„Malu, Du gehst über Leichen“ – Nach Streit vorbestraftem Ex-Minister rund 50.000 Euro erlassen

Das von Malu Dreyer (SPD) geführte Rheinland-Pfalz hat sich mit seinem ehemaligen Finanzminister Ingolf Deubel (SPD) verglichen und erlässt ihm rund 50.000 Euro Schulden. Der Vorbestrafte hatte zuvor wegen Pensionsausfällen geklagt.

IMAGO / Thomas Frey
Der ehemalige rheinland-pfälzischer Finanzminister der SPD Ingolf Deubel verlässt das Gerichtsgebäude in Koblenz

Unangenehme Nachrichten veröffentlicht die SPD in Rheinland-Pfalz gerne freitagnachmittags. Die Zeitungen sind dann schon geschrieben und das Kalkül ist berechtigt, dass die Redakteure zu faul seien, die Seiten nochmal umzubauen. Und den journalistischen Biss des SWR muss die sozialdemokratische Landesregierung so wenig fürchten wie den Angriff eines 18 Jahre alten Schoßhundes.

Doch die Einigung mit dem ehemaligen Finanzminister Ingolf Deubel (SPD) meldete die Landesregierung nicht mal freitags. Es brauchte eine Anfrage der CDU-Abgeordneten Karina Wächter, um der Regierung die Details aus der Nase zu ziehen. 88.000 Euro hätte Deubel dem Land zurückzahlen müssen. Nun genügt es, wenn der vorbestrafte Ex-Politiker bis zum Jahresende in drei Raten insgesamt 40.000 Euro überweist. Als Folge des Vergleichs stellte das Verwaltungsgericht Koblenz ein Verfahren in der Sache ein.

Die 88.000 Euro hatte das Land dem Minister ursprünglich geliehen, damit er sich in einem Strafprozess verteidigen konnte. Wegen Untreue und uneidlicher Falschaussage hatte das Landgericht Koblenz ihn dann zu zwei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Der Ex-Politiker kam schon nach neun Wochen auf Freigang. Nach etwas über einem Jahr wurde die Strafe auf Bewährung ausgesetzt.

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Dass es überhaupt zu einer Verurteilung kam, ist die Folge eines Schelmenstückes, wie es in der politischen Landschaft Deutschlands seines Gleichen sucht: Es waren die Jahre nach 2006. Kurt Beck (SPD) war auf dem Höhepunkt seiner Macht und konnte vor Kraft kaum noch gehen. In Rheinland-Pfalz hatte er eine absolute Mehrheit geholt und im Bund avancierte er zum Hoffnungsträger in den schweren Jahren nach dem Abgang Gerd Schröders (SPD) als Bundeskanzler. Diesen Rückenwind wollte Beck nutzen, um aus der strukturell schon immer abgehängten Eifel eine Boomregion zu machen. So begannen die Pleiten rund um den altehrwürdigen Nürburgring.

Die Formel 1 boomte in Deutschland dank Michael Schumacher – und die Provinzpolitiker genossen es, wenigstens an einem Tag des Jahres zur internationalen Hautevolee zu gehören. Für Mitarbeiter der zweiten und dritten Reihe war es wie ein Fleißkärtchen vom Lehrer, wenn sie eine der Karten für den Nürburgring bekamen. Doch das Idyll war in Gefahr. Bis dahin war die Formel 1 noch eine recht europäische Angelegenheit; nun drängten Streckenanbieter aus dem arabischen und asiatischen Raum ins Geschäft. Sie boten mehr Geld und weniger Auflagen – wie zum Beispiel den Verzicht auf Werbeverbote für Tabak oder Alkohol.

Die SPD-Provinzfürsten wollten den Nürburgring als ihren Hof halten und kamen auf die Idee, ihn auszubauen: Ein Freizeitpark, Hotels und Kongresse in der Eifel gehörten zu dem Konzept. Nur: Dafür fanden sich keine privaten Investoren. Es war die Stunde von Ingolf Deubel. Und der politischen Wahnsinns-Idee: Wenn Private das Gelände um den Nürburgring nicht rentabel betreiben können, dann kann der Staat es. Spoileralarm: Er konnte es nicht. Nach offizieller Rechnung kostete der Spaß das Land 330 Millionen Euro, wobei fraglich ist, ob die Rechnung vollzählig ist.

