Schüler in Deutschland brauchen therapeutischen Beistand, warnen Experten. Wie die Regierung mit der Krise der psychischen Gesundheit junger Menschen umgeht, belegt ihre Überheblichkeit. Das wirkt sich auf das Leben auf Schulhöfen aus.
picture alliance / Zoonar | Robert Kneschke
Viele Kinder und Jugendliche in Deutschland leiden unter Ängsten, Depressionen oder Einsamkeit. Das hat eine Studie des Universitätskliniken Hamburg-Eppendorf gezeigt.
Psychotherapeuten können davon ein Lied singen. Wie TE berichtete, sind ihre Wartelisten lang, aber ihre Zeit begrenzt. Und so erhalten viele Kinder kaum Hilfe im Umgang mit ihren mentalen Problemen. Die Bundesregierung hat es sich daher zu einem „vordringlichen Ziel“ gesetzt, die mentale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen zu stärken. Das antwortet sie auf eine “Kleine Anfrage” der Grünen. So haben Union und SPD in ihrem Koalitionsvertrag verankert, eine Strategie mit dem schmissigen Namen „Mentale Gesundheit für junge Menschen“ zu entwickeln. Schon im nächsten Jahr wolle sie „erste konkrete Schritte und Maßnahmen erreichen“, schreibt die Bundesregierung.
Im nächsten Satz zeigt die schwarz-rote Regierung, dass eigentlich nur wenige „konkrete Schritte“ hinter ihren großen Worten stecken: Die Verantwortlichen hätten ja die Möglichkeit, konkrete Beispiele zu nennen, was ihnen genau mit der „Strategie“ vorschwebt. Stattdessen folgt das typische Bla-Bla, dass sie „Prävention und Früherkennung psychischer Erkrankungen“ stärken wollten. Dafür solle die „Aufklärung und niedrigschwellige Beratung von Eltern“ gefördert werden. Und sie wollen Pädagogen und „Fachkräfte“ fortbilden.
Natürlich. Fortbildungen mögen ja immer ganz toll klingen. Aber sie schaffen halt auch keine weiteren Therapieplätze für Kinder. Denn Pädagogen und „Fachkräfte“ sind keine Psychologen. An denen mangelt es. Wie der „Berufsverband deutscher Psychologinnen und Psychologen“ informiert, fielen im letzten Jahr auf jeden Schulpsychologen durchschnittlich mehr als 5.000 Schüler. Die Zahlen je Bundesland variieren stark: So fallen in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt jeweils fast 10.000 Schüler auf einen Schulpsychologen, während es in Bayern knapp 3.000 Schüler sind.
Besonders brisant ist, dass die schwarz-rote Regierung offenbar nicht möchte, dass betroffene junge Menschen an der „Strategie“ für die mentale Gesundheit für junge Menschen mitwirken. Die entsprechende Frage danach ließ die Bundesregierung unbeantwortet. Die Bundesschülerkonferenz (BSK), eine bundesweite Vertretung von Schülern, bezeichnet das als „überheblich“ und „ignorant“. Der BSK-Generalsekretär sagt: „Warum müssen wir um jeden Millimeter Beteiligung kämpfen? Es ist unser Leben. Wir haben die Sorgen und Ängste. Es kann keine Lösung geben ohne unsere Stimme am Tisch.“
Und die Stimme der Schüler ist deutlich: „Wir brauchen flächendeckend mehr Schulsozialarbeit und Schulpsychologie“, sagt Gärtner. Wenn die mentale Gesundheit ein „vordringliches Ziel“ der Bundesregierung sei, dann muss man das auch am Haushalt ablesen können, findet der Schülervertreter. „Wir wollen nicht nur warme Worte, wir wollen Unterstützung bei unseren Herausforderungen in der Schule.“
Mit einer flächendeckenden Unterstützung haben die „Bemühungen“ der Regierung derzeit aber kaum etwas zu tun. Die Bundesregierung schreibt in ihrer Antwort, dass sie neben dem „Startchancen-Programm“ keine weiteren Förderprogramme plane. Mit diesem unterstützt die Regierung sozioökonomisch benachteiligte Schüler. Für dieses Projekt investieren Bund und Länder zusammen rund 20 Milliarden Euro in zehn Jahren. Das Programm läuft bis 2034. Wie das niedersächsische Kultusministerium hochachtungsvoll schreibt, ist dieses Programm somit „das größte und langfristigste Bildungsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“. Applaus. Allerdings ist dieses Programm nicht wirklich dafür da, die mentale Gesundheit der Kinder zu stärken. Schon gar nicht flächendeckend. Es zielt auf Basiskompetenzen wie Lesen, Schreiben und Rechnen ab. Allerdings nur in 4.000 Schulen in Deutschland. Damit erreicht die Koalition unter Friedrich Merz (CDU) gerade einmal zehn Prozent aller Schüler in Deutschland.
