Raus aus dem Ausnahmezustand!

Die derzeitige Einschränkung von Grundrechten ist einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik. Aber angemessen gerechtfertigt wurde sie nicht. Bundesregierung und Bundestag haben nicht zwischen Virus-Schutz und anderen Gemeinwohlbelangen abgewogen. Das ist ein Politikversagen.

Die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Epidemie haben unser Land in einen Ausnahmezustand versetzt – in einen Zustand, in dem viele der normalen Regeln des Zusammenlebens nicht mehr gelten und verfassungsrechtlich garantierte Rechte suspendiert sind. Die Fortbewegungsfreiheit und die Freiheit der Wahl des Aufenthaltsorts sind massiv beschränkt worden. Die Ausübung der Berufsfreiheit wird Millionen von Geschäftsleuten, Handwerkern, Gastwirten, Hoteliers, Musikern und anderen Künstlern unmöglich gemacht. Schüler und Studenten können ihr Recht auf Bildung nur noch sehr eingeschränkt wahrnehmen. Die Religionsfreiheit kann nur noch zu Hause oder über die Funkmedien wahrgenommen werden. Die Versammlungsfreiheit ist vollständig suspendiert.

Davon ist auch die Betätigungsfreiheit der politischen Parteien betroffen. Auch alle anderen Aktivitäten, die jetzt zum Corona-Schutz verboten sind, sind grundrechtlich geschützt, nämlich durch das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (allgemeine Handlungsfreiheit). Das gilt insbesondere für die Einschränkung sozialer Kontakte. Die Aufzählung der Freiheitsbeschränkungen ist nicht vollzählig. Seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland hat es noch nie eine derart weitgehende kollektive Einschränkung von Grundrechten gegeben. Innerhalb weniger Wochen wurde aus einem Gemeinwesen, das auf seine Freiheitlichkeit stolz ist, ein Staat, der von fundamentalen Freiheiten kaum etwas übrig lässt, ein Staat, der die individuelle Freiheit einem kollektiven Ziel in einem Maße unterordnet, das man in demokratischen und rechtsstaatlichen Ordnungen sonst nicht kennt.

Kann all das mit dem Grundgesetz vereinbar sein, mit der Verfassung, die die individuelle Freiheit schützt wie keine andere Verfassung in der deutschen Geschichte zuvor? Liegt ein Notstand vor, der einen Shutdown fundamentaler bürgerlicher Freiheitsrechte rechtfertigt? Kennt Not verfassungsrechtlich kein Gebot?

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Aus Sicht des Grundgesetzes nicht. Sicher – es gibt Situationen, in denen die Regeln des Normalfalls nicht gelten können, damit der Staat handlungsfähig bleibt. Aber das Grundgesetz versucht, den Notstand rechtlich einzufangen und stellt besondere rechtliche Regeln für den Ausnahmefall zur Verfügung. Der Notstand entbindet die Staatsorgane nicht von der Beachtung des Rechts. Auch im Notstand gilt die Verfassung, wenn auch mit modifizierten Regeln. Allerdings ist die Corona-Krise kein Notstand im verfassungsrechtlichen Sinne – kein Angriff auf das Bundesgebiet mit Waffengewalt (Verteidigungsfall), kein Putsch- oder Revolutionsversuch (innerer Notstand). Als einzige Notstandvorschrift, die hier Anwendung finden könnte, kommt Artikel 35 in Betracht, der bei Naturkatastrophen, wenn erforderlich, Amtshilfe auch durch die Bundeswehr erlaubt. Aber zu Grundrechtseinschränkungen ermächtigt diese Vorschrift nicht.

Verfassungsrechtlich muss die Corona-Krise daher mit den Instrumenten bewältigt werden, die das Grundgesetz für den Normalfall zur Verfügung stellt. Diese sind, wie sich jetzt wieder zeigt, sehr flexibel und lassen unter Umständen auch weitreichende Freiheitseinschränkungen zu. Aber unter welchen Umständen? Und wie weitreichend dürfen die Einschränkungen sein?

