Spaniens Regierung will die Corona-Pandemie hinter sich lassen

Nach der Madrider Regionalregierung hat auch die spanische Zentralregierung beschlossen, das Virus als wichtigstes Problem hinter sich zu lassen. Die Wirtschaft hat eindeutig Vorrang bei den aktuellen politischen Entscheidungen in Spanien.

IMAGO / Agencia EFE
Pedro Sánchez, der Premierminister Spaniens, bei einer Pressekonferenz am 29. Dezember 2021.

Der Unterschied zwischen Spanien und Deutschland liegt im Beginn der Pandemie. Dass in Spanien gemäβ offizieller Angaben rund 91.000 Menschen an dem Virus gestorben sind, davon schon 40.000 in den ersten vier Monaten, hat alles verändert. Deutschland kommt nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) bisher auf rund 115.000 Tote, bei einer fast doppelt so hohen Bevölkerungszahl.

Dass Spanien seit Monaten politisch so locker mit der Pandemie umgehen kann, beruht allein auf dem Trauma der Bevölkerung, das die Menschen von sich aus sehr vorsichtig gemacht hat. Die Maske wird auch im Freien kaum ausgezogen. Premier Pedro Sánchez hatte anfänglich viel zu spät reagiert auf die sich anbahnende Gesundheitskrise. Am 8. März 2020 hatte er noch eine Massen-Demonstration zum Frauentag zugelassen. Eine Woche später wurde der Alarmzustand ausgerufen, und 2,5 Monate lang durften die Bürger nur für notwendige Einkäufe und essenzielle Arbeiten das Haus verlassen.

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Inzwischen wurden die Maβnahmen als verfassungswidrig eingestuft. Sánchez’ Regierung steht nicht nur deswegen, sondern auch wegen knapper Mehrheiten im Parlament immer noch unter enormem Druck. Sánchez muss seine Fehler bei der Gesundheitskrise zu Beginn kompensieren und kündigte deswegen an, dass Covid-19 in naher Zukunft ähnlich behandelt werden soll wie die Grippe. Das heiβt, es wird nicht mehr jeder Fall gezählt und auch eine gesetzliche Quarantäne wird nicht mehr erforderlich. Das Land und seine Wirtschaft sollen 2022 wieder durchatmen können. Die Regierung setzt weiter auf Impfungen, aber verstärkt auch auf Medikamente zur Behandlung des Virus.

Die Spanier hätten die Wissenschaft nicht wie in Deutschland in Frage gestellt, behauptet der deutsche Epidemiologe Christian Drosten, und eine Impfquote von fast 90 Prozent. Die Spanier hätten verstanden, dass die Impfung sie nicht nur schützt, sondern tatsächlich Freiheit bringt. Möglicherweise war es aber auch die realitätsnähere Regierung.

Die Pandemie ist politisch so gut wie abgehakt

Madrid startete vor einem Jahr mit einer Öffnung der Theater, Konzerthallen und Kinos. Die Regional-Präsidentin Isabel Díaz Ayuso wurde deswegen von vielen gefeiert. Sánchez folgte ihrem erfolgreichen Beispiel. Im Mai 2021 wurde der Alarmzustand aufgehoben, und die 17 autonomen Regionen konnten nun selbst entscheiden, wie sie mit der Pandemie umgehen. In den meisten Fällen sind die Fußballstadien wieder gefüllt, die Schulen blieben auch jetzt überall offen, es wird dort nicht getestet, und in Madrid findet in diesen Tagen sogar die internationale Touristikmesse Fitur statt. Mit dieser Pragmatik hat sich die spanische Regierung viele moralische Diskussionen erspart, mit denen die deutsche Gesellschaft derzeit gequält wird. Andere Themen, aber nicht die Pandemie, haben Spanien gespalten.

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Der kopflose Impfpflicht-Rückzug des Corona-Kommandeurs
Zwar wird das Wort „Freiheit“ auch immer wieder von der Madrider Konservativen Ayuso als Waffe in Bezug auf die Pandemie-Strategie eingesetzt, aber de facto gibt es in Spanien nur wenige vermeintliche Querdenker oder als Verschwörungstheoretiker beschimpfte Bürger. Dafür gibt es auch keinen Anlass: Nichtgeimpfte werden keinesfalls öffentlich geächtet wie in Deutschland,  zumindest in den meisten autonomen Regionen nicht. Es gibt allerdings auch keine Gratis-Testcenter.

Die spanische Regierung hat auch nicht mehr viel Spielraum für Auflagen und Restriktionen, weil die mentale Lage der Bevölkerung kritisch ist und die Probleme anerkannt werden. Die Zahl der Selbstmorde und psychischen Krankheiten hat aufgrund der selbst auferlegten Isolierung vieler Menschen zugenommen. Elf Menschen bringen sich nach offiziellen Angaben im Durchschnitt jeden Tag um. Männer machen Zweidrittel der Opfer aus. Noch nie hatte Spanien so hohe Freitodzahlen. Auch die Geburtenrate ist anders als in Deutschland zurückgegangen. Doch darüber wird debattiert während in Deutschland der Gesundheitsminister behauptet, es gäbe derartige Probleme bei Kindern einfach nicht.

