Wirecard: Erst der Anfang?

Die Dimension der Pleite der Wirecard AG und deren Umstände wird immer größer. Gestern hat die Staatsanwaltschaft München drei Haftbefehle gegen ehemalige Vorstandsmitglieder der Wirecard AG erlassen beziehungsweise erweitert. Seit 2015 seien Umsätze manipuliert und in den Bilanzen falsche Angaben gemacht worden.

imago Images/IPON

Die ursprünglich fehlenden 1,9 Milliarden Euro seien nur ein Bruchteil der fehlenden Gelder. Zahlreiche Banken hätten der Wirecard AG Kredite in der Größenordnung von 3,2 Milliarden Euro bewilligt, die nun wahrscheinlich uneinbringlich seien.

Nächste Woche Mittwoch trifft sich der Finanzausschuss des Deutschen Bundestages zu einer Sondersitzung. Vorgeladen sind die Minister Scholz (Finanzen) und Altmaier (Wirtschaft). Erster ist oberster Dienstherr der Finanzaufsicht BaFin. Die BaFin hat die Bilanzprüfung der Wirecard AG anderen überlassen, obwohl sie den Fall hätte an sich ziehen müssen. Altmaier ist Aufseher der Abschlussprüferstelle (Apas), war aber auch Kanzleramtsminister und damit auch für die Geheimdienste zuständig.

Es ist schon mindestens pikant, wenn Altmaiers ehemaliger Staatssekretär im Kanzleramt, der Geheimdienstkoordinator Klaus-Dieter Fritsche, anderthalb Jahr nach seinem Ausscheiden in den Ruhestand, im Kanzleramt für die Wirecard AG lobbyiert. Das ist insbesondere deshalb auch interessant, weil Fritsche die kurz zuvor beendete ÖVP/FPÖ-Regierung und deren damaligen Innenminister Herbert Kickl von der FPÖ beriet. Fritsche sollte bei der Weiterentwicklung des Verfassungsschutzes in Österreich helfen.

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Sowohl Markus Braun als auch sein flüchtiger Ex-Vorstandskollege Jan Marsalek hatten wohl enge Kontakte zur FPÖ. Die Wirecard AG hat die Partei mit Spenden unterstützt. Der flüchtige Marsalek ist laut Medienberichten in Russland untergetaucht und dort unter der Obhut des russischen Militärgeheimdienstes GRU. Dorthin soll er schon seit vielen Jahren gute Kontakte gehabt haben. Ob dies dem ehemaligen Geheimdienstkoordinator Fritsche völlig verborgen blieb? Wenn ja: was ist ihm oder gar den Diensten noch so alles entgangen?

Ebenso hat Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg für den Markteintritt von Wirecard in China im Kanzleramt lobbyiert. Die Kanzlerin sprach das dann auf ihrer Chinareise im September 2019 auch offiziell an. Bei so viel gegenseitiger Unterstützung der Beteiligten verwundert es nicht, dass der Staatssekretär im Finanzministerium Jörg Kukies den damaligen Vorstandsvorsitzenden Markus Braun an dessen 50. Geburtstag am 5.11.2019 mit einem Besuch beehrte. So viel Nähe zu den Größen der Finanzwelt gab es seit dem Abendessen der Kanzlerin mit dem damaligen Deutsche Bank-Chefs Josef Ackermann und seinen Gästen im Kanzleramt anlässlich seines Geburtstages nicht mehr.

