Der wilde Mann vom Bosporus – wie sich Hybris gegen sich selbst kehrt

Sollten sich die EU-Europäer ihrer Möglichkeiten endlich bewusst werden, würde der von seiner eigenen Hybris zerfressene Sultan und Muslimbruder am Bosporus schnell kleinere Brötchen backen.

© Thaer Ghanaim/PPO via Getty Images

Manche dünken sich schlau und allmächtig. Doch in ihrer Hybris übersehen sie, wie sie mit ihrer Selbstverliebtheit die eigene Dummheit dokumentieren und sich selbst dabei die Schlingen um den Hals legen, die sich irgendwann zuziehen werden.

Ein perfektes Beispiel für eine solche Figur ist der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan – wie an nur zwei Fällen dargelegt werden soll.

Der Fall Cumhuriyet

Die türkische Zeitung Cumhuriyet hatte im Mai des vergangenen Jahres Fotos und ein Video von Fahrzeugen veröffentlicht, unter deren von der Türkei nach Syrien gelieferten, angeblichen Hilfslieferungen Granaten und Munitionskisten versteckt waren. Der Fall wurde im Januar 2014 offenkundig, als offizielle türkische Sicherheitskräfte die Fahrzeuge kontrolliert hatten.

Diese Lieferungen sollten, so der Chefredakteur der Zeitschrift, an Terrorgruppen in Syrien gehen. Es stellte sich anhand der kontrollierten Dokumente heraus, dass die Fahrzeuge dem türkischen Geheimdienst MIT gehörten.

Damit stand fest: Der türkische Geheimdienst – und damit der türkische Staat – lieferte auf geheimen Kanälen Waffen in das vom Bürgerkrieg verheerte Syrien.

Auf die Veröffentlichung folgte einer der üblichen, öffentlichen Ausfälle des türkischen Präsidenten. Bei dem Bericht handele es sich um „Unterstellungen“ und eine „Spionageaktion“.  Anschließend leitete die türkische Staatsanwaltschaft Ermittlungen wegen „Terrorpropaganda“ und „Spionage“ ein.  Bei dem anstehenden Gerichtsverfahren wurden Erdogan sowie der Geheimdienst ausdrücklich als Nebenkläger zugelassen.

Anfang Mai 2016 folgte die Verurteilung von Chefredakteur Can Dündar und dem Hauptstadtbüroleiter Erdem Gül zu langjährigen Haftstrafen. Das Gericht befand die Redakteure der „Veröffentlichung von geheimen Dokumenten“ für schuldig. Nicht schuldig befand das Gericht die Beklagten des Vorwurfs, die Regierung stürzen zu wollen und Spionage betrieben zu haben. Nicht ausgeräumt ist allerdings der Vorwurf, die Journalisten hätten eine „Terrororganisation“ unterstützt. Hier soll auf Betreiben der Staatsanwaltschaft ein gesondertes Verfahren folgen.

Fakten und Konsequenzen

Schauen wir nun genau hin und stellen wir fest, was konkret dieser Vorgang aussagt.

Fakt 1:

  • In Fahrzeugen des türkischen Geheimdienstes wurden, als humanitäre Aktion getarnt, Waffen in das Bürgerkriegsland Syrien geliefert.
  • Die Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes sollten geheim bleiben. Wäre dem nicht so,  hätte man sie gegenüber den kontrollierenden Sicherheitskräften entsprechend deklarieren können. Folglich dienten sie nicht der Unterstützung einer der pro-westlichen Milizen. Da Erdogan am Sturz des syrischen Präsidenten interessiert ist, werden die Waffenlieferungen auch nicht diesem und schon gar nicht den ohnehin von der Türkei bekämpften Kurden gegolten haben. So bleiben als Empfänger nur die salafistische  AlNusra-Front oder der radikalislamische „Islamische Staat“.

Fakt 2:

Für Erdogan handelte es sich bei der Berichterstattung um

  • Unterstellungen. Dieses wäre dann zutreffend, wenn Cumhuriyet ohne jegliche Beweiskette unzulässige Behauptungen aufgestellt hätte. Cumhuriyet hatte behauptet, die Waffenlieferungen seien für „Extremisten“ gedacht gewesen. Auf Basis der Fakten ist diese Feststellung zutreffend. Wenn nun Erdogan behauptet, diese Tatsachenfeststellung sei eine Unterstellung, dann bedeutet dieses in der Logik, dass die zu beliefernden radikalislamischen Gruppen aus Sicht des türkischen Präsidenten keine Extremisten, sondern gemäßigte Einheiten sind. Da aus westlicher Sicht die zu Beliefernden nun jedoch als islamische Extremisten gelten,  muss unvermeidbar auch Erdogan als islamischer Extremist betrachtet werden.
  • Spionage. Spionage bedeutet, dass jemand zum Schaden eines Landes dessen vorrangig militärischen Aktionen beobachtet und an Gegner verrät. In aller Regel erfolgt dieses höchst-geheim.

