Landesregierungen und Industrie mauerten beim Bundeshochwasserschutz

Nordrhein-Westfalens Landesregierung unter Armin Laschet war gegen einen Hochwasserschutz auf Bundesebene - man sah dafür „keine ausreichende Veranlassung“ und auch „keinen Mehrwert“. Auch die SPD-geführte rheinland-pfälzische Regierung hatte 2020 dagegen opponiert.

IMAGO / Political-Moments
Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) von Rheinland-Pfalz und NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) im Bundesrat

Kommt es auf tragische Weise zu spät, wenn das Bundesinnenministerium ausgerechnet wenige Tage nach dieser verheerenden Hochwasserkatastrophe einen Raumordnungsplan im Hochwasserschutz fertiggestellt hat?

Dieser länderübergreifende Hochwasserschutz liegt allerdings schon viel länger auf dem Tisch, die Parallelität von Planungsabschluss und eingetretener Katastrophe ist zufällig.

In einer Pressemitteilung vom 28. September 2020 teilte Seehofers Bundesinnenministerium mit, dass ein Beteiligungsverfahren zum Raumordnungplan jetzt beginnen würde. Die Idee dahinter formulierte das Ministerium so:

„Die Bundesregierung plant, den Hochwasserschutz in Deutschland zu verbessern. Daher entwickelt das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) einen länderübergreifenden Bundesraumordnungsplan für den Hochwasserschutz (BRPH). Nun wird das Beteiligungsverfahren eingeleitet.“

Im Klartext heißt das, dass die Öffentlichkeit damals Zeit bekam (bis zum 6. November 2020) sich zur die Kompetenzen der Bundesländer beschneidenden Verlagerung eines Teils der Entscheidungen im Katastrophenschutz auf Bundesebene zu äußern.

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Dazu erklärt Markus Kerber, Staatssekretär im Bundesinnenministerium im Vorfeld: „Hochwasser macht nicht an Landes- und Staatsgrenzen halt. Schutzmaßnahmen müssen die Flussgebiete als Ganzes in den Blick nehmen: Von der Quelle bis zur Mündung. Es ist daher richtig und wichtig, dass wir mithilfe des länderübergreifenden Raumordnungsplanes erstmals bundesweite raumordnerische Standards in der Hochwasservorsorge setzen.“

Schon im September 2020 war geplant, diesen länderübergreifenden Raumordnungsplan für den Hochwasserschutz im 3. Quartal 2021 in Kraft treten zu lassen. Also im Juli 2021.

Der Bundesraumordnungsplan für den Hochwasserschutz wurde aber nicht zuletzt von der nordrhein-westfälischen Landesregierung unter Laschet und von Industrieunternehmen torpediert. Die CDU-geführte Landesregierung NRW sah dafür „keine ausreichende Veranlassung“ und auch „keinen Mehrwert“. Aber auch die SPD-geführte Landesregierung von Rheinland-Pfalz opponierte. SPD-Innenminister Roger Lewentz befürchtete, der Plan werde «massive Einschränkungen landes- und regionalplanerischer Entscheidungsspielräume zur Folge» haben. Für Städte und Dörfer vor allem an großen Flüssen ergäben sich «dramatische Einschnitte ihrer Entwicklungsmöglichkeiten nicht nur im Außen-, sondern auch im Innenbereich».

Kurz zum Verständnis: Vereinfachend zusammengefasst geht es in diesem „Bundesraumordnungsplan Hochwasserschutz“ darum, ganzheitlicher vorzugehen, also eine Schutzmaßnahme in einem Bundesland am selben Fluss nicht zum Nachteil der Anwohner eines Flussabschnitts in einem anderen Land geraten zu lassen. Die Fachbegriffe hierfür sind z.B. „Unter- und Oberliegerschutz“, also Schutzmaßnahmen, die sowohl den flussabwärts als auch flussaufwärts liegenden Anrainern zugutekommen.

Ebenso sollen übergreifende Themen wie Umweltschutz, regionale Bepfindlichkeiten und der Schutz von bestimmten Anlagen von nationaler und europäischer Bedeutung mit bedacht werden, wie es das Innenministerium so in seiner Pressemitteilung vom September 2020 beschreibt.