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Noch interessanter wird es, wenn die Rolle von Goldman Sachs hier untersucht wird. Kukies war vor seiner Ernennung zum Staatssekretär 2018 als Deutschland-Chef von Goldman Sachs tätig. Hat die mangelnde Hartnäckigkeit bei den Untersuchungen vielleicht auch damit zu tun, dass die Investmentbank mindestens seit Anfang 2019 bei Wirecard investiert ist und ihren Anteil im Mai 2020 auf fast 16 Prozent erhöht hat? Hatte man vielleicht schon 2018 an Wirecard Interesse und sie beobachtet? Hier muss es keinen direkten Zusammenhang geben. Doch wie das Finanzministerium und sein Staatssekretär mit der Finanzwelt agieren, zeigen die Umstände des Rücktritts des Vorstandsvorsitzenden der Commerzbank Martin Zielke und des Aufsichtsratschefs Stefan Schmittmann. Auslöser war hier ein Brief des Finanzinvestors Cerberus, der am 9. Juni 2020 verschickt wurde. Einen Tag davor und eine Woche danach traf sich Kukies mit Vertretern von Cerberus. Es ist also nicht völlig an den Haaren herbeigezogen, wenn man hier vermutet, dass das Finanzministerium und Cerberus sich hier die Bälle zuspielen.

All diese Verstrickungen sind schon Grund genug zu ernster Sorge. Hinzu kommt noch das Problem, dass auch noch Tausende von geschädigten Anlegern betroffen sind. Sie haben über 20 Milliarden Euro Börsenkapitalisierung verloren. Sie haben auf einen Staat, seine Institutionen und seine Kontrollmöglichkeiten gesetzt und vertraut. Sie müssen jetzt Verluste von bis 99 Prozent ihres investierten Vermögens verkraften. Das betrifft nicht nur viele Einzelaktionäre, sondern auch Anleger, die indirekt über Investmentfonds oder Indexfonds in den DAX investiert waren. Auch sie müssen Verluste verkraften. Schon deshalb muss dieser Skandal umfassend parlamentarisch aufgearbeitet werden. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss ist dafür das richtige Instrument.

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Kommentare ( 44 )

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44 Comments
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Wolfgang Schuckmann
3 Jahre her

In ganz alten Zeiten wurden solche Probleme mit Waffen-Gängen, sprich Krieg gelöst. Die Seilschaften wurden ohne Rücksicht auf Verluste zerstört. Dies ist im immer währenden Frieden nicht möglich. Also sollte man es als Preis für den Frieden betrachten. Ich weiß, starker Tobak, aber wie soll man das anders lösen und Kollateralschäden verhindern? Es wäre die Quadratur des Kreises. Dort, wo die Dinge so treiben gelassen werden wie bei uns, sind diese kriminellen Auswüchse eines Raubtierkapitalismus nicht zu bändigen. Wer diese Freiheit meint, muss sich mit dessen dunkler Rückseite abfinden. Noch so gut gemeinte Versuche können gegen die geballte Kraft dieser… Mehr

Hieronymus Bosch
3 Jahre her

Wer soll hier etwas aufklären? Dass Politik und Wirtschaft unter einer Decke stecken, ist doch nichts Neues. Erst kommt das Fressen, dann die Moral – wusste schon Brecht. Eine Hand wäscht die andere – Korruption und Vetternwirtschaft sind leider in Deutschland noch immer Kaaliersdelikte. Dabei wird es auch bleiben!

Roland Mueller
3 Jahre her

Aus den unzähligen Artikeln zum Thema Wirecard und dem Herrn Marsalek ist nicht ersichtlich, welches Interesse ein russischer Militärgeheimdienst an Wirecrd und dem Herrn Marsalek haben sollte. Auch der Herr Schaeffler weiß zu dieser Sache nichts erhellendes zu berichten. Ich denke, es handelt sich um gezielt in die Welt gesetzte Desinformation um von den korrupten Versagern der Grokos in Berlin abzulenken.

Protestwaehler
3 Jahre her

„Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss ist dafür das richtige Instrument“ hahaha…. ja genau, das haben wir ja die Tage erst wieder bei der von der Leyen erlebt, lächerlich. Wer da im U-Ausschuss sitzt hält selbst irgendwo die Hand auf.
Nein, man kann nur hoffen das ausreichend Politiker und Staatssekretäre selbst in WireCard Aktien gemacht haben, nur dann steht einer „Rettung“ nichts mehr im Weg.

Muensteraner
3 Jahre her

Bei dem Wort „Untersuchungsausschuss“ muss ich immer an den Untersuchungsausschuss denken, der sich mit Ursula von der Leyen beschäftigte und sie am Ende von allen Vorwürfen frei sprach.

