Sebastian Kurz unter den Augen von Maria Theresia

Ein neuer Stil wie der von Sebastian Kurz ist ansteckend, auch in anderen Parteien. Was ihnen allen ebenso fehlt wie der deutschen Politiklandschaft, ist eine Person, um die sich große Veränderungen immer konzentrieren, eine mit Charisma.

© Vladimir Simicek/AFP/Getty Images

„Geschmeidig“ nannte ORF-Mann Hans Bürger, kein Freund von Kurz, ÖVP und schon gar nicht FPÖ, wie die neue Regierung zustande kam und wunderte sich offensichtlich über die „unglaublich freundliche Angelobung“.

In der Tat sind der Weg in die Bundespräsidentschaftskanzlei im Maria Theresien Zimmer der Hofburg und die dortige Angelobung von Kanzler und Kabinett der türkis-blauen Regierung mit den Umständen der ersten schwarz-blauen Regierung im Jahr 2000 nicht zu vergleichen.

Interview
Sebastian Kurz: "Der Türkei-Deal nur ein Plan B"
Damals waren 300.000 aus vielen Ländern zu Protesten angereist, dieses Mal demonstrierten zwischen 5.000 und 6.000. Abgesehen von heute üblichen kleinen Tumulten war dieser Teil des Tages kein wesentliches Ereignis. Auch das ein Teil dessen, was ORF-Krüger „geschmeidig“ nannte. Damals mussten die Teilnehmer der Angelobung unterirdisch in die Hofburg gehen, dieses Mal schritten sie an der frischen Luft.

Die Atmosphäre im Maria Theresien Zimmer – ich habe mir das im ORF live angesehen – war nahezu familiär. Bundespräsident Alexander van der Bellen hielt eine wohlüberlegte, kurze Ansprache: Ernst im Inhalt, verbindlich in der Form, Tenor, lasst uns so gut weiter zusammenarbeiten, wie wir es in den zurückliegenden Monaten taten. Er schritt die Reihe der Neuen entlang, nahm ihnen mit Handschlag ihr „ich gelobe“ ab, wechselte mit jedem ein paar persönliche Worte und bat schließlich zum Umtrunk ins Jagdzimmer.

Die Bewährungsprobe beginnt jetzt
Sebastian Kurz vor schweren Wochen oder Monaten
Die neue Regierung ist nun im Amt. Bei den Wohlklängen wird es nicht bleiben. Aber es hätte auch mit Missklängen beginnen können. Morgen trifft der neue Bundeskanzler in Brüssel Ratspräsident Donald Tusk, danach Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Mittwoch früh Parlamentspräsident Antonio Tajani. Kurz, so sagen seine Vertrauten, wird seinen Gegnern daheim und anderswo keine Aufhänger in der Form liefern, in der Sache seine Positionen verbindlich, ruhig und unbeirrbar vertreten. Darauf sollten sich auch Politik und Medien einstellen.Wie er mit letzteren umgeht, hat Claus-Detlev Walter Kleber vom ZDF schon vor einiger Zeit erfahren.

Alle Minister der türkisen Kabinettsseite sind Debütantten. Unter den blauen sind keine Politikanfänger. Nicht schwer vorherzusagen, dass es auf Kanzler und Vizekanzler in erster Linie ankommen wird. Probleme, nicht gleich, aber später vermute ich im Club (Fraktion) der FPÖ. So breit ist die Personaldecke der FPÖ nicht, ihre besten Leute sind nun im Kabinett, im Nationalratsclub versammeln sich einige, die in die FPÖ von HC Strache, der sich selbst zum Staatsmann verwandelt hat, nicht mehr passen.

Regierungsprogramm
Österreich: Türkis-blaue Regierung mit neuem Stil
Wie überhaupt die HC-FPÖ mit jener Anfang der 2000er in mancherlei Hinsicht nicht zu vergleichen ist, auch Anhänger der AfD werden lernen, dass die Parallele zur FPÖ mehrfach nicht stimmt. Noch weniger mit der alten – schwarzen – ÖVP hat die türkise, „Die neue Volkspartei“ von Sebastian Kurz gemeinsam. Gewiss, die alte ÖVP ist nicht verschwunden, aber in ihren Landesverbänden gibt es schon fast überall Führungspersonen, auf die sich Kurz mehr verlassen kann als die in den berufsständischen Bünden.

