Showdown im ORF

Neue Wähler haben Hofer und Van der Bellen gestern nicht gewonnen. Am Ende könnte es sein, dass die prominenten Unterstützer Van der Bellens ihn so deutlich zum Kandidaten des Establishments gemacht haben, dass Hofer davon profitiert.

Screenshot ORF

Den österreichischen Wählermarkt bei der Bundespräsidenten-Wahl kann man so einteilen. In die von Anfang an sicheren Stimmen für beide Kandidaten und die nicht endgültig Entschiedenen, ob und wen sie wählen. In der ersten Runde mit sechs Kandidaten schieden zwei parteiunabhängige Kandidaten mit 18,9 und 2,3 Prozent der abgegebenen Stimmen ebenso aus wie die Parteikandidaten der Regierungsparteien ÖVP mit 11,1% und der SPÖ mit 11,3%. Der Parteikandidat der FPÖ, Norbert Hofer errang 35,1 Prozent. Der Grüne Alexander Van der Bellen –  mit dem selbst erklärten Anspruch ein unabhängiger Kandidat zu sein – kam auf 21,3 Prozent.

bildschirmfoto-2016-12-02-um-10-46-53 Die Ergebnisse der Nationalratswahl 2013 (Quelle Innenministerium) zeigen, dass die Hälfte der ÖVP-Wähler und fast zwei Drittel der SPÖ-Wähler nicht für den eigenen Kandidaten stimmten. Aus diesem Reservoir stammten ganz offensichtlich die Stimmen für Hofer und Van der Bellen. Von den FPÖ-Wählern haben sicher praktisch alle den eigenen Kandidaten gewählt, bei den Grünen wird das nicht anders gewesen sein. Dass Van der Bellen im ersten Wahlgang knapp vor Griss landete, haben in erster Linie, wenn nicht zur Gänze die NEOS zu verantworten, die es im Nebel ließen, ob sie mehr für Griss oder Van der Bellen sind. Merkwürdiger Weise spielt ein Aspekt der Bundespräsidenten-Wahl in den Medien und in der Politik – „bei denen da draußen in Wien“ – so gar keine Rolle, aber bei jedem Heurigen und an jedem Stammtisch: Alte wie Junge fragen, „zawos brauch’n mir soan“ – wozu brauchen wir so einen überhaupt? Jetzt haben wir schon ein Jahr lange keinen mehr und die Republik steht immer noch. Wo wir keinen Kaiser mehr haben, braucht’s auch keinen, der so tut, als ob er einer wäre.
Van der Bellen: 50,3%, Hofer 49,7%
Bundespräsident in Österreich wird Alexander Van der Bellen
Wenn das gestrige TV-Duell noch Wahlberechtigte bewegt hat, dann welche in die Entscheidung zur Nichtwahl. Bei den harten Anhängern tut sich sowieso nichts, egal ob’s hagelt oder schneit oder die Sonne scheint. Zwischen den Lagern hat sich bei den verschiedenen Wahlgängen verschoben und verschiebt sich nur etwas bei denen, die das geringere Übel immer wieder neu abwägen. Das haben ihnen Hofer und Van der Bellen gestern nicht leichter gemacht. Van der Bellen schämte sich nicht, auf die Tränendrüse der Emotionen zu drücken. Und Hofer zeigte über weite Strecken kein lächelndes Gesicht. Dass sie sich derart in die Haare gerieten, hätte eine entschiedene Moderation verhindern können. Aber Frau Thurnher hatte nicht einmal ihre eigene Körpersprache im Griff. Und dass sich die zwei Kandidaten am Ende wieder einkriegten, lag auch nicht an ihr.
Nein, dieses TV-Ereignis wird keinen nennenswerten Anteil am Ergebnis haben. Beide Kandidaten haben ihren harten Anhängern imponiert, weil sie in den Clinch gingen. Unter den noch Abwägenden fühlten sich wohl nicht wenige in der schon latenten Neigung bestätigt: eigentlich mag ich keinen von beiden.
Am Ende könnte es sein, dass die prominenten Unterstützer Van der Bellens ihn so überdeutlich zum Kandidaten des Establishments gemacht haben, dass Hofer davon profitiert. Sollte das der Fall sein, stürzte das Rot, Schwarz und Grün in einen heillosen Dauerstreit über die Frage von vorgezogenen Nationalratswahlen. Ist es besser, auf die Tradition der Österreicher zum Austarieren zu setzen? Bremst diese Tradition einen Höhenflug der FPÖ? Oder katapultiert ein Hofer-Sieg die FPÖ auf Platz eins zur stärksten Fraktion im Parlament? Aber dieselbe kontroverse Frage stellt sich auch bei einem knappen Sieg Van der Bellens. So oder so, die Macht in Österreichs Politik sortiert sich neu: Wendezeiten in Wien und überall im Westen.

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