Hartz-4-Empfänger in Dortmund: Betteln lohnenswerter als Arbeiten

Aber aufpassen, ob nicht gerade eine Mitarbeiterin des Jobcenters ihre fette Weihnachtsgans aus dem Discounter geholt hat, die argwöhnisch in den Hut schaut, ob da nicht schon mehr als 204,50 Euro erbettelt wurden.

© Johannes Eisele/AFP/Getty Images

Nun ist es quasi amtlich: Hartz-4-Empfänger, die sich in Dortmund einen Kleinbetrag dazuverdienen wollen, tun besser daran zu betteln, sich also zu Weihnachten in die Fußgängerzone zu setzen und die Hand aufzuhalten.

Denn wer einer Nebentätigkeit nachgeht, hat in Dortmund lediglich einen Freibetrag von 100 Euro, die nicht gegengerechnet werden mit den Hilfsbezügen. Wer nun allerdings betteln geht, darf jetzt mehr als das doppelte dieser Summe erschnorren, ohne Abzüge von seinem Regelsatz befürchten zu müssen. Wäre das nicht alles so traurig, müsste man schmunzeln über diese einsame Entscheidung des Jobcenters, denn wie will man es überprüfen? Sollen Dortmunder Hartz4-Bettler ein Einnahmenbuch führen? Wird es dafür gar Kurse geben auf Weiterbildungsscheine?

Tatsächlich wurde nämlich exakt so ein Einnahmenbuch von einem Leistungsempfänger verlangt, als eine Jobcenter-Mitarbeiterin den ihr als „Kunden“ bekannten Bettler beim Shopping entdeckte und dieses Betteln aktenkundig machte. Ob die Dame ihm davon unabhängig ein bisschen Kleingeld in den Hut geworfen hat, ist nicht bekannt.

Ambivalent
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Dem Betroffenen Michael Hansen, Spiegel Online nennt den vollen Namen, wurden seine Bezüge daraufhin um 270 Euro gekürzt. Aber er hatte das Glück: Er fand eine Anwältin, die zunächst beim Amtsgericht erfolgreich Beratungshilfe für Hansen erreichte und deren Widerspruch gegen den Leistungsbescheid erfolgreich war, sodass das Amt auch für einen festgelegten Teil ihrer Anwaltskosten aufkommen musste. Im Gespräch mit TE erzählt Anwältin Juliane Meuter von einem anschließenden konstruktiven Treffen im Dortmunder Jobcenter. Hier kam es zu einer Einigung, die nun für alle Betroffenen in Dortmund gelten könnte: Herr Hansen verpflichtet sich danach nun freiwillig und schriftlich, jede über die Freibetragsgrenze hinausgehende Bettel-Einnahme dem Jobcenter zu vermelden. Aber selbst, wenn dieser unwahrscheinliche Fall von Reichtum einträte, müsse in diesem jeweiligen Monat das Leistungsteam noch über diese Mehreinnahme entscheiden.

Laut Anwältin hätte die Geschäftsführung des Jobcenters sogar eingeräumt, dass die Maßnahmen der Mitarbeiterin, die Hansen entdeckt hatte, möglicherweise doch etwas übertrieben waren. So beispielsweise die Idee ein Einnahmenbuch zu führen bzw. gar beim Gewerbeaufsichtsamt prüfen zu lassen, ob nicht doch ein Gewerbe in Frage käme.

Dieser ganze Fall lässt einen etwas ratlos zurück. Zum einen fragt man sich, was das für ein Menschenschlag sein muss, der in Dortmund beim privaten außerdienstlichen Shoppen (bei vielleicht 3.000 Euro Lohn monatlich) einen „Kunden“, der im Rinnstein sitzt, dem Amt melden muss bzw. Maßnahmen gegen diesen einleiten lässt. Zivilcourage oder irgendetwas in der Art sieht sicher anders aus.

Amtliche Irreführung
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So ein Fall ist doch vor allem geeignet, beim Bürger eine Neiddebatte oder genauer: eine Debatte um Gleichbehandlung gegenüber Empfängern aus dem Kreis der Migranten zu entfachen. Empathie und Sensibilität mögen in Jobcentern kaum Einstellungsbedingungen sein, aber falsch sind sie deshalb nicht. Ein kurzes Wort gerichtet an den Bettler hätte möglicherweise ausgereicht oder ein nochmaliger Hinweis, doch mal im Amt vorbeizukommen, damit man sich gemeinsam noch intensiver um eine würdigere Tätigkeit bemühen könnte, die dann eben nur mit einhundert Euro Freibetrag gegengerechnet wird. Eine Scheindebatte ist es sowieso, denn Bettler schreiben keine Rechnungen, sie quittieren dem Spender nicht, was im Hut landet.