Allerdings haben weit mehr Kinder in Deutschland psychische Probleme. So zeigte das Schulbarometer im letzten Jahr, dass jeder vierte Schüler angab, eine geringe Lebensqualität zu haben. Besorgniserregend ist auch, dass die Zahl der Mädchen zwischen 12 und 17 Jahren, die sich wegen einer Essstörung in eine klinische Behandlung begeben müssen, in den letzten Jahren nachweislich stark gestiegen ist, wie eine Erhebung der Kaufmännischen Krankenkasse zeigt: Demnach verzeichnete die Kasse im Vor-Corona-Jahr 2019 noch 101 Fälle pro 10.000 Versicherte. Im Jahr 2023 waren es dann 150 Fälle pro 10.000 Versicherte. Das entspricht einem Plus von fast 50 Prozent.
Das Startchancen-Programm wird für diese Mädchen aber kaum etwas verändern. Denn Magersucht und Bulimie treten vorwiegend in der Mittel- und Oberschicht auf und nur selten in sozial benachteiligten Familien. Das heißt allerdings nicht, dass das Startchancen-Programm pauschal schlecht ist. Es ist wichtig, Kinder aus benachteiligten Verhältnissen zu fördern: Vor allem im Hinblick darauf, dass im Jahr 2021 in Berlin 30 Prozent der Erstklässler nicht einmal die erste Klasse erfolgreich abgeschlossen haben. Das berichtete die Berliner Morgenpost.
Und in einer aktuellen ARD-Umfrage unter knapp 7.000 Grundschullehrern gaben 87 Prozent an, dass Kinder in der ersten Klasse heute deutlich mehr Defizite zeigen als noch vor zehn Jahren, wie die Tagesschau berichtete. Dass diese Zahlen sich zum Besseren wenden, ist dringend notwendig. Immerhin meint der Gründer des christlichen Kinder- und Jugendwerks „Arche“, Bernd Siggelkow, dass immer mehr Schüler zu Gewalt und Mobbing greifen, weil ihnen die Zukunftsaussichten fehlten. Sie wüssten oft schon, dass sie keine blühende Zukunft erwarte, wenn sie die Schule verlassen. Das frustriere sie.
Aber das Startchancen-Programm reiche eben nicht, um der Krise der psychischen Gesundheit junger Menschen entgegenzutreten. Das finden die Schüler der Bundesschülerkonferenz. Sie haben in diesem Mai eine „Mental-Health-Kampagne“ mit dem Namen „Uns geht’s gut?“ gestartet. Und mit dieser arbeiten sie laut eigenen Angaben „intensiv“ daran, die Themen der psychischen Gesundheit von Schülern auf die politische Agenda zu bringen. Bislang ohne viel Erfolg. Denn Merz und seine Regierung schenken ihnen kaum Gehör.
