Kampfansage statt Versöhnung: Der Kanzler leugnet die Spaltung

Bundeskanzler Scholz behauptet in seiner Regierungserklärung, es gebe keine gesellschaftliche Spaltung. Die vermeintlich Unsolidarischen hat er also sprachlich schon ausgebürgert. Dabei wäre es so einfach gewesen, ein Zeichen des inneren Friedens auszusenden mit einer Formel Willy Brandts. 

IMAGO / Future Image
Bundeskanzler Olaf Scholz in der 8. Sitzung des Deutschen Bundestages am 15.12.2021

Olaf Scholz hat seine erste Regierungserklärung als Bundeskanzler im Bundestag als doppelte Kampfansage begonnen: gegen das Virus beziehungsweise die Pandemie einerseits und gegen diejenigen andererseits, die er als „eine winzige Minderheit von enthemmten Extremisten“ bezeichnete. Wobei ihn das Virus und seine Gefährlichkeit in der Erklärung gar nicht besonders beschäftigten. 

„Wir werden den Kampf gegen die Pandemie mit der größten Entschlossenheit führen“, sagte er martialisch phrasenhaft. „Wir werden diesen Kampf gewinnen, wir werden diese Krise überwinden.“ Wie schon unter seiner Vorgängerin und bei Corona-Politikern allgemein üblich führte er dabei nicht aus, worin dieses Gewinnen bestehe. Glaubt er immer noch, es werde bald kein Corona-Virus mehr geben? Wir erfahren es nicht.

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Wie der Sieg aussieht, sagt er nicht, aber „die Lösung“ liege auf der Hand: „Jeder kann und sollte sich impfen lassen.“ Es sei ihm wichtig, „dass wir es weiter gemeinsam angehen, dass wir uns weiter unterhaken und so gemeinsam Corona besiegen“. Doch diese Betonung des Gemeinsamen kontrastierte extrem mit den Ansagen, die danach kamen, nämlich der eigentlichen, zweiten Kampfansage, die Scholz so einleitet: „Zur Wahrheit dieser Pandemie gehört aber auch: Heute, im Dezember 2021, könnte jede und jeder Erwachsene in Deutschland längst zweifach geimpft sein. Mindestens alle besonders gefährdeten Bürgerinnen und Bürger könnten geboostert sein. Dann hätten wir die Pandemie jetzt im Griff. Dann würden wir alle jetzt mit unseren alten Freiheiten und unseren Familien und Freunden jetzt eine besinnliche Vorweihnachtszeit erleben. Die Kraft des wissenschaftlichen Fortschritts hätte uns genau das ermöglicht.“ Vereinfacht gesagt: Die ungeimpften Fortschrittsfeinde (Fortschritt ist bekanntlich das gemeinsame Motto der Ampel) sollen schuld daran sein, dass dies nicht der Fall ist. 

So befeuert Scholz weiter die Legende von der immunisierenden Impfung, die durch Tausende geimpfte Infizierte, Hospitalisierte und auch Gestorbene längst widerlegt ist. Von dieser Wahrheit war dementsprechend keine Rede bei Scholz. Wie befreiend  und befriedend, wäre es gewesen, hätte der neue Kanzler und frühere Finanzminister nur so einen Satz gesagt wie: Unsere großen Hoffnungen und Versprechen über die Impfung haben sich nicht erfüllt, der Impfstoff wird das Virus nicht aus der Welt schaffen, aber er kann Ihnen, liebe Bürgerinnen und Bürger, womöglich das Leben retten. Ich empfehle Ihnen daher, sich im eigenen Interesse impfen zu lassen. 

Stattdessen markierte Scholz nach einem Dank an die, „die in der Zeit der Pandemie alles richtig gemacht haben“, den Feind: „Eine kleine extremistische Minderheit in unserem Land hat sich von unserer Gesellschaft, unserer Demokratie, unserem Gemeinwesen und unserem Staat abgewandt, nicht nur von Wissenschaft, Rationalität und Vernunft.“ Für sie findet Scholz die Attribute: „Wirklichkeitsverleugnung“, „absurde Verschwörungsgeschichten, mutwillige Desinformation, gewaltbereiter Extremismus“.

Zwischendurch kommt zwar auch ein versöhnlicher Satz: „Wir haben Respekt vor ernst gemeinten Einwänden, wir hören zu, wir suchen die Debatte, wir sind offen für Kritik und Widerspruch. Wir geben aber auch den Versuch nicht auf, bislang noch zurückhaltende zu überzeugen, dass sie sich doch impfen lassen.“ Doch die nächste Kampfansage kommt sogleich: „Wir werden es uns nicht gefallen lassen, dass eine winzige Minderheit von enthemmten Extremisten versucht, unserer gesamten Gesellschaft ihren Willen aufzuzwingen.“ 

An keiner Stelle seiner Regierungserklärung macht Scholz klar, wo für ihn die Grenze zwischen den Millionen Ungeimpften, den vielen Tausenden friedlichen Demonstranten und jener winzigen Minderheit von enthemmten Extremisten verläuft. Gehört ihr etwa jeder Ungeimpfte, jeder Demonstrierende schon an? Scholz lässt das offen. 

