Not bricht nicht jedes Gebot!

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Staatsanleihenkäufen der EZB ist eine Mahnung an Bundesregierung und Bundestag, ihre Kontrollfunktion auszuüben. Gleichzeitig ist der Beschluss aber auch eine Rückendeckung für Jens Weidmann und die Bundesbank. Seine Rolle wird im EZB-Rat gestärkt.

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Es ist ein Paukenschlag. Eine Watschen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem gestrigen Urteil zu den Staatsanleihen-Ankäufen der EZB (PSPP) in mehrere Richtungen ausgeteilt und wichtige Weichen gestellt.

Erstens in Richtung der Bundesregierung und des Parlaments. Beide haben ihre Kontrollfunktion nicht hinreichend ausgeübt. Sie hätten, so verlangt es das Verfassungsgericht, auf eine Verhältnismäßigkeitsprüfung der EZB drängen müssen.

Dieser Hinweis ist wichtig. Zu Beginn der Euro-Krise galt es noch als „Majestätsbeleidigung“, die EZB und ihren jeweiligen Präsidenten zu kritisieren. Es galt immer als Einmischung in die Unabhängigkeit der Geldpolitik. Das hat sich im Lauf der letzten Jahre zwar etwas verändert, aber dennoch kann von einer Kontrolle und einer Prüfung durch das Parlament keine Rede sein. Dabei ist die EZB nicht freischwebend, sondern lediglich unabhängig von der Politik im Rahmen des Gesetzes.

Insbesondere die Kollateralschäden wurden vernachlässigt. Diese sind inzwischen erheblich. Allein die Orientierung am Inflationsziel von zwei Prozent und dieser Erfüllung alles unterzuordnen, ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.

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Allein seit 2010 haben Sparer hierzulande rund 360 Milliarden Euro verloren. Das sind 365 Euro pro Bürger und Jahr. Die Vermögenspreise bei Immobilien und Unternehmenswerten sind durch das billige Geld der EZB, zumindest bis zum Ausbruch der Corona-Krise, erheblich angestiegen. Die Anzahl der Zombie-Unternehmen nimmt aber seitdem wenig überraschend auch enorm zu. Immer mehr Unternehmen konnten schon vor dem aktuellen Shutdown ihre Schuldzinsen nicht mehr aus ihren Jahresüberschüssen bedienen. Das ist nicht nur ein Problem in Italien und Griechenland, sondern auch in Deutschland. 1980 lag die Zombie-Quote in Deutschland bei zwei Prozent, 2016 schon bei 16 Prozent und jetzt wird sie im Zuge der Corona-Krise, der zusätzlich lockeren Geldpolitik und der neuerlichen Konjunkturprogramme, weiter steigen.

Dies ist auch der entscheidende Grund dafür, weshalb die Investitionskraft in Deutschland seit vielen Jahren erlahmt. Wenn immer mehr Unternehmen zombiefiziert sind, dann kann eine Wirtschaft nicht produktiver werden. Auch das kann seit langem belegt werden. Denn die Arbeitsproduktivität ist auf einem historisch niedrigen Niveau. Faktisch stagniert sie in diesem Land. Das kann man als Beleg dafür werten, dass das Wachstum bis zur Corona-Krise zu nicht unerheblichen Teilen auf Sand gebaut war.

Unerwartet positiv
Stoppsignal für EZB aus Karlsruhe
Zweitens ist bemerkenswert, dass das Verfassungsgericht sich vom Europäischen Gerichtshof emanzipiert hat. „Die Auffassung des Gerichtshofs … ist wegen der vollständigen Ausklammerung der tatsächlichen Auswirkungen des Programms auf die Wirtschaftspolitik methodisch schlechterdings nicht mehr vertretbar“. Mehr Misstrauen geht nicht! Das ist notwendig und richtig. Denn auch der EuGH muss eine Verhältnismäßigkeitsprüfung und die Auswirkungen auf die Bürger berücksichtigen. Letztlich ist es ein sehr kluges Urteil. Das Verfassungsgericht setzt die Regierung und das Parlament und Druck, nicht weiter auf die EZB zu setzen, indem ökonomische Probleme geldpolitisch gelöst werden sollen. Vielmehr sollen sie selbst die notwendigen politischen Entscheidungen zu treffen und dafür auch die Verantwortung zu tragen. Dazu gehört auch, dass das Mandat der EZB dringend konkretisiert werden muss. Der Begriff der Geldwertstabilität muss präzisiert werden. Den Spielraum beim Ankauf von Wertpapieren auf dem Sekundärmarkt nutzt die EZB bis zum Exzess. Es genügt ihr die berühmte Sekunde, um diese Eingriffe als Sekundärmarktankauf zu kaschieren. Auch die nationalen Geldschöpfungsmöglichkeiten an der EZB-Geldpolitik vorbei (Anfa-Ankäufe) müssen ausgeschlossen werden.