Die Schülervertreter fordern unter anderem, dass mehr Schulpsychologen ausgebildet und eingestellt werden. Zurecht. Denn der Mangel an Psychologen und Psychotherapeuten könnte bald noch größer werden, wie TE berichtete: Die Regierung hat 2019 das System der Therapeuten-Ausbildung reformiert. Nun erhalten Studenten der „Klinischen Psychologie und Psychotherapie“ zusammen mit ihrem Master-Abschluss eine „Teilapprobation“. Allerdings hat die Regierung bisher nicht geregelt, wer die Weiterbildung zur vollständigen Approbation bezahlt. Deswegen gibt es bislang kaum Weiterbildungsplätze für die teilapprobierten Master-Psychologen. Und entsprechend können künftig kaum Psychotherapeuten approbiert werden, die Kindern mit mentalen Problemen helfen könnten.
Die Bundesregierung duckt sich also vor den Schülern und ihren Forderungen weg. Aber es scheint dem Kabinett Merz – zum Glück – auch nicht völlig egal sein, dass die Kinder mentale Probleme haben: So fördert das Familienministerium bereits einige „niedrigschwellige Unterstützungsangebote“ für Kinder und Jugendliche mit psychischen Belastungen im Rahmen des „Kinder- und Jugendplans“ (KJP) des Bund.
Letztes Jahr hat das Ministerium die „Krisenchat gGmbH“ mit fast 900.000 Euro unterstützt. Dabei handelt es sich um eine Chat- und Selbsthilfe-Plattform, über die Kinder und Jugendliche in Krisensituation unmittelbar Hilfe bekommen können. Auch die „Nummer gegen Kummer“ werde die Regierung laut eigenen Angaben weiterhin finanziell unterstützen. Aber warum die Regierung von oben herab entscheidet, was Kindern und Jugendlichen gerade helfen könnte, statt die Betroffenen zu fragen, zeigt die Arroganz und Ignoranz von Merz und Co.


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Um die Psyche deutscher Schüler zu verbessern, könnte man sie einer abgemilderten Form des US-Marine Corps – Drills unterziehen.
Das Durchkämpfen eines Schlammterrains heilt die meisten Psychosen.
Wetten?
Zitat: „Wie TE berichtete, sind ihre Wartelisten lang, aber ihre Zeit begrenzt. Und so erhalten viele Kinder kaum Hilfe im Umgang mit ihren mentalen Problemen.“ > Mhh, vielleicht wäre es ja mit Blick auf die wohlwollende Politik mal interessanter, hier dann nicht einfach nur festzustellen und zu sagen, „so erhalten viele Kinder kaum Hilfe“, sondern festzustellen und mitzuteilen: a) wieviele Kinder denn tatsächlich Hilfe bekommen und b) wieviele Kinder genau immer noch auf Hilfe an warten sind? Außerdem gehe zumindest ich mal davon aus, dass es zum Beispiel auf einer sog. Problemschule mit 40, 60 und 90% Berecherungskinder kaum ausreichend… Mehr
Ich glaube kaum, daß es sich bei den Kindern um die „Bereicherungskinder“ handelt.
(Weder Ironie, noch Zynismus)
Ein Punkt kommt leider im ganzen Text nicht vor: die negativen Auswikungen der Smartphone-/Social media Epidemie unter Kindern und Jugendlichen. Viele der genannten Probleme würde schlagartig verschwinden, wenn die Nutzung von Social media und Smartphones erst Erwachsenen erlaubt wäre – zugegeben, ein drastischer Schritt, aber wohl langsam notwendig, da anderweitig keine Einsicht zu erfolgen scheint.
Manche Eltern sind mit Worten nicht mehr zu erreichen. Obwohl ich staatliche Reglementierung grundsätzlich ablehne, bleibt wohl kaum etwas anderes übrig, als dass der Gesetzgeber eingreift, was wohl nie passieren wird, da hinter Smartphones samt Apps gigantische wirtschaftliche Interessen stehen.
