Schulz kann Merkel nur mit Merkel besiegen

Die Journalisten, die Merkels Raute zu Weltruhm verholfen haben, fürchten innerhalb ihrer hippen Urbanität nichts mehr, als einem abgehalfterten und verglühenden Trend nachzuhängen. Vorteil Schulz.

© Steffi Loos/Getty Images

Es ist „amtlich“: Martin Schulz hat Angela Merkel in einer Umfrage zur Direktwahl des Bundeskanzlers hinter sich gelassen – und das sogar mit dem bequemen Abstand von 16 Prozentpunkten. Ein Anlass, sich trotz der Umfragen immer anhängenden Unsicherheit erstaunt die Augen zu reiben. Denn bisher herrscht medienübergreifende Einigkeit bezüglich der Tatsache, dass der Kandidat Schulz im deutschen Fernsehen zwar schon viel geredet, aber nur wenig gesagt hat. Auf Tichys Einblick wurde die Litanei aus wiedergekauten SPD-Phrasen, die weder durch Glaubwürdigkeit, noch durch logische Stringenz brillieren können, bereits umfangreich dokumentiert (bspw. hier, hier und hier).

Diesem Eindruck soll keineswegs widersprochen werden. Allerdings könnte es voreilig sein, Martin Schulz deshalb keine Chancen bei der kommenden Bundestagswahl einzuräumen. Noch einmal: Wer im Kandidaten Schulz eine mit heißer Luft gefüllte Labertasche sieht, muss damit nicht falsch liegen. Der springende Punkt ist aber der, dass die spontan gestiegene Popularität von Schulz dazu nicht im Widerspruch stehen muss. Schulz gewinnt die Sympathien bisheriger Merkel-Wähler nicht dadurch, dass er einen radikalen Gegenentwurf zu ihr anbietet, sondern weil er viele frappierende Ähnlichkeiten zur Amtsinhaberin aufweist.

Die Biografien von Merkel und Schulz lesen sich synoptisch wie die kleinbürgerliche, deutsche Variante des „American Dream“: Die unwahrscheinliche Erfolgsgeschichte zweier Individuen, die sich ihren kometenhaften politischen Aufstieg selbst nicht so recht erklären können, die aber wie der irrtümlich mit einem Edelmann verwechselte Schneidergeselle Wenzel Strapinski das angebotene Festmahl nicht ablehnen können. Schulz ist dabei mit Blick auf seine im Europäischen Parlament lückenlos kassierten Sitzungsgelder noch etwas unbescheidener – er weiß wohl kaum, womit er sie verdient hat, aber er weiß sehr genau, dass er sie verdient hat.

Zwillinge Merkel & Schulz

Politisch ist von einem Bundeskanzler Schulz nicht viel anderes zu erwarten als von der Bundeskanzlerin Merkel. Die Wahrscheinlichkeit für irgendwelche großen Visionen oder Reformkonzepte liegt in beiden Fällen nahe bei null. Schulz würde vielleicht etwas mehr umverteilen und den Mindestlohn schneller erhöhen, aber politische Kehrtwenden sind kaum zu erwarten. Leere Tiraden über europäische Lösungen zu Migration, Steuerflucht und Sozialstandards kennt man von beiden Kandidaten bereits zu Genüge. Insbesondere mit Blick auf die Asylproblematik haben sowohl Merkel, als auch Schulz von der Realität entkoppelte Äußerungen von sich gegeben, wenn es ihnen gerade als zweckdienlich für die eigene Popularität erschien. Die von Merkel im Zuge der Eurokrise initialisierte und trotz aller öffentlichen Dementi vorangetriebene Schulden- und Transferunion würde der Europapolitiker Schulz wohl gerne vollenden. Innenpolitisch wird ein Sozialdemokrat noch unterwürfiger vor den konservativen Islamverbänden buckeln müssen, um für ihn relevante Wählergruppen nicht zu verärgern. Schulz würde seine jahrzehntelange Erfahrung im Europäischen Parlament dabei von nütze sein, denn von dort ist er es bereits gewohnt, Redebeiträge zu brunnenvergiftenden Israelis mit Beifall zu quittieren. In den Augen derjenigen Bürger, die mit ihrer Frustration über den politischen Betrieb heute irgendwo zwischen AfD und Nichtwählerschaft stehen, sind Merkel und Schulz gleichermaßen unglaubwürdige Hassfiguren. Umgekehrt haben sich weder Kanzlerin, noch Kanzlerkandidat bisher große Mühe gegeben, diesen Eindruck zu entkräften.