Wenn es sich bei der Veröffentlichung des Vorgangs durch Cumhuriyet aus Sicht des türkischen Präsidenten um „Spionage“ handelt, dann räumt Erdogan damit ein, dass

  • der türkische Geheimdienst im Auftrag der türkischen Regierung gehandelt hat.
  • die Waffenlieferung folglich im Auftrag der türkischen Regierung erfolgte.
  • die Waffenlieferung als kriegerische Handlung im Interesse des türkischen Staates zu betrachten ist.
  • die Türkei folglich aktive Kriegspartei in Syrien ist.

Da – siehe oben – es sich um eine Aktion handelt, die geheim bleiben sollte, ist sie gegen die Interessen Anderer – in diesem Falle offiziell mit der Türkei verbündeter Staaten – gerichtet. Damit bleibt nur noch die Feststellung, dass die Türkei geheim vorsätzlich gegen die Interessen ihrer NATO-Partner, die die gemäßigten demokratischen Kräfte der Kurden und der liberalen Opposition gegen die Islamkämpfer unterstützen, verstoßen hat.

Fakt 3:

Laut Auffassung des verurteilenden Gerichts haben sich die Redakteure

  • der „Veröffentlichung geheimer Dokumente“ schuldig gemacht. „Geheime Dokumente“ im Sinne der Anklage können hier nur Dokumente sein, die geheime Aktionen des Staates offenbaren. An „Dokumenten“ sind jene Papiere publiziert worden, die das Eigentum des Geheimdienstes an den mit Contrabande beladenen Fahrzeugen dokumentierten.  Was an Fahrzeugpapieren „geheim“ ist, wird kaum juristisch nachvollziehbar zu erklären sein.
  • wegen der „Unterstützung einer Terrororganisation“ zu verantworten. Hier ist folglich das „cui bono“ zu klären: Wem nützt es? Der einzige konkrete Nutzen der Veröffentlichung könnte – vorausgesetzt sie hätte dieses zur Folge gehabt – das künftige Unterbleiben von geheimen, türkischen Waffenlieferungen nach Syrien sein. Den Nutzen davon hätten die Gegner jener, die beliefert wurden oder werden sollten. Da es sich der Logik folgend bei den Empfängern um islamische Terrorgruppen handelte, wären die Nutznießer zu dem damaligen Zeitpunkt vorrangig die von den Islamfundamentalisten verfolgten Jezidi sowie deren Verbündete bei den Kurden gewesen. Soll der Gerichtsvorhalt greifen, wären demnach vorrangig die Jeziden und die Kurden  im Sinne der türkischen Regierung  und der Justiz „Terroristen“.

Der entdeckte Vorgang stammt aus dem Januar 2014. Zu diesem Zeitpunkt hielt sich die PKK strikt an den Waffenstillstand und enthielt sich jeglicher terrorverdächtiger Aktionen auf türkischem Gebiet. Im Sinne der Logik kann es daher überhaupt keine Unterstützung einer „terroristischen“ Vereinigung durch die Redakteure gegeben haben – und das Gericht wird sich die Frage gefallen lassen müssen, wie es auf diese absurde Vorstellung kommt.

Fazit: Die Äußerungen Erdogans, dessen Zulassung als Nebenkläger ebenso wie das Gerichtsurteil  lassen nur eine Feststellung zu. Sämtliche Behauptungen Erdogans sowie die Feststellungen belegen: Die geheimen Waffenlieferungen an terroristische Vereinigungen in Syrien sind mit Wissen und im Auftrag des türkischen Präsidenten erfolgt. Wäre dem nicht so, hätten nicht die Redakteure, sondern die Verantwortlichen der Geheimdienste auf die Anklagebank gehört. Statt dessen aber wurden auch diese als unmittelbar betroffene Nebenkläger zugelassen.

Damit bleibt nur ein unvermeidbarer Schluss: Erdogan hat gegen die Interessen seiner Verbündeten in der NATO im Kampf gegen die Islamterroristen verstoßen und sich selbst im Sinne des deutschen Strafrechts der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung schuldig gemacht. Die Vorbereitung eines Ermittlungsverfahrens durch den DenHaager Gerichtsshof sollte damit eigentlich unumgänglich sein.

Der Flüchtlingsdeal

Vorrangig auf Betreiben des deutschen Bundeskanzlers Angela Merkel kommt es in Frühjahr zwischen EU und Türkei zum sogenannten „Flüchtlings-Deal“.  Sein Kernelement: Die Türkei verhindert unter anderem gegen Zahlung von sechs Milliarden Euro, dass weiterhin hunderttausende Migranten illegal über die Ägäis in die Europäische Union eindringen.

