Einflussnahme von Biontech: Die Twitter-Files erreichen Deutschland

Die neueste Veröffentlichung der Twitter-Files bestätigt, dass die Einflussnahme auf den öffentlichen Diskurs bei Twitter durch Pharmakonzerne und Politik auch in Deutschland System hatte. Im Zentrum liefen die Fäden bei einer ehemaligen Referentin der Grünen im Bundestag zusammen.

MAGO / NurPhoto

Am 16. Januar veröffentlichte der Journalist Lee Fang die neueste Ausgabe der Twitter-Files, in der die (erfolgreichen) Versuche der Pharma-Lobby zur Beeinflussung des Diskurses auf Twitter dokumentiert wurden. Bemerkenswert ist diese vergleichsweise kurze Veröffentlichung schon deshalb, da erstmals eine direkte Einflussnahme aus Deutschland nachgewiesen wird.

Während die davor letzte Veröffentlichung der Twitter-Files noch die Unterdrückung impfkritischer Stimmen durch Pfizer im Jahr 2021 aufzeigte, begeben wir uns mit Lee Fang erstmals weiter zurück in die Vergangenheit, ins Jahr 2020, als mit den in Entwicklung befindlichen Impfstoffen große Hoffnungen verbunden wurden. Während aber die Pharmariesen sich unter strengster Geheimhaltung in einem Wettrennen um die Entwicklung des Impfstoffs (und damit einhergehend, einer wahren „Goldgrube“) befanden, wurden Stimmen laut, die Pharmaindustrie solle doch auch sogenannte „offene“ Impfstoffe entwickeln und freigeben, da ansonsten ein Großteil der in Armut lebenden Welt keinen Zugang zu wirksamer Impfung hätte.

Angesichts der Tatsache, dass Regierungen aus aller Welt Impfstoffe bestellten, die die Welt nicht brauchte (und dafür sogar Gesundheitsminister unter Korruptionsverdacht ins Gefängnis wanderten), darf man sich durchaus die Frage stellen, ob die Angst, der Impfstoff würde nur „den Privilegierten“ zur Verfügung stehen, berechtigt war. Zumal etwas mehr als zwei Jahre später sich immer häufiger jene privilegiert fühlen, die bislang auf den Schuss verzichten konnten.

Bundesämter und Pharmakonzerne auf Kuschelkurs

Im Dezember 2020, jedoch, wurde zu einem Aktionstag aufgerufen, an dem unter dem Hashtag #peoplesvaccine Tweets und Kommentare mit Forderungen zur Freigabe eines Patents abgesetzt werden sollten, in denen sowohl die Firmenaccounts von Pfizer und Biontech, als auch die Privataccounts von Führungspersonal dieser Firmen markiert werden sollten.

Entscheidend ist hierbei aber vor allem, dass sich laut den Twitter-Files Mitarbeiter von Biontech, nachdem sie vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) auf diese koordinierte Kampagne aufmerksam gemacht wurden, an Twitter mit der Bitte wandten, diese Kampagne zu torpedieren, indem man die betreffenden Firmenaccounts für zwei Tage „versteckt“, sodass die gewünschten Markierungen unmöglich würden.

Die Kontaktperson bei Twitter nahm diesen Wunsch offensichtlich sehr ernst, denn in einer weiteren Email ist zu sehen, dass offensichtlich nicht nur Biontech, sondern auch „deutsche Behörden“ (vermutlich das BSI) Kontakt in dieser Sache aufgenommen hätten. Hierbei werden eben besagte „Behörden“ zitiert, die angeblich „ernsthafte Konsequenzen“ der Aktion in den Raum stellten, zum Beispiel eine Flut von Posts und Kommentaren, die „gegen die Nutzungsvereinbarung verstoßen könnten“, sowie die zu erwartende „Übernahme von Nutzeraccounts“. Ebenso wurde davor gewarnt, dass Fake-Accounts erstellt werden könnten.

Bemerkenswert ist hier aber der Hinweis, dass die „Behörden“ Twitter auch über den Ursprung der Kampagne informiert hatten, die – so musste die Mitarbeiterin auch in ihrer Email in Klammern zugeben – rechtmäßig war. Über die Webseite der Kampagne ließen sich folglich sogenannte „auto-populated Tweets“ absetzen, also Tweets mit automatisiertem Inhalt, der in dem Fall sowohl besagten Hashtag als auch eine Erwähnung der jeweiligen Firmen beinhaltete. Diese Technik wird auch gerne von Firmen angewendet, um zum Beispiel Produkte zu bewerben.

Nicht allerdings laut dem BSI. Nach Veröffentlichung der Geschichte durch den Journalisten Lee Fang auf der Seite The Intercept antwortete das BSI mit einem Hinweis darauf, dass es sich hier lediglich um eine Sicherheitswarnung „unabhängig von jeglicher politischer und inhaltlicher Ausrichtung“ handle. Laut BSI hätte die Aktion ähnliche Auswirkungen auf Unternehmen haben können, wie ein „DDoS-Angriff“ (ein digitaler Angriff auf Computerserver – meist Webseiten –, bei dem durch die massenhafte Versendung von Kontaktaufnahmen der Server überlastet wird und zusammenbricht).

