Sebastian Kurz: Sicherung der europäischen Außengrenzen hat Priorität

Die Zukunft wird zeigen, inwieweit Österreich seiner energischen zwar, aber doch leichtgewichtigen Stimme Gewicht verleihen kann, wenn die Zukunft der EU verhandelt wird.

© Thomas Kronsteiner/Getty Images

Österreichs Bundeskanzler im Interview mit dem Focus. Erste positive Beobachtung: Dumme Fragen werden von Kurz in Kurzsatzform beantwortet. Und es gab einige solcher Fragen samt Schnellraterunde zum Abschluss mit so weltbewegenden Fragen wie dieser hier: „Gemeinsames oder getrenntes Schlafzimmer?“ Antwort Sebastian Kurz: „Kommt darauf an, mit wem.“ Oder diese hier: „Wer hat den härteren Händedruck: Putin, Trump oder Erdogan?“ Da Kurz Trump noch nie die Hand gegeben hat, entfällt eine Antwort.

Spannender wird es da, wo der Bundeskanzler seine Zuwanderungsagenda aufblättern darf. Kurz wird gefragt, ob die Visegrad-Staaten (Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn) mit ihrer hart antimigratorischen Haltung die Werte der EU gefährden würden. Für Kurz ist eine realistische und nicht nur von Emotionen geprägte Migrationspolitik sehr notwendig. Der Streit um Quoten muss beendet werden, für den Bundeskanzler hat die Sicherung der europäischen Außengrenzen Priorität. Ein Mittel der Wahl sei hier die Stärkung von Frontex: Das Mandat für die europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache muss ein „robustes und klares“ sein. Und Kurz fügt weiter an: „Die Rettung aus dem Mittelmeer darf jedoch nicht das Ticket nach Mitteleuropa sein.“ Wenn Menschen im Mittelmeer aufgenommen werden, dann müssen sie nach Kurz „versorgt und zurückgebracht werden in die Herkunftsländer, Transitländer oder in sichere Zonen außerhalb Europas.“

Sebastian Kurz favorisiert den australischen Ansatz, der Inseln und Außenposten vorhält, „auf denen die Flüchtlinge festgesetzt werden, bis ihr weiteres Schicksal bestimmt ist.“ Eine Idealvorstellung von Sebastian Kurz wäre, gleich ganz zu verhindern, „dass überhaupt Boote ablegen – nicht nur, um illegale Migration zu stoppen, sondern auch, um Menschenleben zu retten, indem sich die Menschen erst gar nicht auf den Weg machen.“

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Und wenn Staaten nicht bereit sind, in Europa im Asylverfahren abgelehnte Bürger zurückzunehmen, dann müsse eben das Prinzip „less for less“ gelten: Dann müssten finanzielle Hilfen reduziert werden. „In Brüssel gibt es dazu mittlerweile eine größere Bereitschaft als früher.“, so der Bundeskanzler. Das Konzept, Österreich für Asylbewerber „weniger attraktiv“ zu machen mit beispielsweise Ausgangsbeschränkungen, Handy-Kontrollen und Geldeinzug, sei noch nicht in die Tat umgesetzt worden, sagt Kurz.

Ziel wäre es aber, „die Chancen eines Flüchtlings in Österreich gegenüber den Herkunftsländern und bei den Schleppern so realistisch wie möglich darzustellen.“ Kurz weiß um die Attraktivität der Sozialsysteme, wenn „90.000 Menschen 2015 in Österreich um Asyl gebeten haben während nicht einmal 1.000 Menschen im Nachbarland Slowenien“ Asyl beantragt hätten, durch das alle diese Leute gezogen seien. Inwieweit Österreich nun seine Sozialleistungen für Asylbewerber denen Sloweniens anpassen will, fragen die Focus-Journalisten leider nicht nach.

Deutliche Einschätzung des Bundeskanzlers: „Die Grenzen zwischen der Suche nach Schutz und der Suche nach einem besseren Leben sind verschwommen.“ Aber Schuld sei nicht der einzelne Afrikaner, die Verantwortung läge bei der Politik, „wenn diese nicht imstande ist, funktionierende Systeme zu schaffen.“ Wären hier schmalere Sozialleistungen für Asylbewerber „funktionierende Systeme“? Der Focus fragt nicht nach.

Auf Macrons Europa-Visionen angesprochen, betont Kurz zunächst die Übereinstimmungen: „Wir sind einer Meinung, was die Themen Sicherheit, Grenzschutz und Kampf gegen illegale Migration betrifft.“ Bei seinen Reformvorschlägen zur Euro-Zone allerdings besteht Kurz auf einer unterschiedlichen Auffassung: „Bevor wir über die Schaffung neuer Institutionen im Euro-Raum nachdenken, sollten die bestehenden Regeln, vor allem die Maastricht-Kriterien, eingehalten werden, um ein zweites Griechenland zu verhindern.“

Auch die EU-Kommission steht bei Kurz in der Kritik: Der Vorschlag der zum Währungsfonds auf dem Tisch liegt, überzeuge ihn nicht. Auch was das neue EU-Budget angeht, geht Kurz auf Konfrontationskurs. Und seine Argumente entbehren nicht einer gewissen Logik: „Unser Ziel muss sein, dass die EU nach dem Brexit schlanker, sparsamer und effizienter wird. Dem trägt der Vorschlag der EU-Kommission noch nicht ausreichend Rechnung.“ Der Bundeskanzler erwartet hier „harte Verhandlungen“.