Dann kommt der erstaunlichste Abschnitt dieser Regierungserklärung: „Unsere Gesellschaft ist nicht gespalten. Die überwältigende Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger verhält sich solidarisch, vernünftig und vorsichtig. Die Bundesregierung ist die Regierung dieser überwältigenden Mehrheit. Sie ist die Regierung aller solidarischen, vernünftigen und vorsichtigen Bürgerinnen und Bürger in diesem Land und sie ist ausdrücklich auch die Regierung derjenigen Bürgerinnen und Bürger, die noch Zweifel haben oder ganz einfach noch nicht dazu gekommen sind, sich impfen zu lassen.“ 

Was sich vielleicht zunächst wie ein Zeichen des Friedens anhört, ist also letztlich durch dieses „noch“ nur eine Aufforderung zur Kapitulation: Diejenigen, die sich weiter nicht impfen lassen, können sich von dieser Bundesregierung nicht vertreten fühlen. Für die Millionen Ungeimpften bleibt also nur die Wahl, sich doch noch impfen zu lassen, oder die Unsicherheit, ob sie denn nun zu jener „winzigen Minderheit von enthemmten Extremisten“ gehören, die Scholz indirekt zu Ausgebürgerten erklärt. 

Scholz hat gleich zu Anfang seiner Regierung eine große Chance versäumt, nicht als Corona-Kanzler, sondern als Kanzler des inneren Friedens anzutreten. Wie befreiend und befriedend wäre ein solcher Satz aus Kanzlermund gewesen: Auch wenn ich ihre persönliche Entscheidung gegen die Impfung schwer nachvollziehen kann und für unvernünftig halte, so will ich doch auch der Kanzler der Ungeimpften sein.

Seite an Seite
Mutmacher, die sich der gesellschaftlichen Spaltung widersetzen – Teil 2
Scholz, der der Partei Willy Brandts angehört und seine Regierung unter das sprachlich schiefe Pseudo-Brandt-Motto „Mehr Fortschritt wagen“ stellt, hätte sich ein anderes Brandt-Motto zum Vorbild nehmen können. Es lautet „Wandel durch Annäherung“ und stand über der neuen Ostpolitik. Wie damals eine sozialliberale Regierung den äußeren Feinden des Westens und den Spaltern Deutschlands die Hand reichte und das Gespräch mit ihnen suchte, um den Frieden in Europa und der Welt zu erhalten, hätte die neue Ampel-Regierung jetzt die Chance und die Verpflichtung, die innere Feindschaft in der deutschen Gesellschaft zu überwinden. 

Scholz hat heute vor dem Bundestag klargemacht, dass er kein Kanzler des inneren Friedens sein will. Er setzt auf Kampf, auf Unterwerfung oder völligen Ausschluss. Alles, was er schließlich noch im Rest der Regierungserklärung unter häufiger Nennung der Vokabeln Fortschritt und Respekt behauptete und ankündigte, verblasste dagegen. Fast schon zynisch erschien da gegen Ende ein Satz, den man sonst als Banalität hätte abhaken können: Die großen Probleme werde man nur dann bewältigen, „wenn uns unterwegs nicht der Zusammenhalt abhanden kommt“. 

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Kommentare ( 118 )

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Cluny
2 Jahre her

Teil III Die einen sind der Meinung, ihre Gesundheit und ihr Leben würden von den Ungeimpften gefährdet. Das ist eine sehr ernstzunehmende Sorge, ohne Zweifel. Die anderen hingegen fürchten genau wegen der Impfung um ihre Gesundheit und ebenfalls ihr Leben, und zwar nicht wegen des Piekses, sondern wegen von ihnen befürchteter anderer Konsequenzen (für die bekanntlich weder die Impfstoffhersteller noch die Bundesregierung Garantien gewähren), das ist ebenso ernst zu nehmen. Der gesellschaftliche bzw. menschliche Graben, der sich hier auftut, ist so dermaßen fatal, daß er selbst im günstigsten aller Fälle, nämlich wenn sich mit Omikron bis zum Frühjahr das Thema… Mehr

Cluny
2 Jahre her

Teil II Nun Corona: erstmals sind die Menschen zutiefst und direkt beeinträchtigt. Man muß Maske tragen, man darf nicht zum Sport, nicht in die Gastronomie, Freizeit fällt flach, man muß um seine Gesundheit fürchten, und das bis hin zum Todesfall. Das sind Themen, die keinen mehr kalt lassen. Die Klugen nicht, die einfacheren Gemüter nicht, selbst die Desinteressierten und die Nichtwähler nicht. Erstmals ist jeder Mensch in Deutschland direkt und persönlich betroffen. Das hat es, möchte ich behaupten, noch nie gegeben. Nie mehr seit „Wollt Ihr den totalen Krieg?“ hat ein Thema jeden einzelnen so stark berührt und beeinträchtigt (und… Mehr

