Grexit: Griechenland – noch ein Neues Bundesland?

Wiedervereinigung: An der deutsch-deutschen Währungsreform leiden die Neuen Bundesländer noch heute. Kommt jetzt Griechenland dazu?

Die Kreditblase in Athen

Ähnlich in Griechenland: Mit billigen Euro-Krediten wurde eine Blasenwirtschaft finanziert, die ein hohes Einkommensniveau ermöglichte, während die Wirtschaft schrumpfte. Seit dem Euro-Beitritt Griechenlands ist selbst die landwirtschaftliche Produktion massiv gesunken. Treibhaus-Tomaten aus Holland verdrängten die sonnengereiften heimischen Produkte; auch der Export von Getreide verfiel. Die gar nicht so schlechte Chemieindustrie verlor an Wettbewerbsfähigkeit und verschwand; die Baustoffindustrie, der letzte verbleibende Industriezweig, wandert nach Bulgarien aus. Der Beamtenstatus dagegen wurde zur Reichtumsgarantie. Arbeit lohnte sich nicht mehr; mit europäischen Strukturhilfen wurde eine weitgehend perfekte Infrastruktur aufgebaut, die allerdings kaum zum Produktionsapparat der Volkswirtschaft passt. Die Preise liegen über denen in Nordeuropa, weil ineffiziente Strukturen und fehlender Wettbewerb als Folge vermiedener Reformen Preissenkungen verhindern.

Und noch eine Gemeinsamkeit wiederholte sich: Während nach dem Fall der Mauer Länder wie die Tschechei und Polen eine brutalstmögliche Schocktheraphie durchliefen, in denen die Einkommen wegbrachen und gleichzeitig neue Strukturen entstanden, ist Ostdeutschland durch eine Subventionsmentaliät geprägt. Jetzt klagen die baltischen Länder, dass sie zur Finanzierung der griechischen Luxusvariante der Währungsreform herangezogen werden – eine Erfahrung, die vorher Polen und Tschechen machen mußten: Brutale Anpassung; während in Ost-Deutschland der Jammer weit lauter war. (Wie Estland dies bewältigte ein aktueller Aufsatz hier: ) Der sprichwörtliche Jammer-Ossi war geboren, der neidvoll auf Konsummöglichkeiten des Westens blickte und für die politische Selbstbefreiung nicht dankbar genug war. Massenauswanderungen aus Griechenland schwächen das Land; bekanntlich wandern ja nicht die Inkompetenten und Faulen aus, sondern die Tüchtigen und Ausgebildeten. Der Abfluß der intellektuellen Elite ist sowohl in den neuen Bundesländern wie in Griechenland ein langfristiges Entwicklungshindernis. In den Jahren 1989 und 1990 erreichte die Zahl der Ost-West-Migranten mit jeweils fast 400.000 Personen ein dramatisches Niveau. Rund 2 Millionen Menschen aus den Neuen Bundesländern wanderten nach Westen. Die westdeutschen Metropolen expandieren; in den ostdeutschen Städte werden mehrere Hunderttausend Wohnungen abgerissen.

Vom Jammer-Ossi zum Jammer-Griechen

Hier hört die Gemeinsamkeit allerdings auf. Den Ostdeutschland profitierte von 2 Prozessen: Der westdeutsche Rechts- und Verwaltungsapparat wurde übergestülpt – mit allen bürokratischen Fehlern und jeder denkbaren Überkomplexität. Aber insgesamt funktionieren dadurch Recht und Verwaltung. Und aus Westdeutschland flossen praktisch unbegrenzt Mittel in den Osten. Während beispielsweise Nordrhein-Westfalen ausbrennt, leuchten mittlerweile viele ostdeutsche Städte; ausgestattet mit perfekter Infrastruktur, leistungsfähigen Universitäten und funktionierenden gesellschaftlichen Apparaten.

Griechenland allerdings bewältigte den Sprung in ein modernes Rechts- und Verwaltungssystem nicht. Korruption und Ineffizienz prägen den öffentlichen Sektor. Rechnet man grob die bisherigen Kosten um, dann ist Griechenland bislang noch nicht einmal so übermäßig teuer: Die Summe der Kredite beträgt je nach Rechenmethode nur ein Drittel bis maximal die Hälfte der Subventionen, die Ostdeutschland aus Westdeutschland erhalten hat. Noch nicht berücksichtigt ist dabei, dass die buchstäblich abgewickelte Ostwirtschaft auch streckenweise wieder aufgepäppelt wurden. Ostdeutsche Produkte wurden in die Regale der Supermärkte im Westen gedrückt, geradezu unanständig hohe Subventionen für neu errichtete Werke von Leuna bis Porsche und Jena schufen neue industrielle Kerne, bei denen es gelegentlich sogar zum Reverse Takeover kommt, etwa wenn die nach einem ostdeutschen Management-Buy-Out modernisierte Rotkäppchen-Sektkellerei die rheinische Mumm aus Eltviille und Mainz aufkaufte.