Einen guten Einblick über den Irrsinn dieser Zeit vermittelt ein Interview, das Deubel der Zeit im Frühjahr gegeben hat. Die Überschrift „Ich habe mich bis auf die Knochen blamiert“ ist treffend gewählt. So setzt Deubel beim Themenpark Nürburgring auf einen Berater, der mit Altbausanierungen pleite gegangen ist, und auf den ehemaligen Assistenten eines Zirkusdirektors. Zusammen spekulieren sie auf amerikanische Renten: Dritte kaufen die Rentenansprüche von Leuten auf, die sich ihre Rentenzahlungen nicht mehr leisten können. „Obskur war allerdings, dass die beiden Berater weder Geld mitbrachten noch eigene Erfahrung hatten, sondern ihrerseits auf Fachleute angewiesen waren“, sagt Deubel der Zeit. Davon, dass sie in einem Schweizer Luxushotel mit Geld um sich warfen, will der Sozialdemokrat nichts gewusst haben.

Das Geld für den Kauf der Lebensversicherungen sollte nun von einem Schweizer Geschäftsmann mit Firmensitz in Dubai kommen. Der Sozialdemokrat Beck schwärmte vom „ganz großen Milliardärs-Adel“. 50 Dollar hatte der auf dem Konto. Wie sich herausstellte, nachdem dessen Schecks geplatzt waren. Wie er zu solchen Fehleinschätzungen kommen konnte, wollte Deubel sich im Zeit-Interview nicht erklären können.

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Um es sich doch erklären zu können, muss man tief in die sozialdemokratische Seele schauen. Mit der absoluten Mehrheit hatten die Sozialdemokraten die FDP in Rheinland-Pfalz als Korrektiv verloren. Über Selbstreinigungskräfte verfügte die Partei nicht. König Kurts Wort war in der Zeit der absoluten Mehrheit Gesetz. Ihm zu widersprechen, war wie Majestätsbeleidigung oder Gotteslästerung – nur viel schlimmer. Und es tat auch keiner. Sodass noch einige Jahre und einige Rettungsversuche ins Land strichen, bis das Land aufgeben musste.

Ein Problem war: Die internationalen Manager wollten sich partout nicht in der Grünen Hölle treffen, um dort Kongresse abzuhalten. Der Freizeitpark lockte sie wenig. Wie sich herausstellte, wollen Spitzenleute der Wirtschaft in ihrer freien Zeit nicht auf Holzpferden reiten. Sodass es zu den Rettungsversuchen in Sachen Nürburgring gehörte, auf den Fluren im Regierungsviertel die Frage zu erörtern, ob die Ansiedlung von Prostitution in der Eifel staatlich gefördert werden könne. Und wie konkret?

Das Vollfiasko Nürburgring lief nach dem sozialdemokratischen Dreisatz für Großprojekte ab: Erstens, darauf beharren, es werde ein Riesenerfolg. Kritiker sind nur Defätisten, die der Sache schaden wollen. Zweitens, die Pleite so lange wie möglich kaschieren, verzögern und leugnen. Drittens, behaupten, es seien Dinge passiert, die vorher keiner habe kommen sehen. Weswegen es jetzt auch falsch sei, nachträglich zu kritisieren.

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Doch es brauchte ein Opfer. Deubel musste zurücktreten. Von Bauernopfer zu sprechen, träfe die Sache nicht. Dafür war Deubel zu wichtig, zu arrogant und zu dominant als Einflüsterer in Becks Ohr. Deubel war vielmehr der Turm, den der Spieler preisgibt, um die Dame zu bewahren. Denn kurz nachdem die SPD das Großprojekt Nürburgring aufgeben musste, trat auch Beck zurück. Aus gesundheitlichen Gründen. Die Sozialministerin Malu Dreyer (SPD) folgte ihm in der Staatskanzlei nach. Fortan war die oberste Maxime der Landesregierung, die Nürburgring-Pleite nicht auf die Chefin abfärben zu lassen.