Ich gehe jetzt nicht auf Probleme der gesetzlichen und verordnungsrechtlichen Rechtsgrundlagen ein. Der Bundestag hat am 25. März in aller Eile ein Gesetz zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes erlassen, das von Verfassungsrechtlern unter verschiedenen Aspekten als verfassungswidrig angesehen wird (z.B. Gärditz/Meinel, Möllers), insbesondere weil es die Gesetzesbindung der Exekutive zur Disposition stellt und den Bundesgesundheitsminister zu Abweichungen von gesetzlichen Normen ermächtigt. Auch etliche von den Ländern und Gemeinden erlassene Rechtsverordnungen oder Allgemeinverfügungen leiden unter rechtlichen Mängeln (siehe z.B. hier, hier oder hier). Ich konzentriere mich auf die verfassungsrechtliche Frage, wie weit staatliche Grundrechtseinschränkungen zum Corona-Schutz reichen dürfen.

Dazu muss man zunächst wissen, dass die grundrechtlich geschützte Freiheit niemals unbegrenzt ist. Der Gesetzgeber darf sie einschränken, soweit dies zur Verwirklichung von Gemeinwohlzielen geboten ist. Sogar Grundrechte, die nicht ausdrücklich unter Gesetzesvorbehalt stehen, dürfen begrenzt werden, wenn sich dies zum Schutz anderer Verfassungsgüter rechtfertigen lässt. In der Corona-Krise geht es um den Schutz von Leben und Gesundheit, also um den Schutz von Gütern, deren Integrität grundrechtlich garantiert ist und die der Staat nicht nur schützen darf, sondern zu deren Schutz er auch verfassungsrechtlich verpflichtet ist. Das Ziel, Leben und Gesundheit zu schützen, kann daher die Einschränkung grundrechtlicher Freiheiten rechtfertigen. Entscheidend ist, ob die zum Schutz vor dem Corona-Virus ergriffenen Maßnahmen zur Erreichung dieses Ziels erstens geeignet und zweitens erforderlich sind und ob sie drittens auch im Sinne einer Vorteils- und Nachteilsabwägung dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen.

Und hier liegt das Problem des gesellschaftlichen und ökonomischen Shutdowns. Mit Schul- und Kindergärtenschließungen, mit Betriebsverboten für Läden und Gaststätten, mit Ausgangsbeschränkungen und sozialen Kontaktverboten können wir – so wohl der Konsens der Virologen und die Auffassung der Bundesregierung – die Ausbreitung des Virus nicht mehr verhindern, aber verlangsamen. Ziel aller staatlichen Maßnahmen ist es, durch die zeitliche Streckung der Infektionsfälle eine Überlastung der Kliniken zu verhindern und dem Risiko entgegenzuwirken, dass dort nicht genügend Intensivbetten und Beatmungsgeräte zur Verfügung stehen. Wenn dies gelingt, werden Menschenleben gerettet. An der Eignung des Shutdowns zur Lebensrettung ist nicht zu zweifeln. Verfassungsrechtlich spielt es keine Rolle, ob die Politik ein Verschulden an der Mangelsituation trifft und ob sie die befürchtete Überlastung des Gesundheitssystems hätte vermeiden können und vermeiden müssen, indem mehr Intensivbetten, mehr Klinikpersonal, mehr Beatmungsgeräte vorgehalten würden und indem man auch eine ordentliche Lagerhaltung mit Schutzkleidung und Atemschutzmasken betrieben hätte. Auch die Folgen politischen Versagens können Grundrechtseingriffe rechtfertigen.

Ob der gesellschaftliche und ökonomische Shutdown auch erforderlich ist und ob damit die zweite Voraussetzung der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung erfüllt ist, ist allerdings zweifelhaft. Eine Maßnahme ist rechtlich nicht erforderlich, wenn das Ziel mit weniger freiheitseinschränkenden Mitteln erreicht werden kann. Nach allem, was wir aus den Medien wissen, sind die coronainfizierten Patienten, die einer intensivmedizinischen Behandlung bedürfen, ganz überwiegend alt und – meist mehrfach – gesundheitlich schwerwiegend vorbelastet. In Italien liegt das Durchschnittsalter der als Corona-Tote gezählten Patienten bei 80 Jahren. Soweit jüngere Menschen gestorben sind, hatten auch diese schwerwiegende Vorbelastungen mit anderen Krankheiten.