Spaniens Gesellschaft ist psychisch angeknackst wegen der Pandemie

„Eine auf Gruppen und soziale Kontakte basierende Gesellschaft leidet besonders unter der selbst auferlegten Isolierung und den fehlenden Umarmungen“, sagt die im Madrider Krankenhaus Ramón y Cajal arbeitende Psychologin Patricia Fernández, die selbst durch die Pandemie an ihre Grenzen kam. In den Krankenhäusern sitzen aber auch die meisten Gegner der lockeren Pandemie-Strategie in Spanien. Sie sind seit zwei Jahren komplett überlastet und die Leidtragenden der aktuell hohen Inzidenzen. Das betrifft nicht nur die Intensiv-Pflege, sondern auch die primäre Krankenversorgung, wo die Belastung seit zwei Jahren enorm ist. Viele Ärzte melden sich krank oder geben sogar ihren Job auf. Es war schon immer so, dass die Vermittlung zu den Fachärzten in Spanien nicht funktionierte. Jetzt hat sich das Problem verschärft.

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Pfleger-Exodus: Wie die Impfpflicht eine Branche zerstört und die "Pandemie-Helden" demütigt
Die meisten Bürger haben eine private Zusatzversicherung, um schneller zum Dermatologen oder Orthopäden zu kommen. Die Anbieter dieser Dienstleistungen gehören deswegen eindeutig zu den Pandemie-Gewinnern. Verlierer ist jedoch wie in vielen anderen Ländern das Pflegepersonal im öffentlichen Dienst, das mehr als enttäuscht ist von der Politik. Versprechen von besseren Löhnen und Arbeitsbedingungen wurden nicht eingehalten. Spaniens Staat kann sich 2022 noch auf einige Streiks und Klagen gefasst machen.

Ein Kampf scheint schon mal gewonnen: Ein Gericht in Valencia hat entschieden, dass das medizinische Personal entschädigt werden muss, weil es am Anfang der Pandemie ohne Schutzkleidung arbeiten musste. Das Urteil wird noch einige Prozesse und Debatten in Spanien nach sich ziehen, auch wenn die Politik sich von dem Thema verabschieden will. Spaniens Gerichte erscheinen weniger regierungshörig zu sein als ihre deutschen Pendants.

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Kommentare ( 28 )

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HalberSpanier
2 Jahre her

Ich wohne seit mehreren Jahren in Spanien und kann aus persönlicher Erfahrung nur folgendes sagen: Ja, wir hatten im März/April 2020 einen ziemlich strengen und – wie bekannt – einen nicht verfassungskonformen ‚Lockdown‘, was auch später dazu führte, daß alle ‚Bußgelder‘ zurückerstattet wurden. Aber: Der Maskenzwang kam erst lange nach dem Lockdown. Danach waren durchgehend alle Schulen offen, ebenso Frisöre und sonstige Einrichtungen. Niemand pöbelt einen an, man geht meist höflich miteinander um, und die Polizei hält sich zurück. Wer derzeit draußen eine Maske trägt, kann das gern tun. Und wer keine Maske trägt, wird nicht darauf angesprochen. Niemand hat… Mehr

Donostia
2 Jahre her

Wer sich die Seite 26 vom RKI Wochenbericht mit Datum 13.01.21 anschaut wird bemerken, dass am Omikron Virus in der Woche 50/2021 bis Woche 01/2022 (4 Wochen) insgesamt 23 Menschen an Omikron gestorben sind. In der Altersklasse 18-59 war kein Toter zu vermelden der ungeimpft war. Dafür ein Toter der doppelt geimpft und einer der geboostert war. In der Altersklasse 60 und älter gab es 8 Tote die ungeimpft waren, 9 die doppelt geimpft waren und 4 die geboostert waren. Wie gesagt wir sprechen bei Omikron über 4 Wochen von 23 Toten. In Deutschland sterben im Straßenverkehr ca. 4500 /… Mehr

tomo
2 Jahre her

Ich bin kein Wissenschaftler, aber Spanien hat doch eine der höchsten Impfquoten weltweit? Gab es nicht die schärfsten Lockdownmassnahmen weltweit, mit Ausgangssperren etc.?
Natürlich ist jetzt eine Lockerung möglich. Impfpflicht braucht es da nicht. Es gab viele Tote und nun ist die Lage entspannt. Ich freue mich für Spanien und hoffe auf eine Signalwirkung.

November Man
2 Jahre her

Mal sehen wer als erster nach schweren Sanktionen gegen den EU-Abweichler Spanien schreit.
Denken kann man es sich, wer nicht der vorgegeben linken Mainstream-Meinung unterwürfig folgt und eine eigene Meinung hat wird dafür bestraft.