Cluny
2 Jahre her

Teil II Nun Corona: erstmals sind die Menschen zutiefst und direkt beeinträchtigt. Man muß Maske tragen, man darf nicht zum Sport, nicht in die Gastronomie, Freizeit fällt flach, man muß um seine Gesundheit fürchten, und das bis hin zum Todesfall. Das sind Themen, die keinen mehr kalt lassen. Die Klugen nicht, die einfacheren Gemüter nicht, selbst die Desinteressierten und die Nichtwähler nicht. Erstmals ist jeder Mensch in Deutschland direkt und persönlich betroffen. Das hat es, möchte ich behaupten, noch nie gegeben. Nie mehr seit „Wollt Ihr den totalen Krieg?“ hat ein Thema jeden einzelnen so stark berührt und beeinträchtigt (und… Mehr

Cluny
2 Jahre her

Teil I Herr Scholz sagte in seiner RegErklä: „Aber was es eben heute auch gibt in Deutschland, das ist Wirklichkeits-Verleugnung. Das sind absurde Verschwörungsgeschichten, mutwillige Desinformation und gewaltbereiter Extremismus. Um es klar zu sagen: Eine kleine extremistische Minderheit in unserem Land hat sich von unserer Gesellschaft, unserer Demokratie, unserem Gemeinwesen und unserem Staat abgewandt. Nicht nur von Wissenschaft, Rationalität und Vernunft.“ Genau das gleiche, mit den gleichen Worten, wirft die Minderheit der Mehrheit vor. Scholz ignoriert, daß aus Sicht der Gegner jedes seiner Worte auf ihn selber zutrifft. Und: „Wir werden es uns nicht gefallen lassen, dass eine winzige Minderheit… Mehr

Last edited 2 Jahre her by Cluny
Rosalinde
2 Jahre her

Scholz war noch nie das hellste Licht auf der Torte. Er unterschlägt, dass ein nicht unerheblicher Teil der deutschen und internationalen Wissenschaftler ebenfalls zu den Kritikern gehören.

Cluny
2 Jahre her

Herr Scholz sagte in seiner RegErklä: „Aber was es eben heute auch gibt in Deutschland, das ist Wirklichkeits-Verleugnung. Das sind absurde Verschwörungsgeschichten, mutwillige Desinformation und gewaltbereiter Extremismus. Um es klar zu sagen: Eine kleine extremistische Minderheit in unserem Land hat sich von unserer Gesellschaft, unserer Demokratie, unserem Gemeinwesen und unserem Staat abgewandt. Nicht nur von Wissenschaft, Rationalität und Vernunft.“ Genau das gleiche, mit den gleichen Worten, wirft die Minderheit der Mehrheit vor. Scholz ignoriert, daß aus Sicht der Gegner jedes seiner Worte auf ihn selber zutrifft. Und: „Wir werden es uns nicht gefallen lassen, dass eine winzige Minderheit von enthemmten… Mehr

Daimondoc
2 Jahre her

Ein Unterschied zwischen Scholz und Münchhausen, ich sehe da keinen. Wirecard und andere Bankskandale, der ehemalige Finanzminister weiß von nichts. Und dieser jene will ein Land regieren na dann gut Nacht.

lauterbachleugner
2 Jahre her

Durch die totale Fehleinschätzung, die Impfung wuerde die Pandemie beenden, hat die Vorgängerregierung, der auch die SPD angehörte, die momentane Welle massiv verstärkt. Mit der Kampagne, die suggeriert Geimpfte wären ‚geschützt‘ und könnten wieder ‚Leben wie zuvor‘ verbreitet man bis heute Fehlinformationen die vielen älteren Menschen das Leben kosten. Glaubt man den Zahlen des RKI, so sind rund die Hälfte der Corona-Toten vollständig geimpft. Da man nicht davon ausgehen kann, dass keiner der Ungeimpften gestorben wäre, hätte er sich zuvor impfen lassen, sehe ich die gute Schutzwirkung der Impfung nicht mehr. Ohnehin sind fast alle Verstorbenen über 60. Der enthemmte… Mehr

Imre
2 Jahre her

Zugegeben, große Hoffnungen hatte ich in diese Kanzler nicht gesetzt. Aber dass sich ein Bundeskanzler derart selbst unglaubwürdig durch Nachgeplappere längst erwiesener Unwahrheiten macht, das ist schon eine erschreckende Aussicht! Der wird uns noch teuer zu stehen kommen, in mehrerlei Hinsicht.

Kevin Naumann
2 Jahre her

Hallo Herr Knauss, man sollte sich keine Illusionen machen und wissen, dass die Spaltung der Gesellschaft ein politisches Manöver ist, welches dem Machterhalt dient. Durch das ständige Wiederholen von Angstszenarien wird der Bürger dazu gedrängt, eine Abwehrreaktion hierauf entwickeln. Das Angebot eines Sündenbocks ist dazu geeignet, die Wut und die Unsicherheit des verängstigten Volkes zu steuern. Man schafft also einen Ausnahmezustand, bietet aber gleichzeitig die Lösung dessen an. Der Vernebelte ist, insofern er nicht gefestigt genug ist, bereit, dieses Angebot anzunehmen, denn geht meist mit Betäubungen wie Transferleistungen und einem identitätspolitischen Angebot an ihn einher. Diesen Vorgang würde ich als… Mehr