Die Fallzahlen im Vergleich
Corona-Update zum Morgen des 31.März: Maskenpflicht und Notstandsgesetze
Es sieht so aus, als ob für die allermeisten Menschen der Corona-19-Virus nicht schlimmer als eine normale Grippe ist; in rund 80 Prozent der Fälle haben die Erkrankten nur milde Erkältungssymptome oder gar keine Symptome. Lebensgefährlich ist das Virus nur für einen kleinen Teil der Bevölkerung, nämlich für mit anderen Krankheiten vorbelastete und unter diesen ganz besonders die alten Menschen. Es liegt also nahe, die Schutzmaßnahmen auf die Risikogruppen zu konzentrieren, wie das manche Virologen fordern. Wenn alte und vorbelastete Menschen isoliert werden, können sie wirksam geschützt werden, ohne alle anderen Menschen ebenfalls zu isolieren. Es wäre noch nicht einmal notwendig, sie in die Quarantäne zu zwingen. Sie sind ja für die Allgemeinheit keine größere Gefahr als alle anderen Menschen. Sie gefährden nur sich selbst, wenn sie sich durch soziale Kontakte dem Infektionsrisiko aussetzen. Deshalb würde es ausreichen, dass man ihnen eine freiwillige Quarantäne empfiehlt und ihnen Hilfen anbietet, die Quarantäne durchzuhalten, etwa durch Lieferdienste für Lebensmittel oder durch Bereitstellung von Quarantäneeinrichtungen, in die man sich als Angehöriger einer Risikogruppe begeben kann. Betretungsverbote für Altersheime und andere Einrichtungen, in denen typischerweise Menschen mit einem hohen Corona-Risiko leben, würden aufrechterhalten. Gezielte Maßnahmen zum Schutz der Risikogruppen bieten sich somit als freiheitsschonende Mittel an, die die Betroffenen nicht weniger, vielleicht sogar besser schützen, als die Inpflichtnahme der gesamten Bevölkerung.

Warum besser? Einerseits, weil die Quarantäne der Risikogruppen die Betreffenden besser schützt als die allgemeinen Kontakteinschränkungen, die ja ziemlich löcherig sind. Andererseits, weil die Durchinfizierung der Bevölkerung mit dem Virus dazu führt, dass die meisten Menschen, nachdem sie die Infektion durchgemacht haben, immun sind. Aufgrund dieser „Herdenimmunität“ wird das Virus sich totlaufen und die Gefahr für die Risikogruppen, infiziert zu werden, wird wesentlich abnehmen. Nach Auffassung mancher Virologen sind die allgemeinen Kontaktverbote und der allgemeine Shutdown daher kontraproduktiv.

Noch problematischer als die Erforderlichkeit ist die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, also die Vorteils-, Nachteilsabwägung. Das ist die dritte verfassungsrechtliche Rechtfertigungsvoraussetzung. Diese Voraussetzung ist anscheinend von der Politik überhaupt nicht beachtet worden. Die Politik steht offenbar unter dem Diktat der Virologen – nein, einer einzigen Richtung unter den Virologen, nämlich unter dem Diktat des Robert-Koch-Instituts, dem die Bundesregierung vertraut.

Bundesregierung und Bundestag folgen völlig einseitig nur dem virologischen Ziel, die Infektionskurve abzuflachen und deshalb die Zahl der Neuinfektionen zu bremsen. Die virologischen Nachteile dieser Strategie – wer sich nicht ansteckt, wird nicht immun, so dass später nach Aufhebung der Einschränkungen erneut mit einem sprunghaften Ansteigen der Infektionsrate zu rechnen wäre – werden ausgeblendet.