Deubel kam vor Gericht. Verurteilt wurde er nicht für die Pleite, sondern für unzulässige Zahlungen der Nürburgring GmbH. Als Vorsitzender des Aufsichtsrates, so die Sicht des Gerichts, habe er in dem Unternehmen durchregiert. Der Justiz sei es nur darum gegangen, einen hochrangigen Politiker zu erwischen, sagt Deubel heute. Dass er im Untersuchungsausschuss gelogen habe, zog das Gericht ebenfalls als Begründung für sein Urteil heran. Auch das stimme nicht. Sagt Deubel.

Doch abgeräumt war das Thema Nürburgring immer noch nicht. Und die Staatskanzlei musste fürchten, dass passiert, was sie vor allem anderen verhindern will: dass die Pleite Schatten auf Dreyer wirft. Im September 2020 lehnte der Bundesgerichtshof die Revision Deubels ab. Die Staatskanzlei strich ihm darauf seine Pension. Das ist grundsätzlich möglich, wenn ein Beamter straffällig wird. Doch Deubel wollte das nicht akzeptieren. Für ihn war die Entscheidung politisches Kalkül.

Dreyer habe ein halbes Jahr vor der Landtagswahl Schlagzeilen vermeiden wollen, die sie mit Filz und Nürburgring in Kontakt gebracht hätten. Sie habe Deubel geraten, so erzählt er der Zeit, vors Verwaltungsgericht zu ziehen und dort seine Pension zurück zu erkämpfen. Er habe ihr darauf gesagt: „Malu, du gehst über Leichen.“

Deubel erhält die Pension wieder. Das verdankt er seinem rechtzeitigen Rücktritt. Weil ein Großteil der Strafe auf Taten zurückgeht, die er im Ruhestand begangen hat, verliert er seinen Pensionsanspruch nicht. Das ermöglicht ihm nun den Vergleich: Das Land verzichtet auf die 48.000 Euro, im Gegenzug verzichtet er auf Ansprüche möglicher Pensions-Rückerstattungen. Über die Pleite am Nürburgring kann jetzt erneut Gras wachsen. Und der Mann, der ein Geschäft historischen Ausmaßes verbockt hat und für Straftaten ins Gefängnis musste, bekommt jetzt wieder Pension bezahlt. Über 7.000 Euro im Monat. Netto.

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Kommentare ( 34 )

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Markus Gerle
1 Jahr her

Man überlege mal, was ein Normalsterblicher ansparen muss, um eine Netto-Rente von monatlich 7.000 EUR zu erhalten. Interessant wäre eigentlich eher die Brutto-Pension. Für Normalsterbliche läge die dann bei knapp 14.000 EUR. Und monatliche Rentenzahlungen von 1.000 EUR entsprechen einem Kapitalstock von ca. 300.000 EUR. Nicht schlecht. Die Typen bekommen quasi risikolos Millionen geschenkt. Vielleicht hätte ich doch in die Politik gehen sollen.

Sonny
1 Jahr her

Mir ist echt schlecht. 7.000 Euro netto im Monat. Für so einen Menschen, bezahlt von der Allgemeinheit, die dazu gezwungen wird. Meine Mutter muss von knapp 1.000 Euro im Monat leben. Dabei hat meine Mutter ein Leben lang gearbeitet und zwei Kinder groß gezogen. Sie duscht schon seit Jahren nur kalt und leistet sich nur das Allernötigste. Ohne unsere Unterstützung, die sie auch noch meistens gar nicht in Anspruch nehmen will, wäre sie verloren. Das kleine Häuschen, was sie als 20jährige mit meinem (bereits verstorbenen) Vater aufgebaut hat, ist ihr ein und alles. Dafür ist sie bereit, im kalten zu… Mehr

Schwabenwilli
1 Jahr her
Antworten an  Sonny

„Ehrlichkeit und Fleiß werden bestraft im angeblich besten Deutschland…….“

So schauts aus.

Fieselsteinchen
1 Jahr her

Die SPD lässt die Ihren doch nicht darben! War da nicht etwas mit SPD und AWO, SPD und Nordstream, SPD und CumEx?
Bitte nicht falsch verstehen! Das hier betrifft zwar nur die SPD, aber läuft es bei den anderen im sozialistoiden Einheitsfarbenbrei nicht gleich? AfD außen vor!