Man mag es wenden wie man will: Der als Gemeinschaftswerk oder auch als nationale Aufgabe verstandene „Aufbau Ost“ pumpte schier unendliche Energien in die neuen Länder und konnte so die klaren und eindeutigen Fehler der deutsch-deutschen Währungsunion zumindest teilweise ausbügeln. Teilweise! Insgesamt ist Ostdeutschland immer noch industriell unterausgestattet oder allenfalls eine verlängerte Werkbank westdeutscher Betriebe, die in Krisenfälle sofort geschlossen werden.

Die katastrophalen Folgefehler des Euros für Griechenland werden in dem Maße nicht ausgeglichen: Weder durch eine brutalstmögliche Verwaltungsreform, noch durch Anstrengungen zur Re-Industrialisierung; und nach dem Platzen der Kredit-Blase auch nicht mehr durch hinreichend viel billiges Geld. Griechenland wurde buchstäblich alleingelassen – mit der falschen Währung und zerstörten wirtschaftlichen Strukturen. Der Bevölkerung ist die Vertreibung aus dem Kurz-Zeitparadies von Geldgeschenken nicht vermittelbar.  Sie zeigt sich dafür ebenso wenig dauerhaft dankbar wie die Ostdeutschen für die Umtauschgeschenke und das Begrüßungsgeld, sondern fordern eine dauerhafte Anhebung ihres Konsumniveaus. Die Schuld wird vielfach nicht durch Anstrengung kompensiert, sondern durch politischen Protest. Die Verantwortung wird abgeschoben; eine eigene Handlungsoption besteht auch weitgehend gar nicht. Der Jammer -Grieche ist so weit vom Jammer-Ossi typologisch nicht  weit entfernt. Hilflosigkeit und Wut herrschen vor; die eigene Lebensleistung wird als entwertet empfunden, und sie ist auch tatsächlich deprimierend und demütigend.

Warum der Grexit nicht sein darf

Aber während die Ostdeutschen auf nationale Solidarität setzen durften – für Griechenland reicht die europäische Solidarität nicht so weit. Stellen wir uns einfach vor; etwa um die Jahrtausendwende hätte der Westen umgeschaltet und seine Subventionen massiv gekürzt. Der Potsdamer Platz in Berlin wäre dann die Großstadtwüste geblieben, die er zu diesem Zeitpunkt noch war.

Wirtschaftlich gesehen hat Helmut kohl damit zweimal den Fehler einer falsch angelegten Währungsreform begangen: Einmal im Osten; wohl unvermeidlich angesichts der einsetzenden Massenflucht aus der zu Ende gehenden DDR, die man nur durch eine neue Mauer, diesmal im Westen, hätte beenden können. Derselbe Fehler wurde durch die Einführung des Euro wiederholt: Weder Portugal noch Griechenland können glücklich darüber sein, dass ihnen eigene Entwicklungsmöglichkeiten verbaut wurden und ihre Wirtschaften den nordeuropäischen dauerhaft unterlegen bleiben.  Sie sind dem Lockruf des guten Geldes erlegen, und holten, wenn überhaupt, die Reformen erst verspätet und mit gewaltigen sozialen Verwerfungen nach. Griechenland versucht sich dem zu entziehen und setzt auf Dauer-Subventionen – nach ostdeutschem Muster: Bekanntlich läuft der „Solidarbeitrag“ für den Aufbau Ost immer noch.

Und nun? Für Griechenland wäre der Grexit die richtige Antwort. Er würde das Land von der Bleiweste eines überbewerteten Euros befreien. Aber die politische Elite bekämpft die rational richtige Lösung. Ihre Gehälter in Euro gewähren ihr ein extravagantes Einkommensniveau auf West-Niveau in einem Entwicklungsland. Mit der Drachme würde sich das reale Konsumniveau vermutlich zunächst dritteln und dann langsamer ansteigen als das in den produktiven Teilen der Volkswirtschaft, als in Industrie und Tourismus, Handwerk und Landwirtschaft. Diese Umverteilung wäre der Preis für die wirtschaftliche Erholung. Kein Wunder, dass Tsipras dem ostdeutschen Modell folgt, und das heißt: Die Währungsreform durch Dauersubventionen erträglich zu machen und Reformen zu vermeiden, da diese nur politischen Ärger bedeuten.

 

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