Deniz Yücel: Freiheit ist unteilbar

Deniz Yücel hat wohl wenige Freunde in der Leserschaft von Tichys Einblick nach dem, was er zu Deutschland, seinen Bürgern und zum Krisenthema Zuwanderung gesagt hat. Für seine Freiheit einzutreten, ist uns selbstverständlich.

© Guido Bergmann/Bundesregierung via Getty Images

„Was sollen wir machen? Wir sind alte Leute.“, sagt Frau Yücel mit gefasster Stimme am Telefon. Der Schmerz schwingt in jedem weiteren Satz mit. Schließlich berichtet hier eine Mutter, deren Sohn in Istanbul in Polizeigewahrsam genommen wurde. Und da mag man sich nicht vorstellen, wie so etwas aussieht, wie man da untergebracht ist, welchen Repressalien man unterliegt. „Wir erfahren auch nur aus den Medien, was los ist.“, erzählt die nette alte Dame. Telefonieren konnte sie noch nicht mit ihrem Sohn. Als die Mutter vom Autokorso für Ihren Sohn berichtet, den sie am Vortag im Fernsehen gesehen hatte, klingt das zwar positiv, aber doch auch hoffnungslos.

Der WELT-Journalist Deniz Yücel wurde dort geboren, wo die Eltern heute noch leben, im beschaulichen Flörsheim am Main. Von Frankfurt kommend die erste Weinbaugemeinde des Rheingaues. Gepflegte Fachwerkhäuser im Stadtkern. „Heute ist Flörsheim mit seinem Mainufer vor allem ein beliebtes Naherholungsgebiet für die Stadtbewohner im Rhein-Main-Gebiet.“, schreibt stolz die Stadtseite.

Deniz Yücel hat viele Jahre für die taz geschrieben. Seine ehemalige Kollegin dort, Doris Akrap, war am Sonntag Mitorganisatorin eines Solidaritäts-Auto-Korsos für den Journalisten Yücel in Berlin. Jeder macht halt, was er kann. Das würde Deniz gefallen, schreibt die WELT, schließlich „habe Yücel selbst bei jeder sich bietenden Gelegenheit zum Korso-Fahren aufgerufen. „Der Türke fährt für sein Leben gern hupend, jauchzend und fahnenschwenkend durch die Stadt“, hatte er den Deutschen in der linken Wochenzeitung Jungle World erklärt.

Warum der Journalist inhaftiert wurde? Man wirft ihm in der Türkei Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, Datenmissbrauch und Terrorpropaganda vor. Angela Merkel hatte den türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz um faire Behandlung für Yücel gebeten. Regierungssprecher Steffen Seibert erklärt, der Fall sei „ausführlich“ besprochen worden. „Sie hat darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, dass Herr Yücel durch die deutsche Botschaft umfassend konsularisch betreut werden kann“, so Seibert weiter. Die WELT zitiert einen Sprecher des Auswärtigen Amtes: „Wir setzen darauf, dass in dem laufenden Ermittlungsverfahren der türkischen Behörden gegen Herrn Yücel rechtsstaatliche Regeln beachtet und eingehalten werden und er fair behandelt wird.“

Sein Vorgesetzter Ulf Poschardt  vertraut darauf, „dass ein faires Verfahren seine Unschuld ergeben wird“.

Das alles ist nicht wenig. Wenn sich selbst die Bundeskanzlerin für Yücel einsetzt, als wäre er bereits eine Art türkischer Aiweiei, dann stellt sich Frage: Kann man überhaupt noch mehr tun?

Man kann nicht nur, man muss sogar. Der Spiegel-Journalist Hasnain Kazim erinnert noch einmal daran: Wer in der Türkei den Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan kritisiert, ist in den Augen der Regierung „wahlweise ein PKK-Anhänger, ein Gülenist, ein Kemalist, ein Alkoholiker, ein Herumlungerer, ein Dieb, ein Vaterlandsverräter oder ein Terrorist“. Allen so Verdächtigten drohe eine Anklage wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation, Spionage, Hochverrat oder im Zweifel eben wegen Beleidigung des Präsidenten. „Die Vorwürfe sind in nahezu allen Fällen nicht nur falsch, sondern geradezu absurd.“, so Kazim weiter.