Gleichzeitig ist der Beschluss aber auch eine Rückendeckung für Jens Weidmann und die Bundesbank. Seine Rolle wird im EZB-Rat gestärkt. Denn dieser muss in den nächsten 3 Monaten sein Mandat für die Anleihenkäufe (PSPP) neu formulieren und begründen. Die Rückendeckung aus Karlsruhe kann hier helfen. Die EZB, warnt der der 2. Senat, kann „das „PSPP“ immer weniger ohne Gefährdung der Stabilität der Währungsunion beenden und rückabwickeln“. Das stimmt leider. Allein in diesem Jahr wird die EZB Schulden in der Größenordnung von 1.100 Milliarden Euro ankaufen. Das sind 9,2 Prozent der Wirtschaftskraft der Eurostaaten (2019). Die EZB agiert nach dem Motto: nach uns die Sintflut.

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Kommentare ( 15 )

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nhamanda
3 Jahre her

Wer glaubt und hofft, dass dieses Urteil irgendetwas ändert, der ist ein hoffnungsloser Leichtgläubiger. Herr Scholz hat ja auch sofort erklärt, dass das Urteil die EZB-„Politik“ als richtig bestätigt. Das sagt er einfach so, weil es kann und niemand ihn dafür haftbar macht. Wir sind nur noch das Dummvolk und selbst schuld daran.

fatherted
3 Jahre her

tja Herr Schäffler….da haben sich hier viele zu früh gefreut. Frau Lagarde sinngemäß verlauten lassen, dass ihr das Urteil egal ist und die EZB so weiter macht wie bisher. Ich vermute auch die Deutsche Politik wird das Urteil ignorieren. Ob daraus Konsequenzen in einer Gewaltenteilung entstehen? Ich weiß es nicht….aber ich glaube es nicht.
Es wird sich weiter über Verträgen, Rechtsnormen und Vorschriften hinweg gesetzt. Nichts wird sich ändern….leider.

Karl Schmidt
3 Jahre her

„Das Verfassungsgericht setzt die Regierung und das Parlament und Druck, nicht weiter auf die EZB zu setzen, indem ökonomische Probleme geldpolitisch gelöst werden sollen.“ Das ist die Formulierung der Südländer, die den Sachverhalt ja leider nicht zutreffend beschreibt: Die Probleme werden nicht „gelöst“, sondern mit geldpolitischen Mitteln vertagt und dadurch vergrößert. Beabsichtigt ist die Umverteilung der Schäden auf die deutschen Bürger. Auch das ist keine Lösung oder der Versuch einer Lösung, denn Italien & Co. lösen damit ihre Strukturprobleme auch nicht.

ChrisB
3 Jahre her

Wer glaubt, dass der EuGH eine neutrale Instanz ist, sollte sich einmal intensiv mit seinen Statuten und Aufgaben befassen. Die über allem stehende Kernaufgabe des EuGH ist, als Motor der europäischen Integration zu fungieren. Wenn also z. Bsp. im Rahmen von Euro-Bonds die gemeinschaftliche Haftung der Euro-Länder angestrebt wird, darf niemand erwarten, dass der EuGH die für die haftenden Nationalstaaten nachteiligen Konsequenzen berücksichtigt, da diese als nationale Egoismen ausgelegt werden, die der weiteren europäischen Integration im Weg stehen. Geschweige denn darf das Ziel der weiteren Integration kritisch gesehen, in Frage gestellt oder in einzelnen Facetten zurück gedreht werden – das… Mehr

gk
3 Jahre her

Seit Jahren werde ich als EU-Bürger von der EU betrogen, u. a. als Sparer durch die EZB enteignet, ohne Rechtsgrundlage! Aber auch meine Kaffeemaschine schaltet sich dank EU gegen meinen Willen jeden morgen aus! Und ich kann nicht einmal jemanden abwählen! Zusammen mit Merkel, Gabriel, Steinmeier etc. ist nicht nur die Amtszeit Mario Draghis bei der EZB ist durchzogen von Unwahrheiten und Regelbrüchen. Und dafür die Verleihung des Verdienstkreuzes! Was ist mit Target2? Wie sind diese Saden (auch meine Haftung als Steuerzahler) legitimiert? Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht! Dieser Satz gilt… Mehr