Ein neuer Stil wie der von Sebastian Kurz ist ansteckend, in den eigenen Reihen, aber in den anderen Parteien kaum weniger. Was ihnen allen ebenso fehlt wie der deutschen Politiklandschaft, ist eine Person, um die sich große Veränderungen immer konzentrieren. Sebastian Kurz hat, was dazu unabdingbar ist: Charisma. So etwas hat einer oder nicht, lernen lässt sich das nicht, aber sehr wohl optimieren. Ohne diese Eigenschaft hätte es Kurz, der 31 Jahre alt ist, nicht in 14 Politikjahren dahin gebracht, wo er jetzt ist. Er wird sein gepflegtes Understatement von Charisma brauchen. Denn was vor ihm liegt, ist alles andere als einfach.

Unterstützung
oder

Kommentare ( 38 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

38 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
Reinhard
6 Jahre her

Unterschiede Während nach der „krachenden“ Wahlschlappe der staatstragenden Parteien, alle nach Konsequenzen, einer Neuaufstellung, Besinnung auf Wurzeln usw. schwadronieren, bekommt Deutschland mit aller Wahrscheinlichkeit wieder die bekannten Pappnasen und Sesselkleber vorgesetzt (wer gibt den schon gerne und freiwillig seine Privilegien ab?). Anders nun in Österreich. Auch da war eine Wahlschlappe zu verzeichnen, aber was die Österreicher nun vorgesetzt bekommen, ist alles andere als eine Posten-Rochade. Im Kabinett Kurz gibt es keinen „alten“ Sesselkleber mehr, auch die Zahl der „Parteisoldaten“ wurde durch sog. Quereinsteiger und Parteilose reduziert. Noch-Regierung Merkel: Altersdurchschnitt über 59 Jahre über 60 jährige = 7 über 50 jährige… Mehr

Paul Krögner
6 Jahre her

Als Österreicher bin ich froh über diese neue Regierung und sehr dankbar über die hoffentlich längere Unterbrechung von beinahe 40 Jahren Sozialismus! Wenn man sich unter den Menschen umhört – so ist außer bei der Kulturschickeria und den linken MSM – nur POSITIVES zu hören. Kurz dürfte die Gabe haben, zu erspüren, was den Menschen ein Anliegen ist, nämlich, gute Schulbildung für die Kinder, sichere Jobs mit einem Einkommen, von dem man auch leben kann, ein gesicherter Lebensabend, leistbares Wohnen, …

Frank Stefan
6 Jahre her

Ein Maria-Theresa-Zimmer, eine Hofburg…haben wir Vergleichbares? Haben wir, aber würden wir es in dieser Weise ehren? Das Berliner Stadtschloss wäre eine Chance gewesen, nicht nur architektonisch, sondern auch funktional, aber da erstand schon der Kanzleramtsbunker und man nutzt lieber den ehemaligen Sitz des Reichsluftfahrtministeriums. Schon diese Äußerlichkeiten zeigen den Unterschied zwischen uns und Österreich. Haben Sie schon das Hamburger Abendblatt gelesen? Ich meine den Artikel über die Umbenennung des Hamburger Völkerkundemuseums. Ja, solche Vergleiche bestätigen mir immer wieder meine Diagnose über dieses Land. Und damit auch meine Prognose: die Hoffnung auf das Konservative als tragendes gesellschaftliches Fundament wird sich nicht… Mehr

Erich
6 Jahre her

Wir Österreicher haben nicht das Problem einer neuen, „rechten“ Partei, die den Altparteien Macht und Geld nehmen wird. Die FPÖ (die 1955 die seit Kriegsende existierendeVDU aufsaugte) hat viele Aufstiege und Abstürze hinter sich und sogar in Wien die Arbeiterbezirke erobert. Die verzweifelten Versuche, auf das Scheitern der im Jahr 2000 begonnenen Schüssel-Haider-Koalition hinzuweisen und warnende Parallelen zu ziehen, gehen einfach ins Leere. Die Verteufelung als Radikale, Nazis, Faschisten und der Ekel vor „Burschenschaften“, das vor allem bei einigen „Studierenden“ fleißig skandiert wird, kommt in der Bevölkerung nicht an. Nur im Staatsfunk ORF, der von links bis grün unterwandert ist,… Mehr