Konkret hatte Deniz Yücel wohl aus gehackten Mails zitiert, die von der „linksradikalen“ türkischen Hackergruppe Redhack oppositionellen türkischen Medien zugespielt und auf WikiLeaks veröffentlicht wurden. Kazim verweist auch auf den Fall des in Deutschland tätigen Erdogan-kritischen Ismail Küpeli, der verstummte zuletzt, nachdem er noch mitgeteilt hatte: „Es ist kaum vorstellbar, mit welchem Elan und welcher Härte die Anhänger Erdogans missliebige Stimmen zum Verstummen bringen wollen. Im Kampf gegen die ‚Verräter‘ ist offensichtlich alles erlaubt, und keine Moral und kein Anstand begrenzt diese Menschen.“

Auch der Aktivist und Erdogan-Kritiker Ali Utlu twitterte: „Ich hatte gerade Besuch von türk. Männern in Anzug die mir mit Nachdruck erklärt haben, ich solle n. mehr über die Türkei Twittern oder …“
—    Ali Utlu (@AliCologne) 15. Februar 2017

„Pro Asyl“-Geschäftsführer Bernd Mesovic mahnte unmittelbar nach dem missglückten Militärputsch in der Türkei: „Wenn die Hexenjagd gegen jegliche Opposition in der Türkei weitergeht, dann wird es eine Flüchtlingsbewegung Richtung Europa geben.“

Carola Gottas ist Ortsbeirätin der Grüne Alternative Liste Flörsheim und bekannt mit Familie Yücel. Sie ist in Kontakt mit der Schwester von Deniz, die noch in Flörsheim lebt, wie die Eltern des Journalisten. Der Ortspolitikerin war es wichtig, klarzustellen, dass der lange Arm Erdogans nun auch bis nach Flörsheim reicht und man hinausschauen und sich einmischen muss. „Wir haben die Pflicht dafür zu sorgen, dass Erdogan-Kritiker egal welcher Nationalität ihre Kritik angstfrei äußern dürfen.“

Eine Sichtweise, der man zustimmen muss, die aber auch nachdenklich stimmt. Denn viele Deutsche gehen ja heute schon wie selbstverständlich davon aus, dass die in Deutschland lebenden Türken alle Erdogan-Anhänger wären. Das ist nicht der Fall. Aber immer mehr Erdogan-Kritiker werden auch hierzulande von begeisterten Erdogan-Landsleuten privat oder öffentlich unter Druck gesetzt und schweigen dann lieber.

Schweigen aus Angst allerdings darf in Deutschland nie mehr Option sein. Dafür stehen wir. Dass macht uns und unser Land aus. Übrigens nicht nur gegen Erdogan, sondern noch mehr, wenn es um Rechtsbrüche und Verfehlungen unserer eigenen Regierung geht. Wenn wir also nun Solidarität für Deniz Yücel einfordern, dann verteidigen wir damit auch unser eigenes Recht auf Meinungsfreiheit.

Den Freunden, aber vor allem den Eltern des Journalisten in diesem beschaulichen Flörsheim wünschen wir alle Kraft und  Zuversicht. Freedeniz!

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Kommentare ( 2 )

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2 Comments
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Jan Sikora
7 Jahre her

Geehrte(er) NoName,
ja,die erste 2-3 Tage habe ich gehofft,dass Sie auf mein Kommentar
reagieren werden;jetzt ist aber meine Freude doppelt so groß – danke
dafür,dass Sie sich Zeit genommen haben um ein paar Worte an mich
zu schreben.
Über das,dass Pole nicht Deutsche ,und Tscheche kein Ukrainer ist
brauchen wir doch nicht zu diskutieren;das ist nun eine triviale Selbstverständlichkeit.Aber warum soll das so wichtig sein ? Vor
45 Jahren habe ich eine Deutsche Frau geheiratet. Na und ?
Wir unterscheiden uns,haben aber auch etwas gemeinsames,nicht
wahr ? Ist das nicht besser das bindende statt trennende zu suchen ?

NoName
7 Jahre her
Antworten an  Jan Sikora

Lieber Herr Sikora, Danke. Bindendes und Trennedes, da stimm ich Ihnen zu. Hab ich ja sogar mit meinen Landsleuten. Doch zwischen Deutschen und Polen gibt es eben viel Bindendes trotz der wirklich nicht schönen gemeinsamen Historie. Wir sind Europäer. Mit den Muslimen und Afrikanern aller Art sehe ich mehr Trennendes als Bindendes. Da muss man auch nicht nach suchen. Außerdem verabscheuen die uns, dass ist nun nicht zu überhören. Um noch einmal auf Asterix zu sprechen zu kommen, diese Fremden (Im Gegensatz zu Ihnen zum Beispiel) sind nicht von hier und haben hier auch nichts verloren, schon gar nicht irgendwelche… Mehr