Ausgeblendet werden vor allem alle nichtvirologischen Wirkungen des Shutdowns: die Bildungsverluste bei Schülern und Studenten, die immensen ökonomischen Schäden, die Gefährdung der Existenzgrundlagen Hunderttausender Kleinunternehmer, die gesundheitlichen Folgen des Bewegungs- und Lichtmangels infolge von Homeoffice und Ausgangsbeschränkungen, die Verluste an Sozialkontakten, die Dramen, die sich aus dem permanenten Zusammenleben auf engstem Raum in den Haushalten entwickeln werden. Ausgeblendet sind auch die Auswirkungen auf politische Teilhaberechte, auf demokratische Öffentlichkeit, auf all das, was das Bundesverfassungsgericht als notwendige Bedingung der Demokratie hervorgehoben hat.

Die Zahl der befürchteten Todesfälle, die durch das neue Coronavirus (SARS-CoV-2) verursacht werden, liegt innerhalb der Bandbreite dessen, was jede Grippeepidemie an Toten verursacht. Ob SARS-CoV-2 die Sterberate insgesamt überhaupt signifikant erhöht, wird von manchen Virologen bezweifelt. Natürlich sind Anstrengungen zur Rettung der von durch das Virus gefährdeten Menschenleben dennoch notwendig. Wegen der fehlenden Immunität der Bevölkerung, fehlender Impfstoffe und wegen der Bedingungen der Ausbreitung ist das Virus gefährlicher als die übliche Grippe. Aber SARS-CoV-2 ist nicht die Pest und bedroht nicht das Leben vieler Millionen Menschen. Dürfen wir zu seiner Bekämpfung die Freiheit in einem seit Geltung des Grundgesetzes nie dagewesenen Ausmaß einschränken? Kann das verhältnismäßig sein?

Wenn der Staat die Freiheit einschränkt, muss er das rechtfertigen. Er hat die Rechtfertigungs- und Begründungslast. Nicht der Bürger, der sich frei bewegen oder seinen Geschäften nachgehen will, muss sich rechtfertigen. Der Staat, der ihn daran hindern will, ist rechtfertigungspflichtig. Dieser Rechtfertigungspflicht sind Bundesregierung und Bundestag nicht nachgekommen. Sie haben bisher nicht erklären können, warum die nie dagewesenen Freiheitseinschränkungen jetzt notwendig sein sollen. Sie haben sich vom Robert-Koch-Institut die Agenda diktieren lassen. Und sie haben nicht das getan, wozu Politiker eigentlich da sind: Sie haben es unterlassen, die notwendige Abwägung zwischen Virus-Schutz und anderen Gemeinwohlbelangen zu treffen.

Das ist ein Politikversagen mit Folgen, die sich noch als verheerend herausstellen können. Ob man dies entschuldigen kann, weil die Politiker nicht vorbereitet waren und in der Situation der Bedrohung zunächst einmal reagieren mussten, will ich nicht erörtern. Dagegen spricht, dass die Corona-Virus-Bedrohung nichts völlig Neues und Überraschendes war, sondern dass man seit der SARS-Epidemie mit so etwas rechnen musste und ja schon sogar seit 2012 eine entsprechende Risikoanalyse vorliegen hatte. Die Rechtsprechung neigt dazu, der Politik bei der Risikobeurteilung und auch hinsichtlich der Erforderlichkeit der zur Risikobekämpfung zu ergreifenden Maßnahmen einen weiten Einschätzungsspielraum zuzugestehen. Doch dieser Einschätzungsspielraum schrumpft, je mehr Daten und Erkenntnisse vorliegen.

Auch die Verhältnismäßigkeit hat eine zeitliche Dimension. Freiheitseinschränkungen können verhältnismäßig sein, wenn sie nur kurze Zeit dauern. Je länger sie dauern und je größer die Schäden, die durch sie verursacht werden, desto größer ist die Rechtfertigungslast für den Staat, der sie anordnet. Die Schäden des Shutdowns werden mit jedem Tag größer. Vergleicht man die potentielle Zahl der Corona-Toten mit den Zahlen der Grippe-Toten oder mit den Zahlen der Opfer von Verkehrsunfällen, die der Staat hinnimmt, ohne einzugreifen, dann fragt sich, warum gerade zur Abwehr von Coronainfektionen volkswirtschaftliche Schäden in Kauf genommen werden sollen, die zum ökonomischen Kollaps führen und dann auch die Grundlagen des Sozialstaats erschüttern können, warum hier soziale und politische Freiheiten blockiert werden in einem Maße, das man zur Abwehr anderer Risiken nicht im entferntesten kennt. Das müsste die Politik begründen, weil Freiheitseinschränkungen begründungsbedürftig sind. Aber sie liefert die Begründung nicht, und sie kann sie nicht liefern.

