Im vermeintlichen „Ohio Italiens“ hoffte die Linke auf ein Comeback – doch statt eines Triumphs in den Marken erlebte sie ein Debakel. Ausgerechnet Giorgia Melonis Fratelli d’Italia bauten dort ihre Macht weiter aus. Ein Menetekel für den deutschen Osten.
picture alliance / ipa-agency | Giusy Marinelli
Die Marken sind eine kleine Region. Hier leben rund 1,5 Millionen Menschen auf weniger als 10 Millionen Quadratkilometern. Die Landschaft ist bekannt für ihre Renaissance-Städte Pesaro und Urbino, den wichtigen Hafen Ancona und das Heiligtum von Loreto. Ansonsten eine ruhige, lauschige Gegend, deren Bedeutung eher in der Geschichte als in der Gegenwart liegt.
Gäbe es nicht Journalisten und Politiker. Im Mai verstieg sich die Turiner Tageszeitung „La Stampa“ zu der kolossalen Behauptung, die Marken seien das „neue Ohio“ Italiens. Kurzerhand wurde die verschlafene Region an der Adria-Küste zum Wahlkampf-Hotspot.
Die Linke griff das Konzept begierig auf. Seit dem Aufstieg Giorgia Melonis haben der sozialistische Partito Democratico (PD) und die linksalternative 5-Sterne-Bewegung (M5S) in erster Linie Wahlniederlagen kassiert. Ein Achtungssieg in den Marken bedeutete da die Chance, durch einen einzigen Sieg Momentum zu gewinnen. Wer Ohio gewinnt, gewinnt die US-Wahl – und wer die Marken gewinnt, vielleicht die nächste italienische Parlamentswahl?
Plötzlich war der Wahlkampf in der kleinen Region ein nationales Ereignis. Elly Schlein, die den PD zuverlässig von einer Schicksalsrede zur nächsten zerrt, ohne jemals an Popularität zu gewinnen, ließ sich zu der Aussage hinreißen, dass sie nicht in den Umfragen, aber sehr wohl bei den Wahlen gewinnen würde.
Dabei waren die Umfragen den Linken freundlich gesinnt. Die einen erwarteten ein „Kopf-an-Kopf“-Rennen, andere, wie die linke Tageszeitung Repubblica, erwarteten sogar einen Vorsprung des Anti-Meloni-Lagers. Ein farbloser Kandidat wie der linke Herausforderer Matteo Ricci wurde da in einem Moment, der starke Parallelen mit der Manie um Martin Schulz bei der Kanzlerkandidatur aufwies, zum Hoffnungsträger aufgebaut. Aber eben in einem Teil Italiens, der in etwa so viele Einwohner hat wie die Industriestadt Mailand.
Aber auch das erinnerte an die US-Wahlkämpfe (und so manche Kampagne in Deutschland): Der linke Kandidat, der in einer zur Schicksalswahl hochinszenierten Kampagne als neuer Star gehandelt wurde, stürzt am Wahltag ominös ab.
Das „italienische Ohio“ wollte als Swing-State einfach nicht liefern. Am Ende verteidigte Amtsinhaber Francesco Acquaroli seinen Posten so souverän, dass die Blamage für den PD noch heftiger ausfiel. Denn Acquaroli, der Melonis Fratelli d’Italia (FdI) angehört, holte nicht nur rund 53 Prozent der Stimmen und deklassierte damit seinen Gegner Ricci (44 Prozent); die FdI fuhren mit 27 Prozent das stärkste Ergebnis ihrer Geschichte zwischen Apennin und Adria ein. Der PD schaffte es auf 22 Prozent.
Das ist für die Roten aus mehreren Gründen bitter. Denn das angebliche „Ohio“ ist gar kein Swing-State. Es war über Jahrzehnte eine Hochburg der Linken. Von 1978 bis 2020 haben – mit 3 Jahren Unterbrechung unter Rodolfo Giampaoli (Christdemokraten) – durchweg linke Ministerpräsidenten die Marken regiert. Die Taktik war: den „Unfall“ des rechten Wahlsieges von vor 5 Jahren zu beheben, aber als möglichst großen Triumph zu verkaufen. Dass die FdI jetzt den PD auch noch bei den Stimmen als stärkste Partei überflügelt hat, das wagten Schlein und ihre Sozialisten nicht einmal zu albträumen. Statt einer Rückkehr stehen sie vor einem Scherbenhaufen. Melonis Vorsprung ist gewachsen.
Mit Genugtuung widmet Acquaroli den Wahlsieg seiner Freundin Giorgia. Das ist Salz in den Wunden der Linken. Wie konnte die Vorstellung reifen, dass diese überhaupt eine Chance hatte, das Bündnis aus FdI, Lega und Forza Italia zu überflügeln? Schlein und ihre Genossen hatten arithmetische Spiele betrieben. Seit Melonis Amtsantritt als Regierungschefin haben PD und M5S – früher Erzfeinde – eine Allianz geschmiedet. Bei den Regionalwahlen treten sie mit einem gemeinsamen Kandidaten auf.