Was ein europäisches Verteidigungsministerium mit eigener Streitmacht angeht, wie es EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani geforderte hatte, betont Kurz allerdings die Neutralität Österreichs als Teil der Identität seines Landes: „Eine EU-Armee sehe ich (…) auf absehbare Zeit nicht.“ Dennoch sei mehr Zusammenarbeit im Bereich der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik durchaus sinnvoll. Kurz sieht die Hauptaufgabe der EU zunächst in der Sicherung seiner Grenzen. Hier sei eine europäische Zusammenarbeit sinnvoll: „Der Kampf gegen illegale Migration wird eine wichtige Priorität unseres Ratsvorsitzes sein.“

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So also der österreichische Bundeskanzler gegenüber dem westdeutschen Wochenmagazin. Die Zukunft wird zeigen, inwieweit Österreich seiner energischen zwar, aber doch leichtgewichtigen Stimme Gewicht verleihen kann, wenn die Zukunft der EU verhandelt wird. Schwerer wiegt hier sicherlich die Zustimmung und Popularität des Bundeskanzlers innerhalb der europäischen Bevölkerung, wenn eine Umfrage jüngst ergab, dass die Deutschen theoretisch Sebastian Kurz lieber als Bundeskanzler hätten als die amtierende Bundeskanzlerin Angela Merkel. Noch zeigt sich die deutsche Regierung von solchen Sympathiebekundungen allerdings gänzlich unbeeindruckt.

Hofft man hier auf die nächste Umfrage oder Studie einer der regierungstreuen Stiftungen, die das Gegenteil belegen kann? Möglicherweise ist so eine Studie sogar schon in Auftrag gegeben. Die neuen Recherchenetzwerke der Leitmedien werden dann wieder zuerst davon erfahren und lange vor Veröffentlichung solcher Studien deren regierungskonforme Aussage transportieren.

Ja, noch wird so deutsche Politik vermittelt. Aber Leute wie Sebastian Kurz erschweren diese politischen Zwangsmethadongaben zunehmend. So wird dann jeder noch so schwammige Satz aus Wien zu einem Weckruf. Man will sich gar nicht vorstellen, was wäre, würden den Willensbekundungen aus Österreich nach und nach noch Taten folgen. Dann nämlich wird es nicht mehr darum gehen, ob Angela Merkel mit der Sehnsuchtsfigur der Deutschen nicht recht „warm wird“, dann wird es zur offenen Konfrontation kommen müssen. Dann jedenfalls, wenn Sebastian Kurz einer mit Euros oder sonst wie gepuderten Zwangsumarmung der Kanzlerin des übermächtigen Nachbarlandes widerstehen kann. Dann, wenn der junge Charismatiker Wort hält.

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Kommentare ( 35 )

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spindoctor
5 Jahre her

Je nun, ich geb’s dann mal auf, Artikel von Herrn Wallasch zu kommentieren. Muss nicht sein.

Stephan Kurz
5 Jahre her

Guter Artikel. Danke.

Tilo
5 Jahre her

An ihren Taten soll man sie messen. „Balkan-Länder ratlos – Flüchtlinge kommen von allen Seiten, 50.000 Menschen suchen auf der neuen Route ihren Weg in den Norden“, liest man heute beispielsweise in der österreichischen Presse. Herr Kurz, was gedenken Sie zu tun? Denn von unserer Regierung und aus den Brüsseler Palästen dürfen wir natürlich weiterhin außer „Hereinspaziert! Willkommen!“ nichts erwarten. http://www.krone.at/1711734

Hajo
5 Jahre her

Im Prinzip der gleiche Überlebenskünstler wie Angela, stromlinienförmig und dadurch wenig angreifbar und mit dem unbeirrbaren Glauben an sich selbst und mit dieser Haltung werden zum Zeichen seines Willens ein paar Pflöcke eingeschlagen, unabhängig davon ob sie nun auf Dauer wirksam sind und dazu noch das große Geschick, seinen Koalitionspartner austrocknen zu lassen und sowas ist zumindest im Bereich der Diplomatie ein Multitalent, ob es sichtbare Ergebnisse auf Dauer aufzeigt zum Wohle der Österreicher wird noch zu sehen sein, bewegen kann er nicht viel, dazu ist das Land zu klein und umso wichtiger sind Eigenschaften nach innen und außen. wo… Mehr

Nicholas van Rijn
5 Jahre her
Antworten an  Hajo

Also zum „nicht anecken“: Nach H. C. Strache wird derzeit in Österreich kein Politker so scharf von den Medien angegangen wie S. Kurz, siehe z.B. das erste „Sommergespräch“ mit C. Milborn auf Puls 4. Die Koalition und S. Kurz stehen im Dauerfeuer der linken MSM wie Der Standard oder ORF. Ich glaube also, dass S. Kurz und die aktuelle Koalition sehr wohl, ja sogar sehr oft, irgendwo anecken. D’accord: Die Umsetzung der großen Brocken steht noch aus, aber warten wir ab!

