Wie unabhängig will das Bundesverfassungsgericht sein?

Eine Woche nach dem Abendessen der Kanzlerin mit Bundesverfassungsrichtern im Jahr 2021 sicherte Karlsruhe die übergriffigen Corona-Maßnahmen ab. Heute treffen sich erneut Vertreter der Bundesregierung mit den Richtern. In einer Woche soll über die Klage der Unionsfraktion gegen den Nachtragshaushalt 2021 geurteilt werden.

IMAGO / Political-Moments
Symbolbild

Am Mittwochabend reist die Bundesregierung nach Karlsruhe zu einem gemeinsamen Abendessen mit den Richtern des Bundesverfassungsgerichts. Nachdem dieserart Treffen im Jahr 2021 für große Kritik sorgte, weil im Gefolge das Bundesverfassungsgericht die Übergriffigkeit der Regierung bei Corona-Maßnahmen absicherte, ließ man es 2022 lieber ausfallen. Doch nun scheint man wieder einen Bedarf an „Abstimmungen“ zu besitzen.

In einer Woche, am 15. November, soll das Gericht über die Klage der Unionsfraktion gegen den Nachtragshaushalt 2021 entscheiden. Die Ampel hatte die Kreditermächtigung über 60 Milliarden Euro, die in der Pandemie im Rahmen der Corona-Maßnahmen eingeräumt worden war, einfach in Habecks Energie-Monopoly-Fonds unter dem Namen Klima- und Transformationsfonds geschoben. Für die Unionsfraktion stellt das eine Zweckentfremdung und schließlich einen Verstoß gegen die Schuldenbremse des Grundgesetzes dar.

Vortrag zur Corona-Politik
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Sollte das Bundesverfassungsgericht diese Ansicht teilen, würde Lindners Schulden- und Hasardeur-Haushalt endgültig auseinanderfliegen. Man hat also genügend Gesprächsstoff hinter verschlossenen Türen. Vielleicht lässt sich am Rande der Gespräche in einem Tête-à-Tête unter vier Augen auch der Bundeskanzler in Sachen Cum-Ex beraten. Zumindest räumte das Bundesverfassungsgericht auf eine Anfrage der WELT ein, dass es zwischen Scholz und Harbarth „gegebenenfalls am Rande auch zu einem kurzen Einzelgespräch“ kommen könnte. So sieht gelebte Gewaltentrennung im besten Deutschland, das wir je hatten, aus.

Das Treffen weckt Erinnerungen an die Zusammenkunft hinter verschlossenen Türen, als am 30. Juni 2021 die Verfassungsrichter in Merkels Kanzleramt bewirtet wurden und es am Rande des Treffens zu einem Unter-vier-Augen-Gespräch zwischen Angela Merkel und Stephan Harbarth, der Angela Merkel die Präsidentschaft des Bundesverfassungsgerichts mitzuverdanken hat, kam. Nützlich war Merkels Kontakt zu Harbarth auf jeden Fall. Als sie am 6. Februar 2020 von Südafrika aus in einer öffentlichen Pressekonferenz als Bundeskanzlerin die Wahl des Thüringer Ministerpräsidenten rückgängig zu machen forderte – was unter Aussetzung der demokratischen Spielregeln auch geschah –, zog die AfD nach Karlsruhe, um gegen die Verletzung der Pflicht zur Neutralität im politischen Meinungskampf und des Rechts auf Chancengleichheit der politischen Parteien aus Art. 21 Abs. 1 GG zu klagen.

Die AfD erhielt im Endeffekt Recht, doch erst am 15. Juni 2022. Zwei Jahre benötigte das Bundesverfassungsgericht für dieses Urteil, da war Merkel nicht mehr im Amt. Und das dürfte wohl auch der Zweck der Übung gewesen sein, denn damals soll ein privater Hinweis aus Karlsruhe dazu geführt haben, dass die inkriminierte Passage aus Merkels Statement in Pretoria von der Seite des Portals der Bundeskanzlerin genommen wurde, womit die Eilbedürftigkeit der Prüfung entfiel.

Rechtsbruch bleibt folgenlos
Merkel brach die Verfassung – doch das Urteil aus Karlsruhe kommt zu spät
Übrigens verlieh die Universität Heidelberg Stephan Harbarth ein Dreivierteljahr vor seiner Wahl zum Verfassungsrichter eine Honorarprofessur, die der Berufung wohl nicht schadete, denn Harbarth hatte bisher nur Erfahrungen in einer Wirtschaftskanzlei gesammelt. Die beiden Gutachten, die zu der Honorarprofessur führten, hält die Universität geheim. Die Klage des Kölner Rechtsanwalts Claus Schmitz vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe und dann vor dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg auf Herausgabe der Gutachten oder wenigstens der Namen der Gutachter wurde abgewiesen. Was aber ist an Gutachten und Gutachter für eine Honorarprofessur geheim? Was hat man zu verbergen?

