Die alte Merkel, die „neuen Freiheiten“ – und die böse Macht

Einst präsentierte sich Angela Merkel als große Freiheitsfreundin. Im Corona-Herbst ihrer Kanzlerschaft zeigt sie nun, dass es in ihrer Politikerlaufbahn nur eine große Liebe gibt: die zur Macht. Das bekam weder ihr noch dem Land gut.

IMAGO / Götz Schleser
Angela Merkel im Dezember 2003

Im Dezember 2003 erschien ein Buch mit dem Titel „Angela Merkel. Mein Weg“. Das Interview über mehr als 250 Seiten mit dem früheren FAZ-Herausgeber und langjährigen TE-Autor Hugo Müller-Vogg ist längst vergessen. Leider. Man sollte sich immer wieder erinnern, wie die Frau, die nun bald 16 Jahre regiert, sich vor ihrer Kanzlerschaft darstellte. 

So lohnt sich auch jetzt, nachdem man von der Kanzlerin nach dem Impfgipfel erfahren hat, dass es keine „neuen Freiheiten“ geben werde, ein erneuter Blick in dieses Buch. Schon Müller-Voggs Sätze aus der Einleitung lassen staunen: „Weil sie den Westen immer im Blick gehabt hatte, weil ihr bewusst war, wie marode die DDR war – materiell und vor allem geistig – bekennt sie sich heute stärker und engagierter zu der alten Bundesrepublik und ihren Werten als westdeutsche Altersgenossen . Angela Merkel idealisiert fast die Strukturen, die Adenauer und Erhard geschaffen haben.“  

Im ersten Kapitel „Werte und Motive“ kommt kaum ein Wort so oft vor, wie „frei“ oder Freiheit“. Auf Seite 17 fragt Müller-Vogg die damalige CDU-Chefin Merkel, was der Partei fehlen würde, wenn sie nicht 1990 in die Politik gegangen wäre, sondern, wie Merkel selbst sagt, „Kommunikationschefin in einem Chemieunternehmen“ oder „Leiterin eines Arbeitsamtes“ geworden wäre. Und Merkel antwortete anno 2003: 

„Der CDU würde jemand fehlen, der 35 Jahre seines Lebens in einem System ohne Freiheit gelebt hat und deshalb den einzigartigen Wert von Freiheit heute bei den ganzen Reformbemühungen, aber auch bei internationalen Konflikten in den Mittelpunkt politischer Entscheidungen stellt. Denn ohne Freiheit ist alles nichts.“ 

Man kann endlos aus diesem Buch schöpfen und findet anderthalb Jahrzehnte später immer wieder Nahrung zum wundern. Zum Beispiel wenn die spätere Energiewende-Kanzlerin ihren „Deutschland-Albtraum“ schildert: „Jeder besitzt eine Windmühle und glaubt sogar noch, er tue etwas für die Umwelt, vergisst aber die Subventionen.“

Oder wenn die spätere Willkommenskanzlerin sagt: „Die Zuwanderung kann etwas zur Lösung der demografischen Probleme beitragen. Allerdings muss es, siehe Amerika, eine gesteuerte Zuwanderung sein, die auch wirklich den Wohlstand des Landes hebt. Wenn wir die Auswirkungen der Zuwanderung nach Deutschland in den letzten fünfzig oder vierzig Jahren betrachten, dann fällt die Bilanz, wenn man die Sozialhilfe und alles hinzurechnet, negativ für Deutschland aus. … Gleichzeitig kostet die Integration der Zuwanderer viel Geld. Da wäre es billiger, das Geld gleich für die Rentner auszugeben. Über eine andere Familienpolitik kann ich also viel mehr auf die Entwicklung der Bevölkerung einwirken als über Zuwanderung.“

Merkel hat 2013 eine Wahl gewonnen mit der Parole „Sie kennen mich“. Tatsächlich ist die Frau, die sich 2003 als freiheitsliebende, zuwanderungsskeptische Erhard-Verehrerin darstellte, nicht mehr zu erkennen. Vermutlich gab es sie nie. Vermutlich verbergen sich hinter Merkels Politik, ob es nun um Energie, Zuwanderung oder die Corona-Pandemie geht, keine großen programmatischen Endziele.

Dieser Satz „Sie kennen mich“ offenbarte nach all den spektakulären Kehrtwenden, dem Ausverkauf der alten CDU-Positionen und unendlich vielen verschwurbelt-verwirrenden Sätzen, dass Merkel durchaus humorvoll ist. Es war Selbstironie. 

