Sieben Minuten, dann waren die Passagiere der „Landshut“ frei

Am 18. Oktober 1977 stürmte die GSG 9 die entführte Lufthansa-Maschine in Mogadischu. Der „Deutsche Herbst“ endete mit einer völligen Niederlage der Linksterroristen. Seine Ausläufer reichen allerdings weit – bis in die Gegenwart.

picture alliance/dpa | Felix Kästle
Die Lufthansa-Maschine Landshut steht in Friedrichshafen in einem Hangar des Dornier Museums

Die vier Mitglieder des Kommandos „Martyr Halimeh“ hatten die Passagiere der Lufthansa-Maschine „Landshut“ schon mit Alkohol übergossen, damit sie besser brennen sollten. Das Quartett hielt Handgranaten bereit und machte eine 500-Gramm-Ladung Plastiksprengstoff fertig. Alle – die Entführer, die Besatzungsmitglieder und die Passagiere – wussten, dass die nächsten 90 Minuten an diesem 18. Oktober 1977 in Mogadischu über ihr Leben entscheiden würden. Um 1.30 Uhr morgens lief das letzte Ultimatum der PFLP-Terroristen ab. Sollten bis dahin nicht die RAF-Mitglieder aus Stuttgart-Stammheim, mehrere PFLP-Angehörige aus israelischen Gefängnissen entlassen und 15 Millionen Dollar Lösegeld bereitgestellt worden sein, dann, so kündigte das Kommando an, würden sie die Maschine mit 86 Passagieren und vier Besatzungsmitgliedern in die Luft sprengen. Den Flugkapitän Jürgen Schumann hatte der Anführer der „Martyr Halimeh“ schon mit einem Kopfschuss getötet, um zu zeigen, dass die Entführertruppe es ernst meinte.

Nach einem langen Irrflug war die „Landshut“, die Mallorca am 13. Oktober verlassen hatte, über Rom, Larnaka und Dubai am 17. Oktober nach Mogadischu gelangt, in das Somalia des Herrschers Siad Barre. Es war die letzte Station; kein anderes Land war mehr bereit, dem Flugzeug eine Landeerlaubnis zu erteilen.

Die eigentliche Entscheidung auf Leben und Tod hatte Tage zuvor schon ein anderer getroffen: Bundeskanzler Helmut Schmidt. Er entschied, die Häftlinge in Stammheim nicht im Austausch für den von der RAF entführten Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer freizulassen. Und auch nicht für die Menschen in der „Landshut“. Stattdessen gab er Ulrich Wegener, dem Kommandeur der GSG 9, einen Auftrag, wie ihn keiner seiner Vorgänger und Nachfolger je erteilen musste: die Maschine stürmen, die Terroristen außer Gefecht setzen, die Geiseln befreien.

Für den Fall, dass die Aktion in einem blutigen Desaster enden sollte, formulierte Schmidt schon sein Rücktrittsschreiben. Am 17. Oktober tagsüber hatte das GSG-9-Kommando seine Vorbereitungen für den Zugriff noch nicht abschließen können. Sie brauchten noch Zeit. Das erste Ultimatum sollte eigentlich schon an diesem Nachmittag um 15 Uhr enden. Schmidts Emissär in Mogadischu, Staatsminister Hans-Jürgen Wischnewski, ließ den Entführern deshalb übermitteln, die Bundesregierung sei jetzt bereit, ihren Forderungen nachzugeben. Sie bräuchte allerdings noch Zeit, um die RAF-Mitglieder von Stammheim nach Somalia zu schaffen.

Sowohl der Name des Terroristenquartetts „Martyr Halimeh“ als auch der Kampfname des Anführers Youssif Akache, „Martyr Muhamad“, wiesen auf eine andere Terroraktion gut ein Jahr vorher hin: Am 27. Juni 1976 entführte eine Truppe der PFLP unter Kommando des Deutschen Wilfried Böse eine Air-France-Maschine von Tel Aviv in das ugandische Entebbe, wo sie von dem Diktator Idi Amin als antiimperialistische Kampfgefährten begrüßt worden waren. Böse, Kampfname „Mahmud“, und Brigitte Kuhlmann, Kampfpseudonym „Halima“, waren von den deutschen „Revolutionären Zellen“ zu den palästinensischen Terroristen gestoßen.