Auf dem Treffen sollen Justizminister Marco Buschmann und die Richterin Astrid Wallrabenstein einen Impulsvortrag zum Thema „Krise als Motor der Staatsmodernisierung“ halten. Geht es darum, sich abzustimmen, wie man Krisen ausrufen kann, um mit diesen „Krisen“ die Veränderung des Staates, den Abbau des Rechtstaates, die Aufhebung und Verletzung der Freiheitsrechte der Bürger, wie man es in der Pandemie erlebte, voranzutreiben? Übrigens hatte Peter Gauweiler mit einem Befangenheitsantrag im EZB-Verfahren am 12. Januar 2021 gegen Astrid Wallrabenstein vor dem Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts Erfolg.

Es dürfte einem kleinen Wunder gleichkommen, wenn in der nächsten Woche das Bundesverfassungsgericht im Ergebnis dem Antrag der Unionsfraktion folgen würde. Möglicherweise wird man der Union im Prinzip Recht geben, aber aus Gründen besonderer Umstände oder irgendeiner Krise, des Ukraine-Kriegs, des Klimas, des Ansteigens der Zahlen von Covid oder der Wanderungen eines Problembärs in den Alpen unter Güterabwägung der Regierung diese Praxis gestatten.

Lisa Paus wird mit der Richter Martin Eifert über „Generationengerechtigkeit: Politisches Leitbild und Verfassungsprinzip“ referieren. Über Eifert muss man nicht mehr sagen, als dass er federführender Richter für verfassungsrechtlichen Klimaschutz im Bundesverfassungsgericht ist.

In einer Klage gegen das Klimaschutzgesetz gab das Bundesverfassungsgericht den Klagenden in einem wesentlichen Punkt Recht, nämlich dass das Klimarecht ein Grundrecht sei und künftige Genrationen nicht zu schädigen seien. Damit hatte das Bundesverfassungsgericht das Tor sperrangelweit für jede diktatorische Maßnahme geöffnet, wenn sie sich nur mit der „Generationengerechtigkeit“ begründen lässt. Was kann damit nicht begründet werden? Mithilfe des Rechts künftiger Generationen kann man leicht die Rechte heutiger Generationen aussetzen.

Rede Verfassungsgerichtspräsident – Analyse
Die offene Gesellschaft und ihr Stephan Harbarth
Damals hatte das Bundesverfassungsgericht tief in die Glaskugel der Klimaideologie geschaut und sich auf den Boden der Fragwürdigkeit gestellt, weil es einer dubiosen Prognose folgte und einen angenommenen Zustand in der Zukunft zur Grundlage der Rechtsprechung in der Gegenwart machte. In der Literatur nennt man dieses Genre Science Fiction, in der DDR hieß Science Fiction übrigens utopische Literatur.

Paus und Eifert dürften sich darüber einig sein, dass man nur die Zukunft schwarz malen und Hysterien verbreiten muss, um alle Maßnahmen der Regierung rechtlich immunisieren zu können mit dem halluzinierten Grund der Generationengerechtigkeit.

In Frage stellt das Treffen jedenfalls, ob die Verfassungsrichter sich gut genug daran erinnern, dass unser Grundgesetz das Abwehrrecht der Bürger gegen den übergriffigen Staat darstellt. Die Verfassungsrichter haben nicht auf der Seite der Regierung, sondern auf der Seite der Verfassung, also der Bürger zu stehen.

Bei dem Treffen am 30. Juni 2021 ging es damals um die Corona-Politik der Regierung. Diesmal lassen die Themen darauf schließen, dass es auch um die juristische Absicherung von Notverordnungen geht, die begründet werden durch die von der Politik der Regierung hervorgerufenen und von der Regierung verkündeten Krisen. Diese Regierung will Deutschlands Transformation durchsetzen. Bei dem Treffen geht es um die „Krise als Motor der Staatsmodernisierung“, also darum wohl, wie man deklarierte Krisen zur großen Transformation nutzen und man all dies mit den Rechten späterer Generationen juristisch begründen kann.

Die Herrschaften dinieren hinter verschlossen Türen – ausgesperrt bleibt das Volk.

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Kommentare ( 89 )

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Konservativer Aktivist
5 Monate her

BRD: Bananenrepublik Deutschland
Punkt. Aus. Ende.