Pippi L
5 Jahre her

Wenn Kurz seinen Worten Taten folgen laesst, werden die Migranten eben ins gelobte Germany weiterreisen.
Kurz sagte auch, dass es nicht sein dürfte, dass Migranten oft mehr bekaemen als Rentner. Er spricht das an, was das Volk bewegt.
Wen haben wir denn sonst noch, der die Sorgen der Einheimischen so klar anspricht?
Aber ich befürchte, die EU wird nun ganz schnell bei den Abstimmungen von Einheitsbeschluessen auf Mehrheitsbeschluss umstellen, damit man so aufmuepfige Politiker wie Kurz unter Kontrolle hat.

Mozartin
5 Jahre her

Die „leichtgewichtige“ Stimme Österreichs hat die Möglichkeit zum Chor zu werden, mindestens dem des ehemaligen Habsburger Reiches. Es ist unglaublich, wer sich mit Sebastian Kurz dort durchgesetzt hat. Für mich ist seine bisherige Politik Anlass, mir wieder einmal deutlich zu machen, dass Europa ein erfolgreiches und friedliches Modell in der Welt sein kann, seine zugehörige Nachbarschaft fester zusammenzuschliessen, dem eine gewichtigere Stimme zu verleihen in Respekt vor anderen Bündnissen, vor allem aber Respekt vor den eigenen Bundnisgenossen. Entsprechend werde ich sehr aufmerksam die Warnungen vor einer Schuldenunion beachten, aber primär“ überlegen“*, wie man dieses geglückte Gefüge auch wirtschaftlich absichern kann,… Mehr

Anna-Maria
5 Jahre her

Die EU Bonzen, Merkeldeutschland arbeitet hart daran, dass vor Juli, also bis Österreich den Ratsvorsitz übernimmt die Flüchtingverteilung dauerhaft regelt. Österreich ist zwar ein kleines Land, aber dort sind noch die Dänen, die V4 Staaten und einiges mehr. Sie sind zusammen ein Gegengewicht zum Deutschland. Wenn die UNO diese Politik mit dauerhafte Umsiedlung aus Afrika betreibt, werden viele Länder, wie die USA aus dem Flüchtlingswerk austreten. In der UNO sind in Mehrzahl die Länder, die mit ihren ungebildeten jungen Männern nichts anfangen können.

Maja Schneider
5 Jahre her
Antworten an  Anna-Maria

auch ich befürchte, dass bis zur Übernahme des Ratsvorsitzes durch Kurz schnell noch einige „zwingend notwendige“ Regelungen durch die EU ge/erfunden werden, die seinen Handlungsspielraum einengen sollen. Es bleibt zu hoffen, dass er seine Stärke trotzdem zur Geltung bringen und weitere Länder auf seine Seite ziehen kann.

Sonni
5 Jahre her

Ich persönliche bevorzuge den Anschluß an Österreich und die darauf folgende Absetzung sämtlicher Politker der deutschen Altparteien ins unbedeutende Nirvana 🙂 .
Oder vielleicht realistischer – ich kümmere mich mal endlich ernsthaft um eine Auswanderung nach Österreich oder vielleicht noch besser, gleich ganz raus aus Europa.
Als sich Auswanderer damals auf den Weg nach Amerika machten, um dem Mief des Europa-Adels zu entfliehen und eine neue, freie Welt zu begründen, müssen sie sich ähnlich gefühlt haben, wie ich heute.

Nicholas van Rijn
5 Jahre her
Antworten an  Sonni

Wie ich schon mal kommentierte, nehmen wir vielleicht Bayern und/oder Sachsen…;-)

Kaffeesatzleser
5 Jahre her

Hier nochmal zur Erinnerung: „Eine Nation ohne Grenzen ist keine Nation. Eine Nation, die ihren Wohlstand zu Hause nicht schützt, kann ihre Interessen auch im Ausland nicht vertreten. Eine Nation, die nicht bereit ist, einen Krieg zu gewinnen, ist nicht imstande, Kriege zu verhindern. Eine Nation ohne Stolz auf ihre Geschichte kann keine Zuversicht in die Zukunft haben. Und eine Nation, die ihrer Werte nicht gewiss ist, kann sie nicht verteidigen.“ D. Trump Wir haben keine Grenzen mehr. Nicht hier und auch nicht anderswo in Europa Wir schützen unseren Wohlstand nicht, wir verteilen ihn an möglichst alle Wir befinden uns… Mehr

Hajo
5 Jahre her

Wer jemand in seinem Vorgarten auf Dauer campieren läßt um dabei zu glauben, das Hausinnere und seine Bewohner würden davon nicht betroffen, der scheint den Ernst der Lage nicht zu begreifen, denn aus Gästen werden Forderer und das endet in der Regel für den Grundbesitzer nicht gut weil einmal gewährte Vergünstigungen Vernunft voraussetzt und die ist in den meisten Fällen nicht gegeben und führt in den Schlammassel.