Aber der M5S ist seit Jahren im freien Fall. Die Hoffnungen, die zahlreiche jüngere Italiener in sie gesetzt haben, sind längst verpufft. Zu oft haben die „Grillini“, die Erben des Komikers und Parteigründers Beppe Grillo, sich als inkompetent, zerstritten und egomanisch gezeigt, statt die versprochenen Lösungen zu liefern. Das ist aber offenbar nicht alles. Immer noch hegen zahlreiche M5S-Anhänger Ressentiments gegen den PD. Sie bleiben zuhause, wenn nicht ihr Kandidat forciert wird. Allein bei dieser Wahl ist der M5S auf 5 Prozent geschrumpft. Das ist ein einzelner Sitz im Regionalparlament.
Unterm Strich wäre die Marken-Wahl ein politisches Ereignis, über das es sich nördlich von Pesaro kaum zu berichten lohnen würde. Das Delirium der Linken ist dagegen so gewaltig, dass es selbst Alpen und Donau überquert. Dasselbe Phänomen wie bei den US-Demokraten, der SPD und Labour zeigt sich auch beim PD. Der mangelnde Realitätsbezug, das Unwissen bezüglich der realen Probleme, gepaart mit der Überzeugung, es im Zweifel besser zu wissen, führt zu einer gefährlichen Melange. Die SPD hat das einst in den 20-Prozent-Turm geführt – der seit einigen Jahren zum 10-Prozent-Kerker geworden ist.
Dass sich die europäischen Sozialisten am US-Modell der Demokraten orientieren, war früher – unter Clinton, unter Obama – ein Erfolgsrezept. Seitdem es bedeutet, Migration, Identitätspolitik und eine unbezahlbare grüne Wende in den Mittelpunkt zu stellen, schlafwandeln sie in die Krise. In den USA reagieren sie mit Aggressivität auf den Machtverfall, in Deutschland deutet sich Ähnliches an. Sie träumen immer noch vom Sieg im Swing-State Ohio.
Aber Ohio ist kein Swing-State mehr. Seit Jahren nicht. Die internationale Linke lebt in der Vergangenheit und verschließt die Augen vor der Zukunft. Solange sie an der Macht ist, kann sie ihre Probleme mit Gesetzen und Verboten regeln. Das ist aber in den USA und Italien nicht mehr der Fall. Ohio ist republikanisch, und die Marken sind Fratelli-Land. In Deutschland ist es der Osten des Landes, der einst Swing-State war, aber wo heute längst eine andere Kraft dominiert. Die Marken sind nicht Ohio. Aber Sachsen-Anhalt könnte wie die Marken werden.

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Sehr witziger Artikel. Hab ihn vollständig gelesen, obwohl der Inhalt von Null Interesse und Null Belang ist. Schön geschrieben, Herr Gallina!
Besonders witzig: Melonis Politik als nicht Links zu verkaufen.
Es ist fraglich ob da Parallelen zu einer Wahl in Deutschland gezogen werden können. Migration ist ein gemeinsames Problem-Thema, – aber kaum alles. Bei uns haben die Linken den Vorteil, nie in der Regierung gewesen zu sein und damit für nichts verantwortlich zu sein, – außer für die Wahl der Richter am BVerfG, – die jetzt das AfD-Verbotsverfahren betreiben. DAS wird das nächste Wahlergebnis beeinflussen. Wie in Lu-hafen gewinnt dann die CDU.
Italien kippt womöglich gerade nach Links, Zehntausende sind auf den Straßen und demonstrieren in schlimmster linker Manier für die Palästinenser in Gaza und gleichzeitig gegen Melonis Politik. Eine gefährliche Schieflage nach Links für Italien entsteht da!
Doch noch immer wird Europa von einer vdL und ihrer grossen Transformation, ihrem Green Deal uswusf in der Orkus manövriert. Wann hört das endlich auf ? Die regionalen Erfolge der konservativen Parteien wirken noch immer nicht.
Die italienischen „Linken“ sind genau wie die dt. SPD eine Triade. Nach JFK werden Parteien, die sich nicht weiter entwickeln, zur Triade. Es geht nur noch um Pöstchen und Korruption. Der Wahlausgang ist dann auch völlig egal. Zur Not kommt „große Brudä“.
Ob das Boot nach Backbord oder nach Steuerbor umkippt, macht keinen Unterschied. Das Gleichgewichtsollte sein, was aber in unserem System nicht geht, per Betriebssystem.
Es muss kein Gleichgewicht zwischen Linken und Rechten politischen Ansichten geben. Die Vernunft und Tatsachen müssen ausschlaggebend sein.
„Es muss kein Gleichgewicht zwischen Linken und Rechten politischen Ansichten geben.“ – es DARF so etwas nicht künstlich erzeugt werden; das wäre wie Quotenfrauen. Wohin dies führt, erkennen wir gerade.
Der PD ist keine Partei, sondern eine Wahlliste aus 6 linken bis linksextremen Klitschenparteien, die alle um die 3 Prozent herum dümpeln und damit alle durch den Rost fallen, wenn sie einzeln zur Wahl antreten. Der einzige Grund für den Zusammenschluss ist also das ergattern von Pöstchen. Dementsprechend ist der Verschleiß an Vorsitzenden hoch, weil man sich auf so gut wie nichts einigen kann außer halt das ergattern von Pöstchen.