Einer der wenigen spürbaren Unterschiede zwischen beiden Personen lässt sich darauf zurückführen, dass Martin Schulz sein von der Gesellschaft gegebenes Geschlecht bisher nicht ausreichend dekonstruiert hat. Anders ausgedrückt: Schulz macht als Mann gerne einen auf dicke Hose. Er schimpft lauter und rüpelhafter, als Merkel es sich erlauben würde (oder könnte). Er, der es allein durch Fraktionsmauscheleien zweimal zum Präsidenten des Europäischen Parlaments geschafft hat, vergleicht sich mit Barack Obama. Oder wie man im Ruhrgebiet zu sagen pflegt: „Der führt sich auf wie Graf Koks!“ Damit folgt er einer Tradition sozialdemokratischer Kanzler und Kanzlerkandidaten, die immer dann den beinharten Kerl aus dem Arbeiterghetto in sich entdecken, sobald sie im Rampenlicht stehen. Unzweifelhaft würde Schulz seinen möglichen Wahlsieg tatsächlich als Votum für seine Person und seine Partei auffassen und beide würden sich in unerträglicher Arroganz und Selbstbeweihräucherung suhlen. Dies unterstreicht zwar die zuvor bereits erwähnte Einschätzung des Kandidaten Schulz als heißluftbetankten Maulhelden. Aber leider gehört es zu den deprimierenden Erkenntnissen des Lebens, dass es mehr Mitmenschen als vermutet gibt, die entweder genauso sind, oder die sich von solcherlei Gebaren beeindrucken lassen.

Hierin liegt womöglich der wesentliche Grund für den frisch gemessenen Sympathienumschwung weg von Merkel hin zu Schulz: Wenngleich beide inhaltsleer sein mögen, Schulz verkauft diese Leere anders. Nach zwölf Jahren Merkel-Revue steht dem Volk einfach der Sinn nach einer anderen Bühnenshow. Konkrete Fehler, die ihr Sympathien gekostet haben könnten, hat Merkel in den letzten drei Wochen schließlich nicht begangen. Sie ist einfach langweilig geworden und thronte nur solange noch auf ihren Zustimmungswerten, bis sie ausgetauscht werden konnte. Die Markenzeichen „Mutti“ und „die Raute“ sind zwar weltbekannt, aber mittlerweile auch längst altbacken. Die Journalisten, die ihnen zu Weltruhm verholfen haben, fürchten innerhalb ihrer hippen Urbanität nichts mehr, als einem abgehalfterten und verglühenden Trend nachzuhängen. Wenn sie in dieser Situation auf das „neue“ Pferd Martin Schulz setzen, stehen ihre und seine Chancen nicht schlecht, denn die Wähler sind in ihrer Mehrheit kaum weniger opportunistisch.

Schulz kann Merkel nur mit Merkel besiegen

Sollte Merkel von Schulz in den Ruhestand versetzt werden, so wäre sie schlussendlich das Opfer des Politikstils geworden, den sie selbst erst im Amt perfektioniert hat: Sie wäre nicht besiegt worden, weil ihr Gegner mit einem intelligenteren Steuersystem oder einem nachhaltigeren Rentensystem, einer realistischen Integrationsstrategie oder einer effizienteren Gesundheitsversorgung in den Wahlkampf gezogen wäre. Sie wäre besiegt worden, weil ihr Herausforderer dem Wahlvolk versprochen hätte, ihre inhalts- und wertelose Politik im Kern zu imitieren, nur eben mit seinem Gesicht und seiner Stimme. Damit wäre letztendlich das eingetreten, was nach Merkels jahrelangem Kampf gegen kompetente Nachwuchspolitiker innerhalb der CDU praktisch unausweichlich geworden war: Dass nur Merkel Merkel besiegen kann.

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