TICHYS LIEBLINGSBUCH DER WOCHE
Vierundvierzig Tage: Deutschland in der Hand der Terroristen
Mit der Entführung wollte das Kommando die Freilassung von 40 Mitgliedern der PFLP und der Fatah aus israelischen Gefängnissen sowie von Angehörigen der RAF und der Bewegung „2. Juni“ aus deutschen Haftanstalten erzwingen. Unter der Leitung Böses und Kuhlmanns suchten die Terroristen unter den insgesamt 253 Passagieren die jüdischen Fluggäste heraus – oder diejenigen, die sie aufgrund des Namens für jüdisch hielten –, insgesamt 77 Israelis und fünf weitere Geiseln. Die anderen ließen sie gehen. In der Öffentlichkeit ist es heute kaum noch präsent, dass die erste Selektion von Juden und Nichtjuden nach dem 2. Weltkrieg durch deutsche Linksextremisten durchgeführt wurde. Die Air-France-Besatzung blieb bei den Geiseln, obwohl es ihr freigestellt war, den Flughafen in Entebbe ebenfalls zu verlassen.

Am 4. Juli 1976 landete ein israelisches Spezialkommando auf dem Rollfeld, erschoss Böse, Kuhlmann und die anderen Mitglieder des Terrorkommandos und etliche Soldaten Idi Amins und flog die befreiten Geiseln über Kenia aus. Die israelische Operation „Thunderbolt“ (später umbenannt in „Operation Yonatan“ zu Ehren des bei der Aktion gefallenen Yonatan Netanyahu, Bruder des späteren Ministerpräsidenten) war in vielem Vorbild des Unternehmens „Feuerzauber“ der GSG 9, das am 18. Oktober um fünf Minuten nach Mitternacht begann. Wegeners Männer hatten es geschafft, sich unbemerkt der Maschine zu nähern. Sie drangen über beide Eingänge in das Flugzeug ein, nahmen den Entführern mit Blendgranaten die Orientierung, töteten drei Terroristen, und schossen die vierte, Souhaila Andrawes, kampfunfähig. Von den Geiseln wurde nur die Stewardess Gabriele Dillmann verletzt. Insgesamt dauerte das Gefecht sieben Minuten. Um 00.12 Uhr meldete Wischnewski den erfolgreichen Abschluss der Operation „Feuerzauber“ nach Bonn.

Damit war der Versuch, die RAF-Häftlinge in Stammheim freizubekommen, endgültig gescheitert. Andreas Baader und Jan-Carl Raspe töteten sich mit einer Waffe. Gudrun Ensslin erhängte sich. Nur Irmgard Möller überlebte die Nacht von Stammheim schwer verletzt. Einen Tag später gab die draußen operierende RAF-Gruppe die Ermordung Schleyers bekannt. Seine Leiche lag im Kofferraum eines Audi 100 im elsässischen Mühlhausen. Damit endete der „Deutsche Herbst“ mit der vollständigen Niederlage der Linksterroristen.

Die langen Ausläufer des „Deutschen Herbstes“ vor 44 Jahren reichen bis heute. Durch linksradikale Kreise geistert bis heute die längst widerlegte Legende vom staatlichen Mord in Stammheim. Die Namen Böse und Kuhlmann, die Selektion von Entebbe sind nur noch wenigen geläufig. Die verbliebenen RAF-Mitglieder mordeten weiter, auch mit Unterstützung der Staatssicherheit, die ihnen in der DDR einen sicheren Hafen bot. Erst in den neunziger Jahren erklärte die linksextremistische Terrororganisation, die angetreten war, um eine kommunistische Diktatur zu errichten, ihre Auflösung. Bis heute verklärt die Organisation „Rote Hilfe“ die RAF-Terroristen als „politische Gefangene“. Ein prominenter Unterstützer der „Roten Hilfe“ könnte möglicherweise als Staatssekretär in die nächste Bundesregierung einrücken: Kevin Kühnert, Vizechef der Partei, die einmal die SPD von Helmut Schmidt war.