Nachdenkerin X
6 Jahre her

Obwohl mit den österreichischen Verhältnissen nicht vertraut, habe ich doch das Gefühl, daß von dort ein frischer Wind weht. Immerhin ein Hoffnungsschimmer. Was ich aber nicht verstehe: Wieso hat Netanjahu erklärt, mit einem Außenminister der FPÖ nicht reden zu wollen (Schlagzeile in welt.online)? Hat die FPÖ sich israel- oder judenfeindlich gezeigt? Wenn ich an Deutschland denke, würde eine hiesige FPÖ doch eher verhindern, daß noch weitere Tod-Israel-Plärrer und -Brüller und Flaggen-Verbrenner ins Land kämen. Kann die Redaktion mich hier etwas aufklären?

Dr. Klaus Eckhard
6 Jahre her

Also, ich hab die Bilder aus Österreich gesehen, besonders, die kurze Ansprache des Herrn van der Bellen, wahrscheinlich, wie bei uns, das Parteibuch während der Amtszeit in der Schublade, aber immer noch grün, sprich links. Die Überwindung, das Mißfallen, diese Regierung vereidigen zu müssen, war ihm deutlich anzusehen.
Er meinte, die neue Regierung mahnen zu müssen, sorgsam mit der Sprache umzugehen, er meinte Sprache sei wichtig damit keiner zurückbleibt und Minderheiten geschützt werden.
Am Anfang war ich so verwirrt, dass ich dachte, da wendet sich mal einer aus diesem Lager gegen die politische Korrektheit. Aber es war wohl anders gemeint..

Walter Kowalski
6 Jahre her

Der ansonsten aufgrund objektiver und unaufgeregter Analyse hochgeschätzte Herr Goergen schrammt ein wenig an der Realität vorbei und ich denke, es ist ihm bewußt. Man sollte sich weniger auf Stil und Aussehen von Herrn Kurz kaprizieren, letztendlich ist er wegen der Inhalte gewählt worden, die in hohem Maße deckungsgleich zur – ähnlich starken – FPÖ sind, weswegen diese beiden stärksten Parteien ihre Koalitionsgespräche in kürzester Zeit abschließen konnten. Hätte Kurz die ÖVP nicht auf diese Inhalte eingeschworen, wäre heute HCStrache Kanzler. Und die Inhalte von sowohl ÖVP als auch FPÖ Politik sind in hohem Maß identisch mit den Inhalten der… Mehr

Wolfgang S.
6 Jahre her

Die CDU hat keinen Sebastian Kurz, nur Herrn Spahn. Besser als nichts, denn Herr Kurz war auch mal nur Staatssekretär. Die AFD ist viel jünger als die FPÖ und daher in den Medien und Köpfen nicht etabliert, aber das waren die Grünen in den 80ern auch nicht. Am interessantesten finde ich derzeit den künftigen bayerischen Ministerpräsidenten Söder. Er hat sich so radikal vom Krawallmacher zum staatsmännisch auftretenden Finanzminister gewandelt, dass er nach Übernahme auch des Parteivorsitzes der CSU von Horst Seehofer der stärkste Gegenspieler von Angela Merkel werden kann. Das hat nur bisher kaum einer auf dem Schirm, aber nach… Mehr

Schwarzseher
6 Jahre her

Ich teile ja mit Herrn Goergen und vielen anderen die Hoffnung, daß die neue österreichische Regierung einiges in der EU bewegen und verbessern kann und daß den deutschen Wählern dann ein Licht aufgehen wird. Mir sind die Vorschußlorberen aber zu groß. Nur gut aussehen und geschliffen reden können reichen nicht, um den festgefahrenen EU-Karren aus dem Morast zu ziehen. Ich würde erst einmal die kommenden Monate abwarten.

Gero Hatz
6 Jahre her

Bin gespannt, wann die Migration hochqualifizierter Deutscher nach Österreich beginnt. Kann eigentlich nicht lange dauern.