Nachdem der türkische Premierminister Ahmet  Davutoglu durch Erdogan zum Rücktritt gezwungen wurde, weigert sich der türkische Präsident türkische Zusagen, die Bestandteil des Deals sind, umzusetzen. Wörtlich stellt er fest: „Wir werden unseren Weg gehen – gehe Du (EU) Deinen!“

Da die EU die Entschärfung der türkischen Terrorgesetze fordert, mit denen unter anderem die gewählten Abgeordneten der Kurdenpartei kriminalisiert werden sollen, um so im türkischen Parlament die für Erdogans Ermächtigungsgesetz namens „Präsidialsystem“ notwendige Zweidrittelmehrheit zu schaffen, ist der Merkel-Erdogan-Deal faktisch geplatzt.

Erdogans Berater Burhan Kuzu twitterte erfreulich ehrlich: „Wenn das EU-Parlament die falsche Entscheidung [in Sachen Visafreiheit für Türken – A. d. V.] trifft, schicken wir die Flüchtlinge los.“ („Avrupa Parlamentosu,yarın Türk Vatandaşlarına Avrupa yolunu vizesiz açacak raporu görüşecek.Yanlış bir karar verirse Mültecileri göndeririz!“)

Schauen wir auch hier etwas genauer hin.

Ein unfreundlicher Akt. Da unmittelbar nach Unterzeichnung des sogenannten Flüchtlings-Deals die Ströme der illegalen Einwanderer fast auf Null gingen, ist festzustellen: Die Türkei hat die Invasion Europas zumindest geduldet. Damit hat sie – freundlich formuliert – gegenüber der EU einen „unfreundlichen Akt“ begangen. Es war vor Vertragsabschluss nicht nachvollziehbar und ist es heute noch weniger, dass ein fremdes Land sich faktisch nicht nur durch Unterstützung einer Invasion einen Tribut in Höhe von sechs Milliarden Euro erpresst, sondern dafür auch zusätzlich damit belohnt wird, bei Bedarf mit seinen eigenen Bürgern eine Invasion gegen das erpresste Territorium vorbereiten oder missliebige Bürger zur Ausreise dorthin bewegen zu können.

Kuzus Äußerung ist eindeutig. Sie belegt – da von Erdogan und der Türkei unwidersprochen – nicht nur, dass die Türkei die Invasion des vergangenen Jahres nicht nur geduldet hat, sondern dass sie in der Lage und Willens ist, diese gezielt zu veranlassen und zu steuern.

Wer ein fremdes Land mit einer Invasion bedroht, begeht unabhängig davon, ob diese Invasion mit Waffengewalt oder unter Ausnutzung der humanitären Selbstverpflichtung der von der Invasion betroffenen Staaten durchgeführt wird, eine Form des kriegerischen Aktes. Das durch die Invasion betroffene Land – oder die Länder – haben das uneingeschränkte Recht zur Selbstverteidigung, was im konkreten Falle bedeutet, die Invasion unmittelbar an den Außengrenzen abzuwehren.

Insofern ist dem Fraktionschef der Liberalen im EU-Parlament, Guy Verhofstadt, uneingeschränkt zuzustimmen wenn er feststellt: „Statt zu versuchen, diesen Deal mit der Türkei ans Funktionieren zu bringen, sollten wir lieber dafür sorgen, dass wir bis Ende Juni einen europäischen Grenzschutz aufgestellt haben. Die einzige Möglichkeit, das Flüchtlingsproblem zu lösen, liegt darin, dass wir selbst unsere Hausaufgaben machen.“

Darüber hinaus wäre aber auch eine Klage gegen den Verursacher der Invasion vorzubereiten. Statt die Türkei mit sechs Milliarden dafür zu belohnen, die Europäische Union mit einem unübersehbaren Menschenstrom geflutet zu haben und wieder fluten zu lassen, wäre die Türkei in Regress für sämtliche damit verbundenen Kosten und Folgekosten zu nehmen. Denn sowohl Erdogan, Davutolu und jener Kuzu haben bestätigt und durch konkretes Handeln belegt:  Sie waren und sind in der Lage, die Invasion zu steuern. Damit tragen sie die unmittelbare Hauptverantwortung für die damit verbundenen Aufwendungen und Kosten – angefangen von ungarischen, österreichischen oder kroatischen Grenzzäunen über den Bau und den Unterhalt von Unterkünften bis hin zu den Unterhaltszahlungen für die Invasoren, solange deren ebenfalls durch die Türkei zu finanzierende geordnete Rückführung nicht erfolgt ist.

Sollten sich die Europäer dieser Sachlage endlich bewusst werden, würde der von seiner eigenen Hybris zerfressene Sultan und Muslimbruder am Bosporus schnell kleinere Brötchen backen. Allein schon das Einfrieren türkischer Gelder zwecks Sicherung möglicher, am Ende ordentlicher internationaler Prozesse zu erwartender Regresse würde Erdogans Kartenhaus schnell zum Einsturz bringen – weshalb an dieser Stelle auf die Idiotie, ein solches Land, das noch dazu einen Krieg gegen die eigene Bevölkerung führt, in der NATO zu unterstützen, gar nicht mehr näher eingegangen werden soll.

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