Die rekonstruierte „Landshut“ soll demnächst in Friedrichshafen am Bodensee ausgestellt werden. Dafür engagiert sich seit Jahren Gabriele von Lutzau, die Stewardess, die damals im Jahr 1977 noch Dillmann hieß.

Ihr persönliches Motto lautet: „Mein Leben ist kein langer, ruhiger Fluss“.

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Kommentare ( 45 )

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MeHere
2 Jahre her

Damals, in einer Zeit als die Verklärung des „woken Linksgrünbuntgeplappers“ und der Smartphoneverklödung noch keine Politiker wie Scholz, Esken, Spahn, Merlen, Söder, Scheuer, Gröging-E. Habeck, Baerbock, usw möglich machte. Diese heutigen „Darsteller“ – sonsored by irgendwelchen Interessengruppen (Soros, Schwab, etc) kann man weder an Taten noch an sonst etwas anderes messen. Herauskommen werden immer neue und extremere Probleme. Jetzt schon absehbar am ständigen Rechtsbruch, dem Ignorieren von Gerichtsurteilen, oder gesetzwidrig offenen Grenzen, weil man die „armen Geflüchteten“ doch für die Rentenkassen bräuchte (was für ein mehrfaches Fehlurteil – wie reden von Migranten und sonst NIX!!! – keiner von denen wird… Mehr

Tibs50
2 Jahre her
Antworten an  MeHere

Sie haben in Ihrer Aufzählung – womöglich unbewusst – einen der einfältigsten und dümmsten Protagonisten der heutigen Zeit vergessen: Armin Laschet. Durch seine jüngste Äußerung haben die Zuhörer (wenn ihm überhaupt noch jemand zuhören sollte) den wahren Ablauf der damaligen Geschehnisse aus Expertenmund par exellence erfahren: die GSG 9 stürmte die Maschine nicht in Mogadischu sondern in Landshut.
Noch heute bin ich der CDU-Präsidium unendlich dankbar, dass es diese in historischen Fragen bestens bewanderte Koryphäe zum Kanzlerkandidaten aufstellte.
Ohne seine alles aufklärende Rede hätten wir die Wahrheit nie erfahren.

AlexR
2 Jahre her
Antworten an  Tibs50

Nicht nur Laschet ist geschichtlich eine Konifere! Die GrünInnen und der Kevin mit ü sind auch firm darin. Man erinnere sich an die angeblich „unzähligen Opferzahlen“ der Atomkatastrophe im Fukushima. Je öfter dem Dummmichel und den Zugereisten das so erklärt wird, weiß letztlich keiner mehr, wie es wirklich war.

Genauso wie das von Laschet mit Mogadischu und Landshut halte ich es für eine unmögliche Entscheidung des Herrn Spohr, die Fliegerschule in Bremen von „Jürgen Schumann“ in LAT umzubenennen. Passt genau in die Riege Laschet & Co.

Last edited 2 Jahre her by AlexR
what be must must be
2 Jahre her
Antworten an  MeHere

kein „Fehlurteil“ – glatte, vorsätzliche Lügen!

MrChronos
2 Jahre her

Welchem Politiker heutiger couleur würde man denn noch so einen Entscheidungswillen wie damals Schmidt zutrauen? Mit aller damit einhergehender persönlicher und politischer Schuld und den entsprechenden Konsequenzen. Jemand der wusste, dass er, sollte der Einsatz schief gehen, beinahe 100 Menschenleben auf dem Gewissen hat, dem das bewusst war und der trotzdem diese schwere Entscheidung getroffen hat, weil außer ihm niemand da war, der sie hätte treffen können. Auch ihm ist es zu verdanken, dass die RAF ausgeblutet ist, sprichwörtlich. Heute würde entweder sofort gegenüber den Terroristen nachgegeben werden oder so lange mit einer Entscheidung gewartet werden, bis die Terroristen alle… Mehr

1.Knecht
2 Jahre her
Antworten an  MrChronos

Heute würde man die Terroristen mit Geld ersticken.

