Faesers Bombe unter Dobrindts Schreibtisch

Die Innenministerin hinterlässt ihrem Nachfolger mit dem Verfassungsschutz-Gutachten zur AfD ein explosives Problem. Wie auch immer es weitergeht: Demnächst entscheidet erst einmal ein Gericht in Köln.

picture alliance/dpa | Andreas Arnold
Nancy Faeser (SPD) geschäftsführende Bundesinnenministerin äußert sich im Bundeskriminalamt zur AfD, 02.05.2025

aktualisierte Fassung: Ein Gedankenexperiment: angenommen, Nancy Faeser würde auch der neuen Bundesregierung angehören, etwa als Justizministerin – hätte sie dem Bundesamt für Verfassungsschutz dann in ihren letzten Innenministertagen das Signal gegeben, seine Einstufung der AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ öffentlich zu machen? Vielleicht ja. Vielleicht hätte sie auch gezögert – denn sollte sich das Papier des Nachrichtendienstes vor Gericht als zu dünn erweisen, müsste sie sich mit den politischen Folgen herumschlagen. Nun befindet sich die SPD-Politikern in der vorteilhaften Lage, ihrem Nachfolger Alexander Dobrindt von der CSU den Sprengsatz unter den Schreibtisch zu platzieren, um sich selbst mit 54 Jahren in den Ruhestand zu verabschieden – mit dem Gefühl, noch einmal alles im Kampf gegen Rechts gegeben zu haben.

Nur ein kleiner Personenkreis kennt wirklich die 1100 Seiten des Gutachtens, das die Kölner Behörde vor der Öffentlichkeit geheim hält. Dafür, dass die Juristen des Innenministeriums den Inhalt kritisch prüften und auf mögliche Schwachstellen in den kommenden Verfahren abklopften, gibt es keine Hinweise. Die scheidende Ministerin jedenfalls dürfte nicht besonders darauf gedrängt haben. Denn den Fall erbt jetzt, siehe oben, sowieso jemand von der CSU. Dobrindt muss nun gleich zum Amtsantritt eine Entscheidung treffen, bei der es keine für ihn angenehme Alternative gibt.

Entweder macht er sich das Gutachten zu eigen – dann trägt er auch die Verantwortung, wenn ein Gericht es als zu dünn einstuft. Oder er erklärt das Papier zu einem Arbeitsstand des Verfassungsschutzes aus der Zeit der alten Regierung, dem er keinen großen Wert beimisst. Damit wäre er automatisch einer politisch-medialen Kampagne ausgesetzt bis in die Reihen des neuen Koalitionspartners SPD: Er würde dann als AfD-Helfer und Demokratiegefährder gebrandmarkt, der das Verbotsverfahren gegen die größte Oppositionspartei des Landes sabotiert.

Denn genau diesen Automatismus suggerieren mittlerweile Politiker von Linkspartei, Grünen und SPD: Sie versuchen mit aller Macht den Eindruck in der Öffentlichkeit zu verankern, bei dem Verfassungsschutz-Gutachten handle es sich um eine Vorstufe, die jetzt zwangsläufig zum Bundesverfassungsgericht führen müsse. Die bisherige Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt erklärte schon auf X in schönster Unkenntnis der Verfassungslage, Dobrindt müsse jetzt „handeln“ und das Verbotsverfahren „einleiten“.

In Wirklichkeit kann das kein einzelner Minister. Nur Verfassungsorgane verfügen über diese Möglichkeit: also die Bundesregierung als Ganzes, der Bundestag mit Mehrheit, der Bundespräsident, der Bundesrat. Die designierten Unionsminister versuchen sich gegen die Unterstellung eines Automatismus zu wehren. Dobrindt erklärte, er halte nichts von einem Verbotsverfahren: „Deswegen bin ich der Überzeugung, man muss die AfD nicht wegverbieten, man muss sie wegregieren.“ Auch der designierte Kanzleramtschef Thorsten Frei machte im Interview mit Pioneer darauf aufmerksam, dass vor dem Bundesverfassungsgericht sehr viel mehr Kriterien erfüllt sein müssten.

