Grexit: Griechenland – noch ein Neues Bundesland?

Wiedervereinigung: An der deutsch-deutschen Währungsreform leiden die Neuen Bundesländer noch heute. Kommt jetzt Griechenland dazu?

Ist die Bevölkerung Griechenlands wirklich so dumm, faul und unfähig, wie es gerne dargestellt wird? Oder liegt der Fehler nicht doch auch im System? Untersucht man die Geschichte der jüngsten Währungsreformen, kommt man zu einem überraschenden Ergebnis: Mit dem Euro wurden ziemlich genau die Fehler der deutsch-deutschen Währungsunion von 1990 wiederholt – und Griechenland ist ziemlich genau in der Lage, in der sich auch die Neuen Bundesländer bis zum heutigen Tag befinden. Allerdings mit einem Unterschied: In Deutschland-Ost standen und stehen genügend Milliarden zur Verfügung, um die Fehler zu übertünchen. Und das Rechtssystem funktioniert.

Die Bilder vom 1. Juli 1990 wurden zum Jubiläum gezeigt: Bis Mitternacht standen die Bürger der DDR Schlange, um ihre erste D-Mark abzuheben. Es war ein echter Feiertag. Davor und vor allem danach aber war Alltag, und zwar ein quälender. So der 6. Februar 1990. An dem Tag war der damalige Bundesbankpräsident Otto Pöhl in Ostberlin; dort besuchte er die Staatsbank der DDR. Im Westen schlug gerade die Forderung nach einer Währungsunion hohe Wellen. Journalisten befragten Pöhl danach – und der lehnte ab: Ausgeschlossen sei zu diesem Zeitpunkt eine Währungsunion; diese sei nur zusammen mit einer Wirtschaftsreform machbar. Er fand sich in Übereinstimmung mit den Wirtschaftsweisen, die einen Stufenplan zur Wirtschafts- und Währungsunion forderten. Pöhl warnte davor, die Währungsunion mit der Notenpresse zu finanzieren. Dumm nur, dass zu diesem Zeitpunkt Bundeskanzler Helmut Kohl der DDR bereits Verhandlungen dazu angeboten hatte, ohne Pöhl zu informieren. Die schlechten Telefonverbindungen mussten als Ausrede herhalten. Der düpierte Pöhl trat kurze Zeit später zurück.

Die politisierte Währungsreform

Was daran bemerkenswert ist: Die Währungsreform wurde als politisches Projekt betrieben. Die Wirtschaft sollte folgen; und sie tat es auch. Die Folgen sind bekannt: Löhne, Stipendien oder Mieten wurden 1:1 von der weitgehend wertlosen Ostmark auf Westmark umgestellt. Innerhalb weniger Wochen kam es zum faktischen Zusammenbruch der Unternehmen und Betriebe in Ostdeutschland – „abwickeln“ wurde zum Normalfall. Die Ostbetriebe waren einfach nicht in der Lage, den Währungsschock zu bewältigen. Die Gewerkschaften beschleunigten den Vorgang. Finanz-Staatssekretär Hans Tietmeyer, der die Verhandlungen mit der DDR führte, wollte beim Kündigungsschutz Lockerungen für die Betriebe und bei der Lohnfestsetzung damals Betriebsvereinbarungen erlauben, die der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Rechnung tragen sollten. Beides zerschellte an den westdeutschen Gewerkschaften. Ihre Forderung war:  gleicher Lohn für gleiche Arbeit.  Eine „Sonderwirtschaftszone Ost“ war für sie ausgeschlossen. Der westdeutschen Wirtschaft war das auch Recht- gemeinsam konnten  Unternehmen-West und Gewerkschaften-West so die lästige Neukonkurrenz aus dem Osten klein halten, und der gleiche Lohn bedeutete KEINE Arbeit für die Menschen im Osten. Massenhafte Arbeitslosigkeit, großflächige De-Industrialisierung und in der Folge millionenfache Abwanderung aus den neuen Bundesländern waren die Folge. Bis heute liegt die Produktivität im verarbeitenden Gewerbe um 20 bis 30 % derjenigen im Westen hinterher; fehlen Arbeitsplätze. Nach wie vor sind die Ostdeutschen Länder auf Transferzahlungen aus dem Westen angewiesen und leisten Versicherte aus dem Westen mit ihren Beiträgen Rentenzahlungen im Osten. Aber Wirtschaft ist im Westen.

Die politische Währungsunion zerstörte die ostdeutschen industriellen Kerne und machte die Regionen zu Bettlern. Noch einmal gut 40 Jahre früher hatte es Ludwig Erhard anders gemacht: Die damalige Währungsreform, die Einführung der D-Mark, wurde mit einer Wirtschaftsreform verbunden: Der Abschaffung der Lohn- und Preiskontrollen und damit der Übergang zur Marktwirtschaft erfolgten zeitgleich. Wachstumsraten von bis zu 8,5  Prozent waren die unmittelbare Folge. Seither gilt als Regel, dass gutes Geld mit guter Politik verknüpft sein sollte, um die gewünschten Wachstumsimpulse auszulösen. Der DDR wurde ein guter Geldmantel übergezogen – doch die Wirtschaft konnte damit nicht zurecht kommen. Die D-Mark wirkte sogar wie eine Bleiweste.

In die Krise hineingeschwindelt

Erinnert sie das an etwas? Griechenlands erschwindelter Beitritt zum Euro folgt demselben Muster: Griechenland hat sich in die Krise buchstäblich hineingeschwindelt. Denn eine Währungsreform ohne Wirtschaftsreformen wirkt wie eine Bleiweste im Schwimmbad und führt zum Ertrinken. Faktisch stiegen nach dem Beitritt zum Euro die Löhne im wenig produktiven Griechenland sofort an; bekanntlich darf ja Arbeit nicht unterschiedlich belohnt werden, was wiederum zur Arbeitslosigkeit führt. Das wurde nicht sofort sichtbar:  Die Regierung Griechenlands verschuldete sich mit Rekordbeträgen, die eine Scheinblüte erzeugten und die neuen Rentner- und Arbeitslosenheere auf Pump ruhig stellten, den öffentlichen Dienst und Sozialleistungen aufblähten.

Deutschland ist an dieser Stelle nicht ganz unschuldig am Desaster Griechenlands. Helmut Kohl hatte in der Europäischen Währungsreform die Fehler der deutsch-deutschen einfach wiederholt, sein Nachfolger Gerhard Schröder den Kohl-Fehler auf Griechenland übertragen: Starke und schwache Wirtschaften wurden zusammengespannt; eine Angleichung der Lohnhöhen ausgelöst und massenhafte Arbeitslosigkeit in Kauf genommen, die durch Transfers abgefedert wurden. Zunächst. Die Folge ist auch bekannt. Den ostdeutschen Bürgern standen anfangs hohe Konsumöglichkeiten zur Verfügung, weil ihre wertlosen Ostmark durch einen günstigen Umtauschkurs von 1:1 oder  wenigstens 1: 2 künstlich mit ungeheurer Kaufkraft ausgestattet wurden, die den ursprünglichen Wert um vermutlich das Fünffache überstieg. Dem stand aber keine adäquates Maß an Produktivität gegenüber.

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