Ein einsamer Mathestudent tritt gegen Merkel, Drosten und Co an

Mathematikstudent Patrick Schönherr hat eine Methode gefunden, den Inzidenzwert so zu berechnen, dass er tatsächlich das Pandemiegeschehen beschreibt. Das ist bislang nicht der Fall.

IMAGO / Rüdiger Wölk

Es mag abgedroschen und überstrapaziert sein, aber um eine verblüffende wie aktuelle Geschichte aus dem Berchtesgadener Land zu erzählen, eignet sich Andersens Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ besonders gut. Sie kennen es: Der Kaiser präsentiert sich nackt seinem Volk, weil ihm eingeredet wurde, die teuersten Kleider könnten nur von klugen Menschen gesehen werden – und da will der Kaiser natürlich dazugehören. Und um nicht dumm und nackt zu erscheinen, mimt der Kaiser den Angezogenen, seine Untertanen machen das Spiel mit, schließlich ist er der Kaiser. Der große Schwindel fliegt erst auf, als ein Kind ruft, der Kaiser sei ja nackt.

In der folgenden Geschichte sind die Rollen klar verteilt: Bundeskanzlerin Merkel ist die Kaiserin, Christian Drosten und seine Entourage sind die Kleiderverkäufer und das Volk ist das Volk. Aber wer ist das Kind? Es kommt in Gestalt eines Mathematikstudenten namens Patrick Schönherr aus dem kaum 3.000 Einwohner großen Bayrisch Gmain daher, ein junger Mann, über den erstmals berichtet wurde im Traunsteiner Tageblatt.

— Alexandra Graßler (@wissensagentur) March 17, 2021

Die raumgreifende Schlagzeile aus Traunstein hat es in sich: „Das Problem mit der Inszidenz: Mathestudent aus Bayrisch Gmain mit neuer Berechnungsgrundlage.“ Der Kaiser war nackt, der Student hat gelacht und in etwa erklärt: Hey, die Inzidenz verändert sich, wo sie ins Verhältnis gesetzt wird zur Zahl der Tests selbst. Das Bestechende: Nötig dafür sind lediglich Grundkenntnisse der Mathematik.

Aber warum ist dieses große Schweigen und die anschließende Verwunderung über offensichtliche Rechenfehler – keine Sorge, gleich wird es konkreter – nicht öffentlich geworden, und der dann als grundlagenschwach entlarvten Corona-Politik der Bundesregierung entgegengestellt worden? Denn der Lockdown samt seiner Corona-Maßnahmen-Kataloge basiert ja genau auf diesen Inzidenzzahlen und Berechnungen, die falsch berechnet werden.

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Schönherrs Rechung, so sagt er, sei auch „für Nicht-Mathematiker leicht nachvollziehbar.“ Die Grundlagen dafür lernen Schüler in der siebten Klasse. Bevor wir uns dem auf Youtube veröffentlichten Film des wagemutigen Studenten annäheren – der Clip, der den Stein ins Rollen brachte – vorab die wichtigste Aussage daraus, wie sie das Tageblatt bereits zusammengefasst hatte:

„Entscheidend sei, nicht auf die absoluten Zahlen der positiv Getesteten pro 100.000 Einwohner zu schauen“, wenn man Inzidenzen miteinander vergleicht. Das sei, so Schönherr, „ein simpler mathematischer Fehler“. Es müssen auch die negativen Tests berücksichtigt werden. In der Mathematik heißt das „normieren“ – man müsste berechnen, wie hoch die Inzidenz wäre, wenn alle immer gleich viel testen würden.

Und Schönherr hat es gleich mal an den Zahlen des Berchtesgadener Landes ausprobiert und – ohne dass es eines Wunders bedurfte – sank der Inzidenzwert schwuppdiwupp von 89 auf 29. Schönherr meint übrigens auch, dass die Positivrate eher noch geringer ausfällt, „weil es auch durch Schnelltests immer mehr negative Ergebnisse gibt, die nicht berücksichtigt werden.“

Aber wie weiter? Wir bleiben beim Youtube-Video: Kann man das? Darf man das? Ist das nicht vermessen, in acht Minuten die Corona-Politik der Bundesregierung ad absurdum zu führen? Schönherr titelt sein Video: „Die Mathematik hinter der Inzidenz“ Und erklärt: „Warum ein einfacher Fehler die Inzidenz derzeit nutzlos macht.“

„Kleiner Spoiler vorab, unsere Inzidenz ist derzeit um das vierfache zu hoch“, eröffnet der kühne Mathefreund. Was das für die weitreichenden Corona-Maßnahmen im Lockdown bedeuten würde, muss hier nicht mehr erklärt werden.