Die im Gespräch mit TE auskunftsbereite Anwältin spricht von einer Vertrauensbasis auf deren Grundlage Herr Hansen nun Mehreinnahmen durch Betteln melden soll. Wo in der Chronologie der Ereignisse dieses Vertrauen allerdings entstanden sein soll, muss sie offen lassen. Gut für Hansen immerhin, dass sich noch eine Juliane Meuter fand, die sich seines Falles annahm. Sicher gäbe es auch deutlich lukrativere Fälle für Anwälte.

Auf jeden Fall müsste es doch in Dortmund und anderswo in Deutschland nicht nötig sein, Passanten um ein paar Münzen anzubetteln. Selbst dann nicht, wenn man Hartz4-Empfänger ist. Das wird erst dann zwingend nötig, wenn einem auch noch dieses wenige Geld sanktioniert wird. Und jetzt könnte es düster werden: Dann nämlich, wenn man erfährt, dass die bundesdeutschen Jobcenter immer mehr Sanktionen – also Kürzungen noch am Notwendigsten – durchsetzen.

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Tatsächlich sprachen die Jobcenter in 2016 im Durchschnitt monatlich gegen 134.390 Hartz4-Empfänger Sanktionen aus. Also Kürzungen noch des Existenzminimums. Am häufigsten trifft es hier sogar Familien, Haushalte mit Kindern. Im Schnitt werden einhundert Euro einbehalten – und so ist dann auch zu erklären, warum immer mehr Mitbürger Container mit selbstgebastelten Hakenstangen nach verwertbaren Pfandflaschen durchstochern oder hinter den Supermärkten die Mülleimer nach datumsmäßig abgelaufenen Lebensmitteln durchsuchen.

Das wirklich Fatale an der Situation: Wer noch die Kraft hat, eine Anwältin aufzusuchen, die auch noch hilft beim Beratungsscheinantrag, die dann willens ist, Widerspruch beim Jobcenter einzulegen, der ist in einem von drei Fällen erfolgreich. Oder in Zahlen für 2016: Erfolgreich in fast zwanzigtausend Fällen. In einem weiteren Drittel der Fälle wird immerhin noch ein Teilerfolg erzielt. Was bleibt da noch übrig an tatsächlich rechtmäßigen Sanktionen?

Als zynische Schlussbemerkung vielleicht noch so viel: Wenn nun zukünftig Hartz4 an der Supermarktkasse ausgezahlt werden soll, dann kann man sich ja zumindest in Dortmund als Empfänger anschließend gleich vor den Eingang setzen und seine 204,50 Euro dazu betteln, besonders dann, wenn man von Sanktionen betroffen ist. Aber aufpassen: Es könnte sein, dass gerade eine Mitarbeiterin des Jobcenters ihre fette Weihnachtsgans aus dem Discounter geholt hat, die dann argwöhnisch in den Hut schaut, ob da nicht schon mehr als 204,50 Euro erbettelt wurden.

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Kommentare ( 87 )

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87 Comments
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Michael Bluhm
6 Jahre her

Das ist wieder ein sehr guter Kommentar. Das Fazit in überspitzter Form gefällt mir besonders. Meine ebenfalls überspitzte Antwort dazu.
Mit 204,50 € Hinzuverdienst, der nicht angerechnet wird, könnte sich der Hartz IV Empfänger durchaus einen kleinen Rentenanspruch auf freiwilliger Basis bei der DRV Bund erwirtschaften. Denn die Zahlung von Rentenbeiträgen im SGB II Leistungsbezug ist ersatzlos gestrichen worden. Für die die spenden, sollte der Bettler eine kleine Karte am Revers tragen, die ihm von der DRV ausgestellt wurde und belegt, dass er sich seine Rente aufstockt.