Umf-Backe
2 Jahre her

Peinliche Sache damals, die Lady nicht final zu behandeln.
In der Maschine.

Sargas
2 Jahre her

Eine Sache auszukämpfen und damit zu bereinigen, das würde heute nicht mehr stattfinden. Jedes Problem in unserer weichgespülten Welt wird perpetuiert, indem es mit Geld und faulen Kompromissen zugedeckt statt gelöst wird!
Ich denke da insbesondere an die Euro-Schuldenkrise. Die Pleite Griechenlands und vieler weiterer Betrüger und Spekulanten hätte zwar schlimme Einzelschicksale bedeutet, aber alle mal wieder für einige Jahrzehnte diszipliniert, s. Börsencrash 1929.

AlexR
2 Jahre her

Helmut Schmidt war, egal welcher Partei er angehörte, eben noch ein Politiker und hat entschieden. Auch die Befreiung der Landshut. Vor allem hat Helmut Schmidt seinen Amtseid als Bundeskanzler seinem Wirken und seinen Entscheidungen zu Grund gelegt. Eine Frau Merkel weiß ja überhaupt nicht, was sie für einen Eid geschworen hat. Und Thierse hat den Eid ja als „Formsache“ abgetan. Also nur noch ein reines Kasperltheater. Es ist eine Schande dieser Abziehfiguren seit Merkel und jetzt noch mit einer Bärbock mit oe, KGE, Kühnert mit ü usw., die keine Ahnung von dieser Zeit und der Politik dieser Jahre haben und… Mehr

AlexR
2 Jahre her
Antworten an  AlexR

Eben. Dann kann man das Theater auch weglassen, wie ich das bereits geschrieben habe. Es braucht niemand!

Contenance
2 Jahre her

Was Not tut – Die Namen der zivilen Opfer und die Namen der Sicherheitskräfte waren jährlich öffentlich zu erinnern.

Werner Geiselhart
2 Jahre her

Heutzutage würde ein deutscher Innenminister die GSG9 auflösen, weil neben dem Bild eines ermordeten Kameraden eine Klimmzugstange montiert war.
Oder weil die Truppe nicht nach Quote besetzt wurde sondern nach Leistung.
Und Schmidt würde vom Verfassungsschutz beobachtet und müsste im Bundestag isoliert rechtsaußen sitzen.
Der Wahnsinn regiert inzwischen an allen Ecken und Enden und ein Unterstützer eines RAF-Sympathisantenvereins darf sich als Kanzlermacher fühlen.
Irre!

Thomas Hellerberger
2 Jahre her

Helmut Schmidt wird als Kanzler in der Nachschau mehrerer Jahrzehnte oft besser gemacht, als er war. Ich möchte nicht wissen, welche Sozailpolitik die SPD schon damals betrieben hätte, hätte sie die Billionen der Merkel-Ära schon gehabt – damals aber gab es noch die Bundesbank und die DM, an der auch Schmidt nie vorbeikam. Doch dessen ungeachtet hatte er ein Maß an Integrität und Seriosität, das keiner seiner Nachfolger je wieder hatte. Doch das waren schon andere Generationen, die im Wohlstand sozialisiert worden waren. Ich habe es in meiner Familie selbst erlebt, diesen Umbruch, als Schmidts Generation, die der Kriegsteilnehmer und… Mehr

Deutscher
2 Jahre her

Wie würde so eine Geschichte heute wohl ausgehen? Unvorstellbar! Aber keineswegs mit einem Erfolg.

Last edited 2 Jahre her by Deutscher
RMPetersen
2 Jahre her

Unter anderem gehörte der B-W „Landesvater“ zu den linksextremistischen Unterstützern der Terroristen, auch der Grünen-Übevater Joseph „Joschka“ Fischer.
Und man denke auch an den Terror unterstützende SED, die als umbenannte „LINKEN“ jetzt von der SPD als koalitionswürdig angesehen wird.