Was sollte bei einem „Untersuchungsausschuss“ und der Vielzahl der „hochkarätigen“ Politikern, die möglicherweise darin verwickelt zu sein scheinen, anderes herauskommen als ein „habt ihr gut gemacht“ ???

Maria Jolantos
3 Jahre her

Mich würde viel mehr interessieren, welche „Aktionen“ mit dem Geld finanziert wurden und ob die regierungsnah waren.

Odysseus JMB
3 Jahre her

Ein Finanzdienstleister, der auf wundersame Weise Geld verschwinden lassen kann, ohne dass es jemandem auffällt, könnte z.B. in China sehr gut Ergebnisse erzielen, da hier die Nachfrage nach illegalen Finanzabflüssen ins Ausland exorbitant hoch wäre. So könnten sich einige Spitzenpolitker in Berlin gedacht haben. Das unterstellte Geschäftsmodell hat nur den einen Haken, dass man bei illegalen Transaktionen nicht unbedingt erwarten kann, dass die involvierten Manager sich nicht selbst bedienen, weil sie sich in Sicherheit wiegen können, dass der dumme Kunde schon die Klappe halten würde, um nicht noch zum Schaden auch gleich den Spott frei Haus geliefert zu bekommen. Der… Mehr

Immergruen
3 Jahre her

Wirecard war doch eine der Vorzeige-DAX-Firmen mit 50 Prozent Frauen im Aufsichtsrat. Ist nicht Kontrolle dessen vornehmste Aufgabe? Wofür bekommen die Mitglieder*Innen des Aufsichtsrats ihre exorbitant hohen Gehälter? Warum hört und liest man nichts von dessen Versagen?

nomsm
3 Jahre her
Antworten an  Immergruen

Weil diese auf typischen PowerWeibchen—Veranstaltungen waren, wo sich auch vdL herumtreibt.

bkkopp
3 Jahre her

Mir scheint sehr zweifelhaft ob ein parlamentarischer U-Ausschuß Sinn macht bevor die Rolle von Aufsichtsrat und Wirtschaftsprüfer, einschließlich aller Rechnungslegungen der letzten Jahre, aufgearbeitet sind. Die Politik, wie auch die Aufsichtsbehörden, können nichts Genaues gewußt haben, wenn AR, WP und die kreditgebenden Banken, die angeblich mehr als € 3.2 Mrd. im Feuer haben, nichts gewußt haben. Auf dieser Stufe muß man den Dingen erst einmal auf den Grund gehen, und auch die rechtlichen Bedingungen nochmals gründlich überprüfen. Gerüchte, Pressespekulationen, eigenartige politische und/oder geheimdienstliche Verbindungen sind keine Faktenlage.

nomsm
3 Jahre her
Antworten an  bkkopp

Das sehe ich anders. Es gibt zudem Thema mehrere parlamentarische Anfragen aus dem Frühjahr diesen Jahres. U.a. ging es auch um die Leerverkäufe und das Aussetzen dieser. Die Bundesregierung begründete das Aussetzen mit dem Vermeiden von Schäden des Finanzplatzes Deutschlands. Hinterfragt ob an den Gerpchten etwas dran sein, wollte man nicht. Die BaFin ist unter Merkel auch politisch gesäubert wurden und genau hier muss man ansetzen.

November Man
3 Jahre her

Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss ist nichts anderes als ein politisch geprägter Vertuschungs-Ausschuss, der umfangreich, vollständig und haargenau alles untersucht was zukünftig in einem Skandal alles noch herauskommen könnte – um es anschließend schnell und unbemerkt verschwinden zu lassen.
Keine Krähe hackt der anderen ein Auge aus, schon gar seit die Altparteien ein linkes Kartell gegen die konservative demokratische AfD gebildet haben.

Johann Thiel
3 Jahre her
Antworten an  November Man

Danke November Man,
„die konservative demokratische AfD“,
endlich spricht es mal einer aus.