Österreich: Das Ende der Ära Rot-Schwarz

In Österreich sortiert sich die Parteienstruktur neu. Die FPÖ setzt sich an die Stelle der SPÖ. Nutzt die ÖVP die Stunde nicht für eine Reform an Haupt und Gliedern, ist ihr auch nicht zu helfen. Die Berliner Republik sollte genau hinschauen: auf die Zeichen an der Wand.

Zwei in der TV-Runde der Kandidaten der Bundespräsidentenwahl haben es nicht kapiert: SPÖ-Kandidat Robert Hundstorfer und ORF-Moderator Hans Bürger. Sie machen in ihren alten Mustern weiter. Hundstorfers Ausrede, „die Extreme haben gewonnen“, nicht seine Sachlichkeit. Wer die Extreme sind? Na, Hofer (FPÖ) sagt er, aber auch Frau Griss (unabhängig)  – ob auch Van Der Bellen (unabhängig mit grüner Unterstützung) lässt er im Raum hängen. Bei der Abschlussrunde der Kandidaten vor der Abstimmung hatte er den Vogel abgeschossen, als er die Existenz des Parteibuch-Proporzes (ohne rotes oder schwarzes keine Karriere) leugnete, was das Studiopublikum ebenso zum hellen Lachen brachte wie alle anderen Kandidaten.

Norbert Hofer, klarer Sieger des 1. Wahlganges mit 36,4 %, tritt noch verbindlicher auf als im TV-Wahlkampf. Alexander Van Der Bellen mit eigenen 20,38 % gratuliert Hofer und Frau Griss, die aus dem Nichts 18,52 % erreichte. Die ehemalige oberste Richterin freut sich über ihr Ergebnis und gratuliert den beiden anderen unter den ersten Dreien. Wie Van Der Bellen lässt sie sich von ORF-Bürger keine Antwort über den neuen Wahlkampf für den 2. Wahlgang abnötigen. Der bohrt „alle gegen Blau“? Offensichtlich ist der ergraute Polit-TVler, selbst Kind des Parteibuch-Proporzes,  nicht fähig zu erkennen, dass er damit für den von ihm abgelehnten Hofer wirbt. Irmgard Griss weist Bürger ab, sie wird alles weitere mit ihrem jungen Team besprechen.

Das Statement des ÖVP-Kandidaten Andreas Khol (11,18 %), er lege damit alle Ämter nieder und scheide aus der Politik aus, will Bürger gar nicht akzeptieren, in seinem Weltbild sagen auch ehemalige Politiker immer weiter was ins hingehaltene Mikrofon, er beisst auf Granit. Gesprächiger ist Hundstorfer (11,18 %), nicht gut für ihn – siehe oben. Und Bauunternehmer Richard – Mörtel – Lugner (2,35 %) erklärt 50 Jahre Schwarz-Rot für beendet: Wir stehen an einer Wende. Bürger will das noch nicht glauben. (Die um die 10 % Briefwahlstimmen – österreichisch: Wahlkarten – ändern am Grundergebnis nichts mehr.)

Der österreichische Wahlgang ist eine Protestwahl. Dass der FPÖ-Kandidat ein Drittel der Stimmen erntet, ist eines. Dass die Kandidaten von SPÖ und ÖVP zusammen auf 22 Prozent gevierteilt werden, während ihre Vorgänger es ein halbes Jahrhundert lang immer auf 80 Prozent brachten, ist der eigentliche Befund.

In vier Wochen entscheiden die Österreicher, ob Hofer oder Van Der Bellen in die Wiener Hofburg einzieht. Wenn die Gegner der FPÖ es nicht schaffen, dem ORF-Bürger-Motto „alle gegen Blau“ eine Absage zu erteilen, gewinnt Hofer sicher. Dem Appell von Frau Griss, die Gräben nicht noch weiter aufzureissen, werden die Anhänger aller Lager nicht folgen, wie ich diese einschätze. Die Hofer-Anhänger haben Blut geleckt, seine Gegner sinnen auf Rache. Die nächsten vier Wochen werden heiß – ganz unabhängig vom richtigen Wetter.

In Österreich sortiert sich die Parteienstruktur neu. Die FPÖ setzt sich an die Stelle der SPÖ. Nutzt die ÖVP die Stunde nicht für eine Reform an Haupt und Gliedern, ist ihr auch nicht zu helfen. (Die Neos haben Gelegenheiten vergeben.) Die Berliner Republik sollte genau hinschauen: auf die Zeichen an der Wand.

Übrigens, die Wahl haben noch ein paar verloren: die Umfraginstitute.

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