Selbst wenn man der Auffassung wäre, dass der Shutdown in einer unübersichtlichen und durch die Medien dramatisierten Lage zunächst als gerechtfertigt erschien, so muss man heute sagen: Er ist es jedenfalls jetzt nicht mehr und muss so schnell wie möglich beendet werden. So schnell wie möglich heißt: Sobald man die nötigen Regelungen zum Schutz der Risikogruppen getroffen hat. Das sollte innerhalb weniger Tage möglich sein.

Helds Ausblick 5/2020
Corona – Im Teufelskreis der Schutzmaßnahmen?
Und noch etwas: Die ökonomischen Schäden, die Selbständige und Unternehmer durch staatliche Verbote erleiden, sind hier nicht Folgen einer Naturkatastrophe, sondern Folgen staatlicher Eingriffe. Nicht ein Blitz ist in dem Laden eingeschlagen, der nichts mehr verkaufen darf, nicht ein Hochwasser hat ihn überschwemmt, sondern der Staat mit seiner Corona-Verordnung ist die Ursache seiner Verluste. Deshalb können die Betroffenen nicht mit Hilfen auf der Basis staatlicher Mildtätigkeit abgespeist werden. Freiberufliche Musiker, die nicht mehr auftreten können, weil es Veranstaltungsverbote gibt, Gastwirte, die ihre Wirtschaft schließen mussten, Einzelhändler, die ihre Läden nicht mehr öffnen dürfen, erleiden ihre Schäden durch die staatlichen Verbote. Sie haben deshalb einen Anspruch auf Entschädigung; Kredite können das nicht ersetzen. Auch unter Aspekten der Verteilungsgerechtigkeit ist nicht einzusehen, warum einzelne Berufsgruppen die Folgen der Coronapolitik ausbaden sollen, während andere völlig ungeschoren davonkommen. Für Schäden, die die Politik verursacht, müssen alle gleichmäßig als Steuerzahler haften. Die Coronapolitik wird sehr, sehr teuer für alle. Und die Kosten steigen mit jedem Tag, den der Shutdown andauert. Das gilt nicht nur für die gigantischen ökonomischen Kosten, sondern auch für die psycho-sozialen und ideellen Kosten, für die Schäden am Rechtsstaat, an Demokratie und Freiheit. Das sollten auch die Politiker bedenken und die Kosten sofort begrenzen.

Das heißt nicht, dass alle zum Schutz gegen Covid-19 erlassenen Freiheitsbeschränkungen sofort ersatzlos aufgehoben werden müssen. Aber der völlige Shutdown weiter Teile unseres Wirtschafts- und Kulturlebens ist zu beenden.

Die Freiheitsbeschränkungen müssen aufgelockert und soweit wie möglich durch Maßnahmen ersetzt werden, die gezielt dem Schutz der Risikogruppen dienen. Nur so kann die Verhältnismäßigkeit und damit die Verfassungsmäßigkeit der Coronaschutzpolitik wiederhergestellt werden. Das Ziel, die Kurve der Covid-19-Erkrankungen abzuflachen, darf nicht – wie Jan-Erik Schirmer es formuliert hat – dazu führen, dass „danach nur noch die Feststellung bleibt, dass alles platt ist“.

Anders als Frankreich hat Deutschland nicht den Ausnahmezustand förmlich erklärt. Die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für die Anwendung der Notstandsregeln wären auch gar nicht gegeben. Aber die weitgehende Außerkraftsetzung vieler Grundrechte hat aus dem rechtlichen Normalzustand einen Ausnahmezustand gemacht. Dieser muss beendet werden, ohne Verzug.


