Wahldesaster der CDU: Wahlanalyse voller Schuldzuweisungen

Aus dem Konrad-Adenauer-Haus eine nächtliche Wahlanalyse, die in ihrer Naivität und demonstrativen Erschütterung im neuen Wesenskern der Christdemokratie an Orientierungslosigkeit kaum noch übertroffen werden kann. Dann später am Tag noch Meldungen über Lösungsvorschläge, wonach AKK Meinungsäußerungen vor Wahlen regulieren wolle.

ODD ANDERSEN/AFP/Getty Images
Ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis die CDU nach der Beerdigung des Verbrennungsmotors mit wehenden weißen Haaren von der Anbetung des Elektroautos zu einem Kniefall vor dem Rollator überwechselt?

Folgerichtig wäre es auf jeden Fall, wenn ersten EU-Wahl-Analysen zufolge die Nachfolger Adenauers und Kohls „nur noch bei den über 60-Jährigen klar die Nummer 1“ sind, und wenn sie sich „bei den 45- bis 59-Jährigen (…) ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit den Grünen“ liefern.

Nun gibt es allerdings kaum Unangenehmeres als ein hektisch aufgescheuchter Haufen Enttäuschter, die neidisch zu den Gewinnern einer Wahl hinüber schielen, die dort Gründe für den Sieg entdeckt haben wollen und sich nach innen wendend hysterisch fragen: Warum haben wir das nicht selbst so gemacht?

Gut veranschaulicht hat so ein Fehlverhalten einmal der ehemalige Chef von Volkswagen, als Martin Winterkorn 2011 auf der Automesse IAA seine Getreuen brüskierte, als er ausgerechnet in einem Hyundai sitzend über technische Vorteile gegenüber dem Golf jammerte: „Warum kann’s der? Da scheppert nix!“ Aber anstatt nun den Oberboss daran zu erinnern, dass man gerade gemeinsam in einer unansehnlichen Reisschüssel sitzt, dass es an dem Auto nun wirklich wenig gäbe, das nachahmenswert wäre, sorgte der Volkswagenboss stattdessen für einen unverdienten Prestigegewinn des Südkoreaners.

Bei den Grünen scheppert gerade nichts. Warum können wir das nicht? So ähnlich hinterfragt gerade die Parteichefin der CDU, hinterfragt Annegret Kramp-Karrenbauer das noch hinter der sowieso schon mageren Erwartungshaltung zurückgebliebene Wahlergebnis der Christdemokraten. Nicht nur der Focus spricht hier von einem „Wahldebakel“, wenn die Partei Helmut Kohls, die Partei des größten Einpeitschers der europäischen Idee selbst noch mit einer CSU, die geringe Zuwachsraten verbuchen konnte, noch unter der 30-Prozentmarke zurückbleibt. Wir erinnern uns: 1989 lag die Union bei 37,8 Prozentpunkten, 1994 bei 38,8 Prozent und weitere fünf Jahre später sogar bei magischen 48,7 Prozent aller gültigen Wählerstimmen.

Heute, zwanzig Jahre später sind die Grünen auf Armlänge herangekommen, die Distanz gerade noch einstellig, wo die Union und die Grünen 1999 aus heutiger Sicht fast obszön üppige 42,3 Prozentpunkte trennten.

Diejenigen, die heute mehrheitlich die Grünen wählen, können sich daran freilich kaum erinnern. Aber eben bei diesen Jungwählern aus der Friday-for-Future-Generation möchte sich keine geringere als die Parteichefin der CDU anbiedern. Wir wollen Kramp-Karrenbauer bzw. ihren persönlichen Referenten zu Wort kommen lassen, um einmal die ganze Dimension dieses Wahlanalyse-Kurzschlusses deutlich zu machen:

„In der letzten Zeit ist – auch durch eigene Fehler – der Eindruck eines Rechtsrucks entstanden. Wir müssen und werden diesen Eindruck gemeinsam korrigieren – mit allen unseren Vereinigungen. Wir sind und bleiben Volkspartei der Mitte.“

Nein, entlang der politischen Positionen der CDU von 2019 kann nicht mehr die Rede sein, von einer politischen Mitte, wie sie die CDU 1999 im Europawahlkampf nah an die absolute Mehrheit herangeführt hatte. Die Existenz der AfD ist heute zwingender Beweis für eine zunehmend breiter gewordene Leerstelle im Spielfeld der Union, die von der Alternative im Handstreich mit 92 Bundestagsabgeordneten besetzt wurde.