Der Bundesinnenminister wusste daher schon damals, was er den Ministerpräsidenten der Länder schuldig ist, schließlich war Seehofer selbst einmal im Amt eines solchen, also wurde den Landesvätern- und müttern erst Mal Honig geschmiert: „Von Seiten der Landes- und Kommunalplanung sowie der Wasserwirtschaft ist der Hochwasserschutz in den letzten Jahren schon deutlich verbessert worden. Der Bundesraumordnungsplan soll nun bestehende Regelungen mit neueren Anforderungen effizient verzahnen.“

Es ginge dem Bund lediglich um eine ergänzende Optimierung des Bestehenden. Und vorsorglich hieß es zudem: „Dabei bleiben die Rechte der Wasserwirtschaft und die Planungshoheit der Länder und Kommunen bewahrt.“

So ein Bundesraumordnungsplan entsteht aber nicht im luftleeren Raum – schon seit 2015 wurde konkret daran gebastelt: „Während der Entwicklung des BRPH wurden zwischen 2015 und 2020 drei Modellvorhaben der Raumordnung (MORO) beauftragt: Regionalentwicklung und Hochwasserschutz in Flussgebieten, Planspiel Bundesraumordnungsplan Hochwasserschutz – Phase 1: Erarbeitung des Testplans und Entwurf einer Planspielkonzeption und Testlauf des Bundesraumordnungsplan – Phase 2: Durchführung und Auswertung.“

Bevor also Horst Seehofer gemeinsam mit NRW-Ministerpräsident Armin Laschet – der zuvor mit Angela Merkel das Chaos der Zerstörungen besichtigt hatte – vor Ort unterwegs war, hatten seine Beamten in Berlin den neuen Bundesraumordnungsplan abgeschlossen. Dieses Vorhaben war übrigens im Koalitionsplan der Bundesregierung festgeschrieben, es wurde also auch höchste Zeit, es noch in dieser Legislatur über die Bühne zu bringen.

Interessant dürfte die Frage werden, ob so ein Plan, wäre er früher fertig gewesen, irgendetwas an dieser Katastrophe hätte verhindern können. Denn am Beispiel der zerstörten Stadt Stolberg wird offensichtlich, dass hier auch ein Bundesplan kaum gegriffen hätte.

Denn schon auf Länderebene hatte Armin Laschets Regierung darauf gewettet, dass schon nichts Schlimmes passieren werde, und den Bau von mutmaßlich Stolberg vor schlimmen Hochwasserschäden bewahrenden Rückhaltebecken nicht vorangetrieben – die Landesregierung Laschet wusste spätestens 2019 von der Notwendigkeit, entwarf sogar selbst Schreckensszenarien, was passieren würde. Schließlich passierte, was die Regierung Laschat 2019 als mögliche Katastrophe schon prophezeit, aber dennoch nichts dagegen getan hatte. TE berichtete.

Dienen soll der Plan „zum Schutz der Menschen und Umwelt entlang unserer Gewässer“. Im Angesichts der Katastrophe kommt den Einwänden der Landesregierung und der Industrie eine hochgradige Bedeutung bei.

Rückhaltebecken nicht gebaut
Flutgefahr seit Jahren bekannt: Die NRW-Regierung wettete gegen die Katastrophe
Der Bundesverband der Deutschen Industrie protestierte noch im Mai: „Sollte der Bundesraumordnungsplan in der aktuellen Fassung verabschiedet werden, hat dieser massive negative Auswirkungen auf die Entwicklung und das Fortbestehen des Wirtschaftsstandorts Deutschland“. Die chemische Industrie fand diesen Hochwasserschutz des Bundes „nicht erforderlich und nicht zielführend“. Und die Wirtschaftsvereinigung Stahl schrieb Ende Juni in einem Brief an Innenstaatssekretär Markus Kerber: „Viele Unternehmen der stahl- und metallverarbeitenden Branche sind an historischen Standorten an Flüssen über Jahrzehnte gewachsen.“ Der Schutzplan wirke wie eine „Zulassungssperre“ und komme einem „Neubau- und Änderungsverbot“ gleich, berichtet das Handelsblatt.