Cimice
5 Monate her

Ein weiterer, rabenschwarzer Tag in der Geschichte Deutschlands! Später vielleicht wird man sagen, dass in den frühen Morgenstunden, am 9.11.23, nach einem Diner und zwei Vorträgen, die Transformation der Bundesrepublik in eine neue sozialistische Republik endgültig beschlossen und verfassungsrechtlich abgesichert wurde. Weitere Schicksalereignisse Deutschlands an einem 9.11.: – die Gründung der glücklichen Weimarer Republik 1918, die direkt zur Hitler-Diktatur führte – der Hitler-Putsch vom 8. und 9.11.1923 – die Reichspogromnacht von 1938 – der Mauerfall von 1989 und damit das Ende der DDR. Wäre es nicht paradox, wenn genau 34 Jahre nach dem Ende der DDR eine neue „DDR“ aus… Mehr

tichoz
5 Monate her

Herr Harbarth war oder ist Mitglied eines Bibelkreises. Nach seinen bisherigen Handlungen war im Bibelkreis ein Buch, das zum Lesen auf dem Tisch lag, aber kaum gelesen wurde.

Hanno Spiegel
5 Monate her

Warum?
Darum!
Auch der Zeitpunkt des Abendessens erscheint „wieder bemerkenswert“, „Genau eine Woche später, am 15. November, will der Zweite Senat ein wichtiges Urteil verkünden. Es geht um eine Klage der Unionsfraktion gegen den Nachtragshaushalt 2021: Nach Ansicht von Merz & Co. durfte die Ampel-Regierung nicht einfach 60 Milliarden Euro an Kreditermächtigungen für Corona einfach so in den Klimafonds verschieben – wegen Schuldenbremse. Eine Niederlage beim Verfassungsgericht wäre für die Regierungskoalition eine Zerreißprobe.“

Hanno Spiegel
5 Monate her

Beim letzten Diner (falls es nicht auch heimliche gab) wurde ein Verfassungsbruch des/der/die Kanzler*in-innen unter den Esstisch geplaudert.
Diesmal steht wohl als Dessert: Cum-Ex an vergesslichen Pflaumen auf der Karte.

santacroce
5 Monate her

Wie viele Gänge hat das Bundesverfassungsgericht?
Ist es ein mehrteiliges Menü? Gibt es Fleisch? Warum ist es so beliebt bei Politikern und hohen Richtern.
Ist es wirklich so gut, dass es sogar der Wahrheitsfindung dienlich ist? Hilft es ein gutes, gerechtes und allgemein akzeptiertes Urteil zu finden?
Na dann, viel Erfolg beim Treffen und „Guten Appetit“!

Klaus Kabel
5 Monate her

Solange diese Regierung im Amt bleibt, werden sie ihre Amigos ins Bundesverfassungsgericht setzen und die Urteile werden beim Dinnergate abspechen. Mit dieser Besetzung ist das Bundesverfassungsgericht so unabhängig wie der Volksgerichtshof oder das Oberste Gericht der DDR.

Cimice
5 Monate her
Antworten an  Klaus Kabel

Dieser „Amigo“ wurde NICHT von der Ampel ins BVG gesetzt, sondern von der CDU unter Merkel. Was immer da auch aufgekocht wurde, die CDU ist damit voll informiert und involviert – auch wenn sie gerade nicht regiert.

elly
5 Monate her

Wie unabhängig will das Bundesverfassungsgericht sein?“ die Frage unterstellt, dass die Richter und Richterinnen unabhängig sein wollen. Das wollen sie doch gar nicht.

Nibelung
5 Monate her

Die sind so abhängig, wie die Freundschaften schon früher intensiviert wurden und das war schon immer so, kann sich allerdings wecheln wie die Jahreszeiten, denn nach jedem Winter kommt auch wieder mal der Frühliing und wollen wir hoffen daß die Endabrechnung durch die kalte Jahreszeit nicht zu hoch wird. denn das könnte dann unsere Zahlungsunfähigkeit, einschließlich Kerkerhaft bedeuten.

Giovanni
5 Monate her

Solange diese öko-sozialistische Ampel die Rückendeckung der gleichartigen Medien hat, handelt sie skrupellos. Wenn sie mit den Verfassungsschutzrichtern kungelt ist, ist es ihnen schnuppe was die Bevölkerung davon denkt. Zumal die schläfrige und etwas verblödete Bevölkerung ohnehin die Zusammenhänge nicht versteht. Dafür sorgt schon der öko-marxistische Propaganda-Apparat.