Vermutlich enthüllt auch ihr unfassbarer Satz über die „neuen Freiheiten“, die es nicht geben werde, nichts über die politischen Überzeugungen der Kanzlerin. Sie war nie eine große Freiheitsfreundin, so wie sie auch nie die überzeugte Wirtschaftsreformerin war, als die sie sich auf dem vergessenen Parteitag von Leipzig und in dem Müller-Vogg-Buch 2003 präsentierte. Sie war aber auch vermutlich weder damals noch heute eine heimliche Sozialistin oder dergleichen.

"keine neuen Freiheiten"
Merkels Impfgipfel der Unverschämtheit – Was plant sie wirklich?
Vermutlich ist Merkel eigentlich ein unpolitischer Mensch: Man findet weder in ihrer Biografie, noch in ihren Aussagen und Taten einen roten Faden von unumstößlichen Überzeugungen oder Zielen. Sie machte, wie ihr früherer Kabinettskollege Klaus Töpfer einmal sagte, „eine politische Karriere aus dem Nichts heraus“. Und Merkels Politik führt auch wieder ins Nichts. Aus ihrer Ära werden keine neuen Schöpfungen überdauern, sondern man wird sich an das erinnern, was sie „abgeräumt“ hat – wie es im Jargon ihrer Parteifreunde und Mitarbeiter so treffend heißt.

In Merkels Politikkarriere ist nur eines unverrückbar: der Wille zur Macht. Und Macht ist letztlich die Fähigkeit, anderer Menschen Freiheit zu beschränken. Das – und nicht irgendein anderes sachpolitisches Ziel – erklärt Merkels Widerwillen gegen die „neuen Freiheiten“.

Macht ist, wie Jacob Burckhardt feststellte, „an sich böse“. Darum muss sie in einem politischen System, das der Freiheit verpflichtet ist, streng begrenzt werden – auch zeitlich. Macht verändert nicht nur die Machtlosen, sondern auch diejenigen, die sie besitzen – je länger, desto stärker und verhängnisvoller. Mit ihrem unfassbaren Satz nach dem Impfgipfel hat Merkel uns diese Veränderung durch die lange Macht deutlicher offenbart als je zuvor. Dass ihr solch ein entlarvender Satz über die Lippen kam, zeigt aber auch, dass sie offenkundig unter einer Art Größenwahn leidet. Es ist wahrlich höchste Zeit, die Ära Merkel zu beenden.     

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Kommentare ( 184 )

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Juergen F. Matthes
3 Jahre her

Cui bono? ist die Frage nach Merkels Auftrag. Die Antwort lautet: Dem Sozialismus!. Nur so passen Biografie und Handeln zusammen.

StefanB
3 Jahre her

In einem FAZ-„Gastbeitrag“ (heute, Mittwoch) trommeln Merkel, Macron, UN-Chef Guterres, EU-Chefin von der Leyen, EU-Ratspräsident Michel: „Corona als Chance für eine neue internationale Ordnung“ Bei der Bewältigung der zahlreichen Herausforderungen sei der Multilateralismus nicht bloß eine x-beliebige diplomatische Technik. Statt Kulturen und Werte gegeneinander auszuspielen, müsse ein integrativerer Multilateralismus aufgebaut werden. „Dabei haben wir unsere Unterschiede genauso zu achten wie unsere gemeinsamen Werte, die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verankert sind“, so die Autoren abschließend. Ist die NWO in Form der One World keine politische Agenda? Abgesehen davon zeigt der Gastbeitrag, dass Merkel keine Grundrechte der deutschen Bürger mehr… Mehr

Korner
3 Jahre her

Altmeier denkt über den Verkauf des Tafelsilbers nach. Das bedeutet wohl, dass die Kassen langsam zur Neige gehen. Vielleicht hilft ein Kollaps, um diese Verbrecher aus den Ämtern jagen zu können.

SuGie
3 Jahre her
Antworten an  Korner

Genau das ist es, was von diesen Leuten angestrebt wird, um so ihren diabolischen Plan des „Great Reset“ durchzuziehen. Die Kapitalverschiebungen von fleißig zu reich hat bereits derart an Fahrt zugelegt, dass ein Zusammenbruch für sie ziemlich peripher vorbeizieht. Die Propaganda für diesen Plan lautet: „In 10 Jahren werden Sie nichts mehr besitzen und glücklich darüber sein. Alles, was Sie zum Leben benötigen, werden wir Ihnen leihen!“ Aha- wer ist denn wir? Es kristallisiert sich also einer kleiner Kreis heraus, der dann alles besitzt und wohlwollend an uns Deppen „vermietet“? Zu welchen Bedingungen? Darf der „Mieter“ dieser Dinge dann noch… Mehr

horrex
3 Jahre her

Gertrud Höhlers „Die Patin“ von 2012 sei in diesem Zusammenhang ebenfalls erwähnt.