Kantkopf
6 Jahre her

Hallo Hr. Wallasch, ich bin ein großer Fan ihrer Kommentare. Aber welcher Sprachteufel reitet Sie, dieses Wortmonster ‚lohnenswert‘ in ihre Überschrift hineinzunehmen? Und dann noch im Komparativ ? ‚Lohnender‘ reicht ja nun völlig aus … und alles andere schlicht doppelt gemoppelt.

Dieter
6 Jahre her

ganz nüchtern betrachtet: die Sozialleistungen die eine Einzelperson bekommen kann entsprechen ca der Pfändungsfreigrenze in Deutschland. Und liegen damit bei ca 1100€ im Monat. Das entspricht einem Bruttoeinkommen von -> 1500€ für eine Einzelperson, Steuerklasse 1, gesetzlich versichert. Der „Harz4 Satz“ ist der Cash Anteil, dazu kommen Miete, Strom, Heizung, Kleidung, Wohnungsausstattung, ggf Rabatte . Problem: um den vollen Satz zu bekommen, muß man die Sozialgesetzbücher und seine Rechte kennen und anwenden. Und das ist ein Vollzeitjob. und es gibt eine – für unsere schnelle alle gegen alle Zeit – erstaunlich hohe Anzahl von Menschen, die diese Optionen nicht ausreizen… Mehr

Sauvage
6 Jahre her
Antworten an  Dieter

Ich weiß nicht, woher Sie Ihre Kenntnisse haben, aber es werden weder der Strom, noch Kleidung, Wohnungssausstattung (bis auf einen evtl. Erstbedarf) etc. bezahlt und der einzige Rabatt ist die Befreiung von der GEZ. Wohnungs- und Heizkosten werden maximiert, so dass viele hier nochdraufzahlen, da es keinen billigen Wohnraum gibt. Und was die Jobcenter eigentlich zahlen müssten, verweigern sie ebenfalls, denn man kann ja klagen und dann bei uns 4 Jahre auf den Prozess warten. Durch die maximierten Kosten werden daher auch nur durchschnittlich zwischen 800-900 € für Singles „aufgewendet“. Aber das scheint Ihnen ja noch viel zu viel zu… Mehr

Cathys
6 Jahre her
Antworten an  Sauvage

Hartz4 unter Rot-Grün war das Desaster schlechthin. Hoffentlich wissen die Leute wem sie das zu verdanken haben. Dazu noch die Absenkung des Anspruchszeitraums beim Arbeitslosengeld. Das hat hauptsächlich die Mittelschicht getroffen, denn wer nichts hat, der muss unter Hartz4auch nichts hergeben. Ältere Langzeitbeschäftigte, die dann plötzlich arbeitslos werden trifft das Gesetz mit voller Härte. Das ist das abscheuliche an diesem Rohrkrepierer. Nichtsdestotrotz gibt es meiner Meinung nach 3 Gesellschaftsgruppen, die von Staats wegen geschützt werden müssen, das sind Kinder, Kranke und.alte Menschen, der Rest soll bitte arbeiten gehen, denn sonst gibt es bald für niemand mehr etwas was die logische… Mehr

Rollstuhlfahrer
6 Jahre her

… und Schwerbehinderten Rollstuhlfahrer-Harz4-Empfängern wird (vom Jobcenter Lüneburg) die barrierefreie Wohnung gekündigt, damit sie sich beim erzwungenen Umzug durch falsche Belastungen selbst umbringen (da Unvermittelbar), damit anschließend „Familien, so erst seit kurzem hier leben“ in die selbe Wohnung einziehen können (die dann plötzlich nicht mehr zu teuer ist, obwohl 1 Person weniger darin wohnt). Hier wird mit zweierlei Maß gemessen, Einheimische Steuerzahler sind mittlerweile weniger wert als vollkommen auf Hilfe angewiesene Zugezogene. Merkel hat jedes Augenmaß schon lange verloren. Der Bundespräsident will von solchem Unrecht auch nichts wissen, und Frau Nahles rümpft auch nur die Nase. Seit die Zugewanderten die… Mehr

dunkelstrasse48
6 Jahre her

Das ist ja eine gelungene Provinzposse, Herr Wallasch, aber meistens geht es doch anders herum. Am Alexanderplatz sah ich vom weitem eine alte Frau mitten auf dem Gehweg vermeintlich Hilfe suchend die Hand hoch strecken. Alle eilten ungerührt an ihr vorbei und ich wollte mich schon hin stürzen und ihr auf die Beine helfen, da sah ich ihren Sammelbecher, den sie theatralisch in die Luft streckte. ;-)) Ich wäre ja mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn ich da auf offener Straße mein Portemonnaie zücken würde. Und so ist es jetzt überall zur Weihnachtszeit. Da hinken zwei, die sich offensichtlich ein Paar… Mehr

Leo
6 Jahre her
Antworten an  dunkelstrasse48

Ekelhaft, die Masche dieser Betrüger. Die meisten haben dank Kindergeld für x-Kinder wesentlich mehr Einkommen als die braven Steuerzahler, die sie anbetteln.