November Man
2 Jahre her

Man kann nachlesen, dass die spanische Regierung aufgrund eines Urteils des Verfassungsgerichts alle verhängten und eingenommenen Bußgelder wegen Corona-Verstößen an die Betroffenen und bestraften Bürger zurückzahlen muss.
Spanien zahlt Bürgern die Corona-Strafgelder zurück | STERN.de Das Verfassungsgericht in Spanien hat den Alarmzustand während der Corona-Pandemie für verfassungswidrig erklärt. Der Staat will nun die verhängten Bußgelder zurückzahlen.
Solche Gerichte haben wir leider nicht.
https://www.stern.de/politik/ausland/spanien-zahlt-buergern-die-corona-strafgelder-zurueck-30862948.html

Donostia
2 Jahre her

Die Spanier hätten die Wissenschaft nicht wie in Deutschland in Frage gestellt, behauptet der deutsche Epidemiologe Christian Drosten, und eine Impfquote von fast 90 Prozent. Die Spanier hätten verstanden, dass die Impfung sie nicht nur schützt, sondern tatsächlich Freiheit bringt.
An diesem Satz erkennt man wie sinnfrei ein Herr Drosten argumentiert. Wenn 90% geimpft sind wie kommt es dann zu Inzidenzien von fast 2000? Quelle hier: Aktuelle Corona Zahlen für Spanien | COVID-19 Statistik (corona-zahlen-heute.de)
Das die Impfung wenig bis gar nichts nutzt, kann man denke ich hier einfach ableiten.

K.Weber
2 Jahre her

115.000 Coronatote – so unkommentiert im Text? Das RKI hat doch schon zugegeben, dass davon min. 85% nicht ursächlich an Corona gestorben sind, sondern andere Todesursachen bei positiven Testergebnis hatten. Und dies oftmals völlig unsymptomatisch. Kritische Wissenschaftler gehen von 94-97% aus. Diese Falschzählung erfolgte aus gewünschter Panikmache der die Politik auch über monetäre Anreize für Krankenhäuser und Ärzte. Also defacto gibt es ca. 5-15.000 echte Coronatote in 3 Wintersaisons. Fazit: Milde Grippejahre! Dagegen berichtet Dr.Frank heute in der Achse über möglicherweise 100.000 Tote durch die Impfung in 2021. Soviel zu den Zahlen. Zu Spanien: Schön, dass so viele, nun auch… Mehr

Edwin
2 Jahre her

„Die Maske wird auch im Freien kaum ausgezogen.“ Meine Beobachtungen hierzu: Ich war in der zweiten Augusthälfte 2021 für gut 2 Wochen und jetzt zwischen Weihnachten und Neujahr 1 Woche in Barcelona. Im August, also im Hochsommer, als es mehr als 30 Grad hatte, haben nach meiner Einschätzung rd. 80% (!) die Maske auch im Freien (in den Straßen, auf den Plätzen und Ramblas und sogar am Strand) getragen und das sogar beim Joggen und Radfahren. Jetzt an Weihnachten/Neujahr haben, obwohl am 23.12. die allgemeine Maskenpflicht auch im Freien wieder eingeführt wurde, weit weniger als 50% die Maske draußen getragen.… Mehr

Klaus-Dieter L.
2 Jahre her
Antworten an  Edwin

Die Aiussage kann ich zu 100% bestätigen. Ich war im August, im Oktober und im Dezember in Spanien. Im August sah man fast keinen, selbst in der freien Natur ohne Maske. Im Oktober war alles völlig problemlos, es gab fast keine Maskierten, auch nicht in den Städten. Und in der zweiten Dezemberhälfte wurden wegen der steil ansteigenden Inzidenzen die Vorschriften verschärft: 3G in Restaurants und außen Maskenpflicht, wenn es zu voll war, um Abstände einzuhatten. Dennoch war die Maskenquote deutlich geriner als im August. Ich hatte das Gefühl, dass die Spanier die Masken mittlerweile leid sind.

wannseeklaus
2 Jahre her
Antworten an  Edwin

Ich war von Mitte September bis Ende Oktober auf Menorca . Es wurde im Freien sehr selten eine Maske getragen. Was in meinen Augen sehr wichtig ist, man konnte über Corona kontrovers diskutieren ohne angefeindet zu werden!

thinkSelf
2 Jahre her

Da ist die Autorin ja voll auf das Narrativ einer „Pandemie“ und damit der Staatspropaganda auf den Leim gegangen. Wie übrigens auch die meisten Spanier, die sich weiterhin als voll totalitärkompatibel erwiesen haben.
Spanien, Italien, Deutschland, Österreich. Ich kann mich da irgendwie dunkel erinnern das die schon mal im politischen Gleichschritt marschiert sind. Es scheint da doch mehr mentale Übereinstimmungen zu geben, als an der Oberfläche offensichtlich ist.

Das sich die spanische Justiz die ganze Zeit über tatsächlich als weniger regierungshörig erwiesen hat als in D, ist allerdings ein nicht zu unterschätzender Lichtblick.

August Klose
2 Jahre her

Sehr geehrte Frau Müller, eine Maske wird angelegt bzw. abgeleget, bestenfalls noch auf- oder abgesetzt aber niemals an- oder ausgezogen, ist ja kein Kleidungsstück.