MariaundJosef
3 Jahre her
Antworten an  horrex

Frau Prof. Höhler, ein gern gesehener Gast in früheren ( echten) „ Talk-Shows“ , wird heute von den ÖR gemieden, wie der Teufel das Weihwasser. „ Die“ wissen nämlich alle, wie armselig sie gegenüber dieser intelligenten „ Grande Dame“ aussehen würden. Man muss sich nur einmal diese grüne Frau vorstellen, die Kanzler:in werden möchte..Ach du lieber Himmel, kann man da nur seufzen…

Entenhuegel
3 Jahre her

Ich kann dazu auch das Buch von Maaz/Czychol/Czychol „Corona-Angst“ und sonstige Publikationen von Maaz empfehlen. Maaz hat wenig Hemmungen, die „Normopathie“ der Mächtigen als solches zu benennen…

omma boese
3 Jahre her

es wird sich NICHTS ändern
von der heerschar ihrer günstlinge und palastwächter
wird der eiskönigin tagtäglich vorgejubelt, daß sie gar nichts falsch
machen kann….

Egon Rudel
3 Jahre her

Vieles würde sich erklären, würde man Merkel von Russland installiert ansehen. Vor der Wende vollkommen unbekannt und unpolitisch steigt sie danach sofort und mühelos zur Ministerin und zur Kanzlerin auf. Es kann doch nicht sein, dass die Russen keine Bedingungen zur Wiedervereinigung gestellt haben, und während die westlichen Alliierten die Einbindung in den Euro forderten, wollten die Russen vielleicht, dass Merkel Kanzlerin wird. Die CDU hat das eine und hätte auch das andere sofort eifrig unterschrieben. Die Energiewende z.B. könnte auch das Ziel haben, Deutschland unwiderruflich abhängig von russischem Gas zu machen, während die Grünen schlafen und von Taka-Tuka-Land träumen.

Carlotta
3 Jahre her
Antworten an  Egon Rudel

PUTIN dürfte ja die Kopie des Lebenslaufs vorgelegen haben….

M. Rudolfski
3 Jahre her

Wenn man dieses Merkelfoto aus jüngeren Jahren betrachtet, fällt in ihrem Blick eine fast unheimliche Leere auf und das völlige Fehlen von Empathie. Zu einer solchen Person möchte man auf Abstand gehen. Es ist fast, als trage sie einen Schleier vor den Augen, um ihr wahres Wesen zu verbergen. Sehr aufschlussreich scheint mir auch ein Gespräch, das Günter Gaus 1991 mit ihr führte. https://www.youtube.com/watch?v=YQBslPEZceI An einer Stelle will Gaus wissen, warum sie erst so spät zum demokratischen Aufbruch gestoßen ist, als es dabei schon nichts mehr zu riskieren gab. Ihre Antwort ist, dass sie ein tiefes Misstrauen gegenüber basisdemokratischen Gruppierungen… Mehr

Uwe Jacobs
3 Jahre her
Antworten an  M. Rudolfski

Danke. Was Sie schreiben sehe ich auch so. Und hoffentlich werden wir diese widerliche, antidemokratische Person so schnell wie möglich los. Für immer und ewig!

Solbakken
3 Jahre her

Ich habe damals das Interview-Buch von Müller-Vogg gelesen und nicht durchschaut, wie Frau Merkel wirklìch gestrickt ist. Vielen Dank an die Verfasser und Kommentatoren geistreicher und zutreffender Artikel hier auf TE. ABER: Noch ein Artikel, noch ein Artikel, noch ein Kommentar usw. wird nicht viel nützen. Ist jeder, der hier schreibt schon auf Demonstrationen gewesen? Und hat versucht, Freunde, Verwandte, Bekannte mitzunehmen? Hat jeder, der hier schreibt -außer für TE natürlich- schon gespendet, zum Beispiel für den herausragend guten Corona-Ausschuss? Was die vier Juristen, unterstützt von Wolfgang Wodarg und anderen Fachleuten, leisten, ist bewundernswert. Die Oval Media, auf deren Plattform… Mehr

finstererrao
3 Jahre her

Schon nachdem sie damals Kirchhof fallengelassen hatte, war klar, dass diese Frau keinerlei Grundüberzeugungen hat und es ihr immer nur um ihre persönliche Macht ging. Sie ist halt gerne einfach nur Kanzlerin. Was und wer dem im Weg steht, wird abgeräumt. Das ist für mich in Ordnung. So geht Macht. Nicht in Ordnung ist, dass so jemand mit Hilfe der Presse immer wieder zum Bundeskanzler gewählt wird. Wie behämmert muss ein Volk sein, jemanden zu wählen, der so offensichtlich gegen die Interessen des ihm anvertrauten Staatsvolks handelt und das auch noch plump als moralisch wertvoll verkaufen möchte? Und wieso will… Mehr