Christenverfolgung in Syrien – und keiner schaut hin

Wenn Christen verfolgt werden, schaut die Weltöffentlichkeit weg. Zwar ist es schwer, verlässliche Informationen zu bekommen. Klar ist jedoch: In Syrien, einem der ältesten christlichen Länder überhaupt, droht nicht nur der schleichende Genozid an Fahrt aufzunehmen, damit verbunden ist die kulturelle und spirituelle Auslöschung einer uralten Zivilisation. Die Täter werden in Europa hofiert.

picture alliance / Middle East Images | Mohamad Daboul

Wieder einmal erreichen uns aus Syrien Nachrichten, die geeignet sind, selbst den abgeklärtesten Beobachter zu erschüttern. In den letzten Stunden tauchten Videos auf, die nahelegen, dass nunmehr ganze christliche Dörfer systematisch niedergebrannt werden – ein Fanal in einer Region, die seit zweitausend Jahren zu den ältesten Heimstätten des Christentums gehört.

This is what a real genocide looks like. pic.twitter.com/kmvmMo5Mp2

— Dr. Maalouf ‏ (@realMaalouf) September 23, 2025

 

Zwar muss man mit Blick auf die Unübersichtlichkeit der Lage und die Abhängigkeit von lokalen Quellen stets Vorsicht walten lassen, ist es doch zumindest bei oberflächlicher Betrachtung nicht ganz unmöglich, dass die Bilder einem anderen Kontext entstammen (von KI-Manipulation ganz zu schweigen). So kursieren gleichzeitig auch Disclaimer, die einige der Bilder als Waldbrände zu identifizieren suchen:

Doch wie auch immer man die heutigen Bilder einschätzt, so bestätigen auch Hilfswerke und Kirchenvertreter in den letzten Tagen und Wochen immer wieder, dass die Lage der verbliebenen Christen dramatisch ist, den Bildern kommt also eine gewisse Plausibilität zu.

Dass das Thema in den Mainstreammedien ohnehin so gut wie abwesend ist, dürfte wohl niemanden überraschen, der sich zumindest gelegentlich aus anderen Quellen als der deutschen Tagesschau informiert: Die Zeit, als anti-christliche Übergriffe in Syrien gemeinsame militärische Interventionen aller abendländischen Nationen zum Schutze ihrer Glaubensbrüder provozierten, ist längst vorbei; und sollte die Situation so weit eskalieren, dass sie nicht mehr verschwiegen werden kann, darf man sicher darauf zählen, dass im nächsten Augenblick die üblichen „Expert*innen“ mit entsprechender „Einordnung“ zur Hand sind und durch Verweise auf Kreuzzüge, Kolonialismus und US-Imperialismus die gegenwärtigen Ereignisse als betrübliche, aber im Kern gerechtfertigte Reaktion der „Unterdrückten“ verniedlichen.

Immer wieder kommt es also in den letzten Wochen zu Anschlägen auf Kirchen, zu Angriffen auf Priester, zu Brandstiftungen an Häusern, die noch von Christen bewohnt werden; jüngst etwa wurde in Damaskus bei einem Bombenanschlag auf die Mar-Elias-Kirche während des Gottesdienstes dutzenden Gläubigen das Leben genommen, während anderswo in der Provinz Suwayda Kirchen geplündert und Dörfer verwüstet wurden. Es handelt sich dabei übrigens nicht um isolierte Exzesse, sondern um den Ausdruck einer Entwicklung, die seit Jahren anhält: von den etwa 1,5 Millionen Christen, die Syrien vor Beginn des Bürgerkrieges bewohnten, sind heute kaum mehr als 300.000 geblieben – oder am Leben…

In Aleppo, einst eine Hochburg der christlichen Kultur im Vorderen Orient, sank der Anteil der Christen von rund zwölf Prozent der Gesamtbevölkerung sogar auf kaum mehr als anderthalb Prozent.

Die Motive für die gegenwärtige Verfolgung sind recht eindeutig. Während des syrischen Bürgerkrieges stand die große Mehrheit der Christen – ob orthodox, katholisch oder armenisch – nicht etwa auf Seiten der Aufständischen, sondern, zumeist schweigend, hinter Assad. Der Grund war offenkundig: So brutal das Regime auch gewesen sein mochte, es garantierte doch ein Mindestmaß an religiöser und ethnischer Koexistenz, während die Opposition sehr schnell von islamistischen Kräften dominiert wurde, deren Sieg für viele Minderheiten blankes Entsetzen bedeutete.