Schönherr wundert sich, dass in der Formel zur Ermittlung des Inzidenz-Wertes die negativen Tests gar nicht berücksichtigt würden, das aber sei ein gravierender Unterschied. Denn, wenn 50 positive Tests auf 100.000 Einwohner gerechnet werden, aber beispielsweise „nur“ 5.000 Test gemacht wurden, wären – übrigens nicht nur nach Schönherr, sondern auch nach Adam Riese – 4.950 Tests negativ.

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Ein Schlüssellsatz der Beweiskette: „Somit steigt der Inzidenz-Wert obwohl es uns in Sachen Corona vielleicht gar nicht schlechter geht. Rückschlüsse auf das Pandemiegeschehen lässt dieser Inzidenz-Wert also derzeit nicht zu.“

TE hatte die Ergebnisse der Berechnungen des Studenten einem renommierten Mediziner vorgelegt, einem, der öfter mal von der Politik befragt wird. Und der stimmte dem bayrischen Studenten sogar prinzipiell zu! Ja, das mit der Inzidenz wäre alles ziemlicher Humbug. Aber der Mediziner, der anonym bleiben will, beruft sich darauf, dass er selber sowieso nur auf die Intensivbettenbelegung und die Todeszahlen schauen würde. Die allerdings sind für die Berechnung der Inzidenz-Zahlen nachgereicht. Ebenso übrigens wie für die sich aus den Inzidenz-Zahlen ergebenen Corona-Maßnahmen (Lockdowns).

Die Beispielrechnungen von Schönherr sind verführerisch: So nimmt er zwei Landkreise mit identischer Einwohnerzahl, unterstellt in beiden seien ein Prozent der Bevölkerung Covid-19-Infizierte. Nun testet ein Landkreis deutlich mehr als der andere und hat einen deutlich höheren Inzidenz-Wert. Ergo müssten hier auch die Corona-Maßnahmen (Lockdowns) verschärft werden, obwohl beide Landkreise doch die exakt gleiche pandemische Lage vorweisen würden. Bestechend logisch oder? Jedenfalls bisher für den Studenten und für das Traunsteiner Tageblatt. Und offensichtlich mitgetragen von mindestens einem einflussreichen Mediziner, den TE dazu befragt hatten.

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Der Student bietet sogar einen Lösungsansatz an: Der Anteil der positiven Test an den Tests insgesamt soll berücksichtigt werden. Er nennt es „eine Art Testpositivenquote“. Diese Zahl der Tests soll dann genormt werden möglichst nah am deutschen Durchschnitt.

Und hier wird es jetzt für so einen Artikel auch nur der einfachen Mathematik folgend doch zu leseunfreundlich. Aber das Tageblatt und der Student selbst in seinem Video haben es anschaulich genug geschildert, jedenfalls für diejenigen mit mindestens rudimentären Mathematikkenntnissen, die sich näher damit beschäftigen mögen. Auf jeden Fall allerdings damit auseinandersetzen sollten sich die politischen Entscheider und die etablierten Medien. Möglicherweise findet sich ja ein Rechenfehler beim vermeintlichen Nachweis des Rechenfehlers – aber der ist erst einmal zu finden. Im Moment jedenfalls hat der Student die Kaiserin nackt gesehen – einfach weil sie nackt ist oder weil Schönherr doch noch ein paar Semester fehlen wie den vermeintlichen Schlauköpfen aus der Entourage rund um Merkel, die der Kaiserin ihre Zahlen vorgelegt haben und damit weitreichende Corona-Maßnahmen (Lockdowns) in Gang gesetzt haben.

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