Stimmen, die rückwirkend mutmaßlich besser geschwiegen hätten, denn noch ist auch nicht bekannt, welche Schäden die Überschwemmungen an sensiblen Industrieanlagen nach sich gezogen haben. Zum Vergleich: Zuletzt wurden zwei Magnet-Schatzsucher mit Bußgeld überzogen, nur deshalb, weil sie in einem Flussbett Sedimente aufgewühlt und damit angeblich potentiell längst abgelagerte Giftschlämme wieder aufgewühlt hätten. Siehe hier.

Nichtsdestotrotz: Die Verbandsproteste gegen den Bundesraumordnungsplan waren teilweise erfolgreich. So sollen Betriebe nicht mehr im Plan auftauchen, „die gefährliche Stoffe einsetzen, die bei Unfällen schwere Schäden für Mensch und Umwelt mit sich ziehen.“

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Kommentare ( 42 )

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Silverager
3 Jahre her

Es stellt sich natürlich die Frage, warum frühere Auen und Überschwemmungsgebiete als Bauland ausgewiesen wurden.
Vor München haben wir bei Wolfratshausen eine riesige Auenlandschaft, die bei Hochwasser der Isar fast jährlich total überschwemmt wird und das Wasser so zurückhält, dass es in München und weiter flussabwärts zu keiner derartigen Katastrophe kommt.
Wenn da also zusammen mit einer Flussbegradigung Häuser gebaut würden …

Hueckfried69
3 Jahre her

Sie behaupten, Laschet habe den Bau der Rückhaltebecken bei Stolberg nicht vorangetrieben. Ein Leser, der sich „nomsn“ nennt, (siehe weiter unten), hat in Kommentaren zu einem Leserbrief gut belegt darauf hingewiesen, dass der WV Eifel-Rur bereits vor 2013 zwei Rückhaltebecken geplant hat, und dass diese offensichtlich bereits konkreten Pläne von verschiedener Seite, insbesondere der lokalpolitischen, sehr kontrovers behandelt wurden. Sofern hier eine Landesregierung zu diesem Zeitpunkt überhaupt involviert war, wäre es die von Kraft/Loehrmann gewesen. Auch sollte recherchiert werden, wie die Grünen der Gemeinde Roetgen dieses Projekt bewertet haben. Bei selbsternannten Rettern des Universums muss man halt genauer hinsehen.

Last edited 3 Jahre her by Hueckfried69
WGreuer
3 Jahre her

Anstatt die Problem konkret anzugehen – den Katastrophenschutz ausbauen, Flutungsflächen und dgl. will Söder nun einen „TÜV“ und „Wasser sparen“ und dafür einen Wasser-Cent kassieren.
„Das Wasser macht uns Sorge – es gibt zu viel oder zu wenig. Wir führen einen Hochwasser-TÜV ein und investieren 2 Mrd. Euro in Schutzmaßnahmen bis 2030. Dazu müssen wir Wasser sparen. Ein Wasser-Cent soll für schonenden Umgang mit unserer wertvollsten Ressource sensibilisieren.“
Scheinheiliger und weltfremder geht kaum noch.
Diese komplett unfähigen Leute müssen weg. Alle.

Michael M.
3 Jahre her
Antworten an  WGreuer

Ja mein der Franke aus Nürnberg mal wieder, blöd, blöder, … !
Noch Fragen, keine!

MajorTOm
3 Jahre her

Und wer erinnert sich noch an diejenigen, die im vergangen Jahr davor warnten, die Sirenen weiter abzubauen, nachdem der „Warntag“ gescheitert war? Ich kenne niemanden, der diese schwachsinnige App installiert hat, aber viele wissen, wo die nächste Sirene steht. Hier gilt die Parole „keep it simple, stupid!“ Und welche Partei hat vehement davor gewarnt? Es war nicht die grünlinke Einheitsfront, nur so als Tipp. Aber es geht um was anders, nämlich darum, dass der Staat seinen Kernkompetenzen nicht mehr nachkommt, dafür aber fleißig bestimmt, mit welchem Auto ich an die Arbeit fahren darf und was der Liter Sprit kostet; wo… Mehr

Last edited 3 Jahre her by MajorTOm
Klapa
3 Jahre her

Deutschland ist das einzige Land, wo Mangel an politischer Befähigung den Weg zu den höchsten Ehrenämtern sichert.
Dieser Ausspruch stammt nicht etwa von einem zeitgenössischen Autor, sondern von Carl von Ossietzky.  Der Mann muss über hellseherische Fähigkeiten verfügt haben.
 