Das Verfassungsschutzgutachten stützt sich ganz auf den „ethnischen Volksbegriff“, den sie der AfD vorwirft, und die Konstruktion, damit verstoße die Partei gegen Artikel 1 der Verfassung. Beispielsweise führt das Papier des Nachrichtendienstes ein Zitat des AfD-Bundesvorstandsmitglied Hannes Gnauck an: „Wir müssen auch wieder entscheiden dürfen, wer überhaupt zu diesem Volk gehört und wer nicht. Es gehört mehr dazu, Deutscher zu sein, als einfach nur eine Staatsbürgerurkunde in der Hand zu haben.“ Der Satz lässt allerdings viele Interpretationsmöglichkeiten zu, beispielsweise die, dass Gnauck schärfere Kriterien für eine Einbürgerung wünscht. Bis jetzt sind noch nicht einmal unbedingt alltagstaugliche Deutschkenntnisse Bedingung. Außerdem verwendet bisher jede Bundesregierung selbst einen ethnischen Volksbegriff, beispielsweise bei der Förderung der deutschen Kultur in Rumänien oder der Einbürgerungsmöglichkeit für Russlanddeutsche.

Wie geht es jetzt juristisch weiter? Die AfD mahnte den Verfassungsschutz zunächst mit der Forderung ab, das Gutachten und damit die Einstufung als „gesichert rechtsextremistisch“ zurückzuziehen. Nachdem das Amt die Frist verstreichen ließ, reichte die Partei eine 195-seitige Klageschrift mit der gleichen Forderung ein. Darüber muss das Verwaltungsgericht Köln entscheiden.

Politisch liegt nun die Frage auf dem Tisch des nächsten Innenministers, ob er das Amt anweist, den Bericht zu veröffentlichen – oder nicht. Bis jetzt kennt ihn noch nicht einmal die AfD in Gänze, also gewissermaßen die Beschuldigte. Thorsten Frei meinte, die neue Regierung werde sich das „ansehen“ – also über eine Veröffentlichung entscheiden.

Nachdem Merz ins Kanzleramt gelangen konnte, und die Vereidigung der Minister folgte. Jetzt kann der Konflikt über Faesers hinterlassene Bombe wirklich beginnen. Sowohl Bundeskanzler Merz wie die neue Justizministerin Stefanie Hubig kündigten tatsächlich noch am Abend eine Prüfung des Gutachtens an: Beginnt der Rückzug?

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Kommentare ( 53 )

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MfS-HN-182366
12 Tage her

»Beginnt der Rückzug?«

Nein, das System weicht nur durch eine Revolution (Revolte) zurück. Alles andere wäre Wunschdenken.

Regenpfeifer
12 Tage her

Demokratie ist, wo es Opposition gibt.

Diktatur ist, wo Opposition verboten wird.

Radikaler Demokrat
12 Tage her

Das, was aus diesem „Gutachten“ bisher veröffentlicht wurde, ist von Anfang bis Ende totaler Unsinn, und wenn das die stärksten Argumente sein sollen… Es wird immer auf den Verstoß gegen Artikel 1 GG und dort besonders die Menschenwürde abgezielt, dabei wird übersehen, daß weder die AfD als ganze Partei noch einzelne Mitglieder überhaupt gegen Artikel 1 verstoßen können, denn dieser bindet als Grundrechtsartikel nur die Gewalten, also den BuPrä, den Bundesrat, den BT mit Mehrheit, die Exekutive und die Jurisdiktion in ihrer Gesamtheit, aber nicht die handelnden Personen als Privatpersonen. Ob das, was geäußert wurde, u.U. strafrechtlich relevant ist, steht… Mehr