Peter Gramm
1 Jahr her

Der Politikbetrieb ist schon fürchterlich. Da werden Millionenpleiten hingelegt ohne jedwede Verantwortung. Man macht sich dann halt Om Acker und kassiert seine dicke und fette Pension. Der beschissene und betrogen Bürger muß es bezahlen. Von diesen ökonomischen Tieffliegern gibt es jede Menge im Politikbetrieb. Leider.

H. Priess
1 Jahr her

Feudalistisches Gehabe, Großmannsucht, Selbstüberschätzung, Verachtung der Untertanen, die schlimmsten Eigenschaften die ein Politiker haben kann. Was allerdings auch auf den weiblichen Teil der Politiker übergesprungen ist. Beck und Komplizen sind die Auswüchse der SPD auf die schlimmste Art und es scheint, auch heute noch wetteifern viele Rote denen nach. Die Republik ist voll mit Investitionsruinen, voll von verschwendeten Geld, jeder weiß es aber keiner wagt daran zu rühren. Jetzt da das Füllhorn, gefüllt mit geliehenem Geld, ausgegossen wird gibt es kein halten mehr. Seid verschwendet Milliarden, wer will noch mal, wer hat noch nicht!

Last edited 1 Jahr her by H. Priess
Elki
1 Jahr her

Das scheint überhaupt DER Dreisatz der Politik schlechthin zu sein, nicht nur der der SPD, auch die CDU kennt den mindesten seit 2015:
„Das Vollfiasko Nürburgring lief nach dem sozialdemokratischen Dreisatz für Großprojekte ab: Erstens, darauf beharren, es werde ein Riesenerfolg. Kritiker sind nur Defätisten, die der Sache schaden wollen. Zweitens, die Pleite so lange wie möglich kaschieren, verzögern und leugnen. Drittens, behaupten, es seien Dinge passiert, die vorher keiner habe kommen sehen. Weswegen es jetzt auch falsch sei, nachträglich zu kritisieren.“

Gisela Fimiani
1 Jahr her

Wo der Zeitgeist der Gewissenlosigkeit herrscht, fühlt sich eine verantwortungslose, ehrlose, niederträchtige classe politique berechtigt, in völliger Narrenfreiheit ihr neofeudalistisches Selbstverständnis ungestraft auszuleben. Dabei dient das sauer verdiente Geld der Bürger dieser Politikerklasse, nebst ihrer rasant wachsenden Entourage, dem persönlichen Machterhalt und verwandelt darüberhinaus ehemalige Bürger in Untertanen, über deren Leichen die menschenverachtenden Hochmütigen ohne Skrupel hinwegschreiten. Der ehemalige Souverän schaut seiner Ent-Würdigung leider widerstandslos zu. Die Todessehnsucht eines Volkes…….?

Ulric Viebahn
1 Jahr her

Herr Thurnes, Sie sind der unerreichte Meister von Ironie, Sarkasmus und verläßlicher Information. „… auf den Fluren im Regierungsviertel die Frage zu erörtern, ob die Ansiedlung von Prostitution in der Eifel staatlich gefördert werden könne.“

Franz Guenter
1 Jahr her

In der Politik geht es um Macht – um Macht und sonst gar nichts. Erstes Ziel: Machterhaltung, wie auch immer. Das große Problem: Der gemeine Wähler erkennt es nicht oder will es nicht erkennen. Wahrscheinlich eher zweites, der Wille zur Erkenntnis fehlt. Denn das könnte unangenehm werden. Ausnahmen: Hier im Forum zu finden. Aber das sind zuwenige. Leider. Deshalb liebe Kollegen hier: Redet, auch wenn Ihr meint, es hätte keinen Sinn. Dann gibt es wenigstens im Zusammenbruch Menschen, die nicht mehr für die Erkenntnis blind sein werden.

haasel
1 Jahr her

Bürokratie ohne Ende in Rheinland Pfalz für die Bürger, aber auch Korruption ohne Ende. Was sich damals Herr Beck alles leisten konnte, ist mir völlig unverständlich! In diesem Falle frage ich mich, ob wir eine Landesregierung haben, die ein Kreditinstitut vertritt mit dem Steuergeld der Bürger? Wußte gar nicht, daß eine Ministerpräsidentin handeln darf wie eine Privatperson mit öffentlichen Geldern, und Vergleiche aushandeln kann wie eine Bank oder ein Gericht. Das kommt gar nicht gut, Frau Dreyer!