Viele Kirchenführer, von Patriarch Gregorios III. Laham bis Ignatius Aphrem II., erklärten daher wiederholt, dass die Einheit Syriens wichtiger sei als ein naives Demokratieexperiment, das unweigerlich im Islamismus enden würde. Heute aber, da der neue Präsident Ahmad al-Sharaa im Westen als „gemäßigt“ gefeiert wird, herrscht bei den verbliebenen Christen tiefes Misstrauen und gleichzeitig berechtigte Angst vor Repressalien.

Das Christentum wird dabei im ganzen Nahen Osten systematisch an den Rand gedrängt – und Syrien bildet hier keine Ausnahme, sondern vielmehr ein paradigmatisches Beispiel. Gemeinden, die noch vor kurzem das Bild der syrischen Städte prägten, und die ich vor einigen Jahren bei einer archäologischen Exkursion besuchen durfte, sind mittlerweile ausgelöscht; Schulen und Krankenhäuser in kirchlicher Hand wurden zerstört; Klöster, die seit der Spätantike ununterbrochen existierten, stehen leer.

Und doch hört man aus Europa kaum ein Wort des Entsetzens. Stattdessen stehen dieselben politischen Führer, die noch vor kurzem den jetzigen Machthaber in Damaskus als „Islamisten“ und „Terroristenführer“ bezeichnet hatten, heute Spalier, um den neuen „Präsidenten“ mit allem protokollarischen Gepränge zu empfangen.

Erst kürzlich hofierte Präsident Macron den syrischen Präsidenten Ahmad al-Sharaa wie einen guten Freund und plädierte für eine Lockerung der europäischen Sanktionen – wohlgemerkt, während die Bilder brennender Kirchen und fliehender Familien gerade über die Bildschirme liefen. Man fragt sich hier wie sonst so oft, ob in solchen grotesken Situationen schiere Blindheit, Zynismus oder ein echter zivilisatorischer Selbsthass am Werk ist.

Denn es geht nicht um bloße Außenpolitik, sondern um die elementare Glaubwürdigkeit Europas, das zumindest von außen immer noch mit dem Christentum assoziiert wird. Doch während man in den eigenen Ländern jede Form vermeintlicher Diskriminierung in den Rang eines Skandals erhebt, scheint das Schicksal hunderttausender Christen im Nahen Osten nur ein Randthema zu sein.

Dabei ist das, was sich in Syrien vollzieht, nichts weniger als ein kultureller und spiritueller Genozid: eine religiöse Zivilisation, die von den ersten Aposteln selbst gegründet wurde, wird systematisch aus der Geschichte gelöscht, während die Schuldigen nachweislich in Europa Asyl beantragen und erlangen. Wer heute durch die Ruinen von Maalula, Sadad oder Aleppo geht, sieht nicht nur zerstörte Steine, sondern die Trümmer einer Gesellschaft, die bruchlos bis in die Glanzzeit des östlichen Christentums zwischen Paulus und Johannes von Damaskus zurückreicht.

Dass Europa dazu schweigt, ist ein Verrat an der eigenen Geschichte.
Gewiss: Nicht alle Berichte lassen sich sofort verifizieren; gewiss: Die Lage ist komplex, die Fronten sind verschoben, die Verantwortlichkeiten unklar; gewiss: Manche Übergriffe mögen eher einer politischen als einer religiösen Logik folgen.

Doch ist die Tendenz unübersehbar: Wo immer Christen im Nahen Osten auf sich allein gestellt sind, werden sie bedrängt, entrechtet, vertrieben. So bleibt, am Ende, nur der bittere Befund: Während die Feuer in Syrien brennen und das Christentum aus einer seiner ältesten Heimaten verschwindet, debattieren wir in Europa über Quoten, Gendersternchen, Wokeness oder Donald Trumps jüngste Bildungsschnitzer – und befördern nicht zuletzt tatkräftig auch hier die Islamisierung.

Die Weltgeschichte kennt Ironien genug, doch selten war der Kontrast so scharf. Und vielleicht liegt gerade hier die eigentliche Prüfung: ob wir noch fähig sind, Empörung zu empfinden über das Schicksal unserer Brüder und Schwestern im Glauben (aber wieviele Europäer identifizieren sich überhaupt noch mit dem Christentum?) – oder ob wir endgültig in der Kälte einer posthistorischen, durch und durch „säkularen“ Zivilisation erstarrt sind, die den eigenen Ursprung nicht nur verleugnet, sondern sogar verabscheut.

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