thinkSelf
3 Jahre her

„Es ist ein Paukenschlag.“
Es ist nicht mal der Aufprall einer Mücke auf die Fensterscheibe. Es muss nun lediglich eine zusätzliche Abnickrunde gefahren werden. Und da wir ja nur noch ein Abnick-Parlament haben ändert sich da gar nix.
Das BVG wollte lediglich ein bisschen gegen seine zunehmende Bedeutungslosigkeit aufbegehren. Was man auch daran sieht, das es die seit 10 Jahren durch die Notenpresse betriebene Staatsfinanzierung weiterhin als „nicht durch die Notenpresse betriebene Staatsfinanzierung“ bezeichnet. So viel Knoten kriegt man ja gar nicht ins Hirn um diesen Gedankengang nachzuvollziehen.

Der-Michel
3 Jahre her
Antworten an  thinkSelf

Aus meiner jahrelangen beruflichen Erfahrung gehe ich davon aus, dass die Geldanlagen der Richter, aus ihren zusätzlichen Lebens- Renten- und ZVK-Versicherungen, nicht mehr genügend Renditen erwirtschaften. Die Damen und Herren haben daher erstmalig direkten Kontakt mit den Folgen dieser Politik gehabt. Und da diese Erfahrungen im sehr persönlichen Bereich angesiedelt sind, wurde auch entsprechend reagiert. So zumindest meine Erfahrungen mit dem öffentlichen Dienst.

Werner Brunner
3 Jahre her
Antworten an  thinkSelf

So ist es , und nicht anders !
Ich frage mich immer wieder :
Was muss sich eigentlich noch alles ereignen , damit
die Bevölkerung revoltiert und die momentan
herrschende Klasse demontiert ?

Schlaubauer
3 Jahre her

Auch Herr Schäffler setzt Wunschdenken gegen die Realität. Wie soll die Bundesregierung eine Kontrollfunktion ausüben, wenn die EZB außerhalb allen Rechts steht? Voßkuhle verlässt ja auch hier nicht seine gängige Praxis, alles mit einem ja aber durch zu winken.

Neo-Realist
3 Jahre her

Paukenschlag und Watschen?? UND: Das BVerfG hat ausgeteilt in „alle Richtungen“. NEIN Das BVerfG hat nach 5 Jahren ( in Worten: FÜNF ) ein Urteil gefällt, ein SHOW-Urteil, mit dem es seine angebliche „Unabhängigkeit“ demonstrieren will. Der Tenor des Urteils ist halbherzig und dient nur dazu, dem BVerfG den „Anstrich einer unabhängigen Institution“ zu geben. Das EZB lacht sich schlapp darüber und Minister Scholz hat gesagt, daß die „Friedens-Währung“ den solidarischen Zusammenhalt in Europa ( korrekt müßte es heißen: EU ) herstellen würde. Auf Tacheles: Was schert mich da Urteil. Das BVerfG ist Marinette der Regierung und versucht mit diesem… Mehr

Regenpfeifer
3 Jahre her

Herr Voßkuhles Amtszeit als Präsident des Bndesverfassungsgerichts endete heute -einen Tag nach Verkündung des Urteils. Zufälle gibt’s.. Na jedenfalls: Dieses Urteil -so richtig und wichtig es auch ist- wird genau Nullkommanichts am Gebaren der EZB ändern. Warum? Nun, wenn es tatsächlich etwas ändern würde, dann wäre der Euro innerhalb weniger Wochen tot. Und da nicht sein kann was nicht sein darf, wird man Wege finden, wie die Staatsfinanzierung über die Druckerpresse der EZB und den Geschäftsbanken als Strohmännern dazwischen fröhlich weiter geht. Das Bundesverfassungsgericht war ja auch so feige, nicht das ganze Programm als solches verfassungswidrig einzustufen, wodurch sich das… Mehr

azaziel
3 Jahre her

Die Pruefung der Verhaeltnismaessigkeit wird ins Ermessen der EZB gestellt. Da wird sie sich selbst wohl genauso viel Spielraum anmassen wie bei der Definition von Staatsfinanzierung. Staatsfinanzierung ist jeglicher Form muss verboten bleiben. Fuer Operationen die der Aufrechterhaltung der Maerkte dienen muss ein konsolidierter Hoechstbetrag gelten. Der Begriff der Geldwertstabilitate IST klar definiert: Null Prozent Inflation, Null Prozent Deflation! Die EZB hat kein anderes Mandat als das der Aufrechterhaltung der Geldwertstabilitaet.