Offensichtlich weiß in der CDU-Führung gerade niemand mehr, welchen Sinn und Nutzen eine im Laufe des Tages durchgesickerte Blitzanalyse eigentlich ursprünglich haben sollte (aus dem Konrad-Adenauer-Haus wurde diese eineinhalb Seiten lange Kurzanalyse an die Mitglieder des CDU-Bundesvorstands verschickt). Dabei können solche Analysen eigentlich nur zwei Aufgaben haben: Den Bürgern erklären, warum man unter den Erwartungen zurückblieb und Maßnahmen entwickeln, wie solche Desaster zukünftig vermieden werden können. So wird der massive Schwund von Jungwählern der Jungen Union angekreidet und die Werte Union bekommt ihr Fett weg als eine Art Brandbeschleuniger nach rechts.

Geschadet hätte es auch, so die Analyse, dass Angela Merkel dem Wahlkampf komplett ferngeblieben sei. Nun war das kein Zufall, sondern eine klare Wahlkampfstrategie. Wer könnte mit Sicherheit sagen, dass das Ergebnis mit einer aktiveren Bundeskanzlerin an der Spitze wirklich besser ausgefallen wäre? Der Spitzenkandidat Manfred Weber fällt gleich ganz durch, wenn ihm laut Analyse bescheinigt wird: „Mit dem Spitzenkandidaten Manfred Weber verbindet sich kein entscheidender Wahlvorteil für die Unionsparteien“ – das ist natürlich Höchststrafe für einen, für den auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen alle Türen sperrangelweit geöffnet wurden. Und es ist ein Schlag ins Kontor der Schwesterpartie CSU, wenn die Partei von Weber (CSU) eben nicht so brutal abgeschmiert ist, sondern im Gegenteil bescheidene Zugewinne verbuchen konnte.

Der Spiegel zitiert einen Satz aus der Analyse, der in seiner politischen Naivität und in seiner demonstrativen Erschütterung mitten aus diesem neuen Wesenskern der deutschen Christdemokratie heraus an Orientierungslosigkeit kaum noch übertroffen werden kann, wenn es da heißt:

„Die Serie der Unentschlossenheit im Umgang mit Phänomenen wie ‚Fridays for Future‘ und plötzlich politisch aktivierten YouTubern sowie vor allem der vorhergehende tiefe Einschnitt in der Wahrnehmung der CDU bei jüngeren Zielgruppen durch die Debatten zu den ‚Uploadfiltern‘, einen vermeintlichen ‚Rechtsruck‘ bei der JU sowie die medial sehr präsente, sogenannte WerteUnion führten gleichzeitig zu einer deutlichen Abkehr unter 30-jähriger Wählerinnen und Wählern.“

Niemand, der nicht gerade völlig von der Rolle wäre, kann hier ernsthaft glauben, dass sich so ein Heranwanzen an die Jugend jemals in Wählerstimmen ummünzen lassen könnte. Vereinfacht kann man sagen, dass die Wahlerfolge der CDU unter Helmut Kohl eben gerade darauf zurückzuführen waren, dass der Oggersheimer für vieles stand, aber wohl selten für einen fleißigen Fischer junger Stimmen.

Wer nun aber genau hingeschaut hat, wer sich den Auftritt der neuen Parteichefin der CDU und dieses noch so ungelenken jungen Generalsekretärs mit den JU-Eierschalen hinter den Ohren anschaut, der braucht für ein realistische Einschätzung der Lage sicher keine nachtschweißgetränkten Analyse-Papiere aus dem Konrad-Adenauer-Haus.

Nein, der benötigt nur eine funktionierende Verbindung der Sinne hinauf zum Menschenverstand, um feststellen zu können: Wer die biederen Auftritte der Kramp-Karrenbauer und ihres fleißigen Sekretärs für eine veritable Wahlkampfbewaffnung hält, die Jugend für die CDU zu gewinnen, der kann nicht ganz bei Trost sein, der biedert sich bei einer Klientel auf eine Weise an, die nicht funktionieren kann – das wusste niemand besser, als der große Führer aus der Pfalz.

Interessanterweise hat Christian Lindner von der FDP mit seiner Kritik an Fridays-for Future schnell die Schlachtordnung dieser CDU von früher eingenommen. Warum das der FDP nichts genutzt hat, wird interessant sein, zu analysieren. Aber ganz in Ruhe, nicht hingefuscht über Nacht, als ginge es darum, den Nachtzug noch zu erreichen, während nur hektisch der Zug nach Nirgendwo bestiegen wurde.

Und zu guter letzt trudelt noch diese Meldung herein, die die CDU sicher nicht näher an die Generation Internet/Youtube bringen wird, geschweige denn, an irgendjemand anderen:

— Oliver Luksic (@OlliLuksic) May 27, 2019

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