Allerdings hat beim BSI wohl niemand damit gerechnet, dass die meisten Nutzer von Twitter mittlerweile computeraffin genug sind, um zu verstehen, dass dies ganz etwas anderes ist als eine massenhafte Markierung einer Firma auf Twitter. Wie sonst wäre zu erklären, dass Firmen oftmals viel Geld in die Hand nehmen, um auf diese Art und Weise Werbung zu betreiben? Davon abgesehen, dass das gesamte Prinzip von Twitter auf dem millionenfachen Absetzen von Nachrichten, und damit einhergehend häufig der Markierung von Nutzern, basiert.

Kurzum: Das BSI suchte eine einfache Ausrede und zog sich, bevor es Gegenwind gab, aus der Diskussion zurück. Solange sich die Faktenchecker der ARD damit zufriedengeben, sollte es dennoch reichen, um den Status quo aufrechtzuerhalten.

Eine grüne Bundestagsreferentin als Twitters Cheflobbyistin

Doch wie steht es um Twitters Rolle in der ganzen Sache? Die Mitarbeiterin, an die das Ansinnen von Biontech geschickt wurde und die das Anliegen später weiterleitete, war Nina Morschhäuser. Dabei handelte es sich jedoch nicht um eine einfache Servicekraft im Kundendienst, sondern um den „Head of Public Policy, Government and Philanthropy“ von Twitter. Spätestens wenn das schöne Wort Philanthropie fällt, sollte man hellhörig werden. Der Twitter-Nutzer Tim Reality leistete hier gute Recherchearbeit: Morschhäuser war von 2006 bis 2015 Medienreferentin der Grünen im Bundestag, tauchte 2016 bei der Bertelsmann-Stiftung im „German-Israeli Young Leaders Exchange“ auf, bevor sie von 2018 bis 2022 Twitters Chefphilanthropin vom Dienst wurde. In letzterer Funktion kooperierte Morschhäuser mit der Bundesregierung (Innenministerium und Auswärtiges Amt), Amnesty International, diversen Organisationen zur Bekämpfung von „Hassrede“, sowie der Amadeu Antonio Stiftung.

2019 erlebte Morschhäuser zwar einen vermeintlichen „Rückschlag“, als die kurzzeitige Twitter-Sperre des SPD-Politikers Sven Kohlmeier wegen eines AfD-Nazivergleichs dazu führte, dass Morschhäuser im Bundestag Rede und Antwort stehen musste. Doch Morschhäuser gelobte Besserung, die Sperren wurden aufgehoben, das Thema für schwierig befunden, und die ehemalige Chefin von Morschhäuser, Tabea Rösner, witterte einen Missbrauch der Meldefunktion durch Rechtsextreme. Kohlmeier empörte sich nach seiner Entsperrung ebenfalls, dass „rechte Propaganda zugelassen“ und seine Meinung gesperrt würde.

Um dieser strukturellen Bevorzugung rechter Meinungen auf Twitter entgegenzuwirken (wer Ironie findet, darf sie behalten), beriet Morschhäuser in Zukunft auch die CDU zum Umgang mit Social Media und veranstaltete mit ihrem politisch ebenfalls bestens vernetzten Mitarbeiter Daniel Weimert Lobbytreffen mit unter anderem Anke Domscheit-Berg von der Linken zum Thema „Maßnahmen gegen Desinformation, Accountsperren und Content Moderation“. In den letzten Jahren vor ihrem Abschied bei Twitter widmete sich Morschhäuser der Zensur unliebsamer Meinungen zum Thema Klima und Corona.

Bezieht man diesen Hintergrund Morschhäusers in die Erwägungen mit ein, verweht das Bild einer Servicedesk-Mitarbeiterin, die eine Anfrage von einem Großkunden an ihre Vorgesetzten weitergeleitet hat, mit einem Schlag zugunsten einer bestens vernetzten Lobbyistin mit eindeutiger politischer Agenda, die eine direkte Erwähnung bestimmter Absichten und Wünsche in Emails gar nicht erst notwendig macht.

Es ist diese Redundanz an Information, die viele der Emails von Twitter für deren Verteidiger als „harmlos“ erscheinen lässt, da niemand die Dinge wirklich beim Namen nennen muss. Aufgrund ideologischer Nähe und Verbundenheit – eine Grundannahme in bestimmten Positionen – erfolgt die Vergewisserung weltanschaulicher Nähe über kleine Chiffren, anstatt diese explizit auszusprechen. Wenn die Biontech-Mitarbeiterin Morschhäuser über die Forderung nach einer „gerechten“ Covid-19-Impfstoffverteilung berichtet, dann genügt die Setzung der Anführungszeichen bei „gerecht“ um ein gesamtes Weltbild zu transportieren und sich des Verständnisses auf der Gegenseite zu vergewissern.