Gotthelm Fugge
12 Tage her

Merz freut sich auf Amerika! Noch von seinem Tiefstart her hechelnd, ein vor (EU- & DE-) Kraft strotzender Merz wird in seiner angekündigten Antrittsofferte gegenüber Trump & der US-Aministration diesen Herrschaften ENDLICH einmal deutlich aufzeigen, „Wo Bartel den Most herholt“.   Besonders der Ritterschlag für die Nachfolge der SED-Mauerschützenpartei zur „UNSERER-DEMOKRATISCHEN-MITTE“-Allianz bei der gestrigen Kanzlerwahl wird die US-Regierenden tief beeindrucken.   Auch mit den US- „absurden Betrachtungen der Bundesrepublik Deutschland“ zur AfD mittels des BMI-VS-SPIEGEL-Gutachtens zur „absolut gesicherten rechtsextremistischen Oppositions-Daseinsweise“ dieser fast 30%-igen Wähler (Volks-) Partei, wird die USA ihr Fett abbekommen.   Der nächste (außen-) politische Merz-Konflikt ist damit schon… Mehr

teanopos
12 Tage her

So sind sie, die feministischen Quotenprinzesschen, wenn sie mal Gegenwind bekommen oder gehen müssen dann schei&en sie dir bzw. ihrem Nachfolger direkt auf den Tisch. Siehe auch Baerbock. Null Professionalität. Und genau deswegen haben solchen Damen/Frauen auch nichts in der Politik oder in anderen öffentlichen Ämtern/Positionen verloren. Die Quote erweist dem weiblichen Geschlecht einen Bärendienst. Jeder einfache Bürger hat mehr Anstand als diese selbstgefälligen, arroganten Damen die nie Widerspruch erfahren haben bzw. damit nicht umgehen können. Solche Damen sind echte Antidemokratinnen. Nicht umsonst reüssiert/wuchert der Feminismus so stark mit Links und Grün, in deren Kreisen hatte man noch nie Respekt… Mehr

Last edited 12 Tage her by teanopos
Gert Lange
13 Tage her

Dobrindt wird nichts tun, warum sollte er sich die Finger verbrennen, oder?

Endlich Frei
13 Tage her

Ein rein formelles, bürokratisches Problem, mit dem sich der regierungsnahe Journalismus ziemlich einsam auseinandersetzt: Formell mag sich der Bundesverfassungsschutz als „unabhängig“ verstehen, was praktisch natürlich inzwischen die reinste Farce darstellt. Seit nach dem Abgang Maaßens der BVS mit willfährigen Handlangern der Ultralinks-Regierung besetzt ist, erscheint er nur mehr als Exikutiv-Kommitee der Regierungs-Antifa. „Faeser-Behörde“ trifft den Nagel genau auf den Kopf. In der Praxis übergehen die Bürger daher längst solche (erwartbaren) Anfeindungen der Opposition. Es langweilt die meisten. Und das ANTIFAeser so ein Abschiedsgeschenk liefern würde, war sicherlich alles andere als überraschend. Nun muss die richtige Antwort gefunden werden, wie man… Mehr

Last edited 13 Tage her by Endlich Frei
Siggi
13 Tage her

Über den Charakter dieser Frau muss man nicht lange nachdenken.

Roberto Blanco
13 Tage her

Köln: Dort wo 1.200 Mädchen die antreffende islamische Armee mit offenen Armen und Beinen willkommen heißen mussten, gerichtlich und politisch abgesegnet weil keine Verurteilungen.
Köln: Dort wo man mit lediglich einen Armlänge Abstand die Islamisierung des Landes politisch aufhalten will.
Köln: Wo der Muezzinruf der größten Moschee über die Köpfe der ehemals Christlichen Stadt läuten darf.

Ich bin gespannt auf die Entscheidung, halte die Atem aber dennoch nicht an.

Ralf Poehling
13 Tage her

Das ist nicht Faesers Bombe, sondern die vom Verfassungsschutz. Faeser hat die Bombe jetzt nur an Dobrindt weitergereicht. Die Bomben kommen immer aus dem Sicherheitsapparat nach oben ins Büro, so kurios das im ersten Moment klingen mag. Entweder sammelt der Apparat die nämlich ein und gibt sie nach oben weiter, oder er baut sie manchmal sogar selbst. Ich laufe mit so einem verdammten Ding seit über 2 Jahrzehnten herum und kaum einer wagt es, das Ding wegen seiner enormen Komplexität zu entschärfen, geschweige denn überhaupt haben zu wollen, weswegen ich mich seit längerem selbst daran versuche das Teil zu entschärfen.… Mehr