Dieter
6 Jahre her

ganz nüchtern betrachtet: die Sozialleistungen die eine Einzelperson bekommen kann entsprechen ca der Pfändungsfreigrenze in Deutschland. Und liegen damit bei ca 1100€ im Monat. Das entspricht einem Bruttoeinkommen von -> 1500€ für eine Einzelperson, Steuerklasse 1, gesetzlich versichert. Der „Harz4 Satz“ ist der Cash Anteil, dazu kommen Miete, Strom, Heizung, Kleidung, Wohnungsausstattung, ggf Rabatte . Problem: um den vollen Satz zu bekommen, muß man die Sozialgesetzbücher und seine Rechte kennen und anwenden. Und das ist ein Vollzeitjob. und es gibt eine – für unsere schnelle alle gegen alle Zeit – erstaunlich hohe Anzahl von Menschen, die diese Optionen nicht ausreizen… Mehr

AlNamrood
6 Jahre her
Antworten an  Dieter

Man lebt auf „Studentenniveau“. Wenn man nur ein Zimmer in eine WG hat usw geht es mit 700€ aber viel machen kann man damit auch nicht.

Susi Sorgenvoll
6 Jahre her

Ich war auch mal mit so einem Menschenschlag befreundet, Herr Wallasch. Eigentlich ein umgänglicher, freundlicher junger Mann-bis er zum Leiter des hiesigen Ordnungsamts befördert wurde. Jedes Mal, wenn wir am Wochenende die Stadt unsicher machten, war seine gute Stimmung hinüber, wenn er falsch geparkte Autos erspähte. Er war nicht zu halten und erst zufrieden, wenn er das Kennzeichen notiert hatte…ich habe ihn schon lange nicht mehr gesehen. Diesen Menschenschlag gibt es häufiger, als wir wohl meinen. Ein Blick in das Gästebuch von Anne Will z.B. reicht.

Oettler
6 Jahre her

Nennen Sie doch bitte einfach den Namen der sehr eifrigen“ Mitarbeiterin*“des betroffenen Arbeitsamt für Harz4-Empfänger! Hat diese“ Unperson“ eine Fangprämie erhalten???
Bin zwar Rentner, wünsche mir aber, daß kein Mensch (außer eventuell berufsmäßige Roma-Banden )
betteln muß. Es macht arme Menschen bestimmt nicht reich!

raindancer
6 Jahre her

sie habens auch nicht verstanden….man nimmt heutzutage Hunde ins Haus, Flüchtlingen hilft man und den Bettlern wirft man Cents vor die Füsse…das nennt sich Merkelismus

AngelinaClooney
6 Jahre her

3000 Euro brutto für eine Sachbearbeiterin beim Jobcenter (öffentlicher Dienst) halte ich für etwas zu hoch gegriffen.

Ansonsten zeigt diese Posse, dass der Staat schon hart durchgreifen kann, wenn er will. Bestens funktoniert das bei Bürgern, die der deutschen Sprache vollumfänglich mächtig sind. Interessant wäre, ob man bei dem Familienvorsitzenden einer arabischen Großfamilie ebenfalls so hart durchgriffen hätte.
Unabhängig davon, muß sich die Regierung auch hier endlich ehrlich machen: es werden nicht soviel Arbeitskräfte benötigt wie vorhanden sind. Selbst wenn Herr Hansen sich intensiv bewerben würde (was er vielleicht sogar tut), ist das keine Garantie, dass der ein Arbeitsangebot erhält.

Kerstin
6 Jahre her
Antworten an  AngelinaClooney

3000 € brutto gibt’s sogar im „abgehangenen Ostarbeitsamt“ durchschnittlich für einen Sachbearbeiter.