Der Fall des unliebsamen Krankenkassenchefs

Doch das Kapitel Morschhäuser ist nicht das einzige Beispiel der neuesten Twitter-Files-Enthüllung. So erfährt man auch, dass die Lobbygruppe von Pfizer & Moderna, BIO, mehr als 1,2 Millionen Dollar in die Entwicklung einer „Content Moderation Campaign“, also einer Kampagne zur Moderation von Inhalten – sprich: einer Zensurkampagne – investierte. Damit förderte die Pharmaindustrie direkt die Zensur unliebsamer Botschaften zu Impfungen.

Die Twitter-Files und die öffentlich-schweigsamen Medien
Dazu gehörten neben sehr phantasievollen Berichten über Mikrochips in den Impfstoffen auch Artikel, die sich kritisch mit der Impfpflicht und Impfpässen auseinandersetzten. Teil der Kampagne bestand darin, dass die Pharmalobbyisten einen wöchentlichen Report über Misinformation direkt an Twitter versendeten. Im von Lee Fang angehängten Email sind zwei Fälle namentlich erwähnt.

Zunächst beklagen die Pharmalobbyisten einen Artikel der New York Times, in dem der CDC (US-Gesundheitsbehörde) vorgeworfen wird, bestimmte Informationen über die Impfung zurückgehalten zu haben. Doch beinhaltet der Artikel laut Eigenaussage der Lobbyisten keinerlei Falschinformation, sondern besteht das Problem darin, dass mittels dieser Nachricht „weiter bewiesen wird, dass man der CDC nicht trauen kann“. Dies würde von „Menschen, die etwas gegen Impfungen haben, ausgenutzt“.

Die zweite Meldung, jedoch, bezog sich wiederum auf Deutschland und zwar auf den Fall des ehemaligen Krankenkassenchefs Andreas Schöfbeck der BKK ProVita. Im Februar 2022 ging ein Brief von Schöfbeck durch den Blätterwald, in dem er aus den Krankenkassenzahlen der BKK ProVita extrapolierte, dass die Nebenwirkungen der Covid-Impfungen um bis zu 10-mal häufiger auftraten, als in den offiziellen Berichten des Paul-Ehrlich-Instituts.

Der Bericht von Schöfbeck wurde damals diffamiert, die BKK ProVita wurde vom Vorsitzenden des Virchowbunds, Dr. Dirk Heinrich, als „Schwurbel-BKK“ abgestempelt, Andrew Ullmann von der FDP beschuldigte Schöfbeck, mehr an Öffentlichkeit als an Aufklärung interessiert zu sein. Ausführlichst erklärten uns Politiker und die unabhängigen Experten in ihrem Windschatten, wie die einfachsten Nebenwirkungen von Schöfbeck sensationsheischend ausgeschlachtet würden. Eine Anfrage der AfD, um Schöfbecks Zahlen im Bundestag zu thematisieren, wurde abgelehnt. Eine Woche später wurde Schöfbeck bei der BKK ProVita nach 21 Jahren gegangen, nur wenige Stunden vor einem Termin, um die Angelegenheit beim Paul-Ehrlich-Institut zu besprechen. Den Termin nahm sein Stellvertreter wahr.

Die freie Debatte als Gefahr
Twitter-Files decken auf: Pfizer-Vorstand ließ Kritik an Corona-Impfung unterdrücken
Weniger als ein Jahr später, stellen sich die Fragen nach Impfnebenwirkungen dringlicher denn je. Womöglich hätte man – wie auch in dem Fall, als Pfizer-Mitarbeiter davor warnten, Kinder impfen zu lassen – ausnahmsweise darauf hören sollen, was die Pharmakonzerne selbst sagen und tun. Denn die Pharmariesen Pfizer & Moderna nahmen Schöfbeck offensichtlich bereits im Februar ernst, als sie Berichte über seine Zahlen von Twitter unterdrücken lassen wollten, obwohl sie in ihrem Schreiben selbst zugaben, dass seine Zahlen „schwer zu überprüfen“ sind. Obwohl es also keinen eindeutigen Gegenbeweis gab, beschloss man, diese unerwünschte Nachricht dennoch zu unterdrücken. Und Twitter tat offenbar genau, was verlangt wurde.

Nie zuvor war der Bezug der Twitter-Files-Enthüllungen zur deutschen Politik und zur Meinungskontrolle durch ein Konglomerat aus Lobbyisten, Pharmakonzernen, Politik und Medien deutlicher als heute. Bislang herrscht in der deutschen Medienlandschaft weit überwiegend Funkstille über die neueste Veröffentlichung. Es darf bezweifelt werden, dass dies sich bei den öffentlich-bequemen Sendeanstalten bald ändern dürfte. Wer wissen will warum, soll einfach mal die Twitter-Files lesen.

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