HGV
3 Jahre her

Der Bundeshochwasserschutzplan hätte an der aktuellen Situation wenig bis gar nichts geändert, da er sich auf den Länderübergreifenden Schutz bezieht. Der regionale Schutz wäre davon nicht betroffen gewesen. Jetzt kommen die Zentralisten wieder aus dem Loch, die das ganze in Bürokratie ersticken. Berlin eben, zu allem bereits und zu nichts zu gebrauchen. Dass man über Jahre bei THW, Feuerwehr, Bundewehr und Polizei gespart hat, diese Institutionen nicht einsatzfähig sind, wird noch übertroffen, dass man durch Inkompetenz bei der Organisation der Helfer eine wirkliche Hilfe verhindert. Außer einem Feuerwehrwagen, der per Lautsprecher mitgeteilt hat, dass die 112 im Kreis Euskirchen nicht… Mehr

drnikon
3 Jahre her

Heutige Politiker sehen viele Aufgaben ausschließlich als sozial an und weniger technischer Natur. Kein Wunder, wenn viele derer aus dem Bereich der sogenannten Geisteswissenschaften kommen und auch noch sm Konstruktivismus kleben.
Danisch hat das aktuell gut beschrieben.
Wir haben Politiker und verantwortliche in vielen Entscheidungsebenen, die von Technik keine Ahnung haben(wollen). Sie können nicht den Hauch einer Ahnung über die Folgen ihrer Entscheidungen erfassen.

Ostfale
3 Jahre her

Interessant – und weiß ‚man‘ auch, welche Gesinnung genehmigungsfähig ist ? Je nach Festigkeitsgrad dann Einsatz in der Leitungsebene, weniger Gefestigte ausgewählt für niedere Einsätze wie Dreck und Unrat wegräumen? Und sind die prüfenden Polizist*innen vorher auf ihre Gesinnung und Prüfungsfähigkeit hin geprüft worden und von wem und der/die wiederum auf deren Gesinnung………..? Puuuh, da kann einem schier schwindelig werden.

Chlorhahn
3 Jahre her

Wie merkwürdig still ist es jetzt seitens Frau vdL. Hätte erwartet, dass sie jetzt mit lautem Getöse den Klimawandel anprangert und großzügig Hilfsgelder aus der von Deutschland gefütterten EU-Kasse zuteilt.

elly
3 Jahre her
Antworten an  Chlorhahn

Frankreich und Belgien haben bereits Zusagen von Hilfszahlungen. Deutschland hat noch keine Hilfen beantragt.
Hochwasser 2021: Noch keine Hilfen beantragthttps://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/eu-unterstuetzung-bei-naturkatastrophen-was-deutschland-bekam,SdhObcJ

Eberhard
3 Jahre her

Alle diejenigen die statt zunehmenden Schutz vor extremen und plötzlichen Ereignissen nur die weite Klimabeeinflussung auf ihre Fahnen schrieben, haben auf der ganzen Linie versagt. Rettung vor öffentlicher Kritik versprechen sich die für die erneuten Katastrophen verantwortlichen, nur wieder vom erneuten Einsatz für verstärkte Klimabeeinflussung. Unbeachtet der hunderte Milliarden Euro die sie in einen Kampf gegen eine Klimaveränderung bisher sinnlos verbrannt haben. Denn bei realer Betrachtung der derzeitigen tief gespaltenen und zerrissenen Weltsituation können wir den nie gewinnen. Mittel die bei Einsatz im eigenen Staat eine wesentliche Bildungs-, Sicherheits- und Wohlstandssteigerung ermöglicht hätten, wurden geradezu sinnlos verschleudert. Unsere über jahrzehntelangen… Mehr