Wenn berits kinder Psychologische probleme hab4en simmt etwas mit der gesellschaft nicht. Was als richtig und gut angesehen wird usw. Angefangen bei den „modernen“ Erziehungsmethoden, dem so genanjnten „Bildungssystem“ usw. Jedes Menschlein ist ein Individium und keine genormte Maschinen die alle gleich funktionieren. Und nach zahlen aus „Statistiken“ oder wie es mance „Experten“ meinen gleich behandeln und steuern kann. Jeder Mensch hat von der Veranlagung her auch unterschiedliche Stärken und Schwächen und auch daraus erwachsend andere Wertevorstellungen, Wenn man versucht Allen die gleichen Wertvorstellungen auf zu drängen ist dies ein Fehler und baut die Toleranzbereitschaft ab. Man überlege wie das… Mehr
Die Kinder werden heute in der Schule regelrecht verheizt. Meistens bis Nachmittags 16 Uhr und viel zu oft für 13 Jahre. Dabei hat jedes Kind andere Talente, die in so einem Schulbetrieb weniger gefördert, dafür aber weg unterrichtet werden. Das ist doch purer Stress, wenn ein Kind 3 Fremdsprachen lernen soll, aber nicht mal richtig Deutsch kann. Es hat auch keinen Sinn, vieles zu lernen, aber nichts richtig zu können. Man lernt schließlich nicht fürs Leben, sondern ein Leben lang. Viel besser wäre es, wenn sich die Jugendlichen früh entscheiden, in welche Richtung sie sich entwickeln wollen. Dann gäbe es… Mehr
Ja, die Generation Weichei bekommt schon die Schulnoten hinterher geworfen, darf freitags demonstrieren und auch ger die Hausaufgaben nicht machen, weil sie jafür das neueste Handy lieber arbeiten geht. Und das Elterntaxi steht immer bereit, weil Papa ja im Homeoffice arbeitet und Mama gar nicht!
Die Kinder sind Symptomträger für den Zustand der Familien und der Gesellschaft als Ganzes. Man kann nicht die Menschen in die Armut treiben, ihr Land und ihre Sicherheit preisgeben und ihnen jegliche positive Lebensperspektive nehmen, ohne dass das Auswirkungen hat. Die psychische Krise der Kinder und Jugendlichen ist exakt das Ergebnis der Politik der Regierungsparteien der letzten 15-20 Jahre. Wir bräuchten eine andere Politik und zwar für alle Menschen in diesem Land.
Der Nervenarzt weiss auch nicht mehr wie es weitergeht. Aber ansonsten ist mal wieder alles klar auf der Andrea Doria! Könnten eigentlich noch alle vor der Gnade der späten Geburt geborenen, Schadenersatz für ihre durchlittene Jugend mit Bombenangriffen, verbrannten Leichen, Trümmerwüsten und Hungerjahre einklagen? Oder einfach nur dieses erlittene Traumata, dieses berechtigte Opfertum medial laut mit Unterstützung von bezahlten Begleitern überall beklagen? Oder sagte diese Generation einfach: “ wir mussten in die Hände spucken, hatten keine Zeit, uns von nicht vorhandenen Psychologen ein Opfertum einbläuen zu lassen, uns hinzusetzen, fallen zu lassen und einfach zu warten, bis uns jemand aufhebt… Mehr
Die Alten lebten in einer homogenen Gesellschaft und hatten positive Lebensaussichten. Die jungen Deutschen leben in entfremdeten Städten ohne Perpektive.
„Wie die Regierung mit der Krise der psychischen Gesundheit junger Menschen umgeht, belegt ihre Überheblichkeit.“
Falsches Verb: „umgehen“ – mit ihren wahnwitzigen Coronamaßnahmen haben die Bundes- und Landesregierungen die psychischen Erkrankungen vieler Kinder und Jugendlicher erst „verursacht“.
Die Krise der Schule ist im Kern eine Krise der Familien, die es flächendeckend offenbar nicht mehr schaffen, ihren Kindern zu zeigen geliebt zu sein.