler wirklich ins Staunen. Die FDP wirbt in Neumünster mit einem Plakat für die Kommunalwahl am 6. Mai, das eine Kandidatin mit dem Hijab, dem islamischen Kopftuch präsentiert. Auch der gesamte Oberkörper ist mit einem Mantel zur Konturlosigkeit verhüllt, wie es den Bekleidungsvorgaben des konservativen Islam entspricht. Kein Wunder, dass sich das Plakatmotiv in Windeseile im Internet verbreitet hat, gepostet zunächst von der Kandidatin selbst.

Die FDP vor Ort, aber auch ihr Führungspersonal in Schleswig-Holstein, nahm die Frau zurecht gegen unflätige und teilweise hasserfüllte Kommentare im Netz in Schutz, die sie daraufhin ertragen musste. Mit Wolfgang Kubicki meldete sich in der „Welt“ sogar der zweitwichtigste FDP-Politiker zu Wort: „Wer eine muslimische Kandidatin mit oder ohne Kopftuch verunglimpft, soll sich zum Teufel scheren“. Gut gesprochen. Und dennoch bleiben entscheidende Fragen offen: Wird es in der FDP jetzt zur neuen Normalität, Kandidaten zu präsentieren, die sich demonstrativ als Vertreter des traditionellen Islam zeigen? Ist die Partei wirklich so naiv, das Kopftuch als rein persönlichen Ausdruck religiöser Überzeugung zu bewerten und nicht als politisches Statement? Oder macht sich in der FDP in Wahrheit ein multikultureller Werterelativismus breit, für den bisher vor allem die Grünen standen? Es gibt Anlass zur Sorge.

Als das Bundesverfassungsgericht 2015 das Kopftuchverbot für Lehrerinnen kippte und damit ein wirklich fatales gesellschaftspolitisches Signal setzte, stützte es sich bemerkenswerterweise auf eine theologische Expertise des islamischen Obersten Religionsrates der Türkei, aus der es in seinem Urteil folgendermaßen zitiert: „Muslimische Frauen müssten ab Eintritt der Pubertät in Gegenwart von Männern, mit denen sie nicht verwandt seien und die zu ehelichen ihnen religionsrechtlich erlaubt sei, ihren Körper – mit Ausnahme von Gesicht, Händen und Füßen – mit Kleidung derart bedecken, dass die Konturen und Farbe des Körpers nicht zu sehen seien“. Was hätte das Gericht denn eigentlich gemacht, wenn eine muslimische Lehrerin, gestützt auf ein türkisches Religionsgutachten, an deutschen Schulen in der Burka unterrichten wollte?

Wer glaubt, das Kopftuch sei lediglich Ausdruck individueller Spiritualität, hat also wirklich nicht verstanden, worum es dabei geht. Es geht um den Versuch, vormoderne, antiemanzipatorische Lebensregeln in der politischen Realität zu verankern. Nicht nur irgendwo auf der Welt, sondern auch bei uns, mitten in Deutschland, im Jahr 2018.

Frauenrechtlerinnen wie Necla Kelek oder Seyran Ates werden nicht müde, die verheerenden Folgen des konservativen Islam für die Entwicklungschancen muslimischer Mädchen zu beschreiben, denen von klein auf eingeimpft wird, dass sie weniger wert sind als ihre Brüder, gottgewollt unter männlicher Herrschaft stehen und schon gar kein Recht auf ein selbstbestimmtes Sexualleben besitzen. Sich dieses Themas anzunehmen, wäre Aufgabe einer modernen Freiheitspartei. Bisher ist davon leider noch nichts zu erkennen.

Wie die FDP seit Jahren eine klare Haltung zu den Aktivitäten der staatlichen türkischen Religionsbehörde Ditib in Deutschland vermeidet, so hält sie sich auch aus der Debatte über die Rolle des Islam am liebsten heraus. (Lindner: „Weder verlangt irgendwer die Übernahme islamischer Sitten noch ist das Christentum Staatsreligion.“) Für die Anhänger der FDP, die nach einer kürzlichen Umfrage im Auftrag der „Welt“ mit 91 Prozent der Aussage von Seehofer zustimmen (mehr als bei den Anhängern der Union), der Islam gehöre nicht zu Deutschland, ist das auf Dauer vermutlich wenig befriedigend.

Dabei kündigt FDP-Chef Christian Lindner gerade in diesen Tagen an, seine Partei werde sich („die FDP muss weiblicher werden“) verstärkt um die Mitarbeit von Frauen bemühen und sei „eigentlich die beste Wahl für Frauen, die ein selbstbestimmtes Leben führen“. Wenn derartige Aussagen nicht zu reinen Politphrasen verkommen sollen, sollte sich die FDP schleunigst vertieft mit dem Kopftuchthema befassen, statt einen großen Bogen darum zu machen. Das Plakat der FDP-Kandidatin aus Neumünster macht erst recht deutlich, wie nötig das ist.


Gerhard Papke war FDP-Fraktionsvorsitzender im Düsseldorfer Landtag und dann dessen Vizepräsident.

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