Dietrich Murswiek ist emeritierter Professor für Öffentliches Recht an der Universität Freiburg im Breisgau.

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Kommentare ( 147 )

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Peter Pascht
3 Jahre her

Das Problem ist, dass wir gar keine Verfassung oder Grundgesetz haben auf dessen verfassungsrechtlichen Zwang wir uns berufen können. Was wir haben ist ein propagandistischer Mythos der einen demokratischen Rechtstaat vortäuschen soll. Die Funktionen eines Grundgesetzes sind (Dr. Carlo Schmid) – Eine Verfassung ist die Gesamtentscheidung eines freien Volkes über die Formen und die Inhalte seiner politischen Existenz. – demzufolge ist der Staat kein selbstständiges Herrschaftsinstrument über das Volk – es bestimmt die Rechte der Individuen (Grundrechte) – es bestimmt die Grenzen der Staatsgewalt, der vollziehenden Gewalt (GG §20) Wenn jedoch die Staatsgewalt, „vollziehende Gewalt“ sich dem verfassungsrechtlichen Zwang dadurch… Mehr

Peter Pascht
3 Jahre her

Dr. Carlo Schmid,
Rede bei der Verfassung gebenden Versammlung
im Parlamentarischen Rat am 8. September 1948

Wenn man jedes Grundrecht mit einem Gesetz oder Begründung aus Kraft setzen könnte, macht es keinen Sinn es durch das Grundgesetz garantieren zu wollen.
Dann kann man das Grundgesetz auch gleich abschaffen weil es keine Rechtswirkung mehr entfalten kann.
Es ist dann lediglich nur noch ein propagandistischer Mythos um einen demokratischen Rechtstaat vorzutäuschen.

Deswegen ist auch Intoleranz gegen all jene zu üben, welche mittels Gesetzgebung die Demokratie dazu missbrauchen wollen um sie abzuschaffen.

Peter Pascht
3 Jahre her

„Generelle Versammlungsverbote grundgesetzwidrig“ Das ist gemäß Grundgesetz unstreitig und unbestreitbar. Grundrechte sind Rechte der Einzelperson. Ein Grundrecht kann lt. GG einer Person nur entzogen werden aus einem Grund der in dieser Person begründet ist und wenn dafür ein Gesetz existiert. So steht es übrigens auch im IfSG (Infektionsschutzgesetz) drin. Aber auch das hat seine verfassungsrechtliche Grenzen. Zita Dr. Carlo Schmidt: „Wenn man jedes Grundrecht durch Gesetz einschränken kann, dann ist es sinnlos, es durch die Verfassung zu garantieren“ Eine genereller Entzug von Grundrechten ist lt. Grundgesetz nicht möglich, außer der einzige Ausnahme des Verteidigungsfalles, was jedoch ein Kriegszustand ist, unter… Mehr

Wolfgang M
4 Jahre her

Corona verhält sich nicht wie die Grippe. Es ist viel ansteckender. Es gibt keine Impfung und keine Medizin. Nach den Erfahrungen aus Ostasien hätte Deutschland gleich viel konsequenter vorgehen müssen, dann gäbe es jetzt nicht die Angst vor fehlenden Intensivbetten und fehlenden Intensivmedizinern. Deutschland watschelt bei den Schutzmaßnahmen immer hinter den anderen hinterher. Seit Mitte Januar könnte Deutschland Atemschutzmasken und Schutzanzüge herstellen. Zumindest eine schnelle Produktion könnte inzwischen eingerichtet sein. Stattdessen macht man sich hier Gedanken, ob die Maßnahmen verfassungsmäßig sind. Eine Entscheidung durch das BVerfG würde erfahrungsgemäß ein Jahr dauern. Mit einem Beitrag wie diesem wird das Bemühen der… Mehr

Peter Pascht
3 Jahre her
Antworten an  Wolfgang M

„Corona verhält sich nicht wie die Grippe. Es ist viel ansteckender.“ ??? Können sie ihre Behauptung auch mit Zahlen belegen? Die Zahlen die vom RKI publiziert wurden widerlegen ihre Behauptung. Corona ist nicht viel ansteckender als Grippe, sondern sogar weniger, allerdings ist die Krankheit an für sich viel gefährlicher als Grippe. „Mit einem Beitrag wie diesem wird das Bemühen der Regierung unterlaufen, die Bevölkerung weitgehend zu schützen.“ Das wollen sie woher Wissen? Oder gilt bei ihnen wie bei der Regierung, Glauben geht vor Wissen? „Ja, es gibt Virologen, die eine schnelle Durchseuchung der Bevölkerung für gut empfinden.“ Ja, es gibt… Mehr

Monika
4 Jahre her

Alles, was Sie schreiben ist korrekt, verfassungsrechtlich wäre es ja auch vermessen, sich Ihnen als ausgewiesenem Fachmann entgegenstellen zu wollen. Aber was nützt es? Alle Welt macht den shutdown. Da die Nerven haben zu wollen, sich dem zu verweigern, das bräuchte enormen Mut und Stärke. Die Schweden scheinen bis jetzt noch so zu denken. GB hatte dies ursprünglich vorgehabt, ist nun aber auch vor Angst eingeknickt. Niemanden scheinen die Gründe für das medizinische Chaos in Italien wirklich zu interessieren, welches mit Sicherheit andere Gründe als nur Corona hat und nun trefflich finanziell ausgenutzt werden kann. Da die Bundesregierung schon auf… Mehr

Dr. L.K.
4 Jahre her
Antworten an  Monika

Herr Prof. Murswiek schreibt nicht explizit, dass die Verfassung gebrochen wurde.

Er gibt „nur“ seine persönliche Einschätzung ab, dass er die Maßnahmen für nicht verhältnismäßig hält. Die persönliche Einschätzung einer Einzelperson, auch eines Professors, ist für die Frage der Verfassungsmäßigkeit aber irrelevant.

Bei der Einschätzung der Verhältnismäßigkeit gesteht die Verfassung den Regierenden einen Ermessensspielraum zu.

Verfassungswidrig wären die Maßnahmen nur dann, wenn die Regierenden diesen Ermessensspielraum erkennbar überschritten haben. Dazu müssten die Maßnahmen schon grob und für alle erkennbar unverhältnismäßig sein.

Das ist hier nicht der Fall.

HDieckmann
4 Jahre her
Antworten an  Dr. L.K.

Demokratie und Rechtsstaat sterben langsam. Die Corona-Notstandsgesetze sind Verfassungsbruch durch Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat sowie durch alle Landesregierungen und -Parlamente. Diese unvorstellbare beispiellose Missachtung unserer Verfassung wäre nicht möglich gewesen, wenn wir uns nicht durch eine Kette vorausgegangener Rechtsbrüche langsam daran gewöhnt hätten: offene Grenzen bei der Einwanderung (Herrschaft des Unrechts), verfassungswidrige Eurorettungspolitik, Enteignungen der Kohleindustrie und Kernkraftwerksbetreiber. Wir haben keine parlamentarische Demokratie mehr, sondern eine Parteiendemokratie. Entscheidungen trifft nicht das Parlament, sondern ein Groko-Koalitionsausschuss. Immer mehr parlamentarische Staatssekretäre zerstören die Gewaltenteilung zwischen Parlament und Regierung. Hinzu kommen Verletzungen der Gewaltenteilung durch Bundestagsabgeordnete, die direkt ins Verfassungsgericht wechseln. Die wirtschaftlichen… Mehr

Peter Pascht
3 Jahre her
Antworten an  Dr. L.K.

Einfach nur juristischer Unsinn was sie schreiben. Die Regierung hat keinen Ermessungsspielraum Grundrechte außer Kraft zu setzen oder gelten zu lassen. Insofern gibt es dabei auch kein zulässige Verhältnismäßigkeit. Das ist die Grenze des Spielraumes auch für jedwelche Maßnahmen. Der Spielraum endet da, wo das Grundgesetz gebrochen wird. Wenn man jedes Grundrecht mit einem Gesetz oder Begründung aus Kraft setzen könnte, macht es keinen Sinn es durch das Grundgesetz garantieren zu wollen. Dann kann man das Grundgesetz auch gleich abschaffen weil es keine Rechtswirkung mehr entfalten kann. Es ist dann lediglich nur noch ein propagandistischer Mythos um einen demokratischen Rechtstaat… Mehr

rainer erich
4 Jahre her

Die aktuellen Handlungen der Exekutive sind nur die nun gesteigerte Fortsetzung einer gewollten Entwicklung, die nun mit Corona, vormals Klima und Rettung von „Flüchtlingen“, ihre fast logische Fortsetzung erfährt. Das GG ist bestenfalls unwichtig, eher lästig, und wird nur bei ideologischer Nützlichkeit zitiert, in der Regel auch durch das abgetauchte BVerfG falsch, und die laufende Machtübernahme der Exekutive oder genauer eines Zirkels der Macht aus den Mainstreamparteien wird nun legalisiert. Nicht zu verwechseln mit Legitimation, denn natuerlich liegt auch hier ein eklatanter Verstoss gegen das Gewaltenteilungsprinzip vor, das allerdings von Merkel nie akzeptiert wurde. Ihre Einstellung und ihre Handlungen sind… Mehr

Wolf Koebele
4 Jahre her

„Herdenimmunität“ – Wieviele Arten von Viren gibt es, gegen die Immunität von niemandem erreicht wird? Warum soll das Coronavirus anders sein? Gegen Norovirus ist auch niemand immun (geworden). Und gegen nur 1 Grippevirusmodifikation wird jährlich geimpft, gegen alle anderen sind wir nicht geschützt. Oder gilt das nicht als erwiesen?

Stephan Lindemann
4 Jahre her

Ein sehr guter Artikel, schnell und kompakt lesbar und eine hervorragende Zusammenfassung enthaltend. Weiter so! Kontaktverbote sind zwar die elegantere und sanftere Lösung als Ausgangsbeschränkungen oder Ausnahmezustand, das Tragen von Masken, die Aussetzung des Versammlungsrechts und der Reisefreiheit sowie der Freizügigkeit sind jedoch höchstwahrscheinlich nicht nur grundgesetzwidrig, da sie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit widersprechen, sondern auch schlicht ohne gültige Rechtsgrundlage angeordnet worden. § 28 IfSG in Verbindung mit §30 IfSG sind nur für sehr kurzzeitige Maßnahmen ausgelegt und greifen im konkreten Fall nicht. Die von Politikern vielbeschworene „Generalklausel“ dieser Paragraphen rechtfertigt nicht per se dort nicht genannte Einzelmaßnahmen. https://www.juwiss.de/27-2020/ sowie… Mehr

reiner
4 Jahre her

im grunde gebe ich ihnen recht mit diesem artikel aber was denken sie was hier los wäre,würde diese amteurregierung so etwas unterlassen? die hauen doch immer nur in eine bresche aus angst vor wahlverlusten und auffällig ist die tatsache,dass immer nur symtome aber nie die ursachen bekämpft werden. sei es asylpolitik,alterarsmut, jetz corona.. da wird jeder tote unter 80 besonders hervorgehoben nach dem motto ,seht ihr es erwischt jeden warum und wieso steht nirgendwo.weitere asylzuführungen durch die hintertür.esken plädiert für reichenabgabe und der berliner justizsenator ruft zum rechtsboykott auf in dem er an seehofer vorbei 1500 asylanten aus griechenland holen… Mehr

giesemann
4 Jahre her

Ein Plan, ein PLAN, ? Sie sind ein Optimist. Da ist kein Plan, da wird einfach nix gedacht, ansonsten bin ich völlig bei Ihnen. Vielleicht heißt das Wort des Jahres 2020: PLANIK.

Entenhuegel
4 Jahre her
Antworten an  giesemann

Panik als Plan = Planik…?

Mit weit verbreiteter Angst lässt sich viel bewegen, siehe u.a. Prof. Rainer Mausfeld.