Griechenlands Paten: Fass ohne Boden

Was immer aus welchen Gründen an Geld und Sachleistungen nach Griechenland geht, der vorgesehenen Verwendung wird es gar nicht oder nur in Bruchteilen zugeführt. Eine Darstellung von den Reparationen bis zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit.

© Milos Bicanski/Getty Images

Aus als „vertraulich“ eingestuften Akten aus der damaligen Zeit geht hervor, dass eine Befassung des Bundestags mit einem Trick verhindert wurde. Denn eigentlich wäre zur Umsetzung des deutsch-griechischen Abkommens gemäß Art. 115 Satz 1 GG ein Zustimmungsgesetz notwendig gewesen.

Die Kreditbedingungen sollten gänzlich geheim bleiben. Das Bundesministerium der Justiz gab jedoch zu bedenken, dass der Bundestag „Anspruch auf vollständige Unterrichtung habe.“ Wie hoch die Kreditzinsen waren, dürfe jedoch keinesfalls an die Öffentlichkeit gelangen, „um Berufungen anderer Länder zu vermeiden.“

Ursprünglich wollte Griechenland einen Kredit in Höhe von 420 Mio. DM mit einer Laufzeit von 50 Jahren und nur zwei Prozent Zinsen zahlen. Dem wollte und konnte die Bundesregierung nicht entsprechen. In einer persönlichen Aussprache zwischen Bundeskanzler Konrad Adenauer und seinem griechischen Amtskollegen Konstantinos Karamanlis wurde ein Kompromiss gefunden. Der Zinssatz wurde zwar auf sechs Prozent festgesetzt, Griechenland sollte aber auf die Dauer der Anleihezeit nur vier Prozent bezahlen. Die Zinsdifferenz von zwei Prozent sollte Athen nach Auslaufen der Anleihe anhängen. Öffentlich sollte aber weiterhin unbedingt von sechs Prozent gesprochen werden.

Auf einer Kabinettssitzung vom 5. November 1958 gab Dr. Hilger van Scherpenberg, Staatssekretär im Auswärtigen Amt, zusätzlich preis, dass man als weiteren „Ausgleich“ für den Zinssatz, ein „jährliche[s] Geschenk von 3 Mio. DM an den griechischen Staat“ leisten werde. Insgesamt sollte Griechenland beginnend mit dem Haushaltsjahr 1959 15 Millionen DM geschenkt bekommen. An anderer Stelle ist von 18 Millionen DM die Rede. Die Vereinbarung über das jährliche drei-Millionen-DM-Geschenk war zunächst mündlich getroffen worden und Athen im Nachgang in einem Brief von Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard vom 29. November 1958 bestätigt worden. Auch hierzu wurde kein Entschluss des Bundestages eingeholt. Die Ausgabe wurde einfach in den Haushaltsplan 1959 zu dem Titel 0501 962 „technische Hilfe für Entwicklungsländer“ gepackt. Dieser Trick brachte zwar eine Diskussion über eine Aufstockung des Entwicklungsfonds mit sich, verhinderte aber, dass andere Kandidaten hellhörig wurden.

Die ganze Angelegenheit wurde von der Bundesregierung als Geheimsache behandelt. Der Zinskompromiss wurde in ein „Vertrauliches Ergebnisprotokoll“ gepackt. Auch durfte eine Verbindung zwischen Kredit und als Entwicklungshilfe getarntem Geschenk keinesfalls offensichtlich werden. Dem entsprechend wurde die Botschaft in Athen am 31. März 1960 instruiert, bei der gegenseitigen Übergabe der Ratifikationsurkunden noch einmal darauf hinzuweisen, dass zwischen beiden Vorgängen kein rechtlicher Zusammenhang bestehe. Erhards Brief solle unbedingt vertraulich behandelt werden, „da er Bedingungen enthalte, die anderen Länder in der gleichen Lage nicht gegeben bzw. gewährt werden könnten.“

Als die deutsche Ratifikationsurkunde schon längst in Athen zur Übergabe bereit lag, stellte sich heraus, dass die griechische Seite noch überhaupt keine Schritte zur Einleitung des Ratifikationsverfahrens unternommen hatte. Die griechische Regierung äußerte plötzlich Gewissensbisse. Entweder man solle die vertraulichen Zusatzvereinbarungen mitratifizieren oder von einer Ratifikation ganz absehen. Aber das wiederum war mit dem deutschen Grundgesetz nicht vereinbar. Wie aus den Akten hervorgeht, hatte Griechenland die erste Tranche in Höhe von 100 Mio. DM zu diesem Zeitpunkt bereits erhalten. Obgleich Athen weitere 50 Mio. DM wünschte, wurden zunächst weitere Zahlungen bis zur Klärung des Sachverhaltes gestoppt. Obwohl die Vereinbarungen zum eigenen Vorteil waren, setzte Athen seinen Gläubiger unter Druck. „Der griechische Standpunkt ist nicht verständlich“, heißt es demzufolge in einer Aufzeichnung für den deutschen Außenminister vom 7. Dezember 1960. Wie die Sache ausgegangen ist, konnten wir aus den vorhandenen Akten leider nicht rekonstruieren.

Die Bundesregierung blieb Athen jedenfalls gewogen. Auch nach dem Auslaufen des jährlichen Geschenks wolle man „in Einzelfällen technische Hilfe […] gewähren“, wenn Griechenland der Bundesregierung geeignete Projekte vorlege. Ende Juli 1962 besuchte eine griechische Delegation unter Leitung des griechischen Koordinationsministers Dr. P. Papaligouras Bonn und führte u.a. Gespräche mit Erhard zur deutsch-griechischen Wirtschaftszusammenarbeit. In einem Besprechungsprotokoll heißt es:

„[Papaligouras] wies […] darauf hin, daß […] noch große Anstrengungen von griechischer Seite notwendig seien, um so rasch wie möglich den Anschluß an den Entwicklungs- und Industrialisierungsstand der übrigen europäischen Länder zu erreichen. Um diesem Ziele näherzukommen und die bereits erzielten Fortschritte zu festigen und zu erweitern, sei Griechenland aber vorläufig noch auf die Hilfe anderer Länder angewiesen. Die Bundesregierung habe sich in den letzten Jahren an den griechischen Anstrengungen für den Wiederaufbau und die Entwicklung der Wirtschaft durch Hilfeleistung beteiligt, die zur Durchführung wichtiger Infrastrukturprojekte verwendet worden ist. Die griechische Regierung erwarte, daß ihr auch weiterhin Unterstützung zuteil werde.“

Die Bundesregierung vermittelte daraufhin einen Kredit der bundeseigenen Förderbank KfW in Höhe von 150 Mio. DM mit einer Laufzeit von 20 Jahren zu einem Zinssatz von 3,75 Prozent. Der Kredit sollte dem Projekt Megalopolis zugutekommen. In der griechischen Kleinstadt gleichen Namens wurde schließlich 1969 ein Wärmekraftwerk in Betrieb genommen, das mit vor Ort abgebauter Braunkohle befeuert wurde. Insgesamt erhielt Griechenland im Zeitraum von 1956 bis 1963 Unterstützung in Höhe von etwa einer Milliarde DM von Seiten der Bundesrepublik.

Wiedergutmachung für NS-Opfer

Griechenland bekam dabei nicht nur umfangreiche Wirtschaftshilfe, sondern auch finanzielle Wiedergutmachung für erlittene Nazigräuel. Am 18. März 1960 vereinbarten die Bundesrepublik Deutschland und das Königreich Griechenland einen „Vertrag über Leistungen zugunsten griechischer Staatsangehöriger, die von nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen betroffen worden sind“. Griechenland bekam hierfür 115 Millionen DM. Die Verteilung des Geldes wurde dem Ermessen der griechischen Regierung überlassen. Das Geld versickerte im griechischen Klientelismusystem. Die Anhänger der Regierungspartei wurden bevorzugt. Anträge aus Dörfern, die mehrheitlich oppositionelle Parteien unterstützten, wurden durchweg negativ beschieden. Auch wurden nur etwas mehr als 30 Prozent der Gelder überhaupt an die Opfer und/oder deren Familien weitergegeben. Nach Auszahlung der ersten Tranche in Höhe von 35 Mio. DM wurde die ganze Aktion mit der Begründung eingestellt, es gebe schlichtweg zu viele Anträge. Im besten Fall flossen die restlichen 80 Mio. DM in den griechischen Haushalt. Wahrscheinlicher ist aber, dass die Entschädigungsgelder wie die Erlöse aus den Demontagegütern von der griechischen Oligarchie veruntreut wurden. „75 Prozent dieser Summe [115 Mio. DM; Anm. d. Verf.] wurden zweckentfremdet und landeten in den Taschen von Politikern“, schätzt Professor Richter.

Aus deutscher Sicht ist aber vielmehr Artikel 3 des Vertrags von 1960 entscheidend. Dort wurde versichert, dass nun „alle den Gegenstand dieses Vertrages bildenden Fragen im Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zu dem Königreich Griechenland, unbeschadet etwaiger gesetzlicher Ansprüche griechischer Staatsangehöriger, abschließend geregelt“ waren. Die Ratifikationsurkunden wurden am 20. Oktober 1961 ausgetauscht; der Vertrag wurde seitdem nicht aufgekündigt.

Und trotzdem ließ Griechenland nicht locker und forderte seit Ende der 90er Jahre weitere Entschädigungszahlungen. Am 30. Oktober 1997 verurteilte erstmals ein griechisches Gericht die Bundesrepublik dazu, Schadenersatz in Höhe von 55 Millionen Euro an die Nachkommen der Opfer des SS-Massakers in Distomo zu zahlen. Die rot-grüne Bundesregierung legte seinerzeit Revision beim Areopag, dem Obersten Gerichtshof Griechenlands, ein, der diese jedoch am 5. Mai 2000 zurückwies. Die Bundesregierung erkannte die griechische Rechtsprechung aus völkerrechtlichen Gründen nicht an. Trotz der Übergabe einer mahnenden Note an den griechischen Botschafter in Berlin am 29. Mai 2000 begann Griechenland am 11. und 19. Juli 2000 mit Zwangsvollstreckungsmaßnahmen. Bereits am 19. Juli 2000 erreichte die Bundesregierung jedoch eine Aussetzung der Maßnahmen mittels einer einstweiligen Verfügung. Parallel dazu hatten sich die Nachkommen des SS-Massakers bis zum Bundesgerichtshof (BGH) durchgeklagt. Der BGH wies die Klage jedoch letztinstanzlich am 26. Juni 2003 ab.

Die Bundesregierung beantwortete am 15. August 2000 eine parlamentarische Anfrage der PDS-Fraktion nach einer möglichen Wiederaufnahme von Beratungen über Reparationsforderungen mit den Worten:

„Nach Ablauf von 55 Jahren seit Kriegsende und Jahrzehnten friedlicher, vertrauensvoller und fruchtbarer Zusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland mit der internationalen Staatengemeinschaft hat die Reparationsfrage ihre Berechtigung verloren. Deutschland hat seit Beendigung des Zweiten Weltkrieges in hohem Maße Reparationsleistungen erbracht, die die betroffenen Staaten nach allgemeinem Völkerrecht zur Entschädigung ihrer Staatsangehörigen verwenden sollten. Allein durch Wiedergutmachung und sonstige Leistungen wurde ein Vielfaches der ursprünglich auf der Konferenz von Jalta ins Auge gefassten Reparationen in Höhe von 20 Mrd. US-$ erbracht. Im Übrigen wären Reparationen über 50 Jahre nach Ende der kriegerischen Auseinandersetzung in der völkerrechtlichen Praxis ein Sonderfall ohne jede Präzedenz.“

Außenminister war damals Joschka Fischer. Seine Argumentation behielten auch spätere Bundesregierungen bei. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich im Gegensatz zur DDR ihrer Verantwortung längst gestellt. Die Deutschen sind nicht schuld an Korruption, Klientelismus und Misswirtschaft in Griechenland. Selbst wenn man heute Griechenland alle Schulden erlassen würde, müsste es morgen wieder neue Kredite aufnehmen. Wer sich speziell für die aktuelle griechische Schuldenkrise interessiert, dem empfehle ich einen Blick in mein Buch „Von Rettern und Rebellen. Ein Blick hinter die Kulissen unserer Demokratie“. Allen mehr historisch interessierten Lesern lege ich die Veröffentlichungen von Professor Heinz Richter ans Herz. Er hat zur griechischen Zeitgeschichte viele lesenswerte Bücher veröffentlicht. Die Informationen über die Besatzungsanleihe und die Reparationsproblematik sind größtenteils in zwei Aufsätzen enthalten, die in der Thetis Reihe „Mannheimer Beiträge zur klassischen Archäologie und Geschichte Griechenlands und Zyperns“ (Band 20 und 22) erschienen sind. Weitere Aspekte haben wir einem Aufsatz von Kateřina Králová und Nikola Karasová mit dem Titel „Reparationsforderungen: Umfang, Rechtsfragen, politische Rahmenbedingungen“ entnommen. Gerade was die deutsche Wirtschaftshilfe anbelangt, haben wir im Archiv des Auswärtigen